4R36/25d – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht hat durch den Senatspräsidenten Mag. Gerhard Hasibeder als Vorsitzenden sowie Mag. Stefan Riegler und MMag. Andreas Wiesauer in der Rechtssache des Klägers Ing. A* , geb. **, Maschinenbauingenieur, **straße **, **, vertreten durch Dr. Günter Niebauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, wider die Beklagte B* S.p.A. , vormals C* S.p.A., **, **, Italien, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, wegen (eingeschränkt) EUR 14.736,00 s.A. über die Berufung des Klägers (Berufungsinteresse: EUR 7.368,00) gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 3. Jänner 2025, Cg*-42, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit EUR 1.482,98 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten EUR 267,42 an 22 % USt.) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
Der Kläger erwarb am 16. November 2017 von einem Fahrzeughändler mit Sitz in Österreich ein Wohnmobil ** mit EU6b-Typengenehmigung um EUR 73.680,00 (in der Folge nur Klagsfahrzeug), welches ihm erst im August 2018 übergeben wurde. In diesem ist ein Dieselmotor mit der Motorenbezeichnung ** verbaut. Die Beklagte stellte das Basisfahrzeug her. Dieses ist mit einer temperaturgesteuerten Abgasrückführung (AGR; Thermofenster) ausgestattet, wobei die AGR in einem Ansauglufttemperaturbereich zwischen +9 Grad und +45 Grad Celsius unkorrigiert und somit die AGR aktiv ist. Die Umgebungslufttemperatur ist üblicherweise im Verhältnis zur Ansauglufttemperatur etwa 2 bis 5 Grad niedriger. Die Abrampung der AGR endet bei einer Ansauglufttemperatur von +3 Grad bis +60 Grad, dies entspricht einer Umgebungstemperatur betreffend die untere Abrampung von 0 Grad Celsius. Der Hauptgrund für die Verwendung eines Thermofensters ist der Bauteilschutz der emissionsmindernden Bauteile, wie AGR-Ventil, AGR-Wärmetauscher, Ansaugbrücke, Injektoren, Dieselpartikelfilter.
Eine sogenannte Timerfunktion (Senkung der AGR nach 22 Minuten ab dem Motorkaltstart) ist im Klagsfahrzeug nicht verbaut.
Das Klagsfahrzeug war bisher von keiner Rückrufaktion betroffen.
Wenn der Kläger beim Ankauf gewusst hätte, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, hätte er das Klagsfahrzeug nicht gekauft.
Im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages wäre das konkrete Wohnmobil in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung zu einem um 10 % verminderten Preis als dem tatsächlichen Kaufpreis gehandelt worden (§ 273 ZPO). (= bekämpfte Feststellung)
Der Kläger begehrte von der Beklagten mit Klage vom 10. Juni 2021 zunächst die Leistung von EUR 22.104,00 s.A., schränkte das Klagebegehren zuletzt auf EUR 14.736,00 ein und führte hiezu auf das Wesentliche zusammengefasst aus, die Beklagte habe als Fahrzeugherstellerin rechtswidrig und schuldhaft unzulässige Abschalteinrichtungen im Motor des Klagsfahrzeugs zu verantworten. Das Klagsfahrzeug sei daher im Auslieferungszeitpunkt weder typengenehmigungs- noch zulassungsfähig gewesen, weshalb die Beklagte für den aus dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen resultierenden Schaden des Klägers hafte, der in der Zahlung eines um (zuletzt) 20 % überhöhten Kaufpreises liege, da der Sachverständige eine fiktive Wertminderung in der Bandbreite von 5 bis 20 % angegeben habe. Es sei auszuschließen, dass dem Kläger im Zeitpunkt der Übergabe ein Software-Update zusätzlich zum Klagsfahrzeug angeboten worden wäre, wenn ein solches tatsächlich vorgelegen hätte, weshalb die Obergrenze von 20 % anzunehmen sei.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte dagegen stark zusammengefasst ein, dass im Klagsfahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien. Das Klagsfahrzeug sei auch nicht von einer Rückrufaktion betroffen. Es sei vielmehr technisch sicher und fahrbereit und verfüge über eine aufrechte Typengenehmigung, deren Entzug nicht drohe. Der Kläger habe das Auto seit Vertragsabschluss jederzeit ohne Einschränkungen nutzen können; ein irgendwie gearteter Minderwert des Klagsfahrzeugs oder sonstiger Schaden des Klägers sei daher nicht ersichtlich. Ein rechtswidriges oder schuldhaftes Verhalten habe die Beklagte nicht gesetzt und liege ein Irrtum des Klägers nicht vor. Selbst wenn, könne der Beklagten aufgrund eines entschuldbaren Rechtsirrtums kein fahrlässiger Verstoß gegen ein Schutzgesetz zum Vorwurf gemacht werden. Der Anspruch sei zudem verjährt. Das Klagsfahrzeug werde vom Kläger weiterhin benutzt, weshalb es auch seinen Vorstellungen entspreche. Der Kläger habe die Vorteile aus der Nutzung seit rund sieben Jahren genossen. Negative Auswirkungen auf den Wiederverkaufswert des Klagsfahrzeugs lägen nicht vor. Ein allfälliger Schadenersatz sei lediglich iHv nicht mehr als 5 % des Kaufpreises zu bemessen.
