JudikaturOLG Linz

4R40/25t – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
24. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht hat durch den Senatspräsidenten Mag. Gerhard Hasibeder als Vorsitzenden sowie MMag. Andreas Wiesauer und Mag. Stefan Riegler in der Rechtssache des Klägers DI (FH) A* B* , geboren am **, technischer Leiter, **, **, vertreten durch die ADAM FELIX Rechtsanwälte KG in Salzburg, gegen die Beklagten 1) C* , geboren am **, Entwicklungsmechaniker, **, **, und 2) D*-AG E* , **, **straße **, **, beide vertreten durch Dr. Berthold Garstenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen (ausgedehnt) EUR 15.359,19 sA über die Berufung der Beklagten (Berufungsinteresse: EUR 3.071,84 sA) gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 31. Jänner 2025, Cg*-27, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es insgesamt (einschließlich der unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Teilabweisung) wie folgt zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen EUR 15.359,19 samt 4 % Zinsen aus EUR 7.644,60 und aus EUR 35,00 jeweils seit 27. November 2023 zu zahlen, wird abgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, den Beklagten die mit EUR 6.261,06 (darin enthalten EUR 793,51 USt und EUR 1.500,00 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Der Kläger ist schuldig, den Beklagten die mit EUR 1.139,18 (darin enthalten EUR 134,13 USt und EUR 334,40 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 1. Juni 2023 ereignete sich um ca 16:30 Uhr in der F*-Straße in ** G* ein Verkehrsunfall zwischen dem vom Kläger gehaltenen und von dessen Gattin H* B* gelenkten PKW Audi A6 und dem vom Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen sowie bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW Kia Ceed.

Der Kläger begehrt (zuletzt) EUR 15.359,19 sA (darin enthalten EUR 15.289,19 an Kosten für die beabsichtigte Reparatur seines Fahrzeugs und EUR 70,00 „Unkosten“) mit der Begründung, den Erstbeklagten treffe das Alleinverschulden am Unfall, weil er mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesen und „geradeaus auf das Fahrzeug des Klägers zu und ungebremst in dessen rechte Seite gefahren“ sei. Außerdem treffe ihn ein „Reaktionsverschulden“. Die Ehegattin des Klägers habe keine Vorrangverletzung zu verantworten, weil sie im Zeitpunkt der Kollision die Vorrangstraße bereits großteils übersetzt gehabt habe. Die Beklagten hafteten daher für die Kosten der vom Kläger beabsichtigten Reparatur des Fahrzeugs samt „Unkosten“.

Die Beklagten bestritten, beantragten Klagsabweisung und wandten – auf das Wesentliche zusammengefasst – ein, die Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers habe den Vorrang des Erstbeklagten missachtet. Der Erstbeklagte sei weder mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren noch habe er verspätet reagiert. Vielmehr habe er keinerlei Möglichkeit gehabt, den Unfall zu verhindern. Das Alleinverschulden liege daher auf der Klagsseite. Abgesehen davon sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger das Fahrzeug tatsächlich reparieren lassen werde, weshalb der Anspruch der Höhe nach mit dem objektiven Minderwert begrenzt sei.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht der Klage im Umfang von EUR 3.071,84 sA statt. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer EUR 12.287,35 sA wies es ab. Seiner Entscheidung legte es folgenden Sachverhalt zugrunde (wobei die von den Beklagten bekämpften Feststellungen kursiv hervorgehoben sind):

Die Gattin des Klägers hatte vor, von der I*-Ausfahrt kommend, die F*-Straße zu queren und in die gegenüberliegende Einfahrt zu einem weiteren Gewerbeobjekt zu fahren. Der Erstbeklagte fuhr von der **straße ** kommend in Richtung Westen.

Die F*-Straße verläuft abgehend von der B 159 asphaltbefestigt in einer Geschwindigkeitsbeschränkung mit 40 km/h. In Fahrtrichtung des Beklagtenfahrzeuges nach Westen gesehen ist linksseitig der Einmündungstrichter des I* angebunden, der gegenüber der F*-Straße benachrangt und ca 42 m von der Kreuzung zur B 159 entfernt ist. Im Bereich dieses Einmündungstrichters ist die Fahrbahn der F*-Straße ca. 6,8 m breit.

