7Bs54/25b – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Mag. Hemetsberger als Vorsitzende und Dr. Ganglberger-Roitinger sowie den Richter Mag. Grosser im Verfahren zur Übergabe des A* zur Strafverfolgung an die Republik Polen über dessen Beschwerde gegen Punkt 2./ des Beschlusses des Landesgerichts Linz vom 29. April 2025, HR*-20, nach der in Anwesenheit des Ersten Oberstaatsanwalts Mag. Winkler, LL.M. (WU), des Betroffenen und seines Verteidigers Mag. Rottensteiner durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung am 5. Juni 2025 entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Bei der Staatsanwaltschaft Linz behängt zu HSt* ein Übergabeverfahren gemäß §§ 16ff EU-JZG gegen den am ** geborenen polnischen Staatsangehörigen A* aufgrund eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Radom vom 11. Jänner bzw 31. Jänner 2025 (ON 8.2, 7), AZ: **, zur Strafverfolgung wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Sittlichkeit gemäß Abschnitt XXV des (polnischen) Strafgesetzbuches (ON 2, 9ff iVm ON 8.2).
Nach dem Inhalt des Europäischen Haftbefehls soll A* an einem bislang unbekannten Tag in der Zeit zwischen März 2022 und 6. Mai 2022 in ** und andernorts in kurzen Zeitabständen in Verwirklichung einer zuvor verfassten Absicht
I./ die unter 15-jährige ( nämlich 12-jährige ) und damit Minderjährige B* andere sexuelle Handlungen vornehmen haben lassen, indem er über das Internet über Verwendung der Applikationen ** und ** der Minderjährigen Vorschläge machte, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen, und zwar zu masturbieren, verschiedene Gegenstände in die Genitalien einzuführen, eine Stimulierung der Genitalien durch eine Katze vorzunehmen, was die Minderjährige auch getan hat und ihm anschließend Videoaufnahmen und Fotos als Beweis übermittelte, wodurch er Zugang zu pornografischen Inhalten mit Minderjährigen erhielt;
II./ um sich sexuell zu befriedigen, der unter 15-jährigen ( nämlich 12-jährigen ) und damit Minderjährigen B* pornografische Inhalte gezeigt, und zwar Fotografien männlicher Genitalien und Videoaufnahmen von Masturbation, geschickt, und ihr einen Gegenstand mit pornografischen Charakter, und zwar einen Vibrator, zugänglich gemacht haben,
und dadurch Straftaten nach Art. 200 § 1, 3 und 4 sowie nach Art. 200a § 2 und Art. 202 § 4a pStGB begangen haben.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 29. April 2025 (ON 20) wurde über A* die Übergabehaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 1 und 2 Z 1 und 3 lit b StPO fortgesetzt (Punkt 1./) und die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls durch – mit Spezialitätswirkungen verbundene – Übergabe des Betroffenen an die Republik Polen zur Strafverfolgung unter der Bedingung bewilligt, dass er nach Gewährung des rechtlichen Gehörs zum Vollzug der (allenfalls) vom Gericht des Ausstellungsstaats verhängten Freiheitsstrafe oder einer mit Freiheitsstrafe verbundenen vorbeugenden Maßnahme nach Österreich rücküberstellt wird (2./).
Die (auch) gegen Punkt 2./ des angefochtenen Beschlusses erhobene Beschwerde des A* (ON 21) ist – in Übereinstimmung mit der Oberstaatsanwaltschaft – nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Prüfungsgrundlage für die Beurteilung der Vollstreckbarkeit eines Europäischen Haftbefehls ist gemäß § 19 Abs 1 erster Satz EU-JZG der Inhalt des Europäischen Haftbefehls. Das zuständige österreichische Gericht hat die Übergabevoraussetzungen (§ 4 EU-JZG) und das Vorliegen etwaiger Ablehnungstatbestände (§§ 5ff EU-JZG) zu beurteilen. Eine Prüfung, ob die betroffene Person der ihr zur Last gelegten strafbaren Handlungen hinreichend verdächtig ist, ist gemäß § 19 Abs 1 zweiter Satz EU-JZG nur im Umfang des § 33 Abs 2 ARHG, mithin dann vorzunehmen, wenn insoweit erhebliche Bedenken bestehen oder wenn Beweise vorliegen oder angeboten werden, durch die der Verdacht ohne Verzug entkräftet werden könnte (vgl Göth-Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger , Internationales Strafrecht § 19 EU-JZG Rz 1 und § 33 ARHG Rz 2 und 3).
