9Bs27/25x – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Strafsache gegen A* wegen Verbrechen der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 und Abs 2 VG über dessen Einspruch gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 27. Jänner 2025, St* (= ON 15 in Hv* des Landesgerichts Salzburg), in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Einspruch wird abgewiesen.
Die Anklageschrift ist rechtswirksam.
Text
Begründung:
Mit Anklageschrift vom 27. Jänner 2025 (ON 15) legt die Staatsanwaltschaft Salzburg dem am ** geborenen A* je einem Verbrechen der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 VG und § 3g Abs 1 und Abs 2 VG subsumierte Verhaltensweisen zur Last.
Demnach habe er sich zu nachgenannten Zeiten in ** auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er sich während des „B*“ am Veranstaltungsgelände gegenüber Dritten als bekennenden Nationalsozialisten dargestellt hat, und zwar
I./ am 3. Juli 2024 durch die sinngemäße Äußerung, er spreche nur „arisches Deutsch“;
II./ am 6. Juli 2024 durch Heben seines gestreckten rechten Arms mit flacher Hand schräg nach oben zum Hitlergruß sowie Andeuten des für Adolf Hitler typischen Barts durch Anlegen von Zeige- und Mittelfinger an der Oberlippe in Anwesenheit von zumindest 30 weiteren Mitarbeitern des Musikfestivals, wodurch die Tat auf eine Weise begangen wurde, dass sie vielen Menschen zugänglich wurde.
Gegen diese Anklageschrift richtet sich der Einspruch des Angeklagten, mit dem er – erkennbar – gestützt auf § 212 Z 2 StPO bzw § 212 Z 3 StPO die Einstellung des Verfahrens bzw Zurückweisung der Anklageschrift begehrt.
Rechtliche Beurteilung
Der Einspruch des Angeklagten ist nicht berechtigt.
Gemäß § 210 Abs 1 StPO ist Voraussetzung für die Einbringung einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft unter anderem das „Naheliegen“ einer Verurteilung aufgrund eines ausreichend geklärten Sachverhalts. Ausreichend geklärter Sachverhalt bedeutet, dass entsprechend dem Grundsatz der materiellen Wahrheit (§ 3 StPO) die Strafverfolgungsorgane alle be- und entlastenden Tatsachen, die für die Beurteilung der Tat und des Angeklagten von Bedeutung sind, sorgfältig ermittelt haben, sodass sie sich ein objektives Bild darüber machen können, wie sich die gegenständliche Tat zugetragen hat. Es muss aufgrund des ausreichend ermittelten Sachverhalts eine Verurteilung nahe liegen (Verurteilungswahrscheinlichkeit). Dazu muss ein einfacher Tatverdacht bestehen, was bedeutet, dass vom Gewicht der be- und entlastenden Indizien her bei deren Gegenüberstellung mit einfacher Wahrscheinlichkeit ein Schuldspruch zu erwarten sein muss. Dabei kommt es ausschließlich auf den Tatverdacht, nicht auf Rechtsfragen an ( Birklbauer , WK-StPO § 210 Rz 4 f).
Bei der Erhebung eines Anklageeinspruchs hat das Oberlandesgericht die Zulässigkeit der Anklage und die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts von Amts wegen nach allen Richtungen und auf das Vorliegen der Voraussetzungen zu prüfen ( Birklbauer , WK-StPO § 215 Rz 4).
Dass sich aus dem angeklagten Lebenssachverhalt (überhaupt) keine gerichtlich strafbare Handlung ableiten ließe oder sonst ein rechtlicher Grund vorläge, der die Verurteilung des Angeklagten ausschließen würde (§ 212 Z 1 StPO), ist dem vorliegenden Akteninhalt nicht zu entnehmen.