H * B* fuhr bis zur Einmündungsstelle der I*-Ausfahrt in die F*-Straße vor, blieb dort stehen und sah das aus ihrer Sicht von rechts herannahende, eine Geschwindigkeit von ca 40 bis 44 km/h einhaltende Beklagtenfahrzeug nicht, weil ihre Sicht durch Fahrzeuge behindert war, die auf der F*-Straße rechts von ihr bis zur Kreuzung mit der B ** in einer Kolonne bis zur I*-Ausfahrt zurückstauten. H* B* fuhr los, um die F*-Straße in einem Zug zu queren, wobei sie bis auf 14 bis 16 km/h beschleunigte und es 2,8 bis 3,2 Sekunden und 7 bis 8 m nach dem Losfahren zur Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug kam. Dabei kollidierte das Beklagtenfahrzeug mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von 40 bis 44 km/h mit voller Überdeckung mit dessen Fahrzeugfront mit der rechten Seite des Klagsfahrzeuges, wodurch an Letzterem ein Schaden beginnend ab dem frontfernen Bereich des rechten Vorderkotflügels nach hinten hin erstreckend bis vor den rechten hinteren Radausschnitt entstand. Im Kollisionsmoment befand sich das Klagsfahrzeug mit dem Fahrzeugvorbau bereits in der der I*-Ausfahrt gegenüberliegenden Einfahrt. Die Front des Beklagtenfahrzeugs wurde durch die Kollision sodann in dessen Fahrtrichtung gesehen nach rechts verdreht und in die zuletzt genannte Einfahrt mit hinein gezogen bzw gestoßen.

Der Erstbeklagte hätte das Klagsfahrzeug spätestens 1,8 bis 2 Sekunden vor der Kollision sehen können, wobei er mit einer unverzüglichen Vollbremsung die Kollision vermeiden hätte können. Die verspätete Reaktion wurde über die Zeitspanne von ca 1 Sekunde wirksam.

Auch die Lenkerin des Klagsfahrzeuges hätte die Kollision vermeiden können, wenn sie sich aufgrund der Sichtbehinderung durch auf der rechten Seite rückgestaute Autos langsam und intermittierend in den bevorrangten Bereich der F*-Straße vorgetastet hätte. Dann hätte sie das Beklagtenfahrzeug rechtzeitig, nämlich 1,7 bis 1,8 Sekunden vor der Kollision, erkennen und durch Wiederabbremsen des Klagsfahrzeuges vor dem Fahrkanal des Beklagtenfahrzeuges den Unfall verhindern können.

Der Kläger wird sein Fahrzeug in einer Fachwerkstätte reparieren lassen, was Kosten in Höhe von EUR 15.289,19 verursachen wird. Durch den Unfall entstanden dem Kläger zudem diverse sonstige Auslagen in nicht mehr feststellbarer Höhe.

In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass die Lenkerin des Klagsfahrzeugs eine Vorrangverletzung, der Erstbeklagte hingegen einen Reaktionsverzug von ca einer Sekunde zu verantworten habe. Nach der Rechtsprechung sei in solchen Fällen das Verschulden im Verhältnis 1:4 zu Lasten des Klägers zu teilen. Dieser habe daher Anspruch auf Ersatz eines Fünftels der Kosten der (beabsichtigten) Reparatur des Fahrzeugs und der unfallskausalen Spesen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragen, das Urteil dahin abzuändern, dass die Klage zur Gänze abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Berufungsbeantwortung, der Berufung keine Folge zu geben.

Die Berufung ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Tatsachenrüge:

1.1. Die Beklagten bekämpfen folgende Feststellung (US 3):

„Der Kläger wird sein Fahrzeug in einer Fachwerkstätte reparieren lassen, was Kosten in Höhe von EUR 15.289,19 verursachen wird“.

Stattdessen soll festgestellt werden:

„Der Kläger macht die Durchführung einer Reparatur des beschädigten Klagsfahrzeuges vom Ausgang des gegenständlichen Zivilverfahrens abhängig (Reparaturabsicht unter Vorbehalt), dass sohin nicht feststeht, ob der Kläger tatsächlich eine Reparatur des Klagsfahrzeuges vornehmen werde“.

