8Bs6/25a – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Mag. Reinberg als Vorsitzende und Mag. Haidvogl, BEd, sowie den Richter Mag. Grosser in der Strafsache gegen A* und andere Personen wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall, § 15 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 19. Dezember 2024, GZ1*-350 in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
BEGRÜNDUNG:
Mit nach zwei Verhandlungstagen ergangenem Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 13. April 2023, GZ2*-283, das auch Schuldsprüche betreffend den Mitangeklagten B* sowie in Rechtskraft erwachsene Freisprüche enthält, wurde (unter anderem) der Erstangeklagte und bulgarische Staatsangehörige A* des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall, § 15 Abs 1 StGB sowie der Vergehen der Vorbereitung der Fälschung öffentlicher Urkunden nach § 227 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, die im Umfang von zwei Jahren unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehen wurde.
In teilweiser Stattgebung seiner Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wurde das Urteil vom Obersten Gerichtshof am 23. April 2024 – bezogen auf A* - in einem Teil der Schuldsprüche zu einzelnen Betrugsfakten, in der Subsumtion der verbleibenden Taten unter § 147 Abs 3 StGB, in der jeweils gebildeten Subsumtionseinheit, in den Strafaussprüchen einschließlich der Vorhaftanrechnungen, in den Zusprüchen an Privatbeteiligte, im Verfallsausspruch und Teilen des Einziehungserkenntnisses aufgehoben, und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Steyr als Schöffengericht verweisen. Grund für die genannten Aufhebungen war zusammengefasst zum einen Klärungsbedarf in Hinblick auf das Verfolgungshindernis der Spezialitätsbindung bezogen auf einzelne Tathandlungen des aufgrund eines Europäischen Haftbefehls von den bulgarischen Behörden an Österreich übergebenen A*, zum anderen teilweise fehlende Anhaltspunkte für Anknüpfungspunkte der inländischen Gerichtsbarkeit in den Urteilsfeststellungen. Weitere Aufhebungen betrafen den Mitangeklagten B* (ON 319).
Am 8. November 2024 (Einlangen) beantragte A* die schriftliche Übersetzung der Anklageschrift, der Urteile erster und zweiter Instanz, der beiden Hauptverhandlungsprotokolle und „der Gutachten zur Strafsache GZ2* des Landesgerichtes Steyr“ von der deutschen in die bulgarische Sprache, um es ihm zu ermöglichen, seine Verteidigung rechtzeitig organisieren zu können (ON 336; Übersetzung ON 338).
Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 350) gewährte der Vorsitzende des Schöffensenats zu Punkt 1./ Übersetzungshilfe durch schriftliche Übersetzung der Anklageschrift und des Urteils erster Instanz und wies zu Punkt 2./ den weiteren Antrag auf schriftliche Übersetzung des oberstgerichtlichen Urteils, der beiden Hauptverhandlungsprotokolle vom 12. und 13. April 2023 sowie „allfälliger Gutachten“ mit der Begründung ab, dass es sich um keine wesentlichen Aktenstücke nach § 56 Abs 3 StPO handle und die Erforderlichkeit einer Übersetzung im Sinn des § 56 Abs 4 StPO nicht gegeben sei, da der Erstangeklagte bei beiden Verhandlungsterminen persönlich anwesend gewesen sei und der Hauptverhandlung aufgrund entsprechender mündlicher Dolmetscherleistungen uneingeschränkt folgen habe können; abgesehen davon genüge für den (nunmehr wieder) durch einen Verteidiger vertretenen Angeklagten bezogen auf die genannten Aktenteile durchwegs eine mündliche Dolmetschleistung nach § 56 Abs 1, 2 und 5 StPO. Sachverständigengutachten seien im Akt nicht vorhanden.
Rechtliche Beurteilung
Gegen Punkt 2./ des Beschlusses, eingeschränkt auf die Abweisung des Antrags auf Übersetzung des Urteils des Obersten Gerichtshofes sowie der beiden Hauptverhandlungsprotokolle vom 12. und 13. April 2023, richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Angeklagten (ON 359), die zulässig (vgl OLG Wien 20 Bs 96/23y; OLG Linz 7 Bs 84/24p), aber nicht berechtigt ist.
Gemäß § 56 Abs 1 StPO hat ein Beschuldigter, der die Verfahrenssprache nicht spricht oder versteht, das Recht auf Dolmetschleistungen im Sinn des Abs 2 leg cit. Soweit dies zur Wahrung der Verteidigungsrechte und eines fairen Verfahrens erforderlich ist, hat der Beschuldigte das Recht auf schriftliche Übersetzung der wesentlichen Aktenstücke (Abs 3), die innerhalb einer angemessenen festzusetzenden Frist vorzunehmen ist. Gemäß § 56 Abs 2 StPO sind Dolmetschleistungen (vorrangig) mündlich zu erbringen und insbesondere für Beweisaufnahmen, Verhandlungen und auf Verlangen auch für den Kontakt des Beschuldigten mit seinem Verteidiger – sofern dieser Kontakt im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Beweisaufnahme, einer Verhandlung, der Erhebung eines Rechtsmittels oder einem sonstigen Antrag steht – zu gewährleisten. In § 56 Abs 3 StPO werden die wesentlichen Aktenstücke, die regelmäßig schriftlich zu übersetzen sind, angeführt, darunter die Anklage und die Ausfertigung des noch nicht rechtskräftigen Urteils. Weitere vom Beschuldigten konkret zu bezeichnende Aktenstücke sind auf Verlangen gemäß § 56 Abs 4 StPO zu übersetzen, soweit die Erforderlichkeit einer Übersetzung im Sinn des § 56 Abs 1 StPO begründet wird oder offenkundig ist.
