JudikaturOLG Linz

12R1/25s – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
17. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende sowie Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A* , emeritierter Rechtsanwalt, **, Zustellbevollmächtigter Dr. Ernst Eypeltauer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei B* GmbH , FN **, **, vertreten durch die Raffaseder Haider Rechtsanwälte OG in Freistadt, wegen Herstellung, in eventu Feststellung (Streitwert EUR 35.000,00), über die Rekurse der klagenden Partei gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Linz vom 19. Dezember 2024, Cg1*-7 (12 R 1/25s), sowie vom 7. Jänner 2025, Cg*2-10 (12 R 2/25p), in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Rekurskosten selbst zu tragen.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

BEGRÜNDUNG:

Text

Der Kläger erwarb von einer (nunmehr) in Liquidation befindlichen Bauträgerin eine Wohnung und ließ sich deren Regressansprüche gegen die bauausführende Beklagte abtreten.

Mit Klage vom 20. November 2024 begehrte der Kläger die Herstellung einer Revisionsöffnung in einer Schachtwand, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden aus der Unzugänglichkeit des Schachts.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und berief sich in ihrer Klagebeantwortung neben mehreren namentlich genannten Zeugen und einem Sachverständigengutachten aus dem Bauwesen mehrfach auf „vorzulegende Urkunden“.

Das Erstgericht beraumte die vorbereitende Tagsatzung für den 13. Jänner 2025 an und trug dem Kläger auf, bis 23. Dezember 2024 ein abschließendes Vorbringen samt Beweisanboten zu erstatten, und der Beklagten, bis 6. Jänner 2025 mit einem entsprechenden Vorbringen samt Beweisanboten zu replizieren (ON 4).

Daraufhin stellte der Kläger den Antrag, zur „Evaluierung des Tatsachensubstrats der Klagebeantwortung der Beklagten aufzutragen, die ‚vorzulegenden Urkunden‘ binnen fünf Tagen vorzulegen“ (ON 6).

Diesen Antrag wies das Erstgericht mit seinem Beschluss vom 19. Dezember 2024 ab. Gemäß § 82 Abs 1 ZPO sei zwar eine Partei, die in einem Schriftsatz auf in ihren Händen befindliche Urkunden Bezug genommen habe, auf Verlangen des Gegners zur Vorlage dieser Urkunden binnen drei Tagen verpflichtet, allerdings beziehe sich das nur auf Urkunden, auf die sie im Schriftsatz – ausdrücklich oder als wesentliche Tatsachengrundlage – Bezug genommen habe. Die Beklagte habe in der Klagebeantwortung aber keine konkreten Urkunden ausdrücklich als Beweismittel bezeichnet, sodass unklar sei, welche Urkunden vorgelegt werden sollten und ob diese bereits existierten oder erst zu schaffen seien (ON 7).

Gegen diese Entscheidung richtet sich der rechtzeitige Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss in eine Antragsstattgabe abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt (ON 8 S 3).

Zusammen mit dem Rekurs erneuerte der Kläger seinen Antrag etwas ausführlicher und begehrte, der Beklagten aufzutragen, „sämtliche in der Klagebeantwortung unter II. Z 2.- 6. (implizit: auch 5.!) zum Beweis ihres Vorbringens jeweils als ‚vorzulegend‘ angebotenen in ihren Händen befindlichen Urkunden innerhalb von drei Tagen in Abschrift dem Kläger zu übersenden und das Gericht hievon zu benachrichtigen oder, wenn die Herstellung von Abschriften nicht zumutbar ist, die Urkunden in Urschrift bei Gericht zu hinterlegen und den Kläger hievon zu benachrichtigen, welcher diese innerhalb von drei Tagen nach empfangener Benachrichtigung einsehen und Abschriften davon herstellen kann“ (ON 8 S 5).

Dieser Antrag wurde nach einem Richterwechsel mit Beschluss vom 7. Jänner 2025 im Wesentlichen mit derselben Begründung zurückgewiesen, nämlich dass die Vorlage von Urkunden nur angekündigt worden sei, die Beklagte aber auf konkrete Urkunden keinen Bezug genommen habe, sodass § 82 ZPO eine Antragsstattgabe nicht tragen könne (ON 10).

