7Bs92/24i – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Dr. Gföllner als Vorsitzende, den Richter Mag. Koller und die Richterin Dr. Ganglberger-Roitinger in der Strafsache gegen A* wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 StGB über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Wels vom 10. Juni 2024, 11 Hv 42/24a-36, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem bekämpften Urteil wurde A* in Abwesenheit (vgl dazu US 4) des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 StGB schuldig erkannt, über ihn eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verhängt und er zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verpflichtet. Mit zugleich gefasstem Beschluss wurden ihm gemäß §§ 50 ff StGB die Weisungen erteilt, (1.) die begonnene Psychotherapie bei der Männerberatung oder einem anderen, in Österreich zugelassenen Psychotherapeuten fortzusetzen, wobei die Betreuungsintervalle vom behandelnden Therapeuten vorzugeben sind; der erste Nachweis, die Therapie fortgesetzt zu haben, hat bis 1. September 2024 bei Gericht einzulangen, danach in halbjährlichen Intervallen; (2.) zudem hat der Angeklagte für die Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung im Verfahren 63 C 6/24m des Bezirksgerichts Vöcklabruck jeglichen persönlichen Kontakt mit Mag. B*, sei es persönlichen, brieflich oder auf sonstige Weise, insbesondere auch via Social Media (Facebook, WhatsApp, Instagram, Snapchat etc) oder auf sonstige Weise zu unterlassen sowie es zu unterlassen, über dritte Personen Kontakt mit Mag. B* aufzunehmen oder sich in der C* D*, **straße **, ** D*, aufzuhalten. (ON 35, 5 f).
Hauptverhandlungsprotokoll (ON 35) und (Abwesenheits-)Urteil, welches auch eine umfassende Rechtsmittelbelehrung enthält (vgl US 6), wurden dem Angeklagten am 20. Juni 2024 zu eigenen Handen zugestellt.
Das am 5. Juli 2024 zur Post gegebene und am 10. Juli 2024 beim Erstgericht eingelangte, als „Antrag auf Revision (Berufung)“ bezeichnete Schreiben des Angeklagten (ON 49), das weitgehend inhaltsgleich am 9. Juli 2024 auch elektronisch eingebracht wurde (ON 48), ist als Berufung – in erster Linie gegen den Ausspruch über die Strafe – zu werten; Einspruchsgründe im Sinn des § 427 Abs 3 StPO sind dem Schreiben nicht zu entnehmen.
Die Oberstaatsanwaltschaft beantragte in ihrer Stellungnahme, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, weil die in § 466 Abs 1 iVm § 489 Abs 1 StPO normierte dreitägige Anmeldungsfrist für die Berufung gegen das fallkonkret nicht als Abwesenheitsurteil zu qualifizierende Urteil am 13. Juni 2024 abgelaufen ist und, selbst bei Bejahung des Vorliegens eines Abwesenheitsurteils, auch die diesfalls 14-tägige Anmeldungsfrist nach § 427 Abs 3 StPO am 4. Juli 2024 abgelaufen wäre.
Der Angeklagte erstattete dazu eine Gegenäußerung, in welcher er einerseits sein Berufungsvorbringen wiederholt, andererseits eine schlechte Beratung durch seine Verteidigerin releviert.
Die Berufung ist – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Linz vom 17. Juli 2024 – verspätet und damit unzulässig.
Gemäß § 427 Abs 1 StPO darf, wenn der Angeklagte bei der Hauptverhandlung nicht erschienen ist, bei sonstiger Nichtigkeit die Hauptverhandlung und die Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten nur vorgenommen werden, wenn es sich bei der ihm angelasteten Straftat um ein Vergehen handelt, der Angeklagte förmlich als Beschuldigter vernommen wurde und ihm die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt wurde; ferner muss eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts trotz Abwesenheit des Angeklagten möglich sein ( Kirchbacher , StPO 15 § 427 Rz 8). Das Urteil ist in diesem Fall dem Angeklagten in seiner schriftlichen Ausfertigung zuzustellen.
Gegen ein Abwesenheitsurteil stehen dieselben Rechtsmittel offen wie gegen jedes andere Urteil. Auch dem in Abwesenheit schuldig gesprochenen Angeklagten stehen unabhängig davon, ob er Einspruch erheben kann und will, Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung zu. Eine Änderung besteht nur insofern, als der Angeklagte, der einen Einspruch erhebt, Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung zugleich, also binnen 14 und nicht binnen drei Tagen anmelden kann (vgl Kirchbacher , StPO 15 § 427 Rz 20).
Nach §§ 489 Abs 1, 466 Abs 1 StPO ist die Berufung gegen ein mündlich verkündetes Urteil binnen drei Tagen anzumelden. Gegen ein in seiner Abwesenheit gefälltes Urteil kann der Angeklagte beim Landesgericht innerhalb von 14 Tagen Einspruch erheben, wenn er nachweisen kann, dass er durch ein unabweisbares Hindernis abgehalten wurde, in der Hauptverhandlung zu erscheinen. Mit diesem Einspruch kann auch nach Ablauf der ansonsten dreitägigen Anmeldungsfrist noch die Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Abwesenheitsurteil verbunden werden (§ 427 Abs 3 StPO).
Ein Abwesenheitsurteil im Sinn des § 427 StPO liegt nur dann vor, wenn der Angeklagte zwischen Aufruf der Sache (§ 239 erster Satz StPO) und Schluss der Verhandlung (§ 257 StPO) nicht persönlich anwesend war, das Gericht also (zumindest teilweise) in seiner Abwesenheit verhandelt hat. Soll die Anwendung der Bestimmungen über das Abwesenheitsverfahren vermieden werden, muss der Angeklagte selbst während der gesamten Hauptverhandlung anwesend sein; die Vertretung durch einen (frei gewählten oder bestellten) Verteidiger genügt nicht (vgl Bauer in WK-StPO § 427 Rz 2).
Ist für das Gericht bereits im Zeitpunkt der Durchführung der Hauptverhandlung ersichtlich, dass der Angeklagte durch ein unabwendbares Hindernis vom Erscheinen abgehalten worden ist, ist die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils in Abwesenheit unzulässig (RIS-Justiz RS010659; Bauer in WK-StPO § 427 Rz 14). Als unabweisbares Hindernis kommt unter anderem eine Erkrankung des Angeklagten in Betracht (vgl Bauer in WK-StPO § 427 Rz 19).
Dem Angeklagten steht es indes grundsätzlich frei, in einem auf den Schutzzweck des § 427 StPO abgestimmten Bereich durch – wie hier (vgl ON 35, 2 und ON 35.1 Beilage ./I) – persönliche und unmissverständliche Erklärung auf seine Anwesenheit in der (gesamten oder bloß in Teilen der) Hauptverhandlung zu verzichten bzw der Verhandlung in seiner Abwesenheit zuzustimmen, in welchem Fall Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO ausscheidet ( Bauer in WK-StPO § 427 Rz 15; RIS-Justiz RS0115797).
Auch wenn der - am 10. Juni 2024 erkrankte - Angeklagte ausdrücklich auf seine Teilnahme an der Hauptverhandlung verzichtete, weshalb von einer Vertagung (§ 226 StPO) Abstand genommen werden konnte, ist von einem Abwesenheitsurteil im Sinn des § 427 StPO auszugehen (vgl Venier in Bertel/Flora/Venier , StPO:Kommentar 2 § 427 Rz 4 mwN; aA: Bauer in WK-StPO § 427 Rz 2; Nimmervoll , Strafverfahren 2 Kapital V Rz 88).
Vorliegend endete die dreitägige Frist für die Anmeldung der Berufung gegen das am 10. Juni 2024 verkündete und am 20. Juni 2024 dem Angeklagten zugestellte (Abwesenheits-)Urteil am 24. Juni 2024. Die 14-tägige Anmeldefrist für eine mit einem Einspruch gegen das Abwesenheitsurteil zu verbindende Berufung endete am 4. Juli 2024.
Die als „Antrag auf Revision“ bezeichnete Berufung des Angeklagten wurde erst am 5. Juli 2024, mithin in jedem Fall verspätet, zur Post gegeben und war daher über Antrag der Oberstaatsanwaltschaft schon in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 470 Z 1 erster Fall StPO iVm § 489 Abs 1 StPO als unzulässig zurückzuweisen, wodurch sich ein Eingehen auf das Berufungsvorbringen erübrigt.
Rechtsmittelbelehrung: