8Bs20/15w – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch den Richter Dr. Bergmayr als Vorsitzenden, die Richterin Dr. Engljähringer und den Richter Mag. Koller in der Strafsache gegen M***** C***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB aus Anlass der Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden des Landesgerichts Linz als Jugendschöffengericht vom 22. Jänner 2015, 30 Hv 3/15p-11, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Das Oberlandesgericht Linz stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (iVm Art 140 Abs 1 Z 1 lit a B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den
ANTRAG,
den § 52 Abs 1 erster und zweiter Satz StPO idF BGBl I 2013/195 als verfassungswidrig aufzuheben .
Mit der Fortsetzung dieses Rechtsmittelverfahrens wird bis zur Verkündung oder Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs inne gehalten (§ 62 Abs 3 VfGG).
Text
BEGRÜNDUNG:
1. Zum bisherigen Verfahrensgang:
Mit Anklageschrift vom 7. Jänner 2015 (ON 8) liegt dem 1997 geborenen Jugendlichen M***** C***** zur Last, er habe am 2. September 2014 in Linz (die ebenfalls minderjährige) J***** A***** mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er über der Kleidung ihre Brust betastet und angekündigt habe, er werde sie schlagen, wenn sie um Hilfe rufe, er sodann trotz ihrer Gegenwehr in ihre Hose und Unterhose gegriffen und ihren unbekleideten Vaginalbereich betastet sowie ihr für den Fall weiterer Gegenwehr und Hilferufe neuerlich Schläge angedroht habe, er in der Folge gewaltsam ihr Handgelenk festgehalten, ihr einen Schlag gegen den Kopf und einen kräftigen Stoß versetzt habe, sodass sie in ein Gebüsch gefallen sei, er sie weiter ins Gebüsch gedrängt, seinen Penis entblößt und in ihren Mund eingeführt habe und sie schließlich an den Haaren gepackt und ihren Kopf vor- und zurückbewegt habe. Die inkriminierten Tathandlungen subsumierte die Anklagebehörde dem Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB.
Den Anklagevorwurf stützt die Staatsanwaltschaft im Wesentlichen, zumal der Angeklagte die Tat bestreitet, auf die Aussagen der J***** A***** (geboren 1999) und der N***** R***** (geboren 1999), die beide im Ermittlungsverfahren über Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 165 StPO kontradiktorisch, demnach auch in Anwesenheit des M***** C***** und seiner Verteidigerin (schonend iSd Abs 3 leg cit) vernommen worden waren (ON 6 und ON 7). Die hierüber angefertigten Protokolle wurden der Verteidigerin sowie der juristischen Prozessbegleiterin der beiden Zeuginnen zugestellt (S 6 in ON 1).
Am 20. Jänner 2015 beantragte der Angeklagte die Übermittlung einer Kopie der Ton- und Bildaufnahmen über die kontradiktorischen Einvernahmen der J***** A***** und der N***** R***** an den beigegebenen Verteidiger (ON 10).
Diesen Antrag wies das Erstgericht mit dem nun angefochtenen Beschluss (ON 11) zusammengefasst mit der Begründung ab, die Aufzeichnungen beträfen Inhalte aus dem persönlichen Geheimnis- und Lebensbereich der Vernommenen, die iSd Art 8 EMRK eminentes Interesse daran hätten, dass die Aufzeichnungen nicht in die Hände Dritter gelangen; die bloße Überbindung einer Geheimhaltungspflicht an den Angeklagten iSd § 301 Abs 2 StGB biete keinen ausreichenden Schutz gegenüber allfälligen Eingriffen in besonders sensible Persönlichkeitsinteressen (allem voran) der Opfer von (mutmaßlichen) Sexualstraftaten. Der Angeklagte habe die Möglichkeit, in die DVD bei Gericht während der Amtsstunden einzusehen.
Dagegen richtet sich die aktuelle Beschwerde des Angeklagten (ON 12), in der er ausführt, dass § 52 Abs 1 zweiter Satz StPO Ausnahmen vom Akteneinsichtsrