JudikaturOLG Linz

9Bs111/25z – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
04. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende und Mag. Kuranda und den Richter Mag. Huemer-Steiner in der Strafsache gegen A* B* und C* D* wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 2 StGB über die Berufungen des Angeklagten D* wegen Nichtigkeit, des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe, des Angeklagten B* wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe sowie der Staatsanwaltschaft hinsichtlich dieser beiden Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe gegen das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 30. Jänner 2025, Hv*-26, sowie den (gemäß § 498 Abs 3 StPO implizierten) Beschwerden der Angeklagten B* und D* gegen den unter einem nach § 494 Abs 1 StPO gefassten Beschluss nach der in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts HR Mag. Daxecker, des Angeklagten A* B* und seines Verteidigers Mag. Dr. Siudak sowie des Angeklagten C* D* und seines Verteidigers Mag. Henker durchgeführten Berufungsverhandlung am 4. Juni 2025

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Die Berufung des Angeklagten D* wegen Nichtigkeit wird zurückgewiesen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird den Berufungen der Angeklagten A* B* und C* D* teilweise Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird in seinen, diese Angeklagten betreffenden Strafaussprüchen dahin abgeändert (und demgemäß der nach § 494 Abs 1 StPO gefasste Beschluss aufgehoben), dass über A* B* und C* D* jeweils unter Ausschaltung des § 43 Abs 1 StGB und zusätzlicher Anwendung des § 37 Abs 1 StGB eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu je EUR 4,00 (im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 180 Tagen) verhängt wird, wovon gemäß § 43a Abs 1 StGB ein Strafteil von 180 Tagessätzen unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehen wird.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen den Angeklagten B* und D* auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last;

II. beschlossen:

Gemäß §§ 50, 52 StGB wird für A* B* und C* D* jeweils für die Dauer der Probezeit die Bewährungshilfe angeordnet;

Mit ihren Beschwerden werden die Angeklagten B* und D* auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des Mitangeklagten E* F* enthält, wurden der am ** geborene A* B* sowie der am ** geborene C* D* jeweils des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 2 StGB schuldig erkannt und hiefür nach dem Strafsatz des § 84 Abs 4 StGB jeweils unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG jeweils zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Der Privatbeteiligte G* H* wurde gemäß § 366 Abs 2 StPO mit weiteren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Unter einem ordnete das Erstgericht mit Beschluss gemäß §§ 50, 52 StGB für beide Angeklagte für die Dauer der Probezeit die Bewährungshilfe an.

Nach dem Schuldspruch haben A* B*, E* F* und C* D* am 20. Mai 2024 vor dem Selbstbedienungsladen „I*“ in ** in verabredeter Verbindung, nachdem sie zuvor den gemeinsamen Tatentschluss zur geplanten Ausführung der Körperverletzung gefasst hatten, G* H* vorsätzlich am Körper verletzt, indem sie diesen beim Verlassen des Selbstbedienungsladens umzingelten, zunächst E* F* ihm einen Faustschlag ins Gesicht versetzte, wobei A* B* und C* D* den G* H* festhielten, und daran anschließend A* B*, E* F* und C* D* dem G* H* mehrerer Faustschläge und, nachdem er zu Boden gegangen war, mehrere Fußtritte gegen dessen Körper versetzten, wodurch G* H* einen erstgradig offenen Nasenbeinbruch sowie Prellungen im Bereich des Brustkorbs und des Rückens erlitt.

Gegen den Strafausspruch hinsichtlich des Erstangeklagten A* B* und des Drittangeklagten C* D* richtet sich die Berufung der Staatsanwaltschaft mit dem Ziel der Erhöhung der über diese Angeklagten verhängten, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen (ON 27), wogegen sich die Angeklagten A* B* und C* D* aussprachen. A* B* begehrt mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe primär einen Freispruch, in eventu ein Vorgehen nach §§ 12 f JGG, allenfalls unter Anwendung des § 37 StGB die Verhängung einer (teil-)bedingten Geldstrafe (ON 28.2). C* D* schloss sich diesen Anträgen in der Berufungsverhandlung an. Die zugunsten der Angeklagten ergriffenen Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe sind gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO auch als Beschwerde gegen den nach § 494 Abs 1 StPO ergangenen Beschluss (Anordnung von Bewährungshilfe) zu betrachten. Die Oberstaatsanwaltschaft beantragte in ihrer dazu erstatteten Gegenausführung vom 23. Mai 2025, den Berufungen der Angeklagten keine Folge zu gegeben und verwies auf die Anträge der Staatsanwaltschaft in ihrer Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Auf die Berufung des Angeklagten D* wegen Nichtigkeit war keine Rücksicht zu nehmen, weil er weder bei deren Anmeldung noch in einer Rechtsmittelausführung erklärte, welche Nichtigkeitsgründe er geltend machen wolle (§§ 467 Abs 3, 489 Abs 1 StPO). Von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgründe haften dem Urteil nicht an.

