4R147/24a – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten Mag. Gerhard Hasibeder als Vorsitzenden sowie MMag. Andreas Wiesauer und Mag. Stefan Riegler in der Rechtssache der Klägerin A* - B* C* D* GmbH, **, **straße **, **, vertreten durch die BRAND Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Beklagte A* - B* C* D* E* GmbH , **, **, **, vertreten durch die Konlechner Rechtsanwalt KG in Wien, wegen EUR 500.000,00 sA , über den Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 18. Oktober 2024, Cg*-13, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Dem Rekurs wird keine Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit EUR 3.088,32 (darin enthalten EUR 514,72 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrt EUR 500.000,00 sA mit der Begründung, sie habe der Beklagten ein Darlehen in dieser Höhe gewährt, das seit 31. Dezember 2023 zur Rückzahlung fällig sei. In Bezug auf diese Forderung bestehe keine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Parteien, sodass das Landesgericht Salzburg international und örtlich zuständig sei.
Die Beklagte wandte primär die internationale Unzuständigkeit des Landesgerichtes Salzburg ein, weil die Parteien wegen Unstimmigkeiten ihrer (mittelbaren) Gesellschafter bzw Machthaber (darunter F* und G* H* auf der einen, I* J* auf der anderen Seite) vereinbart hätten, ihre personellen und gesellschaftsrechtlichen Verschränkungen zu entflechten („Generalbereinigung“). In der diesbezüglichen Vereinbarung vom 6. April 2020 seien Regelungen über verschiedene wechselseitige Ansprüche getroffen worden, wovon auch die Darlehensforderung der Klägerin umfasst sei. Die Vereinbarung sehe (ua) vor, dass der Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem Vertrag ausschließlich das Landgericht Ingolstadt in Deutschland sei. Diese Gerichtsstandsvereinbarung gelte auch für die Nachtragsvereinbarung der Parteien vom 18. Dezember 2020, mit der die Darlehensforderung jedenfalls in die „Gesamtlösung“ einbezogen worden sei. Das Landesgericht Salzburg sei somit international unzuständig und die Klage daher zurückzuweisen.
Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Erstgericht seine internationale Unzuständigkeit aus (Spruchpunkt 1) und wies die Klage zurück (Spruchpunkt 2). Außerdem verpflichtete es die Klägerin zum Kostenersatz (Spruchpunkt 3).
Seiner Entscheidung legte es den auf den Seiten fünf bis neun des Beschlusses wiedergegebenen Sachverhalt zugrunde. Für das Rekursverfahren wesentlich sind folgende Feststellungen:
Mit Darlehensvertrag vom 12. September 2019 gewährte die Klägerin der Beklagten ein Darlehen von EUR 500.000,00 und zählte ihr diesen Betrag am 15. Oktober 2019 zu.
Die [von den Parteien und zahlreichen anderen Gesellschaften sowie F* H*, G* H* und I* J* jeweils persönlich] abgeschlossene Vereinbarung vom 6. April 2020 weist auszugsweise folgenden Inhalt auf:
„P-I Die Parteien F* H* und G* H* (bzw mit diesen verbundene Unternehmen) und I* J* (bzw mit diesem verbundene Unternehmen) befinden sich im Streit über die Rechtswirksamkeit verschiedener Vereinbarungen bzw betreffend das Ausscheiden von Herrn J* (bzw mit diesem verbundene Unternehmen) aus der K* L* (das bedeutet die K* L* E* AG und K* M* AG und H* Co N* AG, jeweils mit deren verbundenen Unternehmen).
P-II Die Parteien F* H* und G* H* (bzw mit diesen verbundene Unternehmen) und I* J* (bzw mit diesem verbundene Unternehmen) beabsichtigen durch diese Vereinbarung und durch einen nachgelagerten M A-Prozess diese Streitigkeiten abschließend zu beenden.
P-III Diese Vereinbarung soll insofern ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, gleichwohl rechtsverbindlich, diese Auseinandersetzung abschließend regeln.
[...]
1. Verkauf Aktien K*L*E*
1.1 Die Parteien sind sich einig, dass Aktien an der K* L* E* AG (K*L*E*) mittels eines M A-Beraters im Rahmen eines M A-Prozesses bestmöglich verkauft werden sollen. Als avisierten Zielkaufpreis streben die Parteien eine Bewertung der K*L*E* (cash-/debt-free) von ca 100,00 Millionen EUR an.
