9Bs109/25f – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende und Mag. Kuranda und den Richter Mag. Huemer-Steiner in der Maßnahmenvollzugssache betreffend A* B* wegen § 25 Abs 3 StGB und bedingter Entlassung über die Beschwerde des Angehaltenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 22. April 2025, BE1*-18, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der ** geborene A* B* wurde mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 22. November 2011, Hv*, nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Laut Urteil hatte B* in der Nacht zum 29. September 2010, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluss seiner schweren Persönlichkeitsstörung mit dissozialen, emotional instabilen, impulsiven und abhängigen Anteilen (F61.0), eines Abhängigkeitssyndroms von Alkohol (F10.25) und schädlichen Gebrauchs von illegalen Drogen, besonders Cannabinoiden und Benzodiazepinen (F19.1), einen Bekannten, den er für den Drogentod seines Freundes verantwortlich machte, zunächst damit bedroht, er werde ihn noch am selben Tag umbringen und ihm in der Folge mehrmals ins Gesicht geschlagen, wodurch das Opfer Frakturen des Nasenbeins, der Orbitawand und des Orbitadachs erlitt, sowie im Anschluss daran ein Wellenschliffmesser mit 20,5 cm langer Klinge in den rechten Brust- und Bauchraum gestoßen, wodurch das Opfer neben der Stichverletzung eine Lungenunterlappeneinblutung, Verletzungen am Zwerchfell, am Rippenfell und an der Leber sowie eine Blutung in die freie Bauchhöhle davontrug (§§ 107 Abs 1 und Abs 2; 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB [idF BGBl I 1987/605]).
Die Maßnahme wird seit 23. November 2011 vollzogen, seit 20. September 2022 befindet sich A* B* in der Justizanstalt C*. Sämtliche, auch vor dieser Anlasstat und seither noch über den Untergebrachten verhängten Freiheitsstrafen sind seit 28. Februar 2023 vollzogen (ON 3, 2; ON 5, 3).
Mit Beschluss vom 26. Februar 2025 (ON 9) stellte das Erstgericht nach Einholung einer forensischen Stellungnahme des Forensisch-therapeutischen Zentrums C* (ON 6) sowie Durchführung einer Anhörung (ON 8) die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung des A* B* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum fest. Der dagegen erhobenen Beschwerde (ON 12) gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluss vom 26. März 2025, 9 Bs 62/25v (ON 14), dahin Folge, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung – durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des FTZ C* – aufgetragen wurde.
Nach Einlangen der ergänzenden forensischen Stellungnahme des FTZ C* vom 10. April 2025 sowie Durchführung einer Anhörung (ON 17) stellte das Erstgericht mit Beschluss vom 22. April 2025 (ON 18) abermals die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung des A* B* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum fest und wies den auf bedingte Entlassung gerichteten Antrag ab.
Dagegen richtet sich die vom Angehaltenen sogleich nach Beschlussverkündung angemeldete (ON 17, 2) und durch dessen Verteidigerin ausgeführte (ON 20) Beschwerde, welche die Gewährung der bedingten Entlassung als abändernde Entscheidung in der Sache, eventualiter die Kassation des angefochtenen Beschluss zur Einholung eines aktuellen Gutachtens durch das Erstgericht anstrebt.
