JudikaturOLG Linz

10Bs83/24p – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
29. April 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Henhofer als Vorsitzende und Mag. Höpfl sowie den Richter Mag. Graf in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 7. April 2024, 29 Hv 110/23d-20, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Hauptverfahrens aufgetragen.

Text

Mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 29. September 2023, 3 St 158/23v (ON 9), wird dem am ** geborenen A* zur Last gelegt, er habe in ** und anderenorts vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar Kokain (enthaltend 68,3% Cocain)

I. seit einem noch festzustellenden Zeitpunkt im Herbst 2022 bis 8. März 2023 in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge, und zwar 100 Gramm Kokain, anderen überlassen;

II. seit einem noch festzustellenden Zeitpunkt bis 9. Mai 2023 ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen .

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde das wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, (Abs 2) SMG zu 29 Hv 110/23d des Landesgerichtes Salzburg behängende Verfahren vom Erstgericht – unter Annahme der Privilegierung nach § 28a Abs 3 erster Fall SMG - gemäß §§ 35 Abs 2, 37 SMG unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit vorläufig eingestellt (ON 20).

Der dagegen von der Anklagebehörde erhobenen Beschwerde (ON 21) kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Vom Vorliegen der - in § 28a Abs 3 SMG angesprochenen - Voraussetzungen des § 27 Abs 5 SMG ist dann auszugehen, wenn der Täter an Suchtmittel gewöhnt ist und die in Rede stehenden Straftaten vorwiegend deshalb begangen hat, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen.

Auch ein – mit Blick auf § 28a Abs 1 oder 3 SMG von Gesetzes wegen mögliches - Vorgehen nach § 35 Abs 2 SMG stellt insbesondere darauf ab, dass der Angeklagte an Suchtmittel gewöhnt ist, seine Schuld weiters nicht schwer ist und der Rücktritt nicht weniger als eine Verurteilung geeignet erscheint, ihn von solchen Straftaten abzuhalten.

„Vorwiegend“ iSd § 27 Abs 5 SMG bedeutet, dass mehr als die Hälfte des Gewinnes (nicht des Erlöses) in die neuerliche Suchtmittelbeschaffung für den Eigenkonsum fließen sollte, wobei auf die Absicht zur Tatzeit abzustellen ist (vgl Matzka/Zeder/Rüdisser , SMG 3 § 27 Rz 98/2). An ein Suchtmittel gewöhnt ist, wer dieses (auch wenn es keine physische Abhängigkeit bewirkt oder bewirken kann) mit Selbstverständlichkeit (ohne besonderen Anlass, in regelmäßigen, zeitlich nahe liegenden, nicht notwendig täglichen Abständen) gebraucht oder wem sein (unregelmäßig bleibender, aber wiederkehrender) Genuss so sehr zum Bedürfnis geworden ist, dass er ihn nicht oder nur mit äußerster Anstrengung der Willenskraft (nur unter Bekämpfung von massiven entgegenstehenden Willensimpulsen) unterlassen kann. Eine behandlungsbedürftige Sucht im Sinn einer physischen Abhängigkeit, eines medizinischen Krankheitswertes oder einer psychotherapeutischen Behandlungsbedürftigkeit ist jedoch nicht erforderlich. Die Regel bedeutet keine „Belohnung“ für Suchtmittelkonsumenten, sondern nimmt darauf Rücksicht, dass jede Abhängigkeit das Ausmaß des Verschuldens mindert: Je schwerer jemand imstande ist, den Genuss von Suchtmitteln zu unterlassen, umso geringer seine Schuld. Allerdings sind jene Tatsachen, aus welchen auf die Voraussetzungen des § 27 Abs 5 SMG geschlossen wird, konkret anzuführen, wobei der Zweifelsgrundsatz „in dubio pro reo“ zur Anwendung gelangen kann. Dem Täter muss es im Tatzeitpunkt auf die Beschaffung von Suchtmitteln oder der Mittel hiefür ankommen, wiewohl dies nicht einziges, aber doch überwiegendes Tatmotiv sein muss (vgl Matzka/Zeder/Rüdisser aaO § 27 Rz 101 ff).

