JudikaturOLG Linz

7Bs74/15d – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
18. Mai 2015

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Gföllner als Vorsitzende, Dr. Henhofer und Mag.a Hemetsberger in der Strafsache gegen M***** G***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 14. April 2015, 28 HR 102/15p-4, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Text

BEGRÜNDUNG:

Die Staatsanwaltschaft Salzburg führt zu 7 St 42/15b ein Ermittlungsverfahren gegen die am 17. Dezember 1996 geborene M***** G***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB. Nach den Ermittlungsergebnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz ist sie verdächtig, sich ab einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Ende Juni 2014 in Salzburg, an unbekannten Orten in Syrien und andernorts dadurch, dass sie entsprechend ihrer Ankündigung nach Syrien gereist und dort mit einem aktiven, ihr bis dahin unbekannten Kämpfer der Terrororganisation "Islamischer Staat", deren Ziel unter anderem die Begehung von Morden und erpresserischen Entführungen sei, die Ehe eingegangen sei, um in weiterer Folge für diesen im Hinterland der Front zu sorgen, wobei sie nach Tod ihres ersten Mannes wieder einen IS-Kämpfer geehelicht habe, als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben.

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 10. April 2015 auf Bewilligung der Anordnung der Festnahme der M***** G***** aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungs- bzw Tatausführungsgefahr gemäß § 170 Abs 1 Z 2 und Z 4, 171 Abs 1 StPO abgewiesen (ON 4). Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass sich die Mutter der Beschuldigten, S***** G*****, am 24. März 2015 ihrer Zeugenaussage entschlagen habe und Vater sowie Schwester der Beschuldigten bislang noch nicht als Zeugen einvernommen worden seien, demnach auch über ihr Aussagebefreiungsrecht noch nicht belehrt worden seien. Die objektiven Beweisergebnisse (Ausreise der Beschuldigten in die Türkei) würden für einen konkreten Verdacht, die Beschuldigte habe sich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt, nicht ausreichen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Salzburg, die die Bewilligung ihrer Festnahmeanordnung begehrt (ON 5).

Die Beschwerde ist im Sinn der spruchgemäßen Erledigung berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend - und damit den Beschwerdeargumenten zuwider - geht die Erstrichterin davon aus, dass eine Verwertung der (insbesondere) von der Mutter der Beschuldigten gemachten Angaben im Rahmen der kriminalpolizeilichen Erkundigungen dem Umgehungsverbot des § 152 Abs 1 StPO widersprechen würde.

Erkundigungen sind formlose Informationsaufnahmen zur Aufklärung einer Straftat und zur Vorbereitung einer Beweisaufnahme. Sie dienen in erster Linie dazu, zu Beginn der Ermittlungen konkrete Verdachtsmomente herauszuarbeiten, die als Arbeitshypothese Anlass für weitere Ermittlungen gegen bestimmte Personen bieten können. Erkundigungen sind in diesem Stadium vielfach unerlässlich, dürfen jedoch nicht dazu dienen, Vernehmungen zu umgehen. Sobald feststeht, dass die Angaben einer Person für das Verfahren von Bedeutung sind, und die Prozessrolle dieser Person geklärt ist, ist eine (förmliche) Vernehmung durchzuführen, denn andernfalls könnten Beschuldigten- oder Zeugenrechte (zB auf bestimmte Informationen und auf Verweigerung der Aussage) umgangen werden. Erkundigungen – ebenso wie „spontane Äußerungen“ - müssen daher durch Vernehmungen „bestätigt“ werden, sobald dies nach den jeweiligen Umständen möglich ist (vgl Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren [2005] 626; Cornelia Koller in Schmölzer/Mühlbacher StPO1 § 152 Rz 1 ff). Um den jeweiligen Schutzzweck nicht zu unterlaufen, dürfen „die Bestimmungen über die Vernehmung des Beschuldigten und von Zeugen" durch Erkundigungen (die nur außerhalb einer Hauptverhandlung vorkommen können) bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden (Kirchbacher, WK-StPO § 152 Rz 1). Für Ergebnisse einer informellen Erkundigung besteht kein generelles Verwertungsverbot, es sei denn, sie erfüllen die dafür vorgeschriebenen Vorschriften nicht oder werden durch spezielle Beweisverwertungsverbote (Umgehungsverbote) ausgeschlossen (vgl Pilnacek/Pleischl aaO 627; Cornelia Koller aaO § 152 Rz 9; Fabrizy StPO12 § 152 Rz 2; Nimmervoll, Erkundigung und Zeugenvernehmung im neuen Ermittlungsverfahren ÖJZ 2008, 523).

