7Bs101/25i – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Mag. Hemetsberger als Vorsitzende, die Richterin Dr. Ganglberger-Roitinger und den Richter Mag. Grosser in der Strafsache gegen A* wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit gegen das Unzuständigkeitsurteil der Einzelrichterin des Landesgerichts Wels vom 7. April 2025, Hv*-11, nach der in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts HR Mag. Daxecker, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Weidinger durchgeführten Berufungsverhandlung am 14. August 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
In ihrem Strafantrag vom 7. März 2025 (ON 6) legte die Staatsanwaltschaft Wels dem ** geborenen A* die Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (1./) und der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB (2./) zur Last.
Demnach habe der Angeklagte am 10. Jänner 2025 in **
1./ indem er das von ihm gelenkte Sattelkraftfahrzeug samt Aufleger im Zuge eines Überholvorganges nach rechts verlenkte, sodass es zu einer Streifkollision kam und er in der Folge den LKW quer über den Fahrstreifen stellte, mithin durch Gewalt, den nachfolgenden PKW lenkenden B* C* zu einer Handlung, nämlich dem Verlenken des Fahrzeuges auf das Bankett und in der Folge zum Abbremsen bis zum Stillstand, genötigt;
2./ durch die unter 1./ geschilderte Tathandlung vorsätzlich eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen, nämlich des B* C* und der D* C*, welche sich im PKW befanden, herbeigeführt.
Mit dem angefochtenen Urteil (ON 11) sprach die Einzelrichterin des Landesgerichts Wels ihre sachliche Unzuständigkeit aus, weil unter Berücksichtigung der im Urteil zitierten Beweislage eine Verdachtsdichte – im Sinne eines Anschuldigungsbeweises – vorliege, welche die Staatsanwaltschaft zur Erhebung einer Anklage gegen den Angeklagten wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 87 Abs 1 StGB – und damit in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fallend – berechtigt.
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 6 iVm Z 4 iVm § 489 Abs 1 StPO gestützte Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit (ON 13), mit der er die Kassation des Urteils beantragt.
Die Oberstaatsanwaltschaft Linz beantragte in ihrer Stellungnahme vom 7. Juli 2025, der Berufung keine Folge zu geben, wogegen sich der Angeklagte am 21. Juli 2025 geäußert hat.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Bezugspunkt für die Prüfung von (sachlicher) Zuständigkeit oder Unzuständigkeit ist in allen Verfahrensarten derselbe. Die Überprüfungsbasis besteht nach § 261 StPO in den „der Anklage zugrunde liegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen“, also Modifikationen des Anklagesachverhalts ohne Änderung des Prozessgegenstands. Im Verfahren vor dem Bezirksgericht und dem Einzelrichter des Landesgerichts gilt nichts anderes (§ 447 StPO, § 488 Abs 1 und 3 StPO; Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO § 281 Abs 1 Z 5 bis 8 Rz 493 mwN).
Prüfungsinhalt des Unzuständigkeitsurteils ist ein Anschuldigungsbeweis. Die Verdachtsdichte, die den Ankläger zur Erhebung der Anklage berechtigt (vgl § 212 Z 2 StPO), genügt (vgl RIS-Justiz RS0098830). Der Anschuldigungsbeweis gilt dann als erbracht, wenn sich aus dem Anklagevorbringen – allenfalls in Verbindung mit einem in der Hauptverhandlung rechtmäßig vorgekommenen Beweismittel – der naheliegende Verdacht ergibt, der inkriminierte Sachverhalt wäre im Fall eines Schuldspruchs als in eine die Zuständigkeit des (hier) Schöffengerichts fallende strafbare Handlung zu beurteilen. Ein dringender Verdacht ist dabei nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0124012, RS0098830).
Die rechtliche Beurteilung des (hier) Berufungsgerichts hat – ebenso wie jene des Berufungswerbers – an dem vom Erstgericht für wahrscheinlich gehaltenen Sachverhalt anzuknüpfen. Dieser kann nur nach Maßgabe der Kriterien der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO (zugunsten des Angeklagten auch Z 5a), nicht aber beweiswürdigend in Frage gestellt werden. Zudem kommt im Fall eines Unzuständigkeitsurteils auch die Geltendmachung von Verfahrensmängeln (Z 2 bis 4 [nach Maßgabe des Absatz 3]) – jeweils in Verbindung mit § 281 Abs 1 Z 6 StPO – in Betracht. Verfehlte rechtliche Unterstellung der Sachverhaltsannahmen ist allein Gegenstand der Z 6 (vgl zum Prüfungsinhalt Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO § 281 Abs 1 Z 5 bis 8 Rz 499 mwN).
