10Bs154/25f – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Henhofer als Vorsitzende und Mag. Kuranda sowie den Richter Mag. Graf in der Strafsache gegen A* B* C* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 2. und 3. Fall, Abs 4 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz vom 13. Juni 2025, Hv*-130, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben und die über A* B* C*, geb. am **, verhängte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 1 und 2 Z 1 StPO und der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 1 und 2 Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt.
Text
Begründung:
Mit noch nicht rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 28. April 2025 wurde A* B* C* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28 Abs 1 2. und 3. Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I.) und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28 Abs 1 5. Fall, Abs 4 Z 3 SMG (II.) schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das rechtskräftige Urteil des Bezirksgerichtes Haskovo vom 24. März 2023 zu ** nach § 28 Abs 4 SMG zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt (ON 139). Demnach hat er im Zeitraum von Jänner 2021 bis Anfang November 2021 in D* bzw von D* aus vorschriftswidrig Suchtgift
I. in einer das 25-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich insgesamt zumindest 4.000 Gramm Heroin (enthaltend durchschnittlich 14,3 % Heroin ua) und 4.000 Gramm Crystal Meth (enthaltend durchschnittlich 75,75 % Methamphetamin), teils als Bestimmungstäter (§ 12 2. Fall StGB) aus dem Ausland aus- und nach Österreich eingeführt, indem er im Durchschnitt monatlich jeweils zumindest 500 Gramm Heroin und 500 Gramm Crystal Meth entweder selbst in der Türkei holte und nach Österreich brachte oder Dritte zu entsprechenden Lieferungen bestimmte;
II. in einer das 25-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich die nach Österreich geschmuggelte Menge (Punkt I.), teils öffentlich an nachstehende bekannte, darüber hinaus aber auch an zahlreiche unbekannte Abnehmer gewinnbringend überlassen, und zwar unter anderem,
1. im Zeitraum von März 2021 bis Anfang November 2021 dem abgesondert verfolgten E* F* in Teilmengen von je 5 bis 10 Gramm insgesamt rund 320 Gramm Heroin zum Grammpreis von EUR 35,00 bis EUR 40,00;
2. im Mai 2021 einem unbekannten Abnehmer, welchen ihm E* F* vermittelte, einmalig 50 Gramm Crystal Meth zum Preis von EUR 2.200,00;
3. im Juni oder Juli 2021 dem abgesondert verfolgten G* einmalig 10 Gramm Crystal Meth zum Grammpreis von EUR 40,00;
4. im Zeitraum von Juli 2021 bis Anfang Oktober 2021 dem abgesondert verfolgten H* in Teilmengen insgesamt rund 100 Gramm Crystal Meth zum Grammpreis von EUR 80,00 bis EUR 90,00, sowie 20 Gramm Heroin zum Grammpreis von EUR 30,00.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet (ON 121).
Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die am 5. Dezember 2024 verhängte (ON 92) Untersuchungshaft nach Durchführung einer Haftverhandlung (ON 129) aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 1 und 2 Z 1 StPO und der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 1 und 2 Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt und der Antrag auf elektronisch überwachten Hausarrest abgewiesen (ON 130).
Die dagegen vom Angeklagten erhobene Beschwerde ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Dringlichkeit des Tatverdachtes ist angesichts des - wenngleich nicht rechtskräftigen - Urteils des Schöffengerichts jedenfalls indiziert (RIS-Justiz RS 0061107).
Der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 1 und 2 Z 1 StPO liegt nach wie vor vor, da der Angeklagte über zahlreiche internationale Kontakte unter anderem in die Türkei verfügt und nunmehr nach Verbüßen einer dreijährigen Freiheitsstrafe in Bulgarien der weitere Vollzug einer mehrjährigen Freiheitsstrafe bevorsteht, sodass zu befürchten ist, der Angeklagte werde sich durch Absetzen ins Ausland der weiteren Strafverfolgung bzw Strafvollstreckung entziehen.