Die Beschwerde ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Voranzustellen ist, dass der in der Beschwerde relevierte Verstoß gegen das Recht auf angemessenes rechtliches Gehör (§ 6 Abs 2 StPO iVm §§ 17 Abs 1 Z 3, 163 StVG) aufgrund Nichtübermittlung der ergänzenden Stellungnahme des FTZ C* an den Beschwerdeführer zur Äußerung insofern keine Auswirkungen zeitigt, als diese Stellungnahme ohnehin im Rahmen der Anhörung erörtert und dem Untergebrachten Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde (ON 17, 2). Im Übrigen hat die ausgewiesene Vertreterin des Rechtsmittelwerbers laut Beschwerdevorbringen durch Akteneinsicht Kenntnis von der ergänzenden Stellungnahme erlangt (ON 20, 3), sodass mit Blick auf die im Beschwerdeverfahren geltende Neuerungserlaubnis (§ 89 Abs 2b StPO; RIS-Justiz RS0132991 und RS0123977) und die dem Rechtsmittelgericht zukommende volle Kognitionsbefugnis in der Sache ein allfälliger Verfahrensmangel jedenfalls saniert ist (vgl RIS-Justiz RS0129510; OLG Graz 1 Bs 61/23i; OLG Wien 18 Bs 139/16x), zumal sich der Rechtsmittelwerber in seiner Beschwerde ohnehin umfassend mit dieser ergänzenden Stellungnahme (ON 15), welche zudem umfassende Aufnahme in den angefochtenen Beschluss fand, auseinandergesetzt hat.
Mit Blick auf das hauptsächlich die (mangelhafte bzw fehlende) Begründung des angefochtenen Beschlusses monierende Vorbringen in der Beschwerde ist klarzustellen, dass das Erstgericht zwar bei Vorliegen der in § 281 Abs 1 Z 5, Z 5a StPO angeführten Gründe mit einer kassatorischen Entscheidung (§ 89 Abs 2a Z 3 StPO) vorgehen „kann“. Dies stellt jedoch keine Verpflichtung dar, zumal die Beseitigung des Kassationsverbots im Beschwerdeverfahren durch das Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBl I 2010/111) aus Gründen der Verfahrenseffizienz erfolgte. Im Rahmen des § 89 Abs 2a Z 3 StPO verbleibt dem Rechtsmittelgericht jedoch ein – auch Aspekte des Beschleunigungsgebots (§ 9 StPO) umfassender – Ermessensspielraum (RV 981 BlgNR 24. GP 92), sodass das Beschwerdegericht auch weiterhin in der Sache selbst entscheiden ( Ratz , AnwBl 2011, 111; Tipold, WK-StPO § 89 Rz 14/4) und somit auch eine fehlende Begründung nachholen kann (vgl auch Stricker, LiK-StPO § 89 Rz 13; Mühlbacher in Schmölzer/Mühlbacher StPO² § 89 Rz 3). Das Beschwerdegericht ist nicht auf die Kontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt, sodass es – ohne Bindung an die Begründung der Beschwerde – durch Entscheidung in der Sache den Prozessgegenstand inhaltlich endgültig (bestätigend oder reformatorisch) zu entscheiden hat (RIS-Justiz RS0129396; Tipold, WK-StPO § 89 Rz 8 und Rz 10 mwN). Da fallbezogen keine umfangreichen Erhebungen zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen notwendig sind, sondern die Beweisergebnisse laut Aktenlage zur Erledigung des Entscheidungsgegenstands ausreichen, ist die Entscheidung des Erstgerichts – mit nachfolgender Begründung – inhaltlich zu bestätigen.
Gemäß § 47 Abs 2 StGB ist eine bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme dann zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in einer Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen – mit einfacher Wahrscheinlichkeit (OLG Wien 23 Bs 208/24t; Michel-Kwapinski/Oshidari StGB 15 § 47 Rz 2) – anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht. Hingegen ist von einem Fortbestehen der Gefährlichkeit, deren Realisierung der Maßnahmenvollzug gerade verhindern soll, dann auszugehen, wenn die der Unterbringung zugrundeliegende Gefährlichkeit weiter vorliegt und sie außerhalb des forensisch-therapeutischen Zentrums („extra muros“) nicht hintangehalten werden kann (14 Os 37/24h; Haslwanter in WK² StGB § 47 Rz 5).