Zur Begründung führen die Beklagten – auf das Wesentliche zusammengefasst – aus, dass der Kläger mit seiner eigenen Aussage lediglich seine „Reparaturabsicht unter Vorbehalt des Verfahrensausganges“ bekundet habe. Demnach sei er gerade nicht entschlossen, die Reparatur jedenfalls durchführen zu lassen. Vielmehr stehe deren Durchführung unter dem Vorbehalt eines für den Kläger positiven Verfahrensausgangs, wobei er nicht dargelegt habe, welcher Verfahrensausgang ihn zu einer Reparatur veranlassen würde und welcher nicht. Es sei nicht davon auszugehen, dass ein geringes Mitverschulden des Beklagtenlenkers im Ausmaß von einem Fünftel geeignet sei, „die Reparaturabsicht des Klägers zu motivieren“. Die Reparaturabsicht des Klägers bleibe daher unklar (Pkte 2.1 – 2.4 der Berufung).

Tatsächlich hat der Kläger dazu wie folgt ausgesagt (S 2/ON 19.2):

„Das Fahrzeug Audi A6 wurde bislang noch nicht repariert. Wir warten mit der Reparatur insofern noch zu, als die gegnerische Versicherung der Meinung war, dass meine Gattin am Unfall alleine schuld sei. Dies ist nicht meine Meinung, und wir machen es daher vom Ausgang dieses Verfahrens abhängig, ob das Fahrzeug repariert werden soll. Angeschaut wurde das Fahrzeug nur vom Gutachter der Versicherung. Das Fahrzeug steht seit dem Unfall in unserer Garage.“

Nach dem (eindeutigen) protokollierten Wortlaut dieser Aussage bleibt daher – wie die Beklagten zutreffend aufzeigen – letztendlich offen, ob das Fahrzeug repariert werden soll oder nicht. Es ist demnach unklar, welcher „Ausgang dieses Verfahrens“ den Kläger zu einer Reparatur veranlassen würde und welcher nicht (dh ob es eine Art Mindestbetrag gibt, bei dessen Zuspruch er eine Reparatur vornehmen lassen wird).

Demgegenüber ist das Erstgericht dennoch von einer (unbedingten) Reparaturabsicht ausgegangen. In seiner Beweiswürdigung hat es das (nur) damit begründet, dass „kein Grund bestanden habe, an den Angaben des Klägers, wonach er mit der Reparatur lediglich bis zur Klärung des gegenständlichen Rechtsstreits zugewartet habe, er jedoch eine Reparatur des Fahrzeugs anstrebe, zu zweifeln“ (US 4 letzter Absatz).

Im Rahmen der Beweiswürdigung muss der Richter in knapper, überprüfbarer und logisch einwandfreier Form darlegen, warum er aufgrund bestimmter Beweisergebnisse oder Verhandlungsergebnisse bestimmte Tatsachen feststellt oder für den Ausgang des Rechtsstreits erhebliche Tatsachen nicht feststellen kann, damit sowohl die Parteien als auch das Rechtsmittelgericht die Schlüssigkeit seines Werturteils überprüfen können. Ansonsten liegt ein Begründungsmangel vor (vgl Pochmarski/Tanczos/Kober , Berufung in der ZPO 4 , S 118 mwN).

Eine solche Begründung, warum die (vom Erstgericht als glaubhaft eingeschätzte) Aussage des Klägers – abweichend von ihrem klaren Wortlaut – so zu verstehen sein soll, dass der Kläger das Fahrzeug in jedem Fall reparieren lassen will, fehlt. Damit zeigen die Beklagten mit ihrer Tatsachenrüge – der Sache nach (RS0041851) – einen Begründungsmangel im Sinn des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO auf (vgl 4 Ob 2028/96f).

Daran kann im Übrigen auch das Vorbringen des Klägers im Verfahren erster Instanz, seine Aussage sei so zu verstehen, dass „sehr wohl eine Reparaturabsicht bestehe“ und nur der Verfahrensausgang abgewartet werden solle (S 2/ON 24.4), nichts ändern. Eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung hat die tatsächlich aufgenommenen Beweise einer Bewertung zu unterziehen; das Vorbringen eines Beteiligten für sich allein stellt keinen Beweis dar ( Pochmarski/Tanczos/Kober , aaO, S 119 mwN).