§ 156 Abs 1 StPO normiert eine Aussagebefreiung für Zeugen im Verfahren gegen Angehörige und für besonders schutzwürdige, bereits kontradiktorisch vernommene Tatopfer. Die Bestimmung gilt für die Vernehmung von Zeugen durch die Kriminalpolizei, die Staatsanwaltschaft oder das Gericht in jedem Verfahrensstadium (vgl Kirchbacher aaO § 156 Rz 1 und 7).

Der Ansicht der Erstrichterin, dass die aus Anlass einer Abgängigkeitsanzeige gegenüber den Behörden gemachten Angaben der S***** G***** – die nach Belehrung gemäß § 156 Abs 1 Z 1 StPO bei ihrer förmlichen Vernehmung vom Recht auf Aussagebefreiung Gebrauch gemacht hat – zur Begründung der Verdachtslage gegen M***** G***** nicht herangezogen werden dürfen, ist daher beizupflichten. Gleiches gilt für allfällige, vom Vater und der Schwester der Beschuldigten erteilte Auskünfte im Rahmen von Erkundigungen, zumal diese bislang nicht über ihr Recht auf Aussagebefreiung belehrt wurden.

Allerdings haben die Eltern der Beschuldigten bei der Sachverhaltsaufnahme am 1. Juli 2014 das Notebook Sony, welches von der Beschuldigten M***** G***** mitbenutzt wurde, für weitere zweckdienliche Ermittlungen und zur Datensicherung dem LKA Salzburg freiwillig übergeben. In der Folge wurden auch Skype- und WhatsApp-Protokolle vom 16. August 2014 sowie vom 9. September 2014 bis 10. Februar 2015 zwischen der Beschuldigten und ihrer Mutter den Behörden zur Verfügung gestellt.

Vernehmungsverbote und Aussageverweigerungsrechte werden unter Umständen umgangen, wenn der Zugriff auf Beweisgegenstände, insbesondere auf Aufzeichnungen der begünstigten Personen, unbeschränkt zulässig wäre. Ob sie daher auch ein Sicherstellungs- und Beschlagnahmeverbot nach sich ziehen, hängt von ihrem Schutzzweck ab: Steht hinter einer Befreiung von der Pflicht zur Aussage insofern ein Beweisthemenverbot, als sie eine Tatsache selbst als Geheimnis schützt, dann schlägt sie auf den Sachbeweis durch. Dann entlastet sie den Zeugen außer von der Pflicht, seine Information durch eine Aussage preiszugeben, auch von der Pflicht, seine informativen Gegenstände herauszugeben. Gegen so weitgehend geschützte Geheimnisträger sind eine Sicherstellung, eine Beschlagnahme und damit auch der Einsatz von Beugemitteln verboten. Im Gegensatz dazu stehen solche Zeugnisbefreiungsgründe, die bloß ein reines Beweismittelverbot sind, um dem befreiten Zeugen einen Konflikt oder eine Konfrontation zu ersparen, ohne aber ein Geheimnis als solches zu tabuisieren. Einer Sicherstellung oder Beschlagnahme stehen sie nicht entgegen, aber sie lassen den Zeugen ungestraft seine aktive Mitwirkung dazu verweigern. Hat ein nur insoweit entlasteter Zeuge informative Gegenstände bei sich, muss er daher eine diesbezügliche Durchsuchung und eine zwangsweise Abnahme erdulden, wobei es ihm frei steht, dabei bloß passiv zu bleiben. Erst willensbeugende Mittel würden ihn in genau die Lage versetzen, die das Entschlagungsrecht ihm ersparen will: Nachteile befürchten zu müssen, weil er ein Geheimnis nicht preis gibt. Die Durchsetzung einer Sicherstellung durch Beugemittel wäre also ein Verstoß gegen die Aussagebefreiung bzw das Verweigerungsrecht, dementsprechend sind Beugemittel gegen als Zeugen befreite Inhaber explizit verboten (Tipold/Zerbes, WK-StPO Vor §§ 110 - 115 Rz 9 f mwN; vgl Christian Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher StPO1 § 111 Rz 4 ff).

