JudikaturOLG Linz

11Rs35/25h – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
21. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Richter Senatspräsident Dr. Robert Singer als Vorsitzenden, Mag. Herbert Ratzenböck und Dr. Patrick Eixelsberger sowie die fachkundigen Laienrichter DI Dr. Siegfried Pfandler (Kreis der Arbeitgeber) und Andreas Hauer (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **straße **, **, vertreten durch die Ganzert Partner Rechtsanwälte OG in Wels, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, **, vertreten durch ihren Angestellten Mag. B*, wegen Versehrtenrente, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Jänner 2025, Cgs* 13, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt am 10.2.2023 im Rahmen seiner Tätigkeit im Fliesenhandel, als er versuchte, eingeeiste Fliesenpakete loszureißen, eine Verletzung der Sehne des großen Brustmuskels rechts.

Mit Bescheid vom 22.7.2024 wurde das Ereignis vom 10.2.2023 von der Beklagten nicht als Arbeitsunfall anerkannt und von ihr ausgesprochen, das kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe.

Der Kläger begehrte mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage die Feststellung, dass die bei ihm eingetretene Bizepssehnen-Teilruptur Folge des Arbeitsunfalls vom 10.2.2023 sei und dass er Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung im gesetzlichen Ausmaß habe. Ihm sei beim Herunterheben ein Fliesenpaket entglitten, worauf er sofort einen Stich im rechten Oberarm und im Brustbereich verspürt habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Es liege nicht einmal ein Unfallereignis vor, weil sich der Kläger im Rahmen der normalen Tätigkeit des Anhebens eines Fliesenpakets die Schädigung zugezogen habe.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klage ab. Es legte seiner Entscheidung den auf Seite 2 ersichtlichen Sachverhalt zugrunde, auf den gemäß § 500a ZPO verwiesen wird. Diese Feststellungen sind auszugsweise wie folgt wiederzugeben:

Die Fliesenpakete befanden sich auf Paletten im Außenbereich. Diese Kartonpackungen mit einem Einzelgewicht von ca 30 kg waren miteinander zusammengefroren. Der Kläger versuchte, das oberste Fliesenpaket etwa in Brusthöhe zu lösen, und packte dabei ein Paket mit beiden Händen, rüttelte daran und löste das Paket. Dabei versetzte es ihm einen plötzlichen Stich im Bereich der vorderen Schulterregion. Tatsächlich erlitt der Kläger durch diese Tätigkeit eine Zusammenhangsdurchtrennung der Sehne des Musculus pectoralis major (großer Brustmuskel rechts). Diese Sehne wird vor allem beim Wegdrücken von Gegenständen belastet. Die aufgewendete Kraft reichte keinesfalls aus, um eine gesunde Sehne zu schädigen. Vielmehr lag beim Kläger eine (freilich bislang unbemerkte) Degeneration vor. Konkret war der Sehnenansatz deutlich über das altersgemäße [Ausmaß] hinausgehend vorgeschädigt.

In naher Zukunft wäre es auch ohne diesen Vorfall in der Arbeit zu einem gleichen Beschwerdebild gekommen durch im Alltag vorkommende Bewegungsabläufe, wie zB das Anschieben eines schweren Einkaufswagens gegen Widerstand oder auch ein Tischrücken, wenn dieser nicht ganz leicht ist. Das bloße Werfen eines Balles wäre nicht ausreichend, wohl aber zB das Fangen eines schweren Medizinballes.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, dass jedenfalls kein ausreichender sachlicher Zusammenhang mit der Beschäftigung vorliege, weil wesentliche Ursache für die Schädigung nicht die Arbeitstätigkeit, sondern die Vorschädigung gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag auf (teilweise) Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

A. Zur Beweisrüge:

1. Soweit die Berufung im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Unfallbegriffs in Bezug auf den Unfallhergang ergänzende Feststellungen anstrebt, handelt es sich in Wahrheit um von der Berufung geltend gemachte rechtliche Feststellungsmängel (RS0043480 [T8], RS0043304). Darauf ist im Rahmen der Ausführungen zur Rechtsrüge einzugehen.

2. Die Berufung bekämpft in weiterer Folge die Feststellungen zum Eintritt eines gleichen Beschwerdebildes in naher Zukunft auch ohne den Vorfall vom 10.2.2023. Ersatzweise soll festgestellt werden, dass nicht jedes (andere) alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die Verletzung ausgelöst hätte. Die Berufung meint in diesem Zusammenhang, dass nur eine altersgemäße degenerative Vorschädigung feststehe, diese bei der Prüfung der wesentlichen Bedingung für einen Arbeitsunfall nicht einzubeziehen sei, die Beklagte die Beweislast für einen über die altersgemäße Abnützung hinausgehenden degenerativen Vorschaden treffe und insofern der Anscheinsbeweis nicht zulässig sei.

Dazu ist auszuführen:

2.1 Die Berufung übersieht, dass das Erstgericht ausdrücklich festgestellt hat, dass beim Kläger eine (freilich bislang unbemerkte) Degeneration vorlag und der Sehnenansatz konkret deutlich über das altersgemäße [Ausmaß] hinausgehend vorgeschädigt war. Damit weicht die Berufung bei ihrer Argumentation von den von ihr nicht bekämpften Feststellungen des Erstgerichts ab, weshalb sie schon deshalb die erstgerichtliche Beweiswürdigung nicht erfolgreich bekämpfen kann.

