JudikaturOLG Linz

9Bs107/25m – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
23. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende und Mag. Kuranda und den Richter Mag. Huemer-Steiner in der Strafsache gegen A* wegen des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB über die  Beschwerde des Rechtsschutzbeauftragten der Justiz gegen den Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichts Steyr (im Ermittlungsverfahren) vom 30. April 2025, HR* 10, 4, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache wird zu neuer Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht verwiesen.

Text

Begründung:

Die Staatsanwaltschaft Steyr führt zu AZ St* ein Ermittlungsverfahren gegen A* wegen des Verdachts der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB. Aufgrund des Anlassberichts der PI B* vom 23. April 2025 (ON 2) und nach Anordnung der Auskunftserteilung aus dem Kontenregister (§ 116 StPO) ordnete die Staatsanwaltschaft mit gerichtlicher Bewilligung am 25. April 2025 gemäß §§ 117 Z 2 lit b, 119 Abs 1, 120 Abs 1 erster Satz StPO die Durchsuchung des Wohnsitzes des Beschuldigten zum Zweck der Sicherstellung von „sämtlichen zweckdienlichen Gegenständen, insbesondere EDV und Handies“ an (ON 6). Am 29. April 2025 wurden beim Vollzug dieser Anordnung in der Wohnung des Beschuldigten ein Laptop der Marke Sony, ein PC der Marke Apple sowie zwei Smartphone der Marken Apple iPhone und Samsung Galaxy – physisch – sichergestellt (ON 9.2, 3; Sicherstellungsprotokoll ON 9.4). Sofern die Durchsuchungsanordnung der Staatsanwaltschaft dem Begründungserfordernis in Bezug auf die Voraussetzungen der Sicherstellung (hier offenkundig) nach § 110 Abs 1 StPO nicht gerecht wird (vgl **), lässt dies – ungeachtet des Fehlens der rechtsfolgenbegründenden Normbezeichnung und der Rechtsbelehrung in Bezug auf §§ 109 Z 1 lit a, 110 Abs 1 StPO – die erfolgte (gegenstandsbezogene) Sicherstellung in ihrer Wirkung und inhaltlichen Berechtigung unberührt (vgl OLG Wien 17 Bs 361/13g). Eine nachfolgende Beschlagnahme von Datenträgern und Daten mit gerichtlicher Entscheidung steht gemäß § 109 Z 2a lit c StPO offen.

Am 30. April 2025 beantragte die Staatsanwaltschaft – über Anregung durch die PI B* mit Anlassbericht vom 29. April 2025 (ON 9.2, 2 und 4 ff) – die Beschlagnahme von Datenträgern und Daten in Bezug auf die bei der Durchsuchung sichergestellten, oben angeführten Endgeräte (Mobiltelefone, PC und Laptop), sowie hinsichtlich „USB-Sticks, sonstige Datenträger“ (ON 10).

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 30. April 2025 (ON 10, 4) bewilligte das Erstgericht gemäß §§ 109 Z 2a, 115f Abs 1 und Abs 2 StPO die Beschlagnahme der oben angeführten Datenträger und Daten zum Zweck der Auswertung der Daten in Bezug auf folgende Datenkategorien und Dateninhalte sowie den folgenden Zeitraum:

☒ 01 – Geräteinformationen

Hardwareinformation (IMEI, IMSI), Softwareinformation (inkl. Betriebssystem-Daten),

Metadaten über

Nutzung des Geräts (insb. Registry-Daten), Metadaten zu verbunden Geräten (Netzwerk und

Bluetooth-Verbindung), Meta-daten zu virtuellen Maschinen und Backups, Maschinen-

Maschinen-

Kommunikation, Inhalte der Autovervollständi gung, Gerätespezifische Suchverläufe,

Systemlogdateien, usw.

☒ 02 – Authentifizierungs – und Authentisierungsdaten

Zugangsdaten insb. Passwörter, Sperrcodes, Sperrmuster, Tokens, Keys, Zertifikate,

Seedphrasen,

Passwortdaten-banken inkl. Passwortmanager, usw.

☒ 04 – Cloud-Daten

Daten, die an anderen Speicherorten als einem Datenträger gespeichert sind, soweit auf sie

von

diesem aus zugegriffen werden kann (alle möglichen Inhalte der anderen Hauptkategorien,

die in

iCloud, Dopbox, Onedrive, Google Drive etc. gespeichert wurden/sind)