Gegen diesen zweiten Beschluss erhob der Kläger am 23. Jänner 2025 wiederum Rekurs und beantragte – offensichtlich veranlasst durch die ausgesprochene Zurückweisung seines Antrags – „die Aufhebung und Zurückverweisung an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung“ (ON 14). Mit welcher Begründung das Erstgericht über den Antrag, über den es bereits inhaltlich entschieden hat, neuerlich entscheiden soll, ist nicht erkennbar. Allerdings schadet das Vergreifen im Antragsumfang nicht, da aus dem Rekursvorbringen klar erkennbar ist, dass der Kläger eine Abänderung in eine Bewilligung seines Urkundenvorlageantrags anstrebt (vgl RIS-Justiz RS0045820 , RS0041809 ).

Nachdem das Erstgericht die vorbereitende Tagsatzung verlegt und die Fristen zur Einbringung des vorbereitenden Schriftsatzes auf den 20. Jänner 2025 und der Replik auf den 27. Jänner 2025 verlängert hatte (ON 7), brachte der Kläger schließlich am 21. Jänner 2025 seinen vorbereitenden Schriftsatz ein (ON 12) und die Beklagte replizierte mit ihrem Schriftsatz vom 24. Jänner 2025 (ON 15). Im Schriftsatz verwies die Beklagte zwar wiederum auf die „vorzulegenden Urkunden“, legte aber zugleich die Urkunden Beilage ./1 bis ./14 vor.

Die einseitigen (OGH 1 Ob 80/18y [Pkt 2]) und auch abgesondert zulässigen (RIS-Justiz RS0036534 ) Rekurse sind mangels Beschwer zurückzuweisen .

Rechtliche Beurteilung

1.1 Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine Voraussetzung der Rechtsmittelzulässigkeit (RIS-Justiz RS0043815 ). Dieses Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn der Entscheidung nur mehr theoretisch-abstrakte Bedeutung zukäme, da es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, über bloß theoretisch bedeutsame Fragen abzusprechen (RIS-Justiz RS0002495 ).

Die Beschwer muss zur Zeit der Einlegung des Rechtsmittels gegeben sein und zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen; andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041770 ).

1.2 Die auf Vorlage der von der Beklagten in ihrer Klagebeantwortung als „vorzulegend“ bezeichneten Urkunden gerichteten Anträge des Klägers sind nunmehr obsolet, da die Beklagte die Urkunden, auf die sie sich zum Beweis ihres Vorbringens berufen will, mittlerweile vorgelegt hat.

Im Zeitpunkt der Einbringung der Rekurse war der Kläger aber durch die Ab- bzw Zurückweisung seiner Anträge noch formell und materiell beschwert, sodass die Beschwer nachträglich weggefallen ist.

Das ändert zwar an der Zurückweisung der Rekurse nichts, ist aber für die Kostenentscheidung relevant.

2.1 Fällt nämlich bei einem Rechtsmittel das Rechtsschutzinteresse nachträglich weg, so ist dies gemäß § 50 Abs 2 ZPO bei der Entscheidung über die Rechtsmittelkosten nicht zu berücksichtigen.

Nachträglich bedeutet, dass die Beschwer zwischen Einbringung des Rechtsmittels und der Entscheidung darüber wegfällt (RIS-Justiz RS0106007 ). Dieser nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses in der Hauptsache führt zwar zur Zurückweisung des Rechtsmittels; die Kostenentscheidung ist aber so zu treffen, als ob das Rechtsschutzinteresse nicht weggefallen wäre (RIS-Justiz RS0036102 ).

2.2 Der Kläger ist (unstrittig) emeritierter Rechtsanwalt und vertritt sich im Verfahren selbst. Er verzeichnete für die beiden Rekurse je TP 3B RATG in Höhe von EUR 1.219,80 zuzüglich 50 % Einheitssatz und EUR 2,60 ERV-Kosten. Umsatzsteuer wurde keine geltend gemacht.

