JudikaturOLG Linz

9Bs167/25k – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
04. August 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr Engljähringer als Vorsitzende und Mag Kuranda und den Richter Mag Huemer-Steiner in der Maßnahmenvollzugssache des A* wegen § 25 Abs 3 StGB und bedingter Entlassung aus einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB über die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 26. Juni 2025, BE*-8, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der ** geborene A* wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 7. Juli 2022, Hv*-83, wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (neben mehreren Vergehen) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Jahren verurteilt; gleichzeitig wurde er aus Anlass des Verbrechensvorwurfs gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Er hatte am 19. August 2021, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluss seiner höhergradigen wahnhaften Störung bei paranoider Persönlichkeitsakzentuierung seine Ehefrau zu töten versucht, indem er ihr mehrere Messerstiche (Klingenlänge zirka 11 cm) gegen den Oberkörper versetzte und weitere Messerstiche zu versetzen versuchte, wodurch das Opfer eine 4 cm tiefe Schnittwunde am linken Rippenbogen, eine 1 cm tiefe Stichwunde an der linken Achsellinie auf Höhe des Rippenbogens mit einer Länge von 10 cm, einen von vorne oben nach hinten unten in Richtung des oberen Nierenpols verlaufenden Stichkanal sowie eine Kratzwunde am linken Ringfinger erlitt, und er sie anschließend mit dem Messer in der Hand verfolgte und neuerlich versuchte, auf sie einzustechen, wobei die Tat eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung des Opfers zur Folge hatte.

Das urteilsmäßige Strafende wird (vikariierend) voraussichtlich am 19. August 2039 erreicht sein (ON 3, 1). Die nach Inhaftierung des Betroffenen am 19. August 2021 mit Urteilsrechtskraft am 10. November 2022 eingeleitete Maßnahme wird seit 28. März 2023 im FTZ B* vollzogen (ON 6, 9).

Mit dem nun angefochtenen Beschluss vom 26. Juni 2025 (ON 8) stellte das Erstgericht nach Einholung einer Strafregisterauskunft (ON 5) und einer forensischen Stellungnahme des FTZ B* (ON 6) sowie Durchführung einer Anhörung (ON 7) die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 2 StGB fest und wies den Antrag des Betroffenen auf bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug ab.

Dagegen wendet sich die Beschwerde des Betroffenen (ON 7, 2). Sie ist jedoch ohne Erfolg.

Rechtliche Beurteilung

Vorbeugende Maßnahmen sind auf unbestimmte Zeit anzuordnen und so lange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert (§ 25 Abs 1 StGB). Die bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme ist zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen (mit einfacher Wahrscheinlichkeit: OLG Wien 23 Bs 208/24t mN; Birklbauer , SbgK § 47 Rz 56; Leukauf/Steininger/ Tipold StGB 4 § 47 Rz 2 mwN) anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht (§ 47 Abs 2 StGB). Hingegen ist von einem Fortbestehen der Gefährlichkeit, deren Realisierung der Maßnahmenvollzug gerade verhindern soll, dann auszugehen, wenn die der Unterbringung zugrunde liegende Gefährlichkeit weiter vorliegt und sie außerhalb des forensisch-therapeutischen Zentrums („extra muros“) nicht hintangehalten werden kann (14 Os 37/24h; 13 Os 116/24v; Haslwanter in WK² StGB § 47 Rz 5). Die spezifische Gefährlichkeit besteht im hier vorliegenden Fall einer mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedrohten (vgl § 21 Abs 3 StGB) Anlasstat in der Befürchtung, dass der Untergebrachte sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen (§ 21 Abs 1 StGB) begehen werde (14 Os 37/24h [Rz 6 f] mwN = EvBl 2025/25, Świderski ).