Gemäß § 4 Abs 1 EU-JZG kann ein Europäischer Haftbefehl – soweit hier von Relevanz – zur Strafverfolgung wegen einer Handlung erlassen oder vollstreckt werden, deren Begehung nach dem Recht des Ausstellungsstaats mit einer Freiheitsstrafe, deren Obergrenze mindestens ein Jahr beträgt, bedroht ist, wenn sie unabhängig von ihrer gesetzlichen Bezeichnung auch nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung darstellt.
Die beiderseitige Strafbarkeit ist nach § 4 Abs 3 EU-JZG dann nicht zu prüfen, wenn die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegende, mit Strafe bedrohte Handlung von der ausstellenden Justizbehörde einer der im Anhang I, Teil A, angeführten Kategorien von Straftaten (sogenannten „Listendelikten“) zugeordnet wurde und nach dem Recht des Ausstellungsstaats mit einer Freiheitsstrafe, deren Obergrenze mindestens drei Jahre beträgt, bedroht ist.
Die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden Straftaten wurden von der ausstellenden Justizbehörde dem „Listendelikt“ der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie zugeordnet und sind nach dem Recht des Ausstellungsstaats mit einer Freiheitsstrafe, deren Obergrenze mindestens drei Jahre, nämlich bis zu 15 Jahren (Art 200 § 1 pStGB) und bis zu drei Jahren (Art 200 § 3 pStGB) beträgt, bedroht, sodass die Voraussetzungen des § 4 Abs 3 EU-JZG vorliegen. Lediglich der Vollständigkeit halber ist daher anzumerken, dass die inkriminierten Taten nach österreichischem Recht ua dem Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 2 StGB und dem Vergehen des bildlichen sexualbezogenen Kindesmissbrauchsmaterials und bildlicher sexualbezogener Darstellungen minderjähriger Personen nach § 207a Abs 1 Z 1 und Z 2, Abs 3 zweiter Satz StGB zu subsumieren wären.
Angesichts des das Übergabeverfahren beherrschenden formellen Prüfungsprinzips stellt das Vorbringen des Betroffenen, er habe die inkriminierten Taten nicht begangen, kein Übergabehindernis dar. Die leugnende Verantwortung des Betroffenen allein ist nämlich nicht geeignet, erhebliche Bedenken an den im Europäischen Haftbefehl dargestellten Tatverdacht hervorzurufen oder aufzuzeigen. Beweismittel, die den Tatverdacht unmittelbar und zweifelsfrei entkräften würden (vgl RIS-Justiz RS0125233), wurden nicht vorgelegt. Im Übrigen wird zur Verdachtslage auf die Ausführungen dieses Beschwerdegerichts im Beschluss vom 22. Mai 2025, mit dem der Beschwerde des Betroffenen gegen die Fortsetzung der Übergabehaft nicht Folge gegeben worden ist, verwiesen. Die abschließende Beurteilung des dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden Sachverhalts bleibt dem erkennenden Gericht im Ausstellungsstaat vorbehalten.
Es sind aber auch keine Ablehnungstatbestände iSd §§ 5ff EU-JZG erkennbar. Mit § 5a iVm § 5 Abs 5 EU-JZG hat sich aufgrund des mehrjährigen (gewöhnlichen) Aufenthalts des Betroffenen in Österreich ohnehin bereits das Erstgericht auseinandergesetzt. Selbst wenn, wovon aber derzeit angesichts der Übergabeunterlagen und des formellen Prüfungsprinzips nicht auszugehen ist, ausschließlich Tatorte in Österreich festgestellt werden könnten (§ 62 StGB), lägen hier die Voraussetzungen des von der Oberstaatsanwaltschaft ins Treffen geführten § 7 Abs 3 Z 1 EU-JZG, demnach der Durchführung des Strafverfahrens im Ausstellungsstaat mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des Falles, insbesondere aus Gründen der Wahrheitsfindung und eines fairen Verfahrens, des Schutzes der berechtigten Interessen der durch die Tat verletzten Personen, der Strafbemessung oder der Vollstreckung der Vorzug zu geben ist, aus Gründen der Wahrheitsfindung (Verfügbarkeit von Beweismitteln) und aufgrund der wahrzunehmenden Interessen des minderjährigen Opfers, vor (vgl Schallmoser in WK² EU-JZG § 7 Rz 17 und 20).
Einwände nach § 19 Abs 4 EU-JZG wurden nicht vorgebracht; nach dem Akteninhalt liegen aber auch keine objektiven Anhaltspunkte für das Vorliegen von eine Übergabe hindernden Umständen nach dieser Gesetzesstelle vor.
Da insgesamt keine Gründe ersichtlich sind, die einer Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls entgegenstehen würden, musste die Beschwerde erfolglos bleiben.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 21 Abs 1 EU-JZG iVm § 31 Abs 6 ARHG iVm § 89 Abs 6 StPO).