12Rs25/16g – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Richter Dr. Klaus Henhofer als Vorsitzenden, Dr. Bernhard Prommegger und Dr. Barbara Jäger in der Sozialrechtssache der Klägerin R***** C*****, *****, gegen die Beklagte OÖ. L*****, *****, vertreten durch Prof. Haslinger Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen Versehrtenrente über den Rekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Februar 2016, 36 Cgs 52/10a-7, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass der Ausspruch über die Ersatzpflicht nach § 2 Abs 2 GEG ersatzlos entfällt.
Die Beklagte hat die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrte in der vorliegenden Sozialrechtssache die Zahlung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß wegen zweier am 18. November 1982 und am 2. Juli 2002 erlittener Dienstunfälle. Nach Vorliegen des unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens, aus dem sich für beide Unfälle jeweils eine MdE von 0 % ergab, zog die Klägerin am 16. August 2010 ihre Klage zurück. Das Erstgericht stellte daraufhin mit Beschluss vom 17. August 2010 die Beendigung des Verfahrens fest und verfügte am selben Tag, ohne die seitens der Beklagten unbeanstandet gebliebenen Gebühren des Sachverständigen Dr. C***** von EUR 408,00 beschlussmäßig zu bestimmen und ohne zugleich einen Grundsatzbeschluss nach § 2 Abs 2 GEG zu fassen, die Auszahlung der SV-Gebühren, die vom Rechnungsführer anordnungsgemäß durchgeführt wurde.
Über Ersuchen der Revisorin vom 19. November 2015 bestimmte das Erstgericht mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss nachträglich die Gebühren des Sachverständigen Dr. C***** mit EUR 408,00 und stellte zugleich fest, dass die Beklagte gemäß § 2 Abs 2 GEG die Ersatzpflicht für diese Gebühren treffe.
Gegen den Ausspruch ihrer Ersatzpflicht richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, ihre Ersatzpflicht zu beseitigen; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
Der seitens der Revisorin unbeantwortet gebliebene Rekurs ist im Ergebnis berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 1 Abs 1 Oö. LKUFG bedient sich das Land Oberösterreich als Dienstgeber der im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehenden Landeslehrer zur Wahrnehmung der Kranken- und Unfallfürsorge der beklagten Körperschaft öffentlichen Rechts. Die Klägerin ist gemäß § 2 Oö. LKUFG Mitglied der Beklagten und daher gemäß §§ 5 ff leg cit hinsichtlich Leistungen der Kranken- und Unfallfürsorge im gesetz- und satzungsmäßigen Ausmaß anspruchsberechtigt; insbesondere gebührt ihr als Pflichtleistung im Falle einer durch einen Dienstunfall verursachten körperlichen Schädigung gemäß § 13 Abs 1 Z 4 Oö. LKUFG bzw. Z 145 ff der Satzung der Beklagten eine dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entsprechende Versehrtenrente. Im Hinblick auf die Gleichwertigkeit der Leistungen der Beklagten im Vergleich zu jenen der Kranken- und Unfallversicherung öffentlich Bediensteter ist die Klägerin gemäß §§ 2 Abs 1 Z 2, 3 Z 2 B-KUVG von der Pflichtversicherung in der Kranken- und Unfallversicherung ausgenommen.
Gemäß § 39 Abs 3 Z 1 Oö. LKUFG hat die Beklagte hinsichtlich wiederkehrender Leistungen aus der Unfallfürsorge auf Antrag oder von Amts wegen Bescheide zu erlassen; Abs 6 leg cit eröffnet den Mitgliedern bei Streitigkeiten die Anrufung der ordentlichen Gerichte. Bei der vorliegenden gegen den abweislichen Bescheid der Beklagten vom 25. März 2010 gerichteten Leistungsklage auf Zahlung einer Versehrtenrente handelt es sich daher inhaltlich um eine Sozialrechtssache im Sinne des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG.
Gemäß § 77 Abs 1 Z 1 ASGG hat in einer Rechtsstreitigkeit zwischen einem Versicherungsträger und einem Versicherten - abweichend vom Kostenersatzrecht der ZPO und unabhängig vom Ausgang des Verfahrens - grundsätzlich der Versicherungsträger (unter anderem) die Gebühren der Sachverständigen zu tragen. Nur bei Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung hat der Versicherte gemäß § 77 Abs 3 ASGG die dadurch verursachten Kosten dem Versicherungsträger nach Billigkeit zu ersetzen. Gemäß § 75 Abs 1a ASGG ist der Erlag eines Kostenvorschusses zur Deckung der mit der Aufnahme eines Sachverständigenbeweises verbundenen Kosten nicht anzuordnen; die Auszahlung der Sachverständigengebühren erfolgt daher in Sozialrechtssachen regelmäßig aus Amtsgeldern.