Demnach ist auf Basis der ausreichend aktuellen und schlüssigen Unterlagen, konkret der jüngsten forensischen Stellungnahme des Anstaltsleiters des FTZ B* vom 11. Februar 2025 (ON 6) in der Zusammenschau mit dem psychiatrisch-kriminalprognostischen (Einweisungs-)Gutachten des Sachverständigen Dr C* vom 4. November 2021 (vgl ./ in Ordner “Sonstiges“/“Personalakt“), welches er auch in der Hauptverhandlung am 7. Juli 2022 aufrecht hielt (LGSt Wien Hv*-82, 28 ff), der forensischen Stellungnahme der Clearingstelle für den Maßnahmenvollzug gemäß § 21 Abs 2 StGB des Bundesministeriums für Justiz vom 20. Februar 2023 (./ in Ordner “Sonstiges“/“Personalakt“) und des prognostischen Gutachtens des klinisch- und gesundheitspsychologischen Sachverständigen Mag D* vom 29. April 2024 (LG Steyr BE*-9; ./ in Ordner „Sonstiges“/“Personalakt“) anzunehmen, dass sich das psychopathologische Zustandsbild des Rechtsmittelwerbers vor dem Hintergrund der nach wie vor aktuellen Diagnose einer wahnhaften Störung (F22) und einer paranoiden Persönlichkeitsakzentuierung (ON 6, 12 und 22) und des bisherigen Therapieverlaufs im relevanten Beobachtungs- und Behandlungszeitraum tendenziell eher eingetrübt und daher keinesfalls ausreichend positiv entwickelt hat, um die spezifische Gefährlichkeit des Untergebrachten außerhalb der schützenden Struktur eines forensisch-therapeutischen Zentrums hintanhalten zu können.

Dabei wird nicht übersehen, dass der Betroffene vor dem einweisungskausalen Tatgeschehen weder strafverfolgungsbehördlich angefasst (ON 5) noch jemals in psychiatrischer Behandlung war, sein Verhalten im aktuellen Vollzug als unauffällig und freundlich gegenüber dem Justizwachepersonal und als konfliktfrei gegenüber den Mituntergebrachten beschrieben wird, er eine sehr zufriedenstellende Arbeitsleistung im Integrationsbetrieb erbringt, in der Gruppe gut integriert ist, bei ihm kein akutes Frustrationsverhalten auszumachen ist und er sich in der Interaktion mit dem Sozialen Dienst freundlich, höflich und gesprächig präsentiert (ON 6, 9 ff). Auch ergeben vor dem Hintergrund weiterer statischer (historischer) und dynamischer (veränderbarer) Faktoren in seiner Biografie – konkret der durchgehenden Bereitschaft, seinem eigenen Lebensunterhalt und seinen finanziellen Verpflichtungen selbstständig nachzukommen, des fehlenden negativen Einflusses krimineller Peers auf sein gewalttätiges Verhalten, der fehlenden Hinweise auf ein Substanzmissbrauchsproblem sowie der anzunehmenden Paktfähigkeit zur Einhaltung von Auflagen und Weisungen – allein die psychologischen Testverfahren zur statistisch-nomothetischen Kriminalprognose des Betroffenen bei isolierter Betrachtung ein nur niedriges Risiko für zukünftige Gewaltdelikte bzw ein durchschnittliches Risiko für neuerliche innerpartnerschaftliche (sexuelle) Gewalt (ON 6, 13 ff und 22).