Da die bekämpfte Feststellung grundsätzlich auch entscheidungserheblich ist, weil eine (erst) vom Verfahrensausgang abhängige Entscheidung keine definitive Reparaturabsicht bedeutet (vgl 2 Ob 5/94 zu einer ähnlich gelagerten Konstellation), müsste der Begründungsmangel an sich zur Aufhebung des Urteils führen. Wie allerdings noch zu zeigen sein wird, ist die Klage aber ohnehin schon aus anderen Gründen abzuweisen.

1.2. Weiters bekämpfen die Beklagten die Feststellungen dazu, in welchen Zeitpunkten die Unfallbeteiligten einander sehen und unfallvermeidend reagieren hätten können (Pkte 2.5 – 2.8 der Berufung).

Wie in der Behandlung der Rechtsrüge zu zeigen sein wird, ist die Klage ohnehin bereits auf der Basis der getroffenen Feststellungen abzuweisen, sodass die in diesem Zusammenhang begehrten Ersatzfeststellungen nicht entscheidungserheblich und die Tatsachenrüge damit nicht zielführend ist. Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass das Erstgericht die wechselseitigen Sicht- bzw Reaktionsmöglichkeiten der Beteiligten auf der Basis der gutachterlichen Schlussfolgerungen des Sachverständigen festgestellt hat. Wenn sich die Tatsachenrüge demgegenüber nur auf die Schilderungen der Beteiligten konzentriert, das Gutachten des Sachverständigen als zentrales Beweisergebnis aber übergeht, kann es den Beklagten damit schon von vornherein nicht gelingen, begründete Zweifel an den getroffenen Feststellungen zu erwecken.

2. Zur Rechtsrüge:

Mit ihrer Rechtsrüge machen die Beklagten zunächst geltend, das Erstgericht habe bei der Beurteilung der Reaktions- bzw Unfallvermeidungsmöglichkeiten der Beteiligten nur auf den Zeitpunkt der ersten Sicht auf das gegnerische Fahrzeug abgestellt, nicht aber auf den – für das Verschulden entscheidenden – Gefahrenerkennungsmoment. Diesbezüglich liege ein „sekundärer Verfahrensmangel“ [richtig: sekundärer Feststellungsmangel] vor.

Auch wenn diese Ausführungen im Grundsatz zutreffen, kommt es darauf nicht an. Denn die Beklagten sind ohnehin auch mit ihrer weiteren Auffassung, das Verschulden des Erstbeklagten sei zu vernachlässigen, im Recht.

Ausgehend von den Feststellungen hätte der Erstbeklagte das Klagsfahrzeug spätestens 1,8 bis 2 Sekunden vor der Kollision sehen können, wobei er mit einer unverzüglichen Vollbremsung die Kollision vermeiden hätte können. Die verspätete Reaktion sei über die Zeitspanne von ca einer Sekunde wirksam geworden (US 3 zweiter Absatz).

Diese Feststellungen sind allerdings zu präzisieren. Dass der Sachverständige den Reaktionsverzug mit „ca 1 Sekunde“ (und nicht exakter) einschätzte, beruht offenkundig darauf, dass sich die (erste) Sichtmöglichkeit des Erstbeklagten auf das Klagsfahrzeug nicht genauer als 1,8 bis 2 Sekunden vor der Kollision einschätzen ließ. Geht man von der üblichen (angemessenen) Reaktionszeit von einer Sekunde aus (die zumindest dann gilt, wenn – wie hier – keine Verpflichtung des Kraftfahrers zu besonders vorsichtigem und bremsbereitem Fahren bestand, vgl RS0074917), ergibt sich ein Reaktionsverzug von 0,8 bis 1 Sekunde. Die vom Sachverständigen genannte Zeitspanne von „ca 1 Sekunde“ ist daher als 0,8 bis 1 Sekunde zu verstehen.

In rechtlicher Hinsicht ist dann allerdings zugunsten des Erstbeklagten von einem Reaktionsverzug von nur 0,8 Sekunden auszugehen. Denn die Beweislast für einen Sorgfaltsverstoß des Schädigers liegt beim Geschädigten, weshalb verbleibende Unklarheiten zu dessen Lasten dessen gehen (RS0022560 [T8]; vgl RS0022560 [T13] für den Fall einer nur innerhalb einer Bandbreite festgestellten Geschwindigkeit).