Die Schweigerechte zum Schutz vor Belastung von Angehörigen sind nach dem heutigen System des Gesetzes das Aussagebefreiungsrecht von Angehörigen des Beschuldigten (§ 156 Abs 1 Z 1 StPO) und das Aussageverweigerungsrecht von Angehörigen einer Person, die durch die Aussage der Strafverfolgung ausgesetzt wäre (§ 157 Abs 1 Z 1 StPO). Aus ihnen ergibt sich kein Sicherstellungs- und Beschlagnahmeverbot. Denn solange eine Beweissache bloß gesucht und einfach weggenommen wird, muss der Inhaber nicht an der damit verbundenen Belastung des Beschuldigten mitwirken. Hätte er deswegen jedoch eine Beugestrafe zu befürchten, würde er genau in den Konflikt gebracht, der ihm die Aussagebefreiung nehmen soll, nämlich als Zeuge seinen Verwandten belasten zu müssen. Die Durchsetzung der Sicherstellung und der Beschlagnahme durch Beugestrafen ist daher gemäß § 93 Abs 2 StPO verboten (Tipold/Zerbes aaO Vor 110 - 115 Rz 43).

Zeugen, die zum Selbstschutz oder zum Schutz Angehöriger von der Pflicht zur Aussage befreit sind, müssen sowohl Sachbeweise herausgeben als auch sämtliche Gegenstände und Vermögenswerte, über die spätere vermögensrechtliche Maßnahmen gesichert werden sollen. Ihre Herausgabepflicht ist umfassend und auch gegen ihren Willen, notfalls durch den Einsatz von physischem Zwang durchsetzbar - Beugemitteln sind sie jedoch keinen ausgesetzt (Tipold/Zerbes aaO § 111 Rz 2).

Fallkonkret bedeutet dies, dass das von den Eltern der Beschuldigten freiwillig zur Verfügung gestellte Notebook ausgewertet werden darf und eine Grundlage für weitere Ermittlungen darstellt. Nach dem Vorgesagten wären die Eltern der Beschuldigten auch im Fall einer Hausdurchsuchung verpflichtet gewesen, das (von der Beschuldigten mitbenutzte) Notebook herauszugeben. Damit stellt die kriminalistische Auswertung des Notebooks ebenso wie der weiteren, zur Verfügung gestellten Chatprotokolle keine Umgehung eines Zeugnisbefreiungsrechtes dar.

Da das Beschwerdegericht der Beschuldigten kein rechtliches Gehör bieten konnte, weil der Gegenstand der Beschwerde auf die Bewilligung einer Anordnung gerichtet ist, deren Erfolg voraussetzt, dass sie dem Gegner der Beschwerde vor ihrer Durchführung nicht bekannt wird, war der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung unter Berücksichtigung der vorliegenden Skype- und WhatsApp-Protokolle aufzutragen (§ 89 Abs 2a Z 4 StPO).

RECHTSMITTELBELEHRUNG:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiteres Rechtsmittel nicht zu.

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