Im ersten Rechtsgang hob das Berufungsgericht das klagsabweisende Ersturteil mit Beschluss vom 21. Oktober 2024 zu 4 R 125/24s (ON 36.1) auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück, da im vorliegenden Fall zusammengefasst zwar das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung und damit das Bestehen eines Sachmangels sowie die rechtswidrige und schuldhafte Verletzung des Schutzgesetzes nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu bejahen ist, mangels Vorliegens ausreichender Feststellungen zur abschließenden Beurteilung der Höhe des konkreten Minderwerts des Klagsfahrzeugs sowie zufolge fehlender Feststellungsgrundlage für ein Vorgehen nach § 273 Abs 1 ZPO die Rechtssache jedoch noch nicht entscheidungsreif war. Das Berufungsgericht trug dem Erstgericht daher die Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage im zweiten Rechtsgang auf.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht der Klage im zweiten Rechtsgang mit einem Betrag von EUR 7.368,00 s.A. statt und wies das Mehrbegehren von EUR 7.368,00 s.A. ab. Es legte dazu seiner Entscheidung den eingangs angeführten Sachverhalt sowie die weiteren auf den US 1 und 4 bis 6 ersichtlichen Feststellungen zugrunde, auf die ansonsten verwiesen wird. Die in der Berufung bekämpfte Feststellung ist oben kursiv gehalten.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht – unter Hinweis auf die Entscheidung des Berufungsgerichts im ersten Rechtsgang – zum Ergebnis, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung und damit das Bestehen eines Sachmangels sowie die rechtswidrige und schuldhafte Verletzung des Schutzgesetzes nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu bejahen sei. Da der Kläger hier den Minderwert des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs geltend mache, sei der zu ersetzende Betrag iSd § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen gewesen. Der Kläger verwende das Wohnmobil nach wie vor und habe bereits ca. 66.290 km zurückgelegt, weshalb die Wertdifferenz im hier relevanten Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags in Anwendung des § 273 ZPO mit einem um 10 % verminderten Preis als angemessen bewertet werde.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Der Kläger beantragt, das Urteil im klagsabweisenden Teil dahin abzuändern, dass der Klage zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung keine Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Mit seiner Beweisrüge wendet sich der Kläger gegen die vom Erstgericht getroffene, eingangs kursiv aufgezeigte Feststellung mit der Begründung, es fänden sich keine Überlegungen wie das Erstgericht zur dieser gelangt sei, weshalb die Beweiswürdigung keine hinreichende Grundlage für die bekämpfte Feststellung liefere. Er begehre daher die Ersatzfeststellung: „Im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages wäre das konkrete Wohnmobil in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung zu einem um 20 % verminderten Preis als dem tatsächlichen Kaufpreis gehandelt worden (§ 273 ZPO)“ . Dies ergebe sich aus den entsprechenden Ausführungen des vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen.
Dabei übersieht der Kläger jedoch, dass es sich bei der von ihm relevierten „Feststellung“ in Wahrheit um keine solche, sondern um das Ergebnis einer der rechtlichen Beurteilung zuzuordnenden Angemessenheitsprüfung nach § 273 Abs 1 ZPO handelt. Er wendet sich mit seiner begehrten Ersatzfeststellung auch nicht gegen die Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO zur Ausmittlung des behaupteten Minderwerts des Klagsfahrzeugs an sich, sondern lediglich gegen die Betragsfestsetzung selbst, was jedoch im Rahmen der Rechtsrüge geltend zu machen ist (RIS-Justiz RS0040341; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 273 Rz 5). Die bekämpfte Urteilsstelle ist einer Beweisrüge daher nicht zugänglich.
