9Bs50/16s – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richter Dr. Winsauer als Vorsitzenden und Dr. Morbitzer sowie die Richterin Mag. Hemetsberger in der Strafsache gegen W***** B***** wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über dessen Einspruch gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Linz vom 17. Dezember 2015, 3 St 194/15a (= ON 121 in 12 Hv 116/15y des Landesgerichts Linz), sowie aufgrund der vom Vorsitzenden des Schöffengerichts des Landesgerichts Linz gemäß § 213 Abs 6 StPO geäußerten Bedenken in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Einspruch und die vom Vorsitzenden des Schöffengerichts des Landesgerichts Linz gemäß § 213 Abs 6 StPO geäußerten Bedenken werden zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit ihrer Anklageschrift vom 17. Dezember 2015 (ON 121) legt die Staatsanwaltschaft Linz W***** B***** das Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB (idF vor BGBl I 2015/112) und das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB (idF vor BGBl I 2015/112) zur Last.
Demnach habe W***** B***** in Linz
I. als selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der nachgenannten Gesellschaften Bestandteile des Vermögens der B***** GmbH beiseite geschafft und sonst deren Vermögen wirklich verringert und dadurch die Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger oder wenigstens eines von ihnen vereitelt oder geschmälert, wobei er durch die Taten einen EUR 50.000,00 übersteigenden Schaden in Höhe von insgesamt EUR 275.793,65 herbeiführte, indem er am 28. Mai 2009 eine Sachausschüttung in Höhe von EUR 275.793,65 zugunsten der I***** H***** GmbH vornahm;
II. als Geschäftsführer der S***** Errichtungs- und Betriebs GmbH im Zeitraum von 1. Jänner 2011 bis März 2012 in einer Vielzahl von Angriffen mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen Dr. P***** B***** zu Handlungen, nämlich zur Erbringung von Anwaltsleistungen im Gesamtwert von zumindest EUR 80.000,00, verleitet, die diesen oder einen anderen im genannten – mithin EUR 50.000,00 übersteigenden – Betrag am Vermögen schädigten, indem er die Zahlungsfähigkeit der S***** Errichtungs- und Betriebs GmbH vorspiegelte, wobei er die Betrügereien in der Absicht beging, sich durch deren wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.
Der dagegen erhobene Einspruch des Angeklagten (ON 124) und die vom Vorsitzenden des Schöffengerichts des Landesgerichts Linz gemäß § 213 Abs 6 StPO geäußerten Bedenken (ON 125), wozu sich die Oberstaatsanwaltschaft Linz in ihren Stellungnahmen vom 23. Februar 2016 geäußert hat, sind nicht zulässig.
Zum Einspruch:
Zur Überprüfung der Rechtzeitigkeit des Einspruchs ist voranzustellen, dass beim Landesgericht Linz zu 20 Hv 69/13t ein Strafverfahren gegen W***** B***** anhängig war, in dem der Angeklagte mit dem seit 30. Mai 2016 rechtskräftigen Urteil vom 28. September 2015 wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB (idF BGBl I 2004/136), (zu ergänzen: § 161 Abs 1 erster Satz StGB) und des Vergehens der Begünstigung eines Gläubigers nach § 158 Abs 1 StGB zu einer (teilbedingten) Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Zudem wurde dem Staatsanwalt gemäß § 263 Abs 2 StPO die selbständige Verfolgung des Angeklagten wegen des Vorwurfs der (hier gegenständlichen) ausgedehnten Fakten ausdrücklich vorbehalten (vgl. S 2 in ON 114).
Da W***** B***** im genannten Verfahren durch Rechtsanwalt Mag. T***** M***** als Wahlverteidiger vertreten wurde, stellte das Erstgericht die am 18. Dezember 2015 beim Erstgericht eingebrachte (S 74 in ON 1) Anklageschrift diesem Verteidiger mit folgender (bloßer) Anmerkung zu:
„Aufgrund der Ausdehnung der Anklage in 20 Hv 69/13t, in welchem Strafverfahren Sie den Angeklagten vertreten, um jene in der übermittelten Anklage enthaltenen Fakten, geht das Gericht davon aus, dass Sie die Vollmacht nunmehr auch für dieses Verfahren haben, weshalb Ihnen die Anklage zugestellt wird. Diesfalls ersuche ich um Vollmachtsbekanntgabe auch zu diesem Verfahren bzw. verneinendenfalls um Mitteilung, dass Sie für dieses Verfahren nicht bevollmächtigt sind, dies binnen 14 Tagen“ (S 74 in ON 1).
Die Anklageschrift wurde dem Verteidiger am 22. Dezember 2015 zugestellt (vgl. Zustellschein auf ON 121). Am 30. Dezember 2015 langte die Mitteilung des Verteidigers ein, wonach er zur Zeit noch nicht mit der Vertretung des Angeklagten im gegenständlichen Verfahren beauftragt und bevollmächtigt worden sei (ON 123), woraufhin das Erstgericht die Anklageschrift dem in Kanada wohnhaften Angeklagten zustellte (S 75 in ON 1).
Am 3. Februar 2016 wurde der Einspruch des Angeklagten, vertreten durch Mag. T***** M*****, unter Hinweis auf die erteilte Vollmacht und die Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten am 29. Jänner 2016 (vgl. S 2 in ON 124) eingebracht.