Auf Basis der forensischen Stellungnahme des FTZ C* (ON 6) sowie dem zuletzt eingeholten Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Mag. D* vom 11. Jänner 2024 (./ Personalakt; Ergänzungsgutachten zum Gutachten vom 4. August 2023, dem eine Befundaufnahme im Juli 2023 zugrunde lag; ON 22 in BE2* des Landesgerichts Steyr) ist weiterhin ohne relevante Zweifel zu konstatieren, dass beim Untergebrachten nach wie vor eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen Zügen und impulsiven sowie dissozialen und abhängigen Anteilen (F61.0), eine psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol, Abhängigkeitssyndrom, unter beschützenden Bedingungen abstinent (F10.2), sowie eine psychische und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch, schädlicher Gebrauch, unter beschützenden Bedingungen ebenfalls abstinent (F19.1), vorliegt (ON 6, 10), welche auch ursächlich war für die der Verurteilung durch das Landesgericht Feldkirch vom 22. November 2011 zugrunde liegenden strafbaren Handlungen (vgl ON 6, 9, zum Einweisungsgutachten Dr. E* vom 31. März 2011). Somit liegt jene für die Anlasstaten kausale schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung beim Angehaltenen weiterhin vor.
Aufgrund der Expertise des Mag. D* laut Ergänzungsgutachten vom 11. Jänner 2024 ist im Einklang mit der empfehlenden Stellungnahme des FTZ C* (ON 6, 19 f) zudem (weiterhin) mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass A* B* unter dem maßgeblichen Einfluss dieser Störung in absehbarer Zukunft bei einem Zeithorizont von null bis fünf Jahren („on risk“) weitere unterbringungstaugliche Prognosetaten mit schweren Folgen begehen wird, wie jene, die als Anlasstaten zur Unterbringung geführt haben, somit insbesondere – aufgrund an sich schwerer Verletzungsfolgen (insbesondere in Form von Knochenbrüchen) oder wegen einer Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit von mehr als 24 tägiger Dauer – schwere Körperverletzungen (§ 84 Abs 1 bzw Abs 4 StGB), ausgeführt durch massive stumpfe Gewalt oder durch Einsatz funktionaler Waffen. Ergänzend ist anzumerken, dass laut Gutachten vom 11. Jänner 2024 auch die hohe Wahrscheinlichkeit für Handlungen gegen Personen besteht, die signifikanten psychischen Schaden nach sich ziehen, sowie für sexuelle Übergriffe, wobei eine Vorstrafe wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen aus dem Jahr 2003 aufscheint (ON 5, 2). Begründend ist insbesondere auch auf die unbedenkliche Beurteilung des FTZ C* in der forensischen Stellungnahme zu verweisen, wonach der Angehaltene einer Gruppe von Gewaltstraftätern mit hohem Risiko für die Begehung zukünftiger allgemeiner Gewalttaten zuzuordnen und von einer hohen Ausprägung des Konstrukts „psychopathy“ nach Hare auszugehen ist, er schließlich auch einer Gruppe mit überdurchschnittlichem Rückfallrisiko zuzuordnen ist (ON 6, 12 ff und 19). Ungeachtet des Maßnahmenvollzugs kam es 2021 und 2022 zu weiteren Verurteilungen jeweils wegen Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB; ON 5, 3).
Schließlich kann die beim Angehaltenen fortbestehende Gefährlichkeit auch nicht extra muros hintangehalten werden. Hiezu ist begründend vor allem auf die ergänzende forensische Stellungnahme des FTZ C* vom 10. April 2025 (ON 15) zu verweisen, aus welcher nachvollziehbar hervorgeht, dass aktuell beim Angehaltenen keine ausreichend deutlichen Fortschritte in den relevanten Problembereich bestehen, was jedoch für therapeutische Maßnahmen im extramuralen Bereich jedenfalls zu fordern wäre (ON 15, 1). Die beim Angehaltenen bestehende ungünstige Störungskombination – in Form einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und impulsiven sowie dissozialen Anteilen samt hoher Ausprägung des Konstrukts „psychopathy“ (nach Hare, 32 von 40 Punkte) – bedinge vielmehr ein hohes Maß an Strukturgebung, Kontrolle und Sicherheitsmaßnahmen, um Rückfälligkeit zu vermeiden. Die Einschätzung der forensischen Dienste des FTZ C*, wonach ein Maßnahmenvollzug intra muros derzeit alternativlos sei, wird auch durch das vergangene Verhalten des Angehaltenen im Maßnahmenvollzug untermauert, wonach es nicht nur zu weiteren Verurteilungen gekommen ist, sondern im Zeitraum August 2015 bis Juli 2019 mehrfach bereits gewährte Vollzugslockerungen widerrufen werden mussten (ON 6, 7 f). Aufgrund einer Verweigerung einer Drogenharnkontrolle ist seit 17. Oktober 2024 ein Ordnungsstrafverfahren offen (ON 6, 6). Auch wenn bei B* eine oberflächliche Einsicht (ON 6, 13 und 15 ff) vorhanden sein mag, so bewege er sich doch im Sinn der Veränderungsstadien zwischen Absichtslosigkeits- und Vorbereitungsphase, sodass den zugestandenen Verhaltensänderungen doch eine Tendenz zur Instabilität attestiert wird (ON 6, 19).