[…]
2. Aufhebung Vereinbarungen
2.1 Die Parteien der nachfolgenden Vereinbarungen sind sich einig, dass diese Vereinbarungen aufgehoben bzw beendet sind und keine der Parteien hieraus noch Rechte herleiten kann bzw keiner Partei hieraus aus der Vergangenheit Rechte zustehen:
[...]
- Abfindungsvereinbarung zum Austritt des Herrn J* aus der K*-L* vom 27.03.2017
- Vertriebs- und Lizenzvertrag vom 20.12.2018 zwischen A* B* C* D* GmbH (A) und A* B* C* D* E* GmbH (A)
[...]
5. Markt Nordamerika/Lizenz
[…]
5.2 Als Ausgleichszahlung für die Aufhebung der (streitigen) Vertriebsverträge ist beabsichtigt, dass die K* M* AG die Geschäftsabteile an der A* B* D* GmbH (A) in gesonderter noch zu schließender Vereinbarung an die A* B* D* E* GmbH (A) zu einem Kaufpreis von EUR 35.000,- verkauft und überträgt. Die Parteien stimmen einer solchen Übertragung zu.
[…]
9. Abgeltung
9.1 Die Parteien sind sich darüber einig, dass etwaige Ansprüche des Herrn I* J* bzw der von ihm oder seinen Angehörigen (mittelbar) gehaltenen Gesellschaften gegenüber der K*-L* und der Gesellschafter F* H*, G* H* und O* H* bzw der von diesen (mittelbar) gehaltenen Gesellschaften mit dem Abschluss dieser Vereinbarung abschließend geregelt werden.
Darüber hinausgehende Ansprüche des Herrn I* J* bzw der von ihm oder seinen Angehörigen (mittelbar) gehaltenen und von Herrn I* J* als Geschäftsführer oder Prokurist vertretenen Gesellschaften gegenüber den übrigen Gesellschaftern (wie vorstehend definiert) und den Gesellschaften der K*-L*, gleich ob bekannt oder unbekannt, gleich aus welchem Rechtsgrund, bestehen nicht.
9.2 Diese Abgeltung gilt spiegelbildlich auch für Ansprüche der K*-L* und der oa Gesellschafter bzw der von diesen (mittelbar) gehaltenen Gesellschaften gegen Herrn I* J* und mit diesem verbundenen Unternehmen, welche in dieser Vereinbarung abschließend geregelt sind. Darüber hinausgehende Ansprüche, gleich ob bekannt oder unbekannt, gleich aus welchem Rechtsgrund, bestehen nicht. Dies gilt nicht sofern etwaige Ansprüche oder Sachverhalte arglistig verschwiegen wurden.
[...]
13 Gerichtsstand
Gerichtsstand für Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem Vertrag ist - sofern und soweit zulässig - ausschließlich das Landgericht Ingolstadt. Es gilt ausschließlich deutsches Recht unter Ausschluss des IPR.
[…]“.
Diese Vereinbarung vom 6. April 2020 wurde ua von I* J* für die Beklagte und von P* für die Klägerin unterzeichnet. Im Rahmen dieser Vereinbarung einigte man sich darauf, dass die Geschäftsanteile an der Klägerin zum Nominale der Stammeinlage an die Beklagte übertragen werden.
In weiterer Folge schlossen die Klägerin und die Beklagte – neben zahlreichen anderen Gesellschaften sowie F* H*, G* H* und I* J* jeweils persönlich – am 18. Dezember 2020 einen Nachtrag zur Vereinbarung der Parteien vom 6. April 2020.
Dieser Nachtrag vom 18. Dezember 2020 enthält auszugsweise folgenden Inhalt:
„Präambel […]
(E) Um die Vereinbarung wieder in Vollzug zu setzen und künftige Streitigkeiten der Parteien zu verhindern, soll die Vereinbarung durch die Regelungen dieses Nachtrags zur Vereinbarung ergänzt werden. Sofern dieser Nachtrag keine von der Vereinbarung ausdrücklich abweichende Regelung enthält, soll die Vereinbarung fortgelten.
[...]
