7Bs71/25b – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Mag. Hemetsberger als Vorsitzende, die Richterin Dr. Ganglberger-Roitinger und den Richter Mag. Grosser in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen das Urteils des Einzelrichters des Landesgerichts Linz vom 22. Oktober 2024, Hv1*-13b, nach der in Anwesenheit der Oberstaatsanwältin Mag. Breier, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Habinger durchgeführten Berufungsverhandlung am 17. Juli 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld wird nicht Folge gegeben.
Hingegen wird der Berufung wegen Nichtigkeit Folge gegeben; das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem Schuldspruch und demzufolge in seinem Strafausspruch sowie in dem gemäß § 494a Abs 1 StPO gefassten Beschluss aufgehoben und die Sache insoweit an das Bezirksgericht Linz mit dem Auftrag verwiesen, nach § 37 iVm § 35 Abs 1 SMG vorzugehen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der ** geborene A* der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG schuldig erkannt und unter Anwendung der §§ 28 Abs 1 und (im Sinne der Ausführungen in der Nichtigkeitsberufung verfehlt) 43a Abs 2 StGB nach § 27 Abs 2 SMG zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten und einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je EUR 25,00, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen, verurteilt. Gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO wurde vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts Linz vom 31. Jänner 2023, Hv2*, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und gemäß § 494a Abs 6 StPO die Probezeit auf vier Jahre verlängert.
Nach dem Schuldspruch hat A* im Zeitraum Sommer 2023 bis Mai 2024 vorschriftswidrig, nämlich insgesamt 104 Gramm des verbotenen Suchgiftprodukts Cannabis-Marihuana (§ 2 SMG iVm § 1 SV, Anhang I), welches die verbotenen Suchtgifte Tetrahydrocannabinolsäure (THCA) und Delta-9-Tetrahydrocannabinol (§ 2 SMG iVm § 1 SV, Anhang V und IV) enthalten hat, erworben und besessen, wobei er die Straftat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begangen hat.
Unter einem wurde A* von dem wider ihn mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft Linz vom 13. September 2024, St* (ON 4), weiters erhobenen Vorwurf, er habe im Zeitraum von zumindest Sommer 2023 bis zumindest Frühjahr 2024 in ** und andernorts vorschriftswidrig in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich zumindest 950 Gramm Cannabiskraut (mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 13,17% THCA und 1% Delta-9-THC), großteils durch gewinnbringenden Verkauf an bislang unbekannte Abnehmer überlassen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Der Antrag der Staatsanwaltschaft, einen Geldbetrag gemäß § 20 Abs 1 und 3 StGB für verfallen zu erklären, wurde abgewiesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich zum Nachteil des Angeklagten die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Schuld, mit der sie einen (strafantragskonformen) Schuldspruch auch wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und die Verhängung einer tat- und schuldangemessenen Strafe unter Anwendung des § 39 Abs 1a StGB anstrebt. Mit ihrer in eventu zugunsten des Angeklagten erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit kritisiert sie, worauf aber ohnehin bereits das Erstgericht hingewiesen hat (US 28), die Überschreitung des Strafrahmens sowie die gesetzwidrige Nichtanwendung des § 37 SMG iVm § 35 SMG (ON 17).
Der Angeklagte sprach sich in seiner Gegenausführung (ON 18) gegen die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Schuld aus und schloss sich den Ausführungen in der Nichtigkeitsberufung an.
Die Berufung ist teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Beweiswürdigend führte das Erstgericht zu seinen Feststellungen zum Freispruch (zusammengefasst) aus, dass sich der Angeklagte zu diesem Vorwurf sowohl im Ermittlungsverfahren als auch in der Hauptverhandlung nicht geständig verantwortet hat. Der Anklagevorwurf des Suchtgifthandels stützt sich ausschließlich auf die Aussage von B* C* als Beschuldigter und einen darin enthaltenen Auszug von Protokollierungen von Sprachnachrichten zwischen D* und B* C*. Andere Beweisergebnisse für einen Suchtgifthandel durch den Angeklagten liegen nicht vor. Insbesondere wurden beim Angeklagten weder Indizien für einen Suchtgifthandel vorgefunden noch wurde ein Abnehmer ausgeforscht. Der Angeklagte hat bei seiner Einvernahme in der Hauptverhandlung nachvollziehbare Angaben gemacht und insgesamt einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Zudem verfügt er im Vergleich zu vielen anderen typischen Suchtgifthändlern über den gesamten Anklagezeitraum über völlig geordnete Lebensverhältnisse. Nicht zuletzt ist seine Aussage in sich schlüssig sowie nachvollziehbar und kann keineswegs als bloße Schutzbehauptung eingestuft werden. Letztlich verbleiben hinsichtlich der Belastung des Angeklagten zwei widersprüchliche Aussagen von B* C*, wobei keiner der beiden Aussagen eine ausreichend höhere Glaubwürdigkeit attestiert und somit der Vorzug gegeben werden kann. Mit derart verbleibenden widersprüchlichen Angaben des einzigen Belastungszeugen kann jedoch nicht die geständige Verantwortung des Angeklagten weder mit der dafür erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit noch mit dem unabdingbaren Ausschluss von jeglichen objektiv vernünftigen Zweifeln widerlegt werden (US 12 bis US 28).