Dies ändert aber nichts daran, dass das individuell signifikant gesteigerte Gewaltrisiko und dessen Veränderungspotenzial im Fall des Betroffenen aus einer hochspezifischen Täter-Opfer-Dynamik resultiert: Der unbedenklichen Aktenlage zufolge war der Betroffene schon über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren insofern verhaltensauffällig, als er seine Frau mehrfach der Untreue bezichtigte und explizit eine Affäre zwischen ihr und seinem ältesten Sohn aus erster Ehe vermutete (ON 6, 12). Die schleichende wahnhafte Störung, kombiniert mit paranoiden Verarbeitungsmustern, begünstigte diese Eifersucht des Betroffenen im schwelenden Ehetrennungsprozess und trug so zu einem progredienten Verlauf der Symptomatik und des generellen Störungsverlaufs bei. In diesem Kontext agierte der Betroffene störungsbedingt wiederholt, und über die Zeit in Frequenz und Intensität erheblich gesteigert, gewalttätig gegenüber seiner Frau und seinen beiden älteren Kindern (ON 6, 23), wobei das Handlungsspektrum von (körperlicher) Aggression (Drohungen, Schläge, Ohrfeigen gegen Frau und Söhne) über paranoide Verarbeitungstendenzen (Eifersuchts-, Verfolgungsphänomene, vgl dazu auch ON 6, 18) und Kontrollhandlungen (Einsperren der Ehefrau über mehrere Tage, Installieren von Minikameras und Diktiergeräten in der Wohnung, Überwachen der Mobiltelefone und Laptops der Familienmitglieder, Ausfindingmachen des Aufenthaltsorts der Gattin, Vergleichen der Anruflisten mit der Handyabrechnung, griffbereiter Schlagstock auf dem Schreibtisch) bis hin zur vollzugskausalen Anlasstat reichte (ausführl Forensische Stellungnahme der Clearingstelle zur Vollzugsplanung, ./ in Ordner „Sonstiges“/“Personalakt“). Der Betroffene und seine Frau sind noch verheiratet, seine drei (mittlerweile erwachsenen) Kinder lehnen den Kontakt zu ihm ab (ON 6, 10 f). An dynamischen, im Zusammenhang mit Gewalt stehenden Risikofaktoren (Gewalttätiger Lebensstil, Kriminelle Einstellungen, Zwischenmenschliche Aggression, Emotionale Kontrolle, Gebrauch von Waffen, Einsicht bezüglich Gewalttätigkeit, Psychische Störung, Stabile Beziehungen, Sozialer Empfangsraum, Gewaltzyklus, Impulsivität, Kognitive Verzerrungen) befindet sich der Rechtsmittelwerber noch ausschließlich im Stadium der Absichtslosigkeit (ON 6, 14 ff). Folglich erkennt er seine Problembereiche nicht an und zeigt (auch nach mehrmaligem Erklären der Diagnosen und der vorliegenden Symptomatik) keine ausreichende Bereitschaft, diese therapeutisch aufzuarbeiten (ON 6, 18 und 22 f). Vielmehr lassen sich beim Betroffenen sowohl hinsichtlich der Anlasstat als auch hinsichtlich der gewalttätigen paranoiden Vorgeschichte kognitive Verzerrungen im Sinn von Rationalisierungen und Rechtfertigungen abbilden (ON 6, 20). Zwar stellte er sich in der Öffentlichkeit prosozial dar, aber aufgrund seines jahrelangen, seit 2011 zunehmend massiv einschränkenden, kontrollierenden und psychisch und physisch aggressiven Verhaltens mit dem übergeordneten Ziel, Macht und Kontrolle über seine Ehefrau und seine Kinder zu erlangen und zu erhalten – was er jedoch verleugnet und bagatellisiert (arg: er habe seine Familie nie geschlagen und auch nicht kontrolliert, er habe sie sehr geliebt und nur zu ihrem Schutz wissen wollen, wo sie seien), liegt ein behandlungsrelevanter gewalttätiger Lebensstil – ausschließlich – im häuslichen Bereich vor.

Das Persönlichkeitsprofil des Betroffenen ist geprägt von einem Mangel an (tiefergehender) Reue und Schuldbewusstsein sowie einer Einschränkung in der Empathiefähigkeit und in der Perspektivenübernahme; auch in der Darstellung der Anlasstat versucht er, die Tatsachen zu verdrehen und die Schuld zu externalisieren (arg: seine Frau sei schuld, sie habe sein Leben zerstört und habe die Situation durch ihren Wunsch nach einer Scheidung herbeigeführt, er habe sie mit dem Messer nur erschrecken wollen, ihre Verletzungen seien ein Unfall gewesen). An dieser Anschauungsweise hält der Betroffene nach wie vor fest (ON 6, 20 ff), weiterhin vertritt er seine früher beschriebenen, gewaltlegitimierenden Haltungen, lassen seine Aussagen auf ein erniedrigendes Frauenbild schließen und fehlt ihm das Verständnis, warum die Opfer keinen Kontakt mehr mit ihm suchen (ON 6, 15 f und 18 f). Insoweit wurde ihm eine mittelgradige bis hohe Ausprägung psychopathischer Eigenschaften attestiert, wobei insgesamt der Bezug auf die eigene Person, ohne emotionales Mitschwingen und authentische Reue oder Opferempathie, überwiegt. Auch eine Bearbeitung dieses Risikofaktors war mit dem Betroffenen mangels Delikts- und Störungseinsicht bisher nicht möglich. Die Begehung der Gewalthandlungen, insbesondere auch der Anlasstat, steht in durchgängiger Verbindung nicht nur mit seinen paranoid-wahnhaften Verarbeitungsmustern (Eifersuchtswahn), sondern auch mit der Unfähigkeit des Betroffenen, seine Emotionen – zumal bei Hinzutreten äußerer Stressoren (vgl ON 6, 17: Tod des Vaters 2011, COVID-Pandemie 2020; ON 6, 20: schlechte Noten oder Zu-spät-Kommen der Kinder) – zu kontrollieren und auch nur, hinsichtlich dieser Defizite in der Emotionsregulation ein Problembewusstsein zu entwickeln (ON 6, 16 f).