Auch die Berufungen der Angeklagten A* B* und C* D* wegen des Ausspruchs über die Schuld sind nicht berechtigt, weil das Erstgericht in einer schlüssigen und lebensnahen Beweiswürdigung dargelegt hat, dass es den entscheidenden Feststellungen die für überzeugend erachteten Angaben der Zeugen G* H* und J* zugrunde legte und die leugnenden Verantwortungen der Angeklagten für nicht glaubwürdig befand.

Die freie Beweiswürdigung wird als kritisch-psychologischer Vorgang begriffen, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise und der allgemeinen Erfahrungssätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind (RIS-Justiz RS0098390). Das Gericht prüft die im Verfahren vorgekommenen Beweismittel in Ansehung ihrer Glaubwürdigkeit (ob dasjenige, was durch ein Beweismittel zutage gefördert werden sollte, auch wirklich dadurch bewiesen wurde) und Beweiskraft (ob der durch das Beweismittel als bewiesen anzunehmende Umstand auch geeignet ist, die Tatsache, die er bestätigen soll, für wahr halten zu können) und kommt aufgrund des Ergebnisses dieses Vorgangs zur Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen – entscheidender – Tatsachen, die es im Urteil feststellt. Die Beweismittel sind dabei nicht nur einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit, auch in ihrem inneren Zusammenhang zu prüfen (vgl RIS-Justiz RS0098314). Ihre Bewertung hat unter Beachtung der Gesetze folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungswissens zu erfolgen. Nicht nur logisch zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse berechtigen das Gericht zu Tatsachenfeststellungen. Bei der Würdigung der Angaben von Personen, die das Gericht selbst vernommen hat, ist oft der persönliche Eindruck des erkennenden Richters entscheidend. Dieser unmittelbare, lebendige Eindruck, der sich auch auf das Auftreten, die Sprache, die Ausdrucksweise und die Bewegungen einer Person stützen kann, lässt sich nicht immer erschöpfend in Worte kleiden und muss darum im Urteil nicht in allen Einzelheiten dargelegt und wiedergegeben werden (vgl Lendl in Fuchs/Ratz , WK StPO § 258 Rz 25ff mwN).

Das Erstgericht, das sich einen persönlichen Eindruck sowohl von sämtlichen Angeklagten als auch von den Zeugen G* H* und J* machen konnte, hat sich mit sämtlichen Verfahrensergebnissen eingehend auseinandergesetzt und diese einer lebensnahen Wertung unterzogen. In der Beweiswürdigung wurde dabei auch auf Ungenauigkeiten und Widersprüche zwischen den Erstangaben der Zeugen vor der Polizei und in der Hauptverhandlung Rücksicht genommen und dargelegt, warum derartige Inkonsistenzen der Glaubwürdigkeit der beiden Zeugen, die keinerlei Belastungstendenzen aufwiesen und auch keinen Grund hatten, die Angeklagten zu Unrecht zu belasten, keinen Abbruch zu tun vermögen. Wie von der Oberstaatsanwaltschaft zutreffend dargelegt, ist der Tendenz des Berufungswerbers B*, unter isolierter Hervorhebung einzelner Aussagepassagen (vermeintliche) Widersprüche in den Depositionen der Belastungszeugen aufzuzeigen, zu entgegnen, dass es in Konstellationen wie der hier vorliegenden infolge des raschen Ablaufs der Ereignisse und der hohen emotionalen Belastung des Angegriffenen geradezu typisch ist, dass nicht sämtliche Einzelheiten des Tathergangs wahrgenommen und vollständig und lückenlos wiedergegeben werden können. Gestützt werden die Angaben der beiden Belastungszeugen im Übrigen durch ein Lichtbild (ON 2.10, 4), das B* und F* direkt nebeneinander stehend und vor dem mit gesenktem Kopf sitzenden G* H* zeigt, während sich D* in geringerem Abstand zu ihnen aufhält. Schließlich lassen sich die Verletzungen des Tatopfers, nämlich ein erstgradig offener Nasenbeinbruch sowie Prellungen im Bereich des Brustkorbs und des Rückens, nach dem eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten (ON 10.2) mit den von beiden Zeugen geschilderten Tritten und Schlägen des bereits am Boden liegenden Opfers gut in Einklang bringen. Indem die Berufung des Angeklagten B* Übereinstimmung zwischen seinen Angaben vor der Polizei und in der Hauptverhandlung hervorhebt, übergeht sie das Aussageverhalten, das kaum Raum für Widersprüchlichkeiten zulässt. Der Angeklagte behauptete nämlich, weder das Tatopfer noch die Mitangeklagten zu kennen, sich nur kurz am Tatort aufgehalten und ansonsten nichts mitbekommen zu haben. Über Vorhalt des angesprochenen Lichtbilds sagte er aus, sich nicht mehr erinnern zu können, was er da getan habe (ON 25, 4 f). Auch der Angeklagte D* deponierte, sich am Vorfallstag nur kurz im Selbstbedienungsladen „I*“ aufgehalten zu haben und keinen der Mitangeklagten oder Zeugen zu kennen. Über Vorhalt des nämlichen Lichtbilds stellte er zwar eine Unterhaltung zwischen F* und dem Opfer nicht in Abrede, wollte sich aber an den Inhalt des Gesprächs nicht mehr erinnern (ON 25, 12). Das gemeinsame Auftreten der drei Angeklagten unmittelbar nach einer, von unbekannt gebliebenen Jugendlichen provozierten Auseinandersetzung mit dem Zeugen G* H* spricht dafür, dass sie herbeigerufen wurden, um H* eine „Abreibung“ zu verpassen, weil er eine Dose in Richtung eines der unbekannten Jugendlichen geworfen hatte, wie dies von den beiden Zeugen nachvollziehbar geschildert wurde. Es ist – wie bereits ausgeführt – keinerlei Grund ersichtlich, warum die Zeugen die drei Angeklagten, die sie nicht gekannt, sondern anhand des Lichtbilds identifiziert haben, zu Unrecht einer strafbaren Handlung belasten sollten. Gerade auch dieses Lichtbild indiziert eine Bekanntschaft der drei Angeklagten, die dort nebeneinander vor dem späteren Tatopfer stehen. Seine Feststellungen zur subjektiven Tatseite leitete das Erstgericht daher plausibel aus dem objektiven Tatgeschehen ab, weil der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrundeliegendes Wollen oder Wissen bei leugnenden Angeklagten in aller Regel nicht zu ersetzen, daher rechtsstaatlich vertretbar ist (RIS-Justiz RS0116882 [T1]; Ratz in Fuchs/Ratz WK StPO § 281 Rz 452).