Rechtliche Beurteilung
Die Anklageschrift ist dem Angeklagten zu eigenen Handen zuzustellen, weil sich der Einspruch an das Gericht richtet (§ 83 Abs 2 erster Satz StPO). Hat eine Partei allerdings einen (gesetzlichen, bestellten oder frei gewählten) Vertreter oder Verteidiger, so ist grundsätzlich diesem und nicht der Partei selbst zuzustellen; nur die Zustellung an den Vertreter ist rechtswirksam (Fabrizy, StPO12 § 83 Rz 5 mwN; Murschetz, WK-StPO § 83 Rz 2 mwN). Sofern der Angeklagte demnach einen Verteidiger hat, ist die Anklageschrift diesem zuzustellen (Abs 4 leg cit). Nur dann, wenn sich der Beschuldigte in Haft befindet, ist ihm die Anklageschrift gemäß § 213 Abs 3 StPO sogleich auszufolgen und seinem Verteidiger zuzustellen; die Frist zur Erhebung des Einspruchs richtet sich (nur) in diesem Fall nach der zuletzt bewirkten Zustellung (Fabrizy, StPO12 § 83 Rz 7).
Ein nach der Aktenlage bevollmächtigter Verteidiger ist solange als bestellter Vertreter einer Partei anzusehen, als dem Gericht die Kündigung oder der Widerruf dieser Vollmacht nicht bekannt gegeben wird, Eine rechtswirksame Zustellung der in § 83 Abs 4 StPO genannten Aktenstücke ist nur an den dem Gericht ausgewiesenen Vertreter möglich (vgl RIS-Justiz RS0096636).
Ausgehend von dem im Urteil des Landesgerichts Linz zu 20 Hv 69/13t enthaltenen Verfolgungsvorbehalt nach § 263 Abs 2 StPO, der darauf basierenden Anklageschrift, der im Verfahren 20 Hv 69/13t des Landesgerichts Linz dem Verteidiger Mag. T***** M***** als Wahlverteidiger erteilten Vollmacht und mit Blick auf dessen Mitteilung vom 30. Dezember 2015, demnach er mit der Vertretung in diesem Verfahren nicht (neuerlich) vom Angeklagten beauftragt wurde (ON 123), aber auch keine Kündigung der aufrechten Vollmacht bekannt gab, war eine rechtswirksame Zustellung der angefochtenen Anklageschrift nur an den Wahlverteidiger möglich.
Die Zustellung der Anklageschrift (§ 213 Abs 1 StPO) auch an den Angeklagten selbst, obwohl dieser nach der Aktenlage bereits durch Mag. M***** als Wahlverteidiger vertreten war, verstieß demnach gegen § 83 Abs 4 StPO (RIS-Justiz RS0097275) und löste keine neue Einspruchsfrist aus, weil diese Zustellung keine Rechtswirkung entfaltet hat (vgl dazu auch 11 Os 51/02 zur Grundrechtsbeschwerde). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die vom Staatsanwalt auf Basis eines Verfolgungsvorbehalts nach § 263 Abs 2 StPO eingebrachte Anklageschrift in einem neuen Verfahren geführt wird. Vergleichbar anzumerken bleibt, dass nach der Judikatur auch die persönliche Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten gegen § 83 Abs 4 StPO verstößt, wenn aus den dem Gericht übermittelten Unterlagen hervorgeht, dass der Angeklagte bereits im Ermittlungsverfahren durch einen Rechtsanwalt als Verteidiger vertreten war (vgl dazu 13 Os 90/10z).
Zu den Bedenken des Gerichtes gemäß § 213 Abs 6 StPO:
In Übereinstimmung mit den diesbezüglichen Ausführungen in der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Linz werden vom Erstgericht tatsächlich keine Bedenken gegen seine Zuständigkeit im Sinne des § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO aufgezeigt (vgl dazu Birklbauer/Mayrhofer, WK-StPO § 213 Rz 46f). Die Erwägungen des Erstgerichts zu den ausschließlich gemäß § 212 Z 1 StPO geäußerten Bedenken (vgl S 2 in ON 125) sind mit dem Gesetz nicht vereinbar. Für eine rechtsfortbildende analoge Prüfung nach § 485 Abs 1 StPO bleibt entgegen der Ansicht des Erstgerichts mangels erkennbarer Gesetzeslücke kein Raum. Der Vergleich mit der beim Einzelrichter des Landesgerichts normierten Vorgehensweise schlägt vor allem deswegen fehl, weil die amtswegige Überprüfung des Strafantrags dem Schutz der Interessen des Beschuldigten dient, dem selbst, im Gegensatz zum Verfahren vor Kollegialgerichten, kein Einspruchsrecht zusteht (vgl Fabrizy, StPO12 § 485 Rz 1). Daher waren auch die Bedenken als unzulässig zurückzuweisen.
Aus unzulässigen Einwendungen kann jedoch eine umfassende Prüfungspflicht des Oberlandesgerichts genauso wenig abgeleitet werden wie aus einem unzulässigen Einspruch. Andernfalls läge es in der Hand des Erstgerichts, durch unzulässige Bedenken eine vom Gesetz nicht vorgesehene Überprüfungsmöglichkeit der Anklageschrift durch das Oberlandesgericht auszulösen.
RECHTSMITTELBELEHRUNG:
Gegen diese Entscheidung steht ein Rechtsmittel nicht zu (§ 214 Abs 1 StPO).