Korrespondierend zur grundsätzlichen Kostentragungspflicht des Versicherungsträgers bestimmt § 93 ASGG den Ersatz des Aufwandes, der dem Bund (unter anderem durch die Auszahlung von Sachverständigengebühren) in Sozialrechtssachen erwächst: Abs 1 knüpft unmittelbar an § 77 Abs 1 Z 1 ASGG an und definiert die ersatzfähigen Kosten näher, während Abs 2 vorsieht, dass diese Kosten dem Bund auf die dort geregelte Weise vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zu ersetzen sind; das gerichtliche Einbringungsgesetz ist insoweit nicht anzuwenden. § 93 Abs 3 ASGG sieht schließlich eine interne Aufteilung des Kostenersatzes auf die einzelnen Versicherungsträger vor.
Die Beklagte macht nun geltend, sie sei kein Träger der Sozialversicherung, bei der vorliegenden vor den ordentlichen Gerichten auszutragenden Rechtsstreitigkeit mit der Klägerin (als ihrem Mitglied) handle es sich demnach um keine Sozialrechtssache im Sinne des § 65 Abs 1 ASGG, weshalb auch § 77 ASGG, der nur Rechtsstreitigkeiten zwischen einem Versicherungsträger und einem Versicherten betreffe, auf das vorliegende Verfahren keine Anwendung finde. Dafür gelte vielmehr gemäß § 41 ZPO die Kostenersatzpflicht der Klägerin, die im Verfahren zur Gänze unterlegen sei und deshalb auch allfällige Sachverständigengebühren zur Gänze zu tragen habe. Die mit dem angefochtenen Beschluss festgestellte Ersatzpflicht der Beklagten sei demnach verfehlt. Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:
Die Klägerin unterliegt unstrittig der Pflichtmitgliedschaft in der Kranken- und Unfallfürsorge nach den Oö. LKUFG. Bei der über Leistungsansprüche aus dieser Mitgliedschaft - über landesgesetzliche Verweisung im Rahmen der sukzessiven Kompetenz vor den ordentlichen Gerichten - geführten Streitigkeit handelt es sich damit ihrem Wesen nach zweifelsfrei um eine Sozialrechtssache im Sinne des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG, nämlich um eine Rechtsstreitigkeit über den Bestand bzw. den Umfang einer Versicherungsleistung. Auch wenn das ASGG an dieser Stelle ausdrücklich nur auf § 354 Z 1 ASVG und vergleichbare bundesgesetzliche Sonderversicherungen wie nach dem BKUVG, nicht aber (auch) auf das hier maßgebende Oö. LKUFG verweist, ändert dies nichts daran, dass es sich im konkreten Fall inhaltlich um eine völlig gleichgelagerte Leistungsstreitigkeit handelt. Die Aufzählung in § 65 Abs 1 ASGG, die Grundlage für die sachliche Zuständigkeit in Sozialrechtssachen bildet, ist nämlich - im Hinblick auf § 100 ASGG - nicht taxativ (RIS-Justiz RS0085836; Neumayr in ZellKomm² § 65 ASGG Rz 1 mwN). Weitere Sozialrechtssachen, die zu ihrer Qualifikation als solche einer ausdrücklichen gesetzlichen Verweisung bedürfen (RIS-Justiz RS0085836), waren früher etwa in den Landespflegegeldgesetzen enthalten (Neumayr aaO mwN) und sind - nach wie vor - solche mit Krankenfürsorgeeinrichtungen, deren Mitglieder wegen der Gleichwertigkeit der Leistungen von der Pflichtversicherung nach dem B-KUVG ausgenommen sind.