Auch wenn es grundsätzlich zutrifft, dass die Rechtsprechung bei Abwägung einer Reaktionsverzögerung eines bevorrangten Verkehrsteilnehmers gegenüber einer Vorrangverletzung eines anderen Fahrzeuglenkers eine Verschuldensteilung von 1:3 oder (vorwiegend in älteren Entscheidungen) 1:4 zu Lasten des Benachrangten vorgenommen hat (RS0026809), liegt im vorliegenden Fall ein vernachlässigbares Mitverschulden des Erstbeklagten vor. Einerseits betraf die vom Erstgericht herangezogene Rechtsprechung schwerwiegendere Reaktionsverspätungen von 1,34 bis 2,5 Sekunden und nicht bloß 0,8 Sekunden (vgl RS0026809 [T2, T3, T4]).

Andererseits liegt der Lenkerin des Klagsfahrzeugs nicht nur der Vorrangverstoß an sich, sondern auch der Umstand zur Last, dass sie sich trotz der Sichtbehinderung durch andere Fahrzeuge nicht entsprechend vorsichtig verhalten hat. Nach ständiger Rechtsprechung hat sich der benachrangte KFZ-Lenker, um eine ihm obliegende Wartepflicht erfüllen zu können, dann, wenn es die schlechten Sichtverhältnisse erfordern, äußerst vorsichtig der Kreuzung zu nähern und sich auf dieser vorzutasten, um die notwendige Sicht zu gewinnen. Vortasten bedeutet dabei in der Regel ein schrittweises Vorrollen in mehreren Etappen bis zu einem Punkt, von dem aus die erforderliche Sicht möglich ist. Der Wartepflichtige darf gemäß § 19 Abs 7 StVO durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen. Diese Vorsichtsmaßnahmen sind nicht nur beim Einfahren in eine vom Wartepflichtigen vorerst nicht einsehbare Verkehrsfläche einzuhalten, sondern auch dann, wenn die Fahrbahn der bevorrangten Straße nicht in jenem Ausmaß überblickt werden kann, das erforderlich ist, um mit Sicherheit beurteilen zu können, dass durch das Einfahren in die bevorrangte Verkehrsfläche keine Fahrzeuge, die dort herankommen könnten, behindert werden (2 Ob 47/94 mwN; OLG Wien 11 R 114/24a). Auch die Unterlassung dieses gebotenen Verhaltens fällt ins Gewicht.

Vor diesem Hintergrund ist demgegenüber der geringfügige Reaktionsverzug des Erstbeklagten vernachlässigbar (RS0074906 insbes [T4, T6]; RS0023292 [T1]; vgl OLG Innsbruck 1 R 65/24d). Die Rechtsprechung, dass eine Reaktionsverspätung von einer Sekunde (und mehr) nicht vernachlässigt werden kann (RS0027312 [T6]; RS0027729 [T3]), ist hier – wie bereits ausgeführt – aufgrund des geringeren Verzugs von 0,8 Sekunden nicht einschlägig.

Zusammengefasst ist daher das Urteil in eine (gänzliche) Klagsabweisung abzuändern, weshalb der Berufung Berechtigung zukommt.

Auf die Feststellung des genauen Zeitpunkts des – an sich ausschlaggebenden – Gefahrenerkennungsmoments kommt es daher nicht mehr an, weil sich selbst dann, wenn dieser mit der ersten Sichtmöglichkeit nicht zeitlich ineinander fällt (was sich aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht beurteilen lässt), nur ein noch geringerer Reaktionsverzug des Erstbeklagten ergäbe. Folglich ist auch die (unklare) Reparaturabsicht nicht mehr entscheidend.

Aufgrund der Abänderung des Urteils ist eine neue Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz zu treffen. Diese beruht auf § 41 ZPO. Der Kläger hat keine Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis der Beklagten erhoben. Offenbare Unrichtigkeiten waren nicht ersichtlich.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 50 iVm 41 ZPO.

Da der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht zu entscheiden hatte (EUR 3.071,84), EUR 5.000,00 nicht übersteigt, ist die Revision gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

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