2.3.1 Auch als emeritierter Rechtsanwalt ist der Kläger gemäß § 28 ZPO berechtigt, sich selbst in sämtlichen zivilgerichtlichen Verfahren, auch solchen, in denen Anwaltszwang herrscht, zu vertreten (RIS-Justiz RS0119575 , RS0035758 ). Normzweck des § 28 ZPO ist die Gerichtsentlastung und die damit verbundene Verfahrensbeschleunigung durch das Einschreiten professioneller Organe der Rechtspflege, die im Umgang mit den prozessualen Förmlichkeiten vertraut sind und statt im fremden einmal im eigenen Namen tätig werden ( Zib in Fasching/Konecny³ § 28 ZPO Rz 2).

Diese Selbstvertretungsbefugnis hat allerdings nicht zur Folge, dass sämtliche Leistungen des Klägers unter Anwendung des RATG nach dem Rechtsanwaltstarif zu entlohnen wären. Die Entlohnung des Tätigwerdens eines Rechtsanwalts in eigener Sache ist völlig unabhängig vom Regelungszweck des § 28 ZPO zu sehen. Die Bestimmungen des RATG finden nach § 1 Abs 2 RATG nämlich grundsätzlich nur Anwendung auf Rechtsanwälte im Verhältnis zu der von ihnen vertretenen Partei bzw bei Bestimmung der Kosten, die der Gegner zu ersetzen hat. Lediglich ausnahmsweise gesteht Satz 2 leg cit dem Rechtsanwalt zu, auch in eigener Sache Kosten vom Gegner nach den Bestimmungen des RATG zu begehren.

2.3.2 Schon aus dem Zusammenhang, dass im RATG grundsätzlich der Honoraranspruch des Rechtsanwalts gegenüber seinem Klienten geregelt wird, ergibt sich, dass dieses Gesetz nur für eingetragene, also vertretungsbefugte Rechtsanwälte gelten kann (OLG Wien 34 R 177/06s; vgl OLG Innsbruck 1 R 77/13b). Dem entsprechend steht auch das Pfandrecht nach § 19a RAO einem emeritierten Rechtsanwalt nur für die bis zur Streichung aus der Liste der Rechtsanwälte von ihm verzeichneten und zugesprochenen Kosten zu (OGH 3 Ob 68/90 = RIS-Justiz RS0072059 ).

Diese Differenzierung zwischen emeritierten und aktiven Rechtsanwälten zeigt sich auch in der Verpflichtung zur Teilnahme am ERV nach § 89c Abs 5 Z 1 GOG. Emeritierte Rechtsanwälte sind dazu nicht mehr verpflichtet (OGH 7 Ob 66/21p). Mit der Streichung aus der Liste endet die Zugehörigkeit zum Anwaltsstand ( Vitek in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO 11 § 34 Rz 3 ff [Stand 1.11.2022, rdb.at]), sodass der emeritierte Rechtsanwalt nicht mehr die gleichen Verpflichtungen hat, wohl aber auch nicht mehr die gleichen Rechte.

Abgesehen davon sind Ausnahmebestimmungen im Allgemeinen nicht ausdehnend auszulegen (RIS-Justiz RS0008903 ), was ebenfalls dafür spricht, dass der ausnahmsweise Kostenersatzanspruch bei Selbstvertretung nach der Emeritierung nicht mehr greift.

2.3.3 Die vom OLG Wien (wenn auch nicht durchgängig, wie die bereits zitierte Entscheidung 34 R 177/06s zeigt) vertretene Rechtsansicht, die Selbstvertretung durch einen juristisch Befähigten diene der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (7 Rs 8/11i) und solle nicht den Gegner von seinem Kostenersatzrisiko befreien (12 R 89/04b), wird aus den vorstehenden Überlegungen nicht geteilt. Dass sich diesen beiden Entscheidungen ein weiterer Senat des OLG Wien (1  R 169/12y) und zahlreiche andere Gerichte angeschlossen haben, ändert daran nichts, zumal sich diese Entscheidungen auf ein mehr oder weniger unkommentiertes Zitieren der „ständigen“ Rechtsprechung des OLG Wien beschränken (OLG Graz 7 R 7/12x; LG St. Pölten 21 R 199/16x; LG Korneuburg 22 R 105/24g; LG Wels 22 R 193/22x; LG Feldkirch 3 R 165/18i). Das Zusatzargument, der Honoraranspruch dürfe nicht vom Vorhandensein einer Kanzleiorganisation abhängig gemacht werden, da es auch angestellte Rechtsanwälte gebe (LGZ Wien 36 R 46/22i = RIS-Justiz RWZ0000224; LGZ Graz 4 R 78/22b), greift insofern zu kurz, als angestellte Rechtsanwälte gleichermaßen wie Rechtsanwälte mit eigener Kanzlei dem Aktivstand angehören und daher vom RATG jedenfalls erfasst sind.