2.2 Im Übrigen ist auszuführen, dass das Erstgericht die bekämpften Feststellungen unbedenklich auf die schlüssigen gutachterlichen Ausführungen des von ihm beigezogenen orthopädisch-traumatologischen Sachverständigen stützen konnte:

2.2.1 Dieser hat unter Verweis auf Fallberichte aus der Fachliteratur einerseits nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund des geschilderten „Unfallmechanismus“ eine deutliche, über das altersgemäße Ausmaß hinausgehende kausale Vorschädigung im Bereich des Sehnenansatzes vorgelegen habe (vgl ON 4/S 16 ff, ON 12.2/S 3). Die dagegen von der Berufung vorgetragenen Argumente, insbesondere dass keine Vorschadensanlage im Bereich des großen Brustmuskels rechts erhoben habe werden können und die Schädigung eines 43-Jährigen (der Kläger war im Unfallszeitpunkt allerdings bereits 53 Jahre alt), sind nicht stichhältig. Sie setzen sich nämlich nicht mit den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen auseinander, dass es aus rein biomechanischen Aspekten einer adäquaten direkten oder (zumeist) indirekten Krafteinwirkung bedürfe, dass eine weitestgehend gesunde Sehne von dieser Größe eine Zusammenhangsdurchtrennung erfährt. Sollte es [wie hier] ohne entsprechende, nachvollziehbare Krafteinwirkung zu einer Zusammenhangsdurchtrennung einer solchen Sehne kommen (dies gelte auch für die Sehne des großen Brustmuskels), müsse von einem vorbestehenden zumeist bis zum Ereignis nicht bekannten degenerativen Schaden ausgegangen werden (ON 4/S 16 f). Die geschilderten Bewegungsabläufe würden biomechanisch nicht ausreichen, um eine gesunde Sehne zu schädigen; der große Brustmuskel und die damit zusammenhängende Sehne kämen vor allem bei Bewegungen des Nachvornedrückens zum Einsatz; beim Nachhintenziehen viel weniger und auch nicht beim Armeanheben (ON 12.2/S 3).

2.2.2 Zum anderen stufte der Sachverständige die Schadensanlage widerspruchsfrei so hochgradig ein, dass die Zusammenhangstrennung der Sehne auch ohne das gegenständlich beschriebene „Unfallereignis“ in absehbarer Zeit zu erwarten gewesen wäre (ON 4/S 17), wobei er die vom Erstgericht festgestellten Bewegungsabläufe konkret anführte (vgl ON 12.2/S 3), ohne dass die Berufung dagegen sprechende Umstände in ihrer Berufung anführt.

2.3 Der Beweisrüge kommt daher keine Berechtigung zu und es hat bei den erstgerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen zu bleiben.

B. Zur Rechtsrüge:

1. Die Berufung meint, dass die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit „wesentliche Bedingung“ für den Eintritt des Schadens beim Kläger gewesen sei.

Dazu ist auszuführen:

1.1 Maßgeblich ist, ob der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der eingetretenen Schädigung gegeben ist. Dieser kann nur dann bejaht werden kann, wenn diesem Ereignis eine wesentliche Mitwirkung am eingetretenen Schaden beigemessen werden kann (RS0084290). Wirkt am Eintritt des Gesundheitsschadens oder Tod des Versicherten neben der Ursache aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung auch eine Vorerkrankung mit, so wird in ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Körperschaden nach der Theorie der wesentlichen Bedingung nur dann der Unfallversicherung zugerechnet, wenn er ohne den Umstand aus der Gefahrensphäre der Unfallversicherung erheblich später oder erheblich geringer eingetreten wäre (RS0084308). Als nicht wesentlich wird eine Bedingung angesehen, wenn die Schädigung durch ein alltäglich vorkommendes Ereignis zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß hätte ausgelöst werden können (RS0084290 [T11], RS0084318 [T15], RS0084345 [T5]). Alltäglich sind die Belastungen, die altersentsprechend üblicherweise mit gewisser Regelmäßigkeit im Leben, wenn auch nicht jeden Tag auftreten, wie etwa normales oder beschleunigtes Gehen, unter Umständen auch kurzes schnelles Laufen, Treppen steigen, Bücken, leichtes bis mittelschweres Heben oder ähnliche Kraftanstrengungen (RS0084318 [T4, T5]).

1.2 Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen wäre es in naher Zukunft zu einem gleichen Beschwerdebild auch bei im Alltag vorkommenden Bewegungsabläufen, wie zB das Anschieben eines schweren Einkaufswagens gegen Widerstand oder auch ein Tischrücken, wenn dieser nicht ganz leicht ist, gekommen. Jedenfalls das Verrücken eines nicht ganz leichten Tisches ist zweifellos eine alltägliche Bewegung im Sinn der vorangeführten Judikatur. Da dieser Bewegungsablauf in naher Zukunft zu einem gleichen Beschwerdebild geführt hätte, scheidet in Übereinstimmung mit dem Erstgericht eine Zurechnung des Ereignisses vom 10.2.2023 zur gesetzlichen Unfallversicherung aus.

2. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich eine nähere Befassung mit der Frage, ob von der Berufung geltend gemachte sekundäre Feststellungsmängel im Zusammenhang mit dem Unfallbegriff vorliegen.

C. Zusammenfassung, Kosten und Zulässigkeitsausspruch:

1. Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Mangels tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten des Verfahrens kommt ein Kostenersatzanspruch des Klägers nach Billigkeit nicht in Betracht.

3. Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil die Feststellung oder Nichtfeststellung bestimmter Tatsachen aufgrund der aufgenommenen Beweise nicht an das Höchstgericht herangetragen werden kann (RS0043061 [T11]) und sich das Berufungsgericht im Übrigen an der zitierten Judikatur des Obersten Gerichtshofs orientiert und diese auf den Einzelfall angewendet hat.

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