Hiezu ist fallkonkret auszuführen, dass weder der angefochtene Beschluss konkrete Tatsachen zur Frage der Suchtgiftgewöhnung des Angeklagten noch zur Frage der (Sucht-)Mittelbeschaffung (durch Überlassen einer die Grenzmenge übersteigenden Menge Kokain an andere) für den eigenen Konsum ins Treffen führt noch aus den Angaben des Angeklagten selbst solche zu ersehen sind (ON 2.6, ON 2.10, ON 15.1 und S 2 in ON 17). Es ist somit auf Basis des Akteninhaltes nicht nachvollziehbar, woran das vom Verteidiger behauptete Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 Abs 5 SMG festzumachen sein sollte. Dies gilt umso mehr, als A* über ausdrückliches Befragen im Rahmen seiner Einvernahme vor der Polizei (bereits) am 9. Mai 2023 angab, sich nicht abhängig zu fühlen und darüber hinaus keine diesbezüglich aufschlussreichen Angaben tätigte (sh ua S 4, 12 und 14 je in ON 2.6).

Gleiches gilt für den weiteren Aspekt der Tatbegehung vorwiegend mit der Intention, sich für den persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, zumal bislang keine entsprechenden Angaben des Angeklagten dazu vorliegen. Aus den Protokollen der Telefonüberwachung ergibt sich ua, dass der Angeklagte durch die Suchtgiftweitergaben einen Gewinn erwirtschaften wollte. Die Gesprächsinhalte zur Abwicklung von Suchtgiftgeschäften lassen darauf schließen, dass A* keine „Sammelbestellungen“ in seinem Namen tätigte und somit im Anschluss – von B* unabhängig – eine bloße Weiterleitung an Freunde oder Bekannte vornahm. Vielmehr wurde B* von ihm über die jeweiligen Umstände, insbesondere über die Geldbeschaffung, eingehend in Kenntnis gesetzt (sh insb S 8 f, 31, 34 ff, 39 ff je in ON 2.11, S 19 f in ON 2.12).

Von einem hinreichend geklärten Sachverhalt, der die Beurteilung der Schuldfrage möglich macht, kann daher derzeit nicht ausgegangen werden.

Auch eine diversionelle Vorgangsweise nach §§ 198 ff StPO setzt voraus, dass keine schwere Schuld vorliegt, wobei jeweils jener Schuldbegriff maßgeblich ist, der in § 32 Abs 1 StGB als Grundlage für die Bemessung der Strafe vorausgesetzt wird. Die Prüfung dieser Frage verlangt stets nach Lage des konkreten Falles eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände. Handlungs- und Gesinnungsunwert müssen daher insgesamt eine Unwerthöhe erreichen, die im Wege einer überprüfenden Gesamtbewertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist. Dabei kommt der vom Gesetzgeber in der Strafdrohung zum Ausdruck gebrachten Vorbewertung des deliktstypischen Unrechts- und Schuldgehalts eine Indizwirkung für die Schuldabwägung zu (RIS- Justiz RS0116021, RS0122090 ua).

Während die Strafobergrenze des § 28a Abs 3 SMG von drei Jahren – bezogen auf den Gesamtkreis diversionstauglicher Delikte – auf einen in der Regel durchschnittlichen Schuldgehalt schließen lässt, bewegt sich die Strafobergrenze des § 28a Abs 5 SMG mit fünf Jahren im Bereich der gerade noch diversionsfähigen Delikte, was in der Regel ein hohes Maß an krimineller Energie und einen erheblichen sozialen Störwert und damit einen gesteigerten Unrechtsgehalt signalisiert.

Da eine abschließende Beurteilung nicht möglich ist, war dem Erstgericht in Stattgabe der Beschwerde die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.

RECHTSMITTELBELEHRUNG:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiteres Rechtsmittel nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

BEGRÜNDUNG:

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