Der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr in der Ausprägung der lit a setzt als Anlass- und Prognosetat jeweils eine Tat mit schweren Folgen voraus, deren Begehung ungeachtet des gegen den Angeklagten geführten Strafverfahrens aufgrund bestimmter Tatsachen befürchtet werden muss. Der Begriff der schweren Folgen umfasst nicht nur die tatbestandsmäßigen Folgen, sondern darüber hinaus auch alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, somit auch Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für die einzelnen Betroffenen als für die Gesellschaft im Ganzen, ferner die Eignung, umfangreiche Abwehrmaßnahmen auszulösen und weitreichende Beunruhigung und Besorgnis herbeizuführen ( Kirchbacher StPO 15 § 173 Rz 10). Die hier inkriminierten Verbrechen des Suchtgifthandels stellen eine bestimmte Tatsache dar, welche die Annahme nahelegt, es handle sich beim Angeklagten um einen wiederholungsgeneigten Suchtgiftdelinquenten. Wenngleich das Ende des hier inkriminierten Tatzeitraums nun bereits mehrere Jahre zurückliegt, wird durch die nach der Verdachtslage anzunehmende länderübergreifende, arbeitsteilige Suchtgiftdelinquenz die konkrete Gefahr begründet, er werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens weitere gleichgelagerte Taten mit schweren Folgen wie die ihm nun zur Last gelegten Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz begehen. Mit Rücksicht auf die fortgesetzte Tatbegehung liegt der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr auch nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO vor, der neben einer Anlasstat und einer gegen dasselbe Rechtsgut gerichteten strafbaren Handlung mit nicht bloß leichten Folgen als Prognosetat die Zusatzbedingung verlangt, dass der Angeklagte entweder wegen einer solchen strafbaren Handlung bereits verurteilt wurde oder nicht nur wegen einer sondern wiederholter oder fortgesetzter strafbarer Handlungen dringend verdächtig ist. Soweit der Beschwerdeführer unter Anschluss eines Gutachtens vom Jänner 2019 des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen unter Hinweis auf seine Blindheit seine Enthaftung anstrebt, ist ihm zu entgegnen, dass diese körperlichen Beeinträchtigungen ihn auch nicht von der mutmaßlichen Tatbegehung im Jahr 2021 abhalten konnten. Es ist daher keine Änderung der äußeren Umstände eingetreten.
Mit Blick auf die finanzielle Lage des Angeklagten (vor dem Strafvollzug in Bulgarien bezog er EUR 1.550,00 Sozialhilfe und Familienbeihilfe) können die Haftzwecke zur Hintanhaltung weiterer Delinquenz nicht durch gelindere Mittel substituiert werden.
Wenn die Zwecke der Untersuchungshaft nicht durch die Anwendung gelinderer Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) erreicht werden können, kann die Gefahr weiterer Tatbegehung in aller Regel auch nicht durch den Vollzug der Untersuchungshaft in der Form des elektronisch überwachten Hausarrests wirksam begegnet werden ( Kirchbacher/Rami , WK-StPO § 173a Rz 3). Insbesondere bei der inkriminierten Suchtmitteldelinquenz kann eine Ortsbindung an eine Unterkunft (§ 156b StVG) die Gefahr der Tatbegehung nicht effektiv hintanhalten, da der auch zur Tatzeit blinde Angeklagte die Suchtgiftgeschäfte über Telefon abgewickelt hat (vgl Zeugenaussage F*, ON 2.5, S 4).
Von einer Unverhältnismäßigkeit der seit 5. Dezember 2024 andauernden Untersuchungshaft kann angesichts des Gewichts der verübten Straftaten, des aktuellen Strafrahmens von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe und der konkreten Straferwartung nicht die Rede sein.
Mitteilung gemäß §§ 174 iVm § 175 Abs 5 StPO:
Nach Einbringen der Anklage ist die Wirksamkeit eines Beschlusses auf Fortsetzung der Untersuchungshaft durch die Haftfrist nicht mehr begrenzt; Haftverhandlungen finden nach diesem Zeitpunkt nur statt, wenn der Angeklagte seine Enthaftung beantragt und darüber nicht ohne Verzug in einer Hauptverhandlung entschieden werden kann.
RECHTSMITTELBELEHRUNG:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.