2. Rückführung Verbindlichkeiten gegenüber der K*-L*, Gegenforderung
[…]
2.9 Nur wenn der in Ziffer 1. des Nachtrags beschriebene M A Prozess (einschließlich des Minderheitenverkaufs) nicht spätestens in der nach Ziffer 1.5 des Nachtrags vorgesehenen verlängerten Frist erfolgen sollte, so bleibt es der Q* oder der A* D* unbenommen, etwaige Ansprüche aus dem Sachverhalt „Provision R*“ gerichtlich geltend zu machen. Insoweit verzichten die beteiligten Parteien auf eine mögliche Einrede der Verjährung, soweit Ansprüche nicht bereits verjährt sind.
Weiterhin bleibt in diesem Fall der A* D* und der S* AG vorbehalten, etwaige Ansprüche aus Ziffer 5 der Vereinbarung gerichtlich geltend zu machen, wobei ebenfalls alle beteiligten Parteien auf eine mögliche Einrede der Verjährung verzichten, soweit Ansprüche nicht bereits verjährt sind. Schließlich bleibt der A* D* vorbehalten, ihre Ansprüche insbesondere aus der Zahlung eines Betrages in Höhe von EUR 500.000,00 vom 15. Oktober 2019 gegen die A* D* E*. sowie Herrn I* J* persönlich geltend zu machen, auch insoweit verzichten alle Beteiligten auf die Einrede der Verjährung, soweit Ansprüche nicht bereits verjährt sind.
[…]“
F* H* und G* H* (bzw mit diesen verbundene Unternehmen) und I* J* (bzw mit diesem verbundene Unternehmen), somit auch die Klägerin und die Beklagte, verstanden sich darüber und hatten den übereinstimmenden Willen, mit der Vereinbarung vom 6. April 2020 samt Nachtragsvereinbarung vom 18. Dezember 2020 sämtliche wechselseitigen Ansprüche einer abschließenden Gesamtregelung zuzuführen und eine Trennung der Geschäftsverhältnisse zu bewirken. Diese sollte zentralisiert erfolgen, weshalb Einigkeit zwischen den Parteien der Vereinbarungen dahingehend bestand, Rechtsstreitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesen Vereinbarungen, von denen auch der Darlehensvertrag vom 12.September 2019 umfasst sein sollte, vor einem Gericht in Deutschland zu klären.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht vom Vorliegen einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art 25 EuGVVO aus, von der auch die Darlehensforderung umfasst sei. Deshalb sei die Klage mangels internationaler Zuständigkeit des Landesgerichtes Salzburg zurückzuweisen.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, „den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass der angefochtene Beschluss ersatzlos behoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen werde“. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs keine Folge zu geben.
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Zunächst ist auf den Standpunkt der Klägerin, Art 25 EuGVVO sei schon deshalb nicht anwendbar, weil beide Parteien österreichische Gesellschaften seien und ein „rein österreichischer Sachverhalt ohne Auslandsbezug“ vorliege, einzugehen (Pkt 1.3 und 1.4 des Rekurses).
1.1. Es trifft zu, dass trotz des weiten Wortlauts des Art 25 EuGVVO 2012 dieser nicht für reine Inlandsfälle (Binnenfälle) gilt. Von Art 25 EuGVVO 2012 werden nämlich, wie sich aus ErwGr 5 EuGVVO 2012 iVm Art 81 AEUV ergibt, nur Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit, nicht aber solche über die bloße örtliche Zuständigkeit erfasst, es sei denn, dass eine von der EuGVVO 2012 abweichende örtliche Zuständigkeit begründet werden soll ( Simotta in Fasching/Konecny 3 V/1 Art 25 EuGVVO 2012 Rz 27 mwN).
1.2. Ein reiner Inlands- bzw Binnenfall liegt dann vor, wenn der Fall nur zu einem einzigen Staat objektive Bezüge aufweist. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss also, damit sie unter Art 25 EuGVVO 2012 fällt, einen Auslandsbezug aufweisen; die Staatsangehörigkeit der Parteien, welche die Gerichtsstandsvereinbarung schließen, ist dabei ohne Bedeutung. Ein Auslandsbezug ist allerdings schon dann gegeben, wenn durch die Vereinbarung ein Gerichtsstand in einem Mitgliedstaat ausgeschlossen wird. Liegen „forum prorogatum“ und „forum derogatum“ in verschiedenen Mitgliedstaaten, handelt es sich bereits um einen internationalen Sachverhalt und ist Art 25 EuGVVO 2012 anwendbar. Demnach liegt ein reiner Inlands- bzw Binnenfall nur dann vor, wenn Parteien mit (Wohn-)Sitz im selben Mitgliedstaat die Zuständigkeit ihres gemeinsamen (Wohn-)Sitzstaates vereinbaren und dadurch nicht gleichzeitig die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates derogiert wird. Denn in einem solchen Fall betrifft die Vereinbarung nicht die internationale, sondern nur die örtliche Zuständigkeit, sodass Art 25 EuGVVO 2012 nicht zur Anwendung kommt. Kein reiner Inlandsfall ist demgegenüber dann gegeben, wenn zwei im selben Mitgliedstaat wohnende Parteien die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates prorogieren. Denn im (für die Gerichtsstandsvereinbarung primär maßgeblichen) Zeitpunkt der Klagserhebung geht es aus der Sicht des angerufenen Gerichtes um die Frage, die Gerichte welchen Mitgliedstaates zur Entscheidung berufen sind und damit um die Frage der internationalen Zuständigkeit ( Simotta, aaO Rz 28 ff; vgl 10 Ob 40/07s zu Art 23 EuGVVO aF: „Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung ist weder im nationalen noch im europäischen Zuständigkeitsrecht in Zweifel zu ziehen“; aA noch 1 Ob 240/02d bzw RS0117854).
1.3. Daraus folgt, dass weder der Umstand, dass beide Parteien ihren Sitz in Österreich haben, noch die Frage, ob der Klage inhaltlich ein „rein österreichischer Sachverhalt ohne Auslandsbezug“ zugrunde liegt, für die Anwendbarkeit des Art 25 EuGVVO 2012 maßgeblich sind, sodass diese Argumente der Klägerin nicht verfangen.
2. Weiters meint die Klägerin, es fehle jeder Anknüpfungspunkt zu deutschen Gerichten, weshalb – wie sich schon aus den ErwGr 13, 15 und 16 der EuGVVO ergebe – eine dorthin verweisende Gerichtsstandsvereinbarung unzulässig sei. Abgesehen davon sei eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art 25 EuGVVO nur dann möglich, wenn diese nicht nach dem Recht der Mitgliedsstaaten materiell nichtig sei. Das sei hier der Fall, weil es sowohl nach österreichischem als auch nach deutschem Recht „nicht möglich und damit nichtig“ sei, wenn zwei ausländische Parteien ohne jeden Bezug zu Österreich bzw Deutschland die Zuständigkeit eines österreichischen bzw deutschen Gerichts vereinbaren (Pkt 1.4 des Rekurses).
2.1. Dem ist zu erwidern, dass die EuGVVO den Parteien einen großen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Wahl des zuständigen Gerichts überlässt, solange das gewählte Gericht sich nur in einem Mitgliedstaat befindet. Eine Nahebeziehung zu dem Staat, in dem prozessiert werden soll, ist nicht erforderlich (so auch § 104 Abs 1 letzter Satz JN). Das gewählte Gericht kann seine Zuständigkeit nicht mit der Begründung ablehnen, der Sachverhalt habe keine Nahebeziehung zum Forumstaat oder „ein anderes Gericht sei besser geeignet, über den Anspruch zu entscheiden ( Wittwer in Mayr , Europäisches Zivilverfahrensrecht 2 Rz 3.701 mwN).
2.2. Die Wahl des in der Gerichtsstandsklausel vereinbarten Gerichts ist vielmehr nur anhand von Erwägungen zu prüfen, die im Zusammenhang mit den Erfordernissen des Art 25 EuGVVO 2012 stehen. Im Interesse der Rechtssicherheit soll sich nämlich für die Verfahrensparteien mit Sicherheit vorhersehen lassen, welches Gericht im Streitfall zuständig sein wird. Ziel des Art 25 EuGVVO 2012 ist es daher klar und eindeutig, ein Gericht eines Mitgliedstaates zu bestimmen, das gemäß dem übereinstimmenden Willen der Parteien zuständig sein soll. Mit diesem Ziel wäre es jedoch nicht vereinbar, würde man die Wahl des vereinbarten Gerichtes anhand anderer als im Art 25 EuGVVO 2012 aufgestellter Kriterien prüfen. Erwägungen zu den Bezügen zwischen dem vereinbarten Gericht und dem streitigen Rechtsverhältnis, zur Angemessenheit der Klausel und zu dem am gewählten Gerichtsstand geltenden materiellen (Haftungs-)Recht stehen nicht im Zusammenhang mit diesen Erfordernissen. Es darf daher weder die Angemessenheit der Gerichtsstandsklausel noch das vom Verwender verfolgte Ziel geprüft werden, und das am Gerichtsstand geltende materielle Recht hat (selbst wenn es zu einer Haftungsbeschränkung des Verwenders der Gerichtsstandsklausel führt) keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Gerichtsstandsklausel. Daher braucht, damit die Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 25 EuGVVO 2012 wirksam ist, kein berechtigtes Interesse der Parteien an der Wahl des vereinbarten Gerichtes bestehen. Außerdem ist der Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit vereinbart worden ist, zur Justizgewährung verpflichtet. Seine Gerichte haben keinen Ermessensspielraum, und zwar auch dann nicht, wenn weder die Parteien noch der Streitgegenstand einen Bezug zum prorogierten Mitgliedstaat haben. Jede Form einer „forum-non-conveniens-Prüfung“ ist nämlich verboten (Simotta, aaO, Rz 24 ff ).
2.3. Damit sind auch die Ausführungen der Klägerin zu fehlenden Anknüpfungspunkten nicht zielführend. Es kann auch keine Rede davon sein, dass dementsprechende Vereinbarungen nach österreichischem oder deutschem nationalem Recht nichtig wären, wobei die Klägerin diese Auffassung ohnehin weder durch gerichtliche Entscheidungen noch mit Lehrmeinungen untermauert. Soweit Art 25 EuGVVO auf die „materielle Nichtigkeit“ einer Vereinbarung nach nationalem Recht abstellt, bezieht sich das nicht darauf, unter welchen Umständen an welche bestimmten Gerichte prorogiert werden kann und an welche nicht. Denn andernfalls hätten es die Mitgliedsstaaten in der Hand, jede Prorogation an ihre Gerichte zu verhindern, indem sie in ihrem nationalen Recht entsprechende Vereinbarungen für nichtig erklären.
3. Damit stellt sich die Frage, ob die Darlehensforderung von der in der Vereinbarung vom 6. April 2020 (Beil ./1; idF kurz: Vereinbarung) enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung umfasst ist oder nicht. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Gerichtsstandsvereinbarung an sich nicht strittig ist, es geht vielmehr nur darum, ob sie auch die Darlehensforderung betrifft oder nicht.
3.1. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung zur Bestimmung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Rechtsstreitigkeiten Sache des angerufenen nationalen Gerichts (EuGH C-214/89, Powell Duffryn/Petereit, Rn 36 f; C-269/95, Benincasa/Dentalkit , Rn 31; C-352/13, CDC Hydrogen Peroxide/Akzo Nobel ua , Rn 67; RS0004131, zuletzt 7 Ob 116/24w).
3.2. Nach österreichischem Recht ist bei der Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung – da diese kein materiellrechtlicher Vertrag ist – primär Prozessrecht anzuwenden. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Auslegung von Verträgen (§§ 914 ff ABGB) können daher nicht unmittelbar herangezogen werden. Soweit das Prozessrecht keine Auslegungsregeln zur Verfügung stellt, ist primär der objektive Erklärungswert festzustellen. Wenn dies nicht ausreicht, dann ist entsprechend der für alle Rechtsgebiete wirksamen allgemeinen Auslegungsregel des § 7 ABGB vorzugehen (RS0119823). Dementsprechend sind – soweit der öffentlich-rechtliche Charakter dies zulässt – die Vorschriften des Privatrechts über Verträge im Analogieweg lückenfüllend anzuwenden ( Simotta in Fasching/Konecny 3 § 104 JN Rz 9).
Es darf allerdings nicht durch Beweismittel, die über den Wortlaut der Urkunde hinausgehen, die Absicht der Parteien erforscht werden, etwa durch Zeugen, andere Urkunden oder Parteienvernehmungen (Simotta , aaO, Rz 10). Für die Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung eine Gerichtsstandsvereinbarung enthält, ist deren Wortlaut maßgebend. Eine Urkunde ist zum Nachweis einer Gerichtsstandsvereinbarung ungeeignet, wenn zu ihrer Auslegung andere Beweismittel herangezogen werden müssten (vgl RS0046779).
