JudikaturOLG Linz

9Bs49/16v – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
26. Februar 2016

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richter Dr. Winsauer als Vorsitzenden, Dr. Morbitzer und die Richterin Mag. Hemetsberger in der Strafsache gegen A***** E***** wegen Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung nach § 4 StVG über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichtes Steyr vom 23. Dezember 2015, 11 Hv 23/14h - 53, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der am 21. August 1976 geborene ungarische Staatsbürger A***** E***** wurde mit Urteil des Landesgerichtes Steyr als Schöffengericht vom 3. April 2014, 11 Hv 23/14h, wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, wobei gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB die Verwahrungs- und Untersuchungshaft von 4. Februar 2014, 15:00 Uhr (Verhaftung durch die ungarischen Behörden aufgrund eines seitens der Staatsanwaltschaft Steyr erwirkten Europäischen Haftbefehls) bis 3. April 2014, 10:30 Uhr, auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wurde.

Nach dem Schuldspruch hat A***** E***** am 23. April 2014 um ca. 02:00 Uhr in Steyr als Beteiligter im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den gesondert verfolgten und hierfür zu 11 Hv 52/13x des Landesgerichtes Steyr bereits rechtskräftig verurteilten Z***** N***** und L***** J***** der M***** S***** fremde bewegliche Sachen, nämlich Schmuckstücke im Wert von rund EUR 392.421,80, durch Aufzwängen der Eingangstür, sohin durch Einbruch in das Juweliergeschäft „Atelier M*****“, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht weggenommen, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (ON 35).

Das errechnete Strafende fällt auf den 4. Februar 2018; die Hälfte der Strafzeit hat der Beschwerdeführer seit 4. Februar 2016 verbüßt, zwei Drittel der Freiheitsstrafe voraussichtlich am 4. Oktober 2016 (vgl vom Beschwerdegericht eingeholte Vollzugsinformation der Justizanstalt Garsten vom 11. Februar 2016).

Mit Beschluss des Landesgerichtes Steyr vom 20. März 2015, 12 HR 8/15s-14, wurde die Übergabe des Verurteilten (an die Bundesrepublik Deutschland) zur Strafverfolgung der in dem Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichtes Bayreuth vom 20. Mai 2014 zu Gs 655/14 beschriebenen strafbaren Handlung für zulässig erklärt, jedoch gemäß § 25 Abs 1 Z 6 EU-JZG bis zur Verbüßung der zu 11 Hv 23/14h des Landesgerichtes Steyr verhängten unbedingten Freiheitsstrafe (vorläufig) aufgeschoben. Nach dem Inhalt des Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichtes Bayreuth vom 20. Mai 2014 wird dem Beschwerdeführer von der Staatsanwaltschaft Bayreuth das Verbrechen des schweren Bandendiebstahls gemäß §§ 242 Abs 1, 244 Abs 1 Nr. 3, 244a Abs 1, 25 Abs 2 dStGB mit einer angedrohten höchsten Freiheitsstrafe von zehn Jahren vorgeworfen. Demnach soll er sich gemeinsam mit zwei unbekannten Mittätern – während der Geschädigte im Obergeschoss schlief – durch Aufbohren der Terrassentür Zugang zu dessen Anwesen verschafft und Beute sowie den im Carport stehenden PKW im Gesamtwert von ca. EUR 80.100,00 entwendet haben, wobei er sich zuvor mit seinen Mittätern zur gemeinsamen Begehung von Eigentumsdelikten zusammenschloss, um sich so eine Einnahmequelle von erheblicher Dauer und einigem Gewicht zu verschaffen (vgl ON 2 in 12 HR 8/15s).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag des Verurteilten vom 21. November 2015 auf vorläufiges Absehen vom Strafvollzug gemäß § 4 StVG aus generalpräventiven Gründen ab.

Die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde des Verurteilten (ON 54 bzw 55) – zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft Linz nicht äußerte – ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Betroffene ist gemäß § 25 Abs 2 EU-JZG zu übergeben, wenn das erkennende Gericht vom Vollzug der gerichtlichen Freiheitsstrafe wegen der Übergabe absieht; ein solches Absehen vom Vollzug ist in den §§ 4 und 157 Abs 1 StVG vorgesehen. Sind die in § 4 StVG normierten Voraussetzungen gegeben, ist das Absehen vom Vollzug obligatorisch (Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 37 Rz 7). Anders als bei der bedingten Entlassung gem § 46 StGB ist ein Absehen vom Strafvollzug wegen Übergabe nach § 4 StVG weder von der Verbüßung eines bestimmten Teils der Freiheitsstrafe noch von persönlichen Voraussetzungen des Betroffenen, sondern ausschließlich von Erfordernissen der Generalprävention abhängig; dabei ist auf die Bedeutung und Schwere der Tat, das dadurch verursachte Aufsehen und die Höhe der Strafe Bedacht zu nehmen, nicht aber auf die Persönlichkeit, das Vorleben des Strafgefangenen und seine Aussichten auf ein redliches Fortkommen (näher Drexler, StVG § 4 Rz 1; Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 37 Rz 7). Die besonderen generalpräventiven Aspekte sind gegen die voraussichtliche Höhe der im Ausland zu erwartenden Strafe abzuwägen. Wenn der betroffenen Person im Ausstellungsstaat des Europäischen Haftbefehls ein Strafübel droht, das der inländischen Sanktion annähernd gleichwertig ist, ist der Generalprävention jedenfalls Genüge getan und der Betroffene an den Ausstellungsstaat zu übergeben (s zu § 37 ARHG OLG Linz 7 Bs 155/89, EvBl 1989/163, 627; ebenso Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 37 Rz 7).