Insgesamt gelingt es den Berufungswerbern nicht, erhebliche Bedenken an der schlüssigen und nachvollziehbaren, geradezu akribischen Beweiswürdigung des Erstgerichts zu wecken, sodass der Schuldspruch Bestand hat.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht bei beiden Aangeklagten erschwerend keinen Umstand, mildernd dagegen jeweils ihren bisher ordentlichen Lebenswandel.

Die Strafzumessungskataloge bedürfen keiner Korrektur.

Bedenkt man, dass die Angeklagten B* und D* gemeinsam mit dem bereits Verurteilten F* zum Tatort gekommen sind, ausschließlich um G* H* eine „Abreibung“ zu erteilen, nachdem sie von zwei unbekannt gebliebenen Jugendlichen zur Verstärkung herbeigerufen worden waren, und dass gemeinsam auf ein Opfer eingeschlagen und später auch -getreten wurde, als es bereits am Boden lag, kommt eine Strafmaßreduktion ebenso wenig in Betracht wie die Anwendung der §§ 12 f JGG. Das ungehemmte und rücksichtslose Einschreiten der Angeklagten auf bloßen Zuruf Dritter erreicht vielmehr eine Handlungs- und Gesinnungsunwerthöhe, der auf Sanktionsebene schon aus sozialprognostischen Bedürfnissen mit einem (endgültigen oder vorläufigen) Unterbleiben des Strafausspruchs keinesfalls mehr adäquat begegnet werden kann. Trotz des gesteigerten Schuldgehalts der Aggressionshandlungen der beiden zur Tatzeit 14 einhalbjährigen Angeklagten, deren Tat mit ihrem bislang ordentlichen Lebenswandel in auffallendem Widerspruch stand, bedarf es – ausgehend von dem nach § 5 Z 4 JGG anzuwendenden Strafrahmen von bis zu zweieinhalb Jahren und einem, innerhalb der angesprochenen Deliktskategorie noch unterdurchschnittlich gebliebenen Erfolgsunwert – aber auch keiner Anhebung der erstgerichtlich festgesetzten sechsmonatigen Freiheitsstrafe. Die klare und unverzügliche Reaktion der Strafverfolgungsbehörden auf den inkriminierten Vorfall sowie die Eindrücke des gegen die beiden Angeklagten als Ersttäter über zwei Instanzen geführten Strafverfahrens rechtfertigen aus heutiger Sicht vielmehr die Erwartung, dass es nicht der Verhängung einer Freiheitsstrafe bedarf, um A* B* und C* D* künftig von Delinquenz abzuhalten (§ 37 Abs 1 StGB). 360 Tagessätze Geldstrafe sind jeweils tat- und schuldadäquat; davon der effektive Vollzug je der Hälfte (180 Tagessätze) eröffnet beiden Angeklagten angesichts fehlender Erschwerungsgründe eine ausreichend günstige Spezialprognose, um ihnen den restlichen Strafteil (jeweils) bei gesetzlich längstmöglicher Beobachtungsfrist bedingt nachsehen zu können. Die Festsetzung der Ersatzfreiheitsstrafe gründet auf § 19 Abs 3 StGB. Die Höhe des einzelnen Tagessatzes im gesetzlichen Mindestmaß von je EUR 4,00 orientiert sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Angeklagten, die beide als Schüler weder über ein Einkommen noch über Vermögen verfügen. Erwägungen, ob die Verurteilten die Geldstrafe werden zahlen können, haben hier außer Betracht zu bleiben ( Michel-Kwapinski/Oshidari StGB 15 § 37 Rz 3 mN).

Die bereits vom Erstgericht ins Auge gefasste professionelle sozialarbeiterische Begleitung und Unterstützung der beiden Angeklagten in Form von Bewährungshilfe ist fraglos sachgerecht.

Rückverweise