Zur Einschüchterung und zu den Gewalthandlungen setzte der Betroffene wiederholt Waffen, konkret mehrfach Alltagsgegenstände (Gürtel, Schlagstock) und im Anlassdelikt ein Messer ein, wobei er die im Zuge der Tathandlung zu Hilfe eilenden Passanten ebenfalls durch mehrere Stichbewegungen in deren Richtung mit dem Messer attackierte. Auch in Bezug auf den Waffenbesitz und -einsatz zeigt sich der Betroffene bagatellisierend und leugnend (ON 6, 17).

Eine Anbindung an eine Einzelpsychotherapie war bisher aufgrund der defizitären Deutschkenntnisse des Betroffenen, wiewohl er mittlerweile mehrere Deutschkurse besucht hat, und davon abgesehen aufgrund seiner nur oberflächlichen Therapiebereitschaft nicht möglich; da der Beschwerdeführer aktuell weder störungs-, noch delikts- und urteilseinsichtig ist, ist eine Anbindung an eine Einzelpsychotherapie vielmehr kontraindiziert (ON 6, 21 f). Nach dem aktuellen Vollzugsplan sollen in den weiterführenden Gesprächen mit der klinischen Case Managerin die Risikofaktoren mit dem Augenmerk auf paranoide Tendenzen bearbeitet und soll allem voran ein adäquates Problembewusstsein geschaffen werden (ON 6, 22 f). Zusammenfassend steht der Betroffene hier nach wie vor am Anfang des therapeutischen Prozesses. Angesichts der weiterhin vorliegenden wahnhaften Symptomatik und der fehlenden Delikts- und Störungseinsicht des Rechtsmittelwerbers ist deshalb damit zu rechnen, dass er aktuell wieder Kontakt zu seinem Sohn und/oder seiner Ehefrau aufnehmen oder aber in einer zukünftigen Beziehung analoge Verhaltensmuster zeigen würde (ON 6, 23). In der Folge ist störungsbedingt aufgrund der bestehenden hochspezifischen Täter-Opfer-Dynamik, in deren Zusammenhang er schon bisher gewalttätige Handlungen, auch unter Gebrauch von Waffen oder waffenähnlichen Gegenständen verübt hat, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Betroffene in einem solchen Beziehungskontext ohne Anstaltsunterbringung innerhalb eines absehbaren, maximal fünfjährigen Beobachtungszeitraums erneut eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen, konkret einen massiven tätlichen Angriff mit gefährlichen bis hin zu tödlichen Stich- oder Schlagverletzungen, begehen wird (ON 6, 23). Eine geeignete extramurale Betreuungsalternative steht dem Betroffenen nach Lage des Falls (weniger mit Blick auf die zu verbüßende langjährige Freiheitsstrafe, als) allein schon wegen des dargelegten intensiven stationären Therapiebedarfs nicht zur Verfügung.

Die nicht ausgeführte Beschwerde des Betroffenen gibt für eine günstigere Sichtweise nichts an die Hand.

Alles in allem ist deshalb anzunehmen, dass bei A* weiterhin eine Gefährlichkeit in jener qualifizierten Ausprägung besteht, wie sie das Gesetz für die Aufrechterhaltung der Maßnahme im stationären Bereich verlangt.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht kein weiteres Rechtsmittel zu.

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