Auch Obermaier (Kostenhandbuch 4 Rz 1.119) und Thiele (Anwaltskosten 4 § 1 RATG Rz 9) greifen ohne nähere Auseinandersetzung auf die einen Kostenersatzanspruch befürwortenden Entscheidungen des OLG Wien, des LGZ Wien und des LGZ Graz zurück, sodass auch daraus keine Gegenargumente zu gewinnen sind.

Wenn der OGH im Falle eines erfolgreichen Rekurses eines emeritierten Rechtsanwalts (1 Ob 237/04s – Vertretungsrecht des ehemaligen Rechtsanwalts in eigener Sache) bzw eines erfolgreichen Revisionsrekurses (7 Ob 66/21p – keine Verpflichtung eines emeritierten Rechtsanwalts zur ERV-Teilnahme) die Kostenentscheidung nach § 52 ZPO vorbehalten hat, zwingt das nicht zu dem Schluss, dass er einen Kostenersatzanspruch nach dem RATG bejaht. Tarifansprüche nach dem RATG waren in diesen beiden Entscheidungen kein Thema (so auch OLG Wien 34 R 177/06s zur Entscheidung 1 Ob 237/04s).

Würde man einen Kostenersatzanspruch nach dem RATG für emeritierte Rechtsanwälte bejahen, müsste dieser auch für einen ehemaligen Rechtsanwalt bestehen, der nach Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft als Richter tätig ist. Das wäre gegenüber einer schon immer als Richter tätigen Prozesspartei aber wohl kaum zu rechtfertigen (vgl OLG Innsbruck 1 R 77/13b).

2.4 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der Kläger als emeritierter Rechtsanwalt keinen Anspruch auf die nach dem RATG verzeichneten Kosten hat, sodass er trotz des erst nachträglichen Wegfalls der Beschwer jedenfalls die Rekurskosten selbst zu tragen hat. Barauslagen nach § 42 ZPO wurden keine verzeichnet. Der ERV-Zuschlag erhöht gemäß § 23a RATG die Entlohnung, zählt aber nicht zu den Barauslagen (OGH 9 ObA 80/14a; ( Obermaier, Kostenhandbuch 4 Rz 3.29)

3.1 Wie die Rekursentscheidung hypothetisch (ohne Wegfall der Beschwer) zur Frage der Berechtigung der beiden Anträge des Klägers auf Urkundenvorlage nach § 82 ZPO ausgefallen wäre, kann auf sich beruhen.

3.2 Die Frage, ob der zweite inhaltlich idente Antrag nach § 82 ZPO nicht im Hinblick auf die Streitanhängigkeit (vgl Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 514 Rz 3) des ersten unzulässig und daher schon aus formellen Gründen zurückzuweisen gewesen wäre, stellt sich nicht, da die amtswegige Wahrnehmung einer Nichtigkeit ein zulässiges Rechtsmittel voraussetzt (RIS-Justiz RS0041942 ).

4 Insgesamt sind daher die Rekurse zurückzuweisen.

5 Der Kläger hat gemäß §§ 40, 50 ZPO die Kosten selbst zu tragen.

6 Die Zurückweisung eines Rekurses ist keine bestätigende Entscheidung (RIS-Justiz RS0044117 ), sodass die Revisionsrekurse nicht jedenfalls unzulässig sind. Allerdings ist ein ordentlicher Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 1 ZPO mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zuzulassen. Dass der nachträgliche Wegfall der Beschwer das Rechtsschutzinteresse beseitigt, entspricht ständiger Rechtsprechung.

Rückverweise