Es liegt im Ermessen des zuständigen Gerichtes, ob neben den gemäß § 56 Abs 3 StPO jedenfalls schriftlich zu übersetzenden Unterlagen eine schriftliche Übersetzung weiterer Unterlagen nach § 56 Abs 4 StPO erforderlich ist (vgl auch Art 3 Abs 3 Richtlinie 2010/64/EU). Die vom Antrag bezeichneten nicht in § 56 Abs 3 StPO angeführten Unterlagen müssen jedenfalls diesen gleichwertig sein, um einen Anspruch des Beschuldigten auf schriftliche Übersetzung begründen zu können. Dass die in Rede stehenden Hauptverhandlungsprotokolle und das (rechtskräftige) Urteil des Obersten Gerichtshofs einer Anklageschrift oder einem nicht rechtskräftigen erstinstanzlichen Urteil mit Blick auf die Wesentlichkeit zur Wahrung der Verteidigungsrechte bzw eines fairen Verfahrens gleichwertig wären, ergibt sich auch aus dem Vorbringen des Angeklagten nicht.
Im Übrigen müssen nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2013 (ErlRV 2402 BlgNR XXIV. GP 9; vgl auch Bachner-Foregger in WK 2 § 56 StPO Rz 15; Nimmervoll , Strafverfahren 2 96; kritisch etwa McAllister/Wess , Linzer Kommentar 2 § 56 StPO Rz 26) in Strafverfahren, in welchen der Angeklagte – wie hier – durch einen (Verfahrenshilfe-)Verteidiger vertreten ist, „der seinerseits naturgemäß die Verfahrenssprache beherrscht, und dem für die maßgeblichen Kontakte mit seinem Mandanten eine mündliche Dolmetschleistung im Sinne des Abs. 2 zur Verfügung zu stellen ist, in aller Regel zusätzlich keine schriftlichen Übersetzungen gewährt werden [...]; vielmehr sollen dem Beschuldigten die wesentlichen Unterlagen zusammenfassend mündlich übersetzt werden können“.
Weder aus § 56 StPO noch aus Art 6 Abs 3 lit e EMRK ergibt sich ein unbeschränkter Anspruch des Angeklagten auf Übersetzung aller Aktenstücke in allen Einzelheiten; es genügt, dass es dem Angeklagten durch den Übersetzungsbeistand ermöglicht wird, den ihm zur Last gelegten Vorwurf zu kennen und sich dagegen zu verteidigen, insbesondere seine Version der Ereignisse dem Gericht vorzutragen (vgl Bachner-Foregger in WK-StPO § 56 Rz 2; RIS-Justiz RS0109920). Eine Übersetzung schriftlicher Urkunden ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn die Urkunden in der mündlichen Verhandlung oder bei der Urteilsverkündung übersetzt werden. Soweit die zentrale Bedeutung des Verfolgungsantrags beachtet und insgesamt ein faires Verfahren gewährleistet wird, lässt der EGMR mündliche Übersetzungen zu, weil weder Art 6 Abs 3 lit a noch Art 6 Abs 3 lit e EMRK ausdrücklich eine schriftliche Übersetzung der Anklage fordert (15 Os 157/12w mwN; vgl auch RIS-Justiz RS0109920, RS0075094).
Der Angeklagte hat das Erfordernis einer schriftlichen Übersetzung des Urteils des Obersten Gerichtshofs und der beiden Hauptverhandlungsprotokolle nicht hinreichend dargetan.
Zu den Hauptverhandlungsprotokollen ist auszuführen, dass bei beiden Terminen sowohl der Erstangeklagte als auch seine Verteidigerin und eine Dolmetscherin anwesend waren. Der Erstangeklagte kennt demnach die Inhalte der früheren Verhandlung aus eigener Wahrnehmung. Auch vor dem Hintergrund des im zweiten Rechtsgang vor einem neu zusammengesetzten Gericht wiederum geltenden Gebots der Mündlichkeit des Verfahrens ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine schriftliche Übersetzung dieser aus dem ersten Rechtsgang stammenden Protokolle erforderlich sein sollte. Für die (laut Beschwerdevorbringen geplante) Besprechung mit dem Verteidiger ist Übersetzungshilfe ausdrücklich vorgesehen (§ 56 Abs 2 StPO) und besteht dabei die Möglichkeit, bei Bedarf die betreffenden Protokolle bzw relevante Teile davon mündlich (zusammengefasst) übersetzen zu lassen.
Gleiches gilt auch für die genannte oberstgerichtliche Entscheidung. Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchen besonderen Gründen es zusätzlich zu dieser Möglichkeit der mündlichen Übersetzung im Rahmen des Kontakts mit dem Verteidiger einer schriftlichen Übersetzung bedürfen sollte. Der vorliegende Fall ist insbesondere auch nicht so komplex, dass die Notwendigkeit einer derartigen zusätzlichen Dolmetschleistung zur Wahrung der Verteidigungsrechte bzw eines fairen Verfahrens offenkundig wäre. Entgegen der Ansicht des Erstangeklagten ist eine effektive Verteidigung zusammengefasst auch ohne die mit der Beschwerde begehrten zusätzlichen schriftlichen Übersetzungen möglich, sodass dem Rechtsmittel kein Erfolg beschieden war.
RECHTSMITTELBELEHRUNG:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.