Gemäß § 212 Z 2 StPO ist eine Anklage unzulässig und das Verfahren einzustellen (§ 215 Abs 2 StPO), wenn Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts trotz hinreichend geklärten Sachverhalts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Angeklagten auch nur für möglich zu halten und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Um der Entscheidung des erkennenden Gerichts nicht vorzugreifen, kommt eine Einstellung des Verfahrens durch das Oberlandesgericht freilich nur dann in Betracht, wenn es zur Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte der Tat keinesfalls überwiesen werden könne, dass somit Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts trotz eingehender Ermittlungen nicht ausreichen, um bei lebensnaher Betrachtung eine Verurteilung auch nur (entfernt) für möglich zu halten. So lange irgendeine Möglichkeit besteht, Zweifel durch weitere Beweisaufnahmen auszuräumen, ist ausschließlich § 212 Z 3 StPO anzuwenden, demzufolge das Oberlandesgericht die Anklageschrift zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts (bloß) zurückzuweisen hat ( Kirchbacher, StPO 15 § 212 Rz 4). Der Bereich zwischen Verurteilungsmöglichkeit und -wahrscheinlichkeit berechtigt das Oberlandesgericht bei ausermitteltem Sachverhalt also nicht zu einer endgültigen Verfahrenseinstellung nach § 212 Z 2 iVm § 215 Abs 2 StPO. Dem Oberlandesgericht kommt gleichsam eine Missbrauchskontrolle in jenen Fällen zu, in denen die Staatsanwaltschaft anklagt, obwohl so gut wie überhaupt keine Verurteilungsmöglichkeit besteht. Ansonsten ist über die erhobenen Vorwürfe bei vorhandener Verurteilungsmöglichkeit im Zuge der Hauptverhandlung zu entscheiden ( Birklbauer , WK-StPO § 212 Rz 19).
Der Einspruchsgrund des § 212 Z 3 StPO käme hingegen nur dann zum Tragen, wenn eine ausreichende Grundlage an Ermittlungsergebnissen zur Durchführung einer Hauptverhandlung noch nicht vorläge und von zweckentsprechenden Ermittlungen eine solche erwartet werden könnte. Die Ermittlungsergebnisse bilden dann eine ausreichende Grundlage zur Durchführung einer Hauptverhandlung, wenn ein einfacher Tatverdacht eine Verurteilung nahe legt. Dazu muss vom Gewicht der belastenden und entlastenden Indizien, bei der Gegenüberstellung mit einfacher Wahrscheinlichkeit ein Schuldspruch zu erwarten sein. Die naturwissenschaftliche Wahrscheinlichkeit muss also mehr als 50% betragen, wobei ein objektiver Maßstab anzuwenden ist. Bei der Verurteilungswahrscheinlichkeit kommt es ausschließlich auf den Tatverdacht an und nicht auf Rechtsfragen. Der Tatverdacht muss sich jedoch nicht nur auf das Vorliegen des tatbestandsrelevanten Sachverhalts erstrecken, sondern auch auf das Fehlen von Tatsachen, die einen Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs-, Strafausschließungs-, Strafaufhebungsgrund oder ein Verfolgungshindernis bilden. Damit der Einspruchsgrund des § 212 Z 3 StPO nicht vorliegt, müssen auch sonst die Ermittlungen soweit gediehen sein, dass sie die Anordnung einer Hauptverhandlung rechtfertigen. Dazu gehört, dass die für die Hauptverhandlung relevanten Beweismittel überblickt werden können und so vorbereitet sind, dass sie in der Hauptverhandlung ohne wesentliche Verzögerung unmittelbar durchgeführt werden können ( Birklbauer, WK-StPO § 212 Rz 14 ff).