Soweit der Kläger darauf erneut im Rahmen seiner Rechtsrüge zurückkommt, erachtet das Berufungsgericht die rechtlichen Ausführungen des Erstgerichts für zutreffend (§ 500a ZPO) und den nach § 273 Abs 1 ZPO für das konkrete Klagsfahrzeug angenommenen Minderwert von 10 % nicht als korrekturbedürftig. Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der Erwerber eines Fahrzeugs, der dieses – wie der Kläger im vorliegenden Fall – bei Kenntnis des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG nicht erworben hätte, den Minderwert des Fahrzeugs geltend machen kann (RIS-Justiz RS0134498). Aufgrund des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung (s. dazu bereits ausführlich OLG Linz 4 R 125/24s) und zufolge des Umstands, dass mit der damit verbundenen ungewissen und daher eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des Klagsfahrzeugs nach unionsrechtlichen Grundsätzen ein objektiver Minderwert besteht (etwa 10 Ob 46/23x [Rz 16] mwN), ist dieser als Abschlag vom gezahlten marktüblichen Kaufpreis nach § 273 ZPO einzuschätzen (3 Ob 203/23h [Rz 26] uva).
Wie bereits zuvor erläutert, hat das Erstgericht zu einer allfälligen Wertdifferenz im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses keine (echte) Feststellung getroffen. Wie sich durchschnittliche oder nicht durchschnittliche Käufer verhalten, lässt – entgegen der ungeachtet der Entscheidung des Berufungsgerichts im ersten Rechtsgang offenbar weiterhin vertretenen Rechtsansicht des Klägers – nicht auf die Marktwerte des Fahrzeugs im mangelhaften und im mangelfreien Zustand schließen (vgl. neuerlich insb. 10 Ob 46/23x [Rz 19]). Der Ersatzbetrag ist hier somit nach Ansicht des Erstgerichts – aufgrund der bereits im ersten Rechtsgang dargelegten unionsrechtlichen Vorgaben innerhalb der genannten Bandbreite – mit 10 % des Kaufpreises festzusetzen. Damit hat es angesichts der von ihm herangezogenen Parameter (weiterhin bestehender, siebenjähriger Gebrauch des Klagsfahrzeugs bei einer Laufleistung von rund 66.290 km) im vorliegenden Fall seinen ihm zukommenden Ermessensspielraum jedenfalls nicht überschritten.
Die vom Kläger in seiner Berufung dagegen ins Treffen geführten Argumente sind hingegen nicht stichhältig, zumal der Sachverständige keine auf das konkrete Klagsfahrzeug bezogenen Angaben, sondern lediglich generelle Ausführungen zur „fiktiven“ Wertminderung „zweier völlig identer Fahrzeuge“ gemacht hat (s. bereits OLG Linz 4 R 125/24s). Soweit er auf die vom Sachverständigen angesprochene Wertminderungsspanne von 15 bis 20 % und damit auf 20 % abstellen möchte, übersieht der Kläger zudem, dass er als Beweispflichtiger prozessrechtlich damit ohnedies nur die Untergrenze der Spanne bewiesen hätte (RIS-Justiz RS0037797; RS0039936; RS0039939; RS0106638) und schon deshalb jedenfalls keine höhere Wertminderung als 15 % gerechtfertigt wäre. Aus den genannten Gründen liegt aber ungeachtet dessen ohnehin keine Ermessensüberschreitung durch das Erstgericht vor. Der Berufung des Klägers ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 50 iVm 41 ZPO. Der von der Beklagten für ihre Berufungsbeantwortung verzeichnete Umsatzsteuersatz von 22 % entspricht dem für den Unternehmenssitz der Partei in Italien maßgeblichen Umsatzsteuersatz und ist daher bei der Bemessung der Kosten heranzuziehen ( Obermaier Kostenhandbuch 4 Rz 3.35; RIS-Justiz RS0114955). Da die Beklagte diesen Steuersatz bereits im Verfahren erster Instanz unter Verweis auf das Reverse Charge Prinzip unbeanstandet verzeichnete (ON 40.3, S. 3 vorletzter Abs) und im Berufungsverfahren neuerlich behauptete (ON 45, S. 6), schadet ihr die mangelnde abermalige Bescheinigung in ihrer Berufungsbeantwortung nicht.
Die ordentliche Revision ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil die Auslegung von Urteilsfeststellungen, ebenso wenig wie die Auslegung der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung und damit auch die Frage, ob eine einzelne Ausführung in einem Urteil eine Tatsachenfeststellung ist oder nicht (RIS-Justiz RS0118891 [T2, T4, T8]) und die Anwendung des § 273 ZPO (RS0121220) jeweils von den Umständen des Einzelfalls abhängt, sich das Berufungsgericht an der zitierten Judikatur des Obersten Gerichtshofs orientiert und diese auf den Einzelfall angewendet hat.