Der Nichtigkeitsgrund der Z 6 liegt vor, wenn es an den sachlichen Voraussetzungen eines Unzuständigkeitsurteils fehlt. Dies ist zunächst dann der Fall, wenn der Sachverhalt eine (hier) schöffengerichtliche Zuständigkeit nicht indiziert, die Verdachtsdichte also jene eines Anschuldigungsbeweises nicht erreicht. Ein Fall der Z 6 ist aber auch dann gegeben, wenn das Erstgericht bei Annahme einer (hier) schöffengerichtlichen Zuständigkeit einem Subsumtionsfehler unterliegt. Begründungsmängel iSd Z 5 sind gegen ein Unzuständigkeitsurteil im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde gemäß Z 6 auszuführen (Lewisch in Fuchs/Ratz, WK StPO § 261 Rz 24 ff mwN).
Zur Klarstellung: Wenn zuweilen betont wird, das Unzuständigkeitsurteil habe „keine Beweise zu würdigen“ und keine „Tatsachenfeststellungen zu enthalten“, sind damit nur Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellungen im Sinne eines verurteilenden Erkenntnisses gemeint (Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO § 281 Z 5 bis 8 Rz 498).
Der Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) ist voranzustellen, dass ein Unzuständigkeitsurteil keinen Ausspruch über die Schuld in Form eines Endurteils erledigt, sondern bloß eine formale Zwischenerledigung ohne Klärung der Tatfrage in einem noch laufenden Verfahren darstellt (zum Formalurteil vgl RIS-Justiz RS0125315; Lendl in Fuchs/Ratz, WK StPO Vor §§ 259, 260 Rz 4; Lewisch in Fuchs/Ratz, WK StPO § 261 Rz 7).
Bei seiner Kritik, nach Gewährung rechtlichen Gehörs zu der vom Erstgericht abweichend beurteilten Tat (vgl ON 10, 6 f) sei über seinen Vertagungsantrag nicht entschieden worden, verkennt der Angeklagte daher die Anforderungen des § 262 StPO, demnach das Gericht bei einem (allerdings nicht bezogen auf eine einem Gericht höherer Ordnung vorbehaltene strafbare Handlung) geänderten rechtlichen Standpunkt eine Warnpflicht trifft, es das Überraschungsverbot zu beachten und über einen allfälligen Vertagungsantrag zu entscheiden hat, und jene des Unzuständigkeitsurteils iSd § 261 Abs 1 StPO. Erachtet nämlich das Gericht für die unter Anklage gestellte Tat im prozessualen Sinn die Zuständigkeit des höheren Gerichts als naheliegend, hat es ein Unzuständigkeitsurteil zu fällen (vgl dazu Lewisch in Fuchs/Ratz, WK StPO § 261 Rz 6 f mwN).
Dem unter diesem Nichtigkeitsgrund weiters erhobenen Einwand, das Erstgericht sei seinem gegen die Verwertung der für die Begründung des Anschuldigungsbeweises maßgeblichen Videos gerichteten Antrag nicht gefolgt, zuwider, wäre – losgelöst von der von der Oberstaatsanwaltschaft relevierten gesetzeskonformen Antragstellung – durch deren Vorführung, Verlesung und Verwertung in einem Strafverfahren kein Verstoß nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO auszumachen. Im übrigen besteht selbst für strafrechtswidrige Tonbandaufnahmen kein Beweisverwertungsverbot (Kirchbacher/Sadoghi in Fuchs/Ratz, WK StPO § 246 Rz 87 mwN; RIS-Justiz RS0093532; vgl auch 7 Ob 121/22b).
Soweit der Angeklagte schließlich unter § 281 Abs 1 Z 6 StPO zusammengefasst kritisiert, es gebe keine Indizien für ein auf eine schwere Körperverletzung gerichtetes absichtliches Handeln, übersieht er, dass die Voraussetzungen für ein Unzuständigkeitsurteil bei strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben im Regelfall dann vorliegen, wenn die äußeren Begleitumstände die Annahme absichtlichen Handelns nahe liegen. Soweit die äußeren Begleitumstände – wie hier vom Erstgericht durchaus nachvollziehbar begründet (US 4) – auch absichtliches Handeln in Richtung schwerer Körperverletzung zulassen, ist die erstgerichtliche Entscheidung im Sinne der obigen Kriterien nicht korrekturbedürftig. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der vom Erstgericht für wahrscheinlich gehaltene Sachverhalt nur nach Maßgabe der Kriterien der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO (allenfalls Z 5a), nicht aber beweiswürdigend in Frage gestellt werden kann (vgl Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO § 281 Z 5 bis 8 Rz 499).