3.3. Daher ist alleine anhand des Wortlauts der (Nachtrags-)Vereinbarung zu ergründen, ob die Darlehensforderung davon umfasst ist und sich die Gerichtsstandsvereinbarung auch darauf bezieht. Es trifft also grundsätzlich zu, wenn die Klägerin in ihrem Rekurs die Auffassung vertritt, es sei unerheblich, was die Parteien (tatsächlich) wollten. Die dementsprechenden – vom Erstgericht aufgrund unmittelbarer Beweisaufnahmen getroffenen – Feststellungen sind daher unbeachtlich.
3.4. In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass in diesem Fall das Vorliegen „doppelrelevanter Tatsachen“ einer Zuständigkeitsprüfung nicht entgegensteht. An sich muss zwar bei solchen Tatsachen, aus denen sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die Begründetheit des Anspruchs folgt, die Schlüssigkeit des Klagevorbringens ausreichen, um nicht die Zuständigkeitsprüfung mit einer weitgehenden Sachprüfung zu belasten (RS0116404). Eine Klagezurückweisung mangels Nachweises dieses Sachverhaltes kommt selbst dann nicht in Betracht, wenn das Erstgericht von den Sachverhaltsbehauptungen des Klägers abweichende Feststellungen getroffen hat. Auch in diesem Fall ist bei der Prüfung der Zuständigkeitsfrage (nur) von den Behauptungen des Klägers auszugehen (RS0116404 [T3], RS0050455 [T6]).
Das gilt allerdings dann nicht, wenn nur der unstrittige Wortlaut einer Vertragsbestimmung auszulegen ist (RS0050455 [T11]). Da es hier nur um die Auslegung des Wortlauts der (Nachtrags-)Vereinbarung geht, kommt es nicht darauf an, inwieweit darin über die Forderung disponiert wird und folglich die Tatsache, dass diese davon umfasst ist, möglicherweise gleichzeitig (hier:) anspruchsvernichtend (und daher „doppelrelevant“) ist. Das – von der Klägerin im Übrigen gar nicht relevierte – Vorliegen einer doppelrelevanten Tatsache steht daher einer (der Entscheidung in der Hauptsache vorgelagerten) Zuständigkeitsprüfung nicht entgegen.
3.5. Die (ursprüngliche) Vereinbarung bezweckte ihrem Wortlaut nach die umfassende Klärung wechselseitiger Ansprüche der Parteien anlässlich des Ausscheidens von I* J* und der „mit ihm verbundenen Unternehmen“ aus der K*-L* (Pkte P-I und P-II, S 1/Beil ./1). Davon erfasst sind demnach Ansprüche von I* J* bzw der von ihm oder seinen Angehörigen (mittelbar) gehaltenen Gesellschaften gegenüber der K*-L* und der Gesellschafter F* H*, G* H* und O* H* bzw der von diesen (mittelbar) gehaltenen Gesellschaften, die mit dem Abschluss dieser Vereinbarung abschließend geregelt werden sollten (Pkt 9.1, S 10/Beil ./1). Gleiches sollte „spiegelbildlich“ für Ansprüche der K*-L* und der oa Gesellschafter bzw der von diesen (mittelbar) gehaltenen Gesellschaften gegen I* J* und mit diesem verbundenen Unternehmen gelten (Pkt 9.2, aaO). Darüber hinaus hielten die Vertragsparteien fest, dass weitere Ansprüche, gleich ob bekannt oder unbekannt, gleich aus welchem Rechtsgrund, nicht bestehen (aaO). Für Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem Vertrag vereinbarten sie die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichtes Ingolstadt in Deutschland (Pkt 13, S 12/Beil ./1).
3.6. Obwohl bereits dieser Wortlaut der Vereinbarung gewichtige Anhaltspunkte dafür enthält, dass die Parteien damit auch die gegenständliche Forderung regeln wollten (arg „Ansprüche, gleich ob bekannt oder unbekannt, gleich aus welchem Rechtsgrund bestehen nicht“, was objektiv nur so verstanden werden kann, dass solche nicht mehr geltend gemacht werden können), kommt es darauf nicht entscheidend an.