Die Verweisung des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG auf (beispielsweise) § 354 Z 1 ASVG stellt klar, dass von der gerichtlichen Zuständigkeit jene Streitigkeiten erfasst werden sollen, die im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren als Leistungssachen einzustufen sind. Eine Leistungssache nach § 354 Z 1 ASVG muss eine Rechtsstreitigkeit über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruches auf Versicherungsleistungen zum Gegenstand haben. Zwischen den Parteien muss daher entweder der Grund oder die Höhe (der Umfang) des Anspruchs auf Versicherungsleistungen oder das Ruhen eines solchen Anspruches streitig sein. Der Kern ist demnach die Frage der Gewährung oder Nichtgewährung von Versicherungsleistungen. Was nicht als Leistungssache im Sinne der taxativen Aufzählung des § 354 ASVG gelten kann, ist Verwaltungssache im Sinne des § 355 ASVG (10 ObS 58/06m mwN). Dieser Abgrenzung zu Verwaltungssachen dient die Zuständigkeitsregelung des § 65 ASGG, nicht aber dem Ausschluss vergleichbarer landesgesetzlicher Leistungsstreitsachen, die (hier: gemäß § 39 Abs 6 Oö. LKUFG) ausdrücklich den ordentlichen Gerichten zugewiesen sind.
§ 66 ASGG, der bei der Einteilung der Parteien Träger der Sozialhilfe und andere in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallende Entscheidungsträger ausdrücklich Versicherungsträgern gleichstellt, lässt keinen Zweifel daran, dass der Begriff „Versicherungsträger“ im Sinne des ASGG weit zu verstehen ist, über die gemäß § 31 Abs 1 ASVG im Hauptverband zusammengefassten Sozialversicherungsträger hinausgeht und insbesondere auch solche Entscheidungsträger wie die beklagte Körperschaft öffentlichen Rechts umfasst, deren Bescheide über landesgesetzliche Verweisung vor den Arbeits- und Sozialgerichten im Wege der sukzessiven Kompetenz bekämpft werden können. Die Beklagte gilt daher im Anwendungsbereich des ASGG als „Versicherungsträger“ und die Klägerin (als ihr Mitglied) als „Versicherte“, was zwischen den Parteien im Hauptverfahren auch nicht weiter strittig war.
Dies hat zur Folge, dass in der konkreten Sozialrechtssache nicht die allgemeinen Kostenregeln der ZPO, sondern die unter der Überschrift „Kostenersatzansprüche“ getroffenen Regelungen der §§ 77 ff ASGG zur Anwendung kommen. Unabhängig davon, ob, von wem und in welcher Höhe dem Bund die in einer Sozialrechtssache wie der vorliegenden aus Amtsgeldern bezahlten Gebühren später ersetzt werden, kommt eine Grundsatzentscheidung über die Kostenersatzpflicht nach § 2 Abs 2 GEG im sozialgerichtlichen Verfahren von vornherein nicht in Betracht, weil ohnedies die gesetzliche Kostentragungspflicht des Versicherungsträgers gilt (vgl zu den Versichertengebühren gemäß § 79 ASGG: VwGH 22. Juni 1998, 97/17/0439). Für die vom Hauptverband zu ersetzenden Kosten schließt außerdem § 93 Abs 2 ASGG die Anwendung des Gerichtlichen Einbringungsgesetzes ausdrücklich aus. Ob der Kostenersatz nach dieser Bestimmung (einschließlich des Rückersatzes nach § 93 Abs 3 ASGG) auch für Verfahren mit nicht im Hauptverband zusammengefassten Versicherungsträgern wie der Beklagten gilt oder ob insoweit in jedem Einzelfall § 2 Abs 1 GEG zur Anwendung kommt, ist nicht hier, sondern auf dem Verwaltungsrechtsweg zu klären.
Daraus folgt für den konkreten Fall: Obwohl das vorliegende Verfahren als Sozialrechtssache dem Kostenregime des ASGG unterliegt, erweist sich der Rekurs der Beklagten im Ergebnis als berechtigt, weil für die angefochtene Grundsatzentscheidung, die hier noch dazu nicht zugleich mit der richterlichen Auszahlungsanordnung, sondern erst Jahre später getroffen wurde, eine gesetzliche Grundlage fehlt. Der Ausspruch über die Ersatzpflicht der Beklagten hat daher spruchgemäß zu entfallen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 ZPO. Die Versicherungsträger haben auch die Kosten, die ihnen durch das Verfahren selbst erwachsen, ohne Rücksicht auf dessen Ausgang selbst zu tragen.
Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 3 - als Entscheidung im Kostenpunkt - und gemäß § 528 Abs 2 Z 5 ZPO - als Bestandteil des Gebührenbeschlusses - jedenfalls unzulässig (5 Ob 59/15k mwN).