Soweit in der Beschwerde auf eine Reihe von Anhaltspunkten hingewiesen wird, welche eine Besserung beim Beschwerdeführer indizieren würden, insbesondere die weiter gefestigte Abstinenz sowie die Absolvierung eines längeren Zeitraums der Vermeidung von gewalttätigem oder aggressivem Verhalten, ist zu replizieren, dass all diese Faktoren im Rahmen der Stellungnahmen des FTZ C* (ON 6 und ON 15) ohnehin mitberücksichtigt wurden und die Plausibilität der Ergebniseinschätzung sohin nicht in Zweifel ziehen.
Zum Antrag auf Einholung eines neuerlichen (Ergänzungs-)Gutachtens ist auszuführen, dass die Beiziehung eines Sachverständigen – und somit auch die Einholung eines aktuellen Gutachtens – für die (gemäß § 25 Abs 3 StGB jährlich vorzunehmende) Überprüfung der Notwendigkeit des Maßnahmenvollzugs nicht zwingend ist ( Haslwanter in WK² StGB § 47 Rz 15 mwN). Eine Gutachtensergänzung wäre somit im Rahmen des gebundenen Ermessens nur dann geboten, wenn dies beweismäßig im Hinblick auf den Gesundheitszustand und die Wesensart des Angehaltenen zur Klärung der Notwendigkeit der Anstaltsunterbringung erforderlich ist (OLG Graz 1 Bs 20/25p; Pieber in WK² StVG § 17 Rz 8 und § 162 Rz 18 mwN). In Anbetracht der seit dem Ergänzungsgutachten vom 11. Jänner 2024 verstrichenen Zeit ist dieses Gutachten noch ausreichend aktuell, zumal die ausführliche forensische Stellungnahme des FTZ C* keine derart relevanten Veränderungen beim Angehaltenen aufzeigt, welche zum jetzigen Zeitpunkt die Einholung eines neueren Gutachtens erforderlich machten.
Sofern das Beschwerdevorbringen den aufrechten Maßnahmenvollzug mangels „jeglicher Verhältnismäßigkeit“ als unzulässige „Sicherungsverwahrung“ bezeichnet, ist der Beschwerdeführer darauf zu verweisen, dass die in einem Urteil auf unbestimmte Zeit angeordnete vorbeugende Maßnahme eben so lange zu vollziehen ist, wie es ihr Zweck erfordert (§ 25 Abs 1 StGB), was vom Bestehen der besonderen Gefährlichkeit abhängt, woraus sich die Notwendigkeit einer allenfalls langen Dauer erhellt, sofern die einweisungsrelevante Gefährlichkeit weder entfallen ist noch durch Vorkehrungen außerhalb der Anstalt substituiert werden kann.
Es wird sohin weiter am Beschwerdeführer liegen, den für seine Person erforderlichen Therapieprozess zuzulassen, welcher laut aktuellem Vollzugsplan die Anbindung an eine Einzeltherapie vorsieht, um so eine positive Grundlage für eine bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug (bzw vorgelagert für eine Unterbrechung der Unterbringung) zu schaffen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO iVm §§ 17 Abs 1 Z 3, 163 StVG).