☒ 05 – Gelöschte Daten

Alle möglichen Inhalte der anderen Hauptkategorien

☒ 06 – Multimedia

Audio inkl. Sprachmemos

Video

Bild inkl. Screenshots

☒ 07 – Dokumente

Notizen inkl. Aufgaben

☒ 08 – Kommunikation

Telefonverhalten insb. Anruflisten

Nachrichteninhalte insb. Chats, SMS inkl. Anhänge

E-Mails

Kontakte bzw. Adressbuch

Social Media Inhalte

☒ 12 – Webaktivitäten

Browser-Historie

Sucherverläufe

für den Zeitraum: 01.03.20213 bis 29.04.2025 .“

Der staatsanwaltschaftlichen Anordnung zufolge, deren Begründung sich das Erstgericht durch identifizierenden Verweis zu eigen machte (RIS-Justiz RS0124017), stehe A* aufgrund der bisherigen Ermittlungen der PI B* im Verdacht, zum Nachteil seiner Arbeitgeberin C* OG „D*“ einen Schaden in Höhe von EUR 45.011,23 durch Versendung von ca 5.000 Barverkaufspaketen auf Kosten der C* OG „D*“ verursacht zu haben, wobei die Anordnung der Beschlagnahme zur Aufklärung der Straftat erforderlich sei, weil dadurch – „insbesondere durch einschlägige Bilder und Kommentare“ – das Vorliegen der subjektiven Tatseite verifiziert oder entkräftet werden könne, wobei die Anordnung aufgrund des Faktenumfangs und der Strafdrohung auch nicht unverhältnismäßig sei.

Dagegen richtet sich die vom Rechtsschutzbeauftragten der Justiz erhobene Beschwerde (ON 12.3), welche das Fehlen bzw die unzureichende Umschreibung der Dateninhalte kritisiert.

Der Beschwerde kommt im Sinn des Kassationsbegehrens Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Dem Rechtsschutzbeauftragten obliegt nach § 115l Abs 1 StPO die Prüfung und Kontrolle der Anordnung, Genehmigung, Bewilligung und Durchführung einer Beschlagnahme von Datenträgern und Daten iSd § 109 Z 2a StPO, wobei ihm gemäß § 115l Abs 4 StPO auch ein Beschwerderecht gegen die Bewilligung dieser Ermittlungsmaßnahme zukommt, welches erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist des Beschuldigten erlischt. Fallkonkret wurde die Beschwerde bereits vor Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 20. Mai 2025 an den Beschuldigten (vgl ON 1.10) bei der Staatsanwaltschaft Steyr eingebracht (ON 12.1).

Gemäß § 115f Abs 1 StPO ist die Beschlagnahme von Datenträgern und Daten zulässig, wenn sie aus Beweisgründen erforderlich scheint und aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dadurch Informationen ermittelt werden können, die für die Aufklärung einer Straftat wesentlich sind. Die Anordnung und die gerichtliche Bewilligung der Beschlagnahme haben gemäß § 115f Abs 3 StPO jene Tatsachen anzuführen, aus denen sich ergibt, dass die Anordnung und Bewilligung zur Aufklärung der Tat voraussichtlich erforderlich und verhältnismäßig sind, sowie die Umschreibung der zu beschlagnahmenden Datenkategorien und Dateninhalte sowie den bezughabenden Zeitraum zu enthalten.

Zutreffend zeigt der Rechtsmittelwerber auf, dass der angefochtene Beschluss zwar eine Aufzählung von Datenkategorien enthält, jedoch keine – § 115f Abs 3 StPO entsprechende, ausreichend deutliche – Umschreibung der Dateninhalte.

Während es sich bei Datenkategorien um allgemeine – technisch geprägte – Festlegungen ohne inhaltsbezogene Differenzierung handelt (vgl Anhang 1 des Einführungserlasses des BMJ vom 23. Dezember 2024 zum StrPRÄG 2024, GZ 2024-0.859.242), welche den Umfang des Ergebnisses der Datenaufbereitung (§ 109 Z 2b StPO) determinieren, beziehen sich Dateninhalte auf den Ermittlungszweck und das gesuchte Beweismaterial (AB 16 BlgNR 28. GP 18). Insofern hat die Anordnung gemäß § 115f StPO zur Umschreibung der Dateninhalte auch jene Informationen zu enthalten, welche auf Basis der angenommenen Verdachtslage – ex ante bewertet (vgl hiezu 14 Os 35/21k = RIS-Justiz RS0133676) – als Beweis für entscheidende (RIS-Justiz RS0106577) und erhebliche (RIS-Justiz RS0116877) Tatsachen (oder als Kontrollbeweis) in Betracht zu ziehen sind.