Der Zweck der Generalprävention geht in die Richtung einer „Wertgeltungsbewährung“, worunter „die sozialethische Missbilligung der schuldhaften Tat und die Rücksichtnahme auf das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung“ verstanden wird (vgl Pallin, RZ 1980, S 120). Entscheidend ist somit auch das Ausmaß der Bedrohung der Rechtsordnung/Gesellschaft durch die Art der strafbaren Handlung. Zudem ist zu beachten, inwieweit es einer Gesellschaft gelingt, ihren Mitgliedern zu verdeutlichen, dass kriminelle Handlungsmuster keine attraktive Alternative zu konventionellen Lösungsansätzen darstellen (vgl Dölling in ZStW 102 (1990) Heft 1, S 11). Generalpräventive Erwägungen sind daher nicht von mehr oder weniger kurz bis mittelfristigen politischen bzw gesellschaftlichen Zuständen in bestimmten Regionen abhängig zu machen und sind positive Aspekte der Generalprävention nicht nur auf bestimmte Personenkreise oder Bevölkerungsgruppen beschränkt, sondern ist vielmehr eine generalisierende, strafrechtspolitische (Zweck)-Betrachtung notwendig.

Bei der dem laufenden Strafvollzug zu Grunde liegenden Tat handelt es sich um eine sozial besonders störende, der schweren Kriminalität zuzurechnende Tat, weil nicht nur gezielt Schmuckstücke in einem Wert von beinahe EUR 400.00,00 durch Einbruch in ein Juweliergeschäft erbeutet wurden, sondern weil die Täter zudem eigens zur Begehung dieser Straftat nach Österreich eingereist sind, weshalb derartige Delikte nicht nur streng zu ahnden sind, sondern auch besonderer Wert auf eine Außenwirkung durch eine entsprechende Dauer des Strafvollzugs zu legen ist.

Zutreffend liegen daher besondere generalpräventive Gründe vor, die zumindest einen teilweisen Vollzug der verhängten Strafe im Inland erfordern. Jedoch ist anzumerken, dass § 4 StVG keine auf Resozialisierung des straffällig gewordenen Täters gerichtete kriminalpolitische Zielsetzung kennt, sondern bezweckt, dass der österreichische Strafvollzug nur in dem aus generalpräventiven Erfordernissen unerlässlichen Ausmaß dauern soll, bevor der Strafgefangene an einen anderen Staat zur Strafverfolgung / Strafvollstreckung übergeben wird, wobei fallbezogen zu berücksichtigen ist, dass dem Beschwerdeführer bei einer Verurteilung in Deutschland wegen der im Europäischen Haftbefehl dargestellten Tat eine Strafe droht, die in einem Strafrahmen von höchstens bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe auszumessen ist.

Soweit das Erstgericht ausführt, dass generalpräventive Erwägungen auch noch nach zwei Drittel der vollzogenen Freiheitsstrafe einem Vorgehen nach § 4 StVG und somit einer Übergabe nach § 25 Abs 2 EU-JZG entgegenstehen, ist anzumerken, dass generalpräventive Erwägungen im Strafvollzug jedenfalls dann zurücktreten, wenn bereits zwei Drittel der Freiheitsstrafe verbüßt wurden (vgl § 46 Abs 2 StGB, § 133a Abs 2 StVG). Unter Berücksichtigung des Zwecks dieser in einen angeordneten Strafvollzug eingreifenden Bestimmungen (bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe nach § 46 Abs 1 StGB, vorläufiges Absehen vom Strafvollzug wegen Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbotes nach § 133a StVG) und der vom Gesetzgeber darin zum Ausdruck gebrachten Bedeutung der Generalprävention, können daher selbst besondere generalpräventive Gründe nach § 4 erster Satz StVG einem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung (zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung im Ausland) nach dem Vollzug von zwei Drittel der im Inland zu verbüßenden Strafhaft nicht mehr entgegenstehen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 7 Abs 2 StVG iVm § 89 Abs 6 StPO).

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