JudikaturOLG Linz

12Rs44/25i – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
11. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. und Dr. Dieter Weiß als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Zwettler (Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Nicole Purgar (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **straße **, vertreten durch Dr. Wolfgang Stütz, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch deren Angestellte Mag. B*, Landesstelle **, wegen Pflegegeld , über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. Februar 2025, Cgs*-14, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 731,90 (darin EUR 121,98 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Vom 1. September 2017 bis 31. Juli 2024 bezog der Kläger Pflegegeld der Stufe 1. Mit dem hier bekämpften Bescheid stellte die Beklagte fest, dass dem Kläger ab 1. August 2024 Pflegegeld der Stufe 2 gebühre.

Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Klage mit dem Begehren auf Gewährung von zumindest Pflegegeld der Stufe 3 ab 1. August 2024. Aufgrund seiner erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen benötige der Kläger umfangreiche Unterstützung.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die von ihr durchgeführte ärztliche Begutachtung einen Pflegebedarf ergeben habe, der lediglich ein Pflegegeld der Stufe 2 rechtfertige.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht der Klage statt und sprach dem Kläger Pflegegeld der Stufe 5 zu. Seiner Entscheidung legte es den auf den Seiten 1 bis 4 festgestellten Sachverhalt zugrunde, auf den gemäß § 500a ZPO verwiesen wird. Die wesentlichen Feststellungen lassen sich – soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung – wie folgt zusammenfassen:

Der Kläger ist gesundheitlich stark eingeschränkt. Er leidet an ausgeprägter Adipositas per magna, an einer schweren Störung der Feinmotorik aufgrund der Zuckerkrankheit, an Atemnot bereits in Ruhe, ausgelöst durch eine Herzschwäche und das Übergewicht, an einer mittleren Bewegungseinschränkung der Arme und an einer schweren Bewegungseinschränkung beider Beine bedingt durch die ausgedehnten Geschwüre an den Unterschenkeln. Besonders problematisch für die Pflege ist das hohe Gewicht des Klägers.

Der Kläger benötigt daher Betreuung bei der täglichen Körperpflege und Hilfe beim An- und Auskleiden. Aufgrund des massiven Übergewichts des Klägers werden dafür jeweils zwei Pflegepersonen benötigt.

Das Zubereiten der Mahlzeiten ist dem Kläger nicht mehr möglich; das selbständige Einnehmen der Mahlzeiten jedoch schon. Der Kläger benötigt Hilfe bei der Verrichtung der Notdurft; dies auch nachts. Die Medikamente müssen dem Kläger vorbereitet werden.

Der Kläger ist umfassend immobil und ist diesbezüglich auf Hilfe angewiesen; sein Gesundheitszustand verhindert ein selbständiges Fortbewegen in der Wohnung. Der Kläger benötigt Hilfe beim Wechsel des Verbands der Geschwüre an den Beinen. Der Verbandwechsel ist alle drei Tage durchzuführen und dauert jeweils 60 Minuten.

Der Kläger benötigt Hilfe beim Besorgen von Nahrungsmitteln und Medikamenten sowie beim Reinigen der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände. Die Pflege der Leib- und Bettwäsche ist dem Kläger selbständig nicht möglich. Der Kläger benötigt zudem Mobilitätshilfe im weiteren Sinn.

Es sind mehr als fünf Pflegeeinheiten pro Tag notwendig, davon jedenfalls eine Pflegeeinheit nachts, nämlich die Hilfe bei der Verrichtung der Notdurft.

Rechtlich ging das Erstgericht von einem Pflegebedarf von 218 Stunden sowie einem außergewöhnlichen Pflegeaufwand aus, da beim Kläger mehr als fünf Pflegeeinheiten pro Tag erforderlich seien und davon jedenfalls eine während der Nachtstunden anfalle. Der Kläger habe daher gemäß § 4 BPGG Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld der Stufe 6 und 7 würden nicht vorliegen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, dem Kläger lediglich Pflegegeld der Stufe 4 zuzusprechen; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Berufungsbeantwortung die Bestätigung des Ersturteils.

Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

1.1 Im Pflegegeldverfahren kommt es nicht auf eine detaillierte Feststellung bestimmter Diagnosen an, sondern darauf, auf welche Weise die Fähigkeit zur Ausübung der lebensnotwendigen Verrichtungen insgesamt eingeschränkt ist ( Greifeneder/Liebhart , Pflegegeld 5 Rz 8.123 mwN). Ob nun von einer ausgeprägten Adipositas per magna mit einem BMI von 40,61 auszugehen ist oder von einer Adipositas mit einem BMI von 37,22 ist daher irrelevant. Unbekämpft steht fest, dass für die Pflege das hohe Gewicht des Klägers besonders problematisch ist.

1.2 Die Beklagte bekämpft die Feststellung, dass aufgrund des massiven Übergewichts des Klägers sowohl für die tägliche Körperpflege als auch für das An- und Auskleiden zwei Pflegepersonen benötigt werden. Sie begehrt die Ersatzfeststellung, dass die Pflegehandlungen von einer Person erbracht werden können.

Die in der Beweisrüge aufgeworfenen Überlegungen sind durchaus beachtlich und wäre zur Abklärung der Fragen eine Gutachtenserörterung anzudenken gewesen. Eine solche beantragte die Beklagte aber in erster Instanz nicht und sie wirft dem Erstgericht in der Berufung in Hinblick auf § 75 Abs 2 ASGG auch keinen Verfahrensfehler vor. Die Berufung setzt sich mit dem eingeholten Sachverständigengutachten nur unzureichend auseinander und greift zu kurz, wenn sie in undifferenzierter Art und Weise darauf hinweist, dass es in der Bevölkerung viele Männer gebe, die mit einer Körpergröße von über 1,80 m und einem Gewicht von 120 bis 140 kg keiner Unterstützung bei alltäglichen Verrichtungen bedürften. Die Beklagte lässt dabei das Alter des Klägers, die schwere Störung seiner Feinmotorik, die Atemnot in Ruhe, die mittlere Bewegungseinschränkung der Arme, die schwere Bewegungseinschränkung beider Beine sowie die umfassende Immobilität völlig außer Acht. Zudem ergab die Außenanamnese des Sachverständigen durch Einsicht in die Pflegedokumentation und Befragung eines Diplomkrankenpflegers, dass bei fast allen Pflegehandlungen zwei Personen benötigt werden (ON 7 S 4 f).

1.3 Mit dem Hinweis, dass das Gutachten der Beklagten für den Verbandwechsel einen Zeitaufwand von monatlich sechs Stunden veranschlage und nicht – wie vom Erstgericht festgestellt – von einem alle drei Tage durchzuführenden Verbandwechsel in der Dauer von jeweils 60 Minuten auszugehen sei, vermag die Berufung keine unrichtige Beweiswürdigung aufzuzeigen. Das Erstgericht stützt seine Feststellung auf das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten. Das Anstaltsgutachten ist nicht geeignet das Gutachten des Sachverständigen, der vom Gericht als Außenstehender und damit objektiver Gutachter beigezogen wird, zu widerlegen ( Greifeneder/Liebhart , Pflegegeld 5 Rz 8.138 mwN).

1.4 Die Beweisrüge der Beklagten geht daher ins Leere.

2 Wenn die Beklagte lediglich von der Notwendigkeit einer Pflegeperson sowie von einem Pflegebedarf für den Verbandwechsel von monatlich sechs Stunden ausgeht, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt und ist damit die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0041585).

Im Übrigen kann die Feststellung zur Notwendigkeit einer zweiten Pflegeperson sowohl für die tägliche Körperpflege als auch für das An- und Auskleiden nur dahingehend verstanden werden, dass die Anwesenheit von zwei Personen über die ganze Zeit hinweg erforderlich ist, sodass auch der doppelte Zeitwert anzusetzen ist.

3 Der Berufung kommt damit insgesamt keine Berechtigung zu.

4 Die Kostenentscheidung gründet auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

5 Die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig.

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