Hinter diesen zwingenden Inhaltserfordernissen bleibt der angefochtene Beschluss zurück, weil der Tenor der Anordnung lediglich Datenkategorien anführt, wobei der bei den Kategorien „Cloud-Daten“ und „gelöschte Daten“ aufgenommene Verweis auf „ alle möglichen Inhalte der anderen Hauptkategorien “ definitionsgemäß ins Leere läuft und überdies ebenfalls eine konkrete inhaltliche Umschreibung vermissen lässt. Daran vermag auch die Begründung zur Erforderlichkeit der Ermittlungsmaßnahme nichts zu ändern, denn dort wird ebenfalls nur pauschal auf „einschlägige Bilder und Kommentare“ (mit Relevanz für den Nachweis der subjektiven Tatseite) hingewiesen, ohne den daraus zu gewinnenden inhaltlichen Beweiswert auch nur im Ansatz näher zu umschreiben. Insofern wäre auf Basis der angefochtenen Entscheidung eine Auswertung von Daten iSd § 115i StPO nicht möglich. Ungeachtet der Anregung im Anlassbericht der PI B* (ON 9.2, 6) fehlt es an einem beweisrelevanten inhaltlichen Bezug zur Verdachtslage, wonach A* im Zeitraum zwischen März 2013 und 9. April 2025 in ** seine Befugnis, über fremdes Vermögen seiner Arbeitgeberin C* OG „D*“ zu verfügen oder diese zu verpflichten, dadurch wissentlich missbraucht haben soll, dass er – in unvertretbarer Weise gegen solche Regeln verstoßend, die dem Vermögensschutz seiner Arbeitgeberin dienen – in rechtsgeschäftlicher Vertretung der C* OG Versendeaufträge für ca 5.000 Barverkaufspakete erteilt habe, welche im Zusammenhang mit zahlreichen Privatverkäufen des A* standen, wodurch der C* OG – infolge Verrechnung durch und Bezahlung an die E* GmbH – ein Vermögensnachteil in einer Gesamthöhe von EUR 45.011,23 entstanden sei, zumal die aus der Aktenlage ableitbare Schadensgutmachung mit 19. April 2025 (ON 2.5, 4) im Licht des § 167 StGB nicht rechtzeitig war (vgl ON 2.2).

Da bei den über die Logfiles der E* GmbH identifizierten Paketen insbesondere keine Versandetiketten im Buchungssystem vorhanden sind und somit die Ausforschung von Absender und Empfänger erheblich erschwert ist, weil bloß GPS-Daten existieren, können allfällige Lichtbilder der Versandetiketten (ON 2.2, 3) sowie generell sämtliche Hinweise auf Paketversendungen durch den Beschuldigten im Rahmen des von ihm nach der Verdachtslage betriebenen Gebrauchtwarenhandels via Online-Plattformen – insbesondere hinsichtlich jener Gegenstände, die für die Versendung mit Paketen der Größe XS geeignet sind (ON 2.2, 3) – beweisrelevant sein.

Indem sich der bekämpfte Beschluss ausschließlich auf die Begründung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung stützt (zur umfassenden gerichtlichen Prüfungspflicht trotz mangelhafter Begründung eines Antrags der Staatsanwaltschaft vgl 15 Os 25/14m; OLG Innsbruck 7 Bs 42/25x mwN), wird die erteilte erstgerichtliche Bewilligung in den beabsichtigten Grundrechtseingriff nach dem Gesagten allem voran den im letzten Teilsatz des § 115f Abs 3 StPO umschriebenden Bestimmtheitskriterien nicht gerecht; außerdem fehlten jegliche nachvollziehbare Erwägungen zur Erforderlichkeit der Ermittlung der für die Aufklärung der Straftat wesentlichen (inhaltlichen) Informationen.

Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 89 Abs 2a Z 3 StPO aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung hinsichtlich der Anordnung der Staatsanwaltschaft unter entsprechender Ergänzung des Inhalts der Anordnung der Beschlagnahme von Datenträgern und Daten aufzutragen (vgl OLG Wien 30 Bs 38/25w; OLG Wien 20 Bs 24/25p; Tipold , WK-StPO § 86 Rz 8/2). Obsolet ist damit auch die Frage, ob der im Spruch angeführte, offenkundig mit einen Schreibfehler behaftete Untersuchungszeitraum („01.03.20 213 “) in der Zusammenschau mit dem in der Begründung erwähnten Tatzeitraum (beginnend mit März 2013) dennoch ausreichend verlässlich bestimmt werden konnte.

Für das weitere Verfahren bleibt anzumerken, dass das Erstgericht neben klarer Determinierung des Zeitraums und der Dateninhalte nicht umhin kommen wird, sich auch damit auseinanderzusetzen, ob gemessen an der konkreten Verdachtslage – mit Blick auf einen über 10 jährigen (mutmaßlichen Tat- und) Aufklärungszeitraum sowie vorhandene Anhaltspunkte für eine umfassend geständige Verantwortung des Beschuldigten (ON 2.5, 4) – die Auswertung sämtlicher Sub-Datenkategorien (zB „Audio inkl Sprachmemos“, „Video“) tatsächlich erforderlich und verhältnismäßig (§§ 5, 74 Abs 2 StPO) ist (zur Eingrenzbarkeit von Datenkategorien vgl OLG Wien 18 Bs 92/25y; OLG Wien 20 Bs 24/25p; Einführungserlass des BMJ vom 23. Dezember 2024 zum StrPRÄG 2024, GZ 2024-0.859.242, 10 und 12).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Rückverweise