Die Staatsanwaltschaft bewertete die Beweiswürdigung einerseits als nicht am Akteninhalt orientierte Vermutungen zur Person des Angeklagten und dessen möglicher Motivlage zur Frage eines von ihm betriebenen Suchtgifthandels und andererseits als ein pauschales Zuerkennen der Glaubwürdigkeit der Angaben des Zeugen C* in Bezug auf dessen Aussage in der Hauptverhandlung zur (lediglich) einmaligen Überlassung einer geringen (50 Gramm) Menge Cannabiskraut an den Angeklagten, welche auf Erwägungen fußt, die mit der überwiegend gleichlautenden Aussage des Zeugen einerseits vor der Polizei, andererseits – bezogen auf Überlassungen an andere Personen – in der Hauptverhandlung letztlich einer nachvollziehbaren Begründung entbehrt. In diesem Zusammenhang verwies die Staatsanwaltschaft auf die zwischenzeitige, noch nicht rechtskräftige Verurteilung des B* C* durch das Landesgericht Linz am 14. April 2025 zu Hv3*.
Wenngleich die Argumente der Staatsanwaltschaft nicht völlig von der Hand zu weisen sind, vermag deren Schuldberufung substanzielle Zweifel an der erstgerichtlichen Beweiswürdigung und insbesondere den darauf gegründeten Negativfeststellungen noch nicht zu erwecken.
Die freie Beweiswürdigung ist ein kritisch-psychologischer Vorgang, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungssätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind. Nicht nur (logisch) zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse berechtigen das Gericht zu Tatsachenfeststellungen (vgl RIS-Justiz RS0098362 und RS0098471). Das Wesen der freien Beweiswürdigung im Sinn des § 258 Abs 2 StPO berechtigt den Tatrichter nicht nur, sondern verpflichtet ihn vielmehr, Beweisergebnisse in ihrem Zusammenhang zu würdigen, durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ergänzen und seine Überzeugung frei von jeder Beweisregel auf in diesen Prämissen wurzelnde denkrichtige Schlüsse zu stützen (vgl RISJustiz RS0098314). Die Bewertung hat unter Beachtung der Gesetze folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungswissens zu erfolgen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bei Würdigung der Angaben von Personen, die das Gericht selbst vernommen hat, oft der persönliche Eindruck der erkennenden Richter entscheidend ist. Dieser unmittelbare, lebendige Eindruck, der sich auf das Auftreten, die Sprache, die Ausdrucksweise und die Bewegungen einer Person stützen kann, lässt sich nicht immer erschöpfend in Worte kleiden und muss daher im Urteil nicht in allen Einzelheiten dargelegt und wiedergegeben werden (vgl RIS-Justiz RS0098413; Lendl, WK-StPO § 258 Rz 27).
Auf diesen Prämissen aufbauend hat das Erstgericht umfassend und detailreich begründet, warum es den Angeklagten – auch vor dem Hintergrund des persönlichen Eindrucks sowohl vom Angeklagten als auch vom Zeugen C* in der Hauptverhandlung – im Zweifel zu seinen Gunsten vom Vorwurf des Suchtgifthandel freisprach (US 12 bis US 28). Entgegen der Ansicht der in der Berufung vertretenen Auffassung kann hier von einer zu kurz greifenden Beweiswürdigung noch nicht gesprochen werden. Vielmehr kam das Erstgericht auf Basis der Beweisergebnisse, die eine sehr ausführliche Auseinandersetzung in der Beweiswürdigung erfahren haben, mit letztlich unbedenklichen Argumenten zum Ergebnis, dass der dem Angeklagten angelastete Suchtgifthandel mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit nicht festgestellt werden könne. Bleibt lediglich der Vollständigkeit halber anzumerken, dass C* auch in seinem (noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen) Verfahren nur von einer Übergabe an den (hier) Angeklagten sprach.
Zusammengefasst erwecken die Argumente der Staatsanwaltschaft daher noch keine Bedenken an der erstgerichtlichen Beweiswürdigung. Ob Tatsachen als erwiesen festzustellen sind, hat das Gericht aufgrund der Beweise nach freier Überzeugung zu entscheiden; im Zweifel stets zugunsten des Angeklagten oder sonst in seinen Rechten Betroffenen (§ 14 StPO).
Gemäß § 37 iVm § 35 Abs 1 SMG hat das Gericht unter den in § 35 Abs 3 bis 7 SMG genannten Voraussetzungen und Bedingungen das Verfahren wegen einer Straftat nach den §§ 27 Abs 1 oder 2 oder 3 SMG, die ausschließlich für den eigenen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch eines anderen begangen worden sind, ohne dass der Angeklagte daraus einen Vorteil gezogen hat, unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bis zu zwei Jahren bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss vorläufig einzustellen.
Im Falle einer § 27 Abs 1 und 2 subsumierbaren Tat ist die vorläufige Einstellung des Verfahrens durch das Gericht nach § 37 iVm § 35 Abs 1 SMG an keine Überlegungen zur Schwere der Schuld oder zur Prävention geknüpft (RIS-Justiz RS0132559).
Daher war der Schuldspruch und demzufolge der (nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO nichtige) Strafausspruch sowie der gemäß § 494a StPO gefasste Beschluss aufzuheben und die Strafsache an das zuständige Bezirksgericht Linz mit dem Auftrag zu verweisen, nach § 37 iVm § 35 Abs 1 SMG vorzugehen.