3.7. Denn in der Nachtragsvereinbarung wird die Forderung – was zwischen den Parteien an sich nicht strittig ist – ausdrücklich erwähnt (dort Pkt 2.9, S 13/Beil ./B). Damit haben die Parteien klargestellt, dass diese – unabhängig davon, ob das nach ihren Vorstellungen bereits bei der ursprünglichen Vereinbarung der Fall sein sollte – grundsätzlich von der Vereinbarung umfasst ist. Denn dabei handelt es sich um eine Forderung einer Seite gegen die andere Seite, die mit den Vereinbarungen abschließend geklärt werden sollte. Ob die Forderung nur bei Vorliegen der in diesem Punkt beschriebenen Prämisse (Scheitern des „M A-Prozesses“, aaO) oder (wie die Klägerin meint) unabhängig davon geltend gemacht werden kann, ist unerheblich. Denn die Parteien haben damit (objektiv) jedenfalls eine Regelung in Bezug auf diese Forderung vorgenommen (in welcher Richtung auch immer).
3.8. Zusammengefasst handelt es sich damit um eine (zumindest) der Nachtragsvereinbarung unterliegende Forderung. Im Zusammenhalt damit, dass nach dem Wortlaut der Nachtragsvereinbarung die ursprüngliche Vereinbarung damit nur ergänzt, ansonsten aber fortgelten sollte, sofern keine ausdrücklich abweichende Regelung getroffen wird (lit E der Präambel der Nachtragsvereinbarung, S 6/Beil ./B), kann (objektiv) kein Zweifel bestehen, dass die in der ursprünglichen Übereinkunft enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung auch für Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit der Nachtragsvereinbarung gelten sollte.
4. Ein derartiger Verweis auf eine frühere Gerichtsstandsvereinbarung ist zulässig. Das Schriftformerfordernis des Art 25 EuGVVO zielt darauf ab, den unbemerkten Eingang von Gerichtsstandsklauseln in den Vertrag zu verhindern und im Interesse der Rechtssicherheit die andere Partei vor überraschenden Gerichtsständen zu schützen. In allen Konstellationen muss gewährleistet sein, dass die Parteien einer Klausel tatsächlich zugestimmt haben (RS0113570). Dabei muss der Wille beider Parteien, durch die Gerichtsstandsklausel eine der Parteien zu begünstigen, deutlich zum Ausdruck kommen, soll doch Versuchen einer extensiven Auslegung des Art 25 EuGVVO, die die mit einer Gerichtsstandsvereinbarung bezweckte Rechtssicherheit gefährden würden, eine Absage erteilt werden (RS0113571).
Dem Erfordernis der Schriftlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 25 Abs 1 lit a Fall 1 EuGVVO kann aber nach der ständigen Rechtsprechung von EuGH und OGH auch durch Bezugnahme auf (nicht in den Vertragstext integrierte) Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) entsprochen werden. Ob die AGB zum Vertragsinhalt geworden sind, ist übereinkommensautonom (5 Ob 233/05h) und streng, aber ohne überspitzten Formalismus zu prüfen ( Simotta in Fasching/Konecny 3 V/1 Art 25 EuGVVO 2012 Rz 132 mwN).
Wenn daher selbst in AGB enthaltene Gerichtsstandsvereinbarungen (unter der Voraussetzung, dass diese der anderen Partei vorgelegen sind oder sie bei Anwendung „normaler Sorgfalt“ zumindest davon Kenntnis erlangen hätte können, vgl RS0111716 zu Art 17 LGVÜ) zulässig sind, muss das umso mehr für die hier – nicht von einer der Parteien einseitig vorgegebene, sondern im Einzelnen ausgehandelte – Vereinbarung gelten. Im Übrigen wird in der Nachtragsvereinbarung nicht nur ausdrücklich auf die unverändert fortgeltenden Bedingungen der ursprünglichen Vereinbarung verwiesen, sondern ganz zu Beginn sogar betont, dass die ursprüngliche Vereinbarung der Nachtragsvereinbarung als „Anlage A“ beigefügt wird (lit A der Präambel der Nachtragsvereinbarung, S 1/Beil ./B).
5. Zusammengefasst unterliegt die Darlehensforderung daher der (Nachtrags-)Vereinbarung und der darin enthaltenen (zulässigen) Gerichtsstandsvereinbarung, weshalb das Erstgericht im Ergebnis seine internationale Zuständigkeit zutreffend verneint und die Klage zurückgewiesen hat. Dem dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin kommt daher keine Berechtigung zu.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung eines Revisionsrekurses gemäß § 528 Abs 1 ZPO liegen nicht vor, weil die entscheidungserhebliche Frage, ob eine bestimmte Forderung einer Gerichtsstandsvereinbarung unterliegt oder nicht, von den Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl RS0004131) und keine darüber hinausgehende Bedeutung hat.