Die Staatsanwaltschaft stützt die Anklagevorwürfe auf die belastenden Angaben der Zeugen C* (ON 7.3), D* (ON 8.5) und E* (ON 9.3). So gab C* an, dass sie am 3. Juli 2024 die Aussage des Angeklagten: „Ich verstehe dich nicht, ich spreche nur arisches Deutsch“, klar und deutlich wahrgenommen habe (ON 7.3,5). Zum Anklagepunkt II./ führten die beiden Zeugen D* (ON 8.5, 5) sowie E* (ON 9.3, 3 f) übereinstimmend aus, dass der Angeklagte beim Verlassen des Festivalgeländes seinen rechten Arm mit flacher Hand gestreckt nach oben zum Hitlergruß gehalten und zugleich mit der anderen Hand durch Anlegen von Zeige- und Mittelfinger an der Oberlippe den für Adolf Hitler typischen Bart angedeutet habe. D* (ON 8.5, 5) zufolge habe der Angeklagte, noch bevor er seine rechte Hand nach oben gestreckt habe, Marschmusik über eine Bluetooth-Musikbox abgespielt. E* (ON 9.3, 3) führte überdies noch aus, dass jedenfalls 30 bis 40 Personen das Festivalgelände mit dem Angeklagten gemeinsam verlassen hätten. Der in der Anklageschrift zur subjektiven Tatseite angenommene Sachverhalt kann methodisch unbedenklich aus dem äußeren Tatgeschehen abgeleitet werden (vgl RIS-Justiz RS0098671, RS0116882).
Soweit der zu den Tatvorwürfen leugnende (ON 8.4) Angeklagte moniert, es rein faktisch nicht möglich, dass er hinsichtlich des Anklagepunktes II./ eine Bluetooth-Musikbox in der Hand gehalten habe, während er zeitgleich die rechte Hand nach oben gestreckt und mit der linken Hand in sein Gesicht gegriffen habe, ist ihm entgegenzuhalten, dass er mit diesem Einwand kein Substrat vorbringt, das den Tatverdacht so weit entkräften würde, dass eine Verurteilung nicht auch nur für möglich zu halten wäre.
Darüber hinaus ist der Sachverhalt nach der Aktenlage nicht weiter aufklärungsbedürftig. Dass die vom Einspruchswerber namhaft gemachten Zeugen zum Anklagepunkt ./I nicht im Ermittlungsverfahren einvernommen wurden, begründet noch keinen Zurückweisungsgrund iSd § 212 Z 3 StPO, zumal aufgrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse jedenfalls von einer ausreichenden Grundlage zur Durchführung einer Hauptverhandlung ausgegangen werden kann und die weiteren, vom Angeklagten angeführten Zeugen ohnehin in der Hauptverhandlung gehört werden können. Davon abgesehen wurde bereits eine vom Einspruchswerber namhaft genannte Zeugin (neben vielen weiteren Bar-Mitarbeiter:innen des B*, vgl ON 8.11, 8.12 und 9.12) von den Polizeibeamten informell zum Tatverdacht des Angeklagten befragt (ON 9.2, 4). Diese verneinte gerade nicht, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten begangen habe, sondern gab nur an, dass sie diesbezüglich keine eigenen Wahrnehmungen habe.
Die Erhebungsergebnisse und insbesondere die belastenden Zeugenaussagen reichen bei der anzustellenden Gesamtabwägung selbst unter Mitberücksichtigung des Einspruchsvorbringens aus, um darauf die für eine Anklageerhebung erforderliche einfache Tatverdachtslage zu stützen. Die vorliegenden Beweismittel und Erhebungsergebnisse rechtfertigen auch jedenfalls die Anordnung einer Hauptverhandlung. Inwieweit letztlich die der Anklagebegründung zu entnehmenden Belastungsmomente zu verifizieren sein und ausreichen werden, den Angeklagten im Sinn der Anklage zu überführen, muss dem erkennenden Gericht nach dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten bleiben, dem durch die Einspruchsentscheidung nicht vorzugreifen ist (§ 215 Abs 5 StPO).
Da auch keine wesentlichen formellen Mängel der Anklageschrift bestehen und demnach auch keine Einspruchsgründe des § 212 Z 4 bis Z 7 StPO vorliegen, war der Einspruch abzuweisen und die Rechtswirksamkeit der Anklage festzustellen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiteres Rechtsmittel nicht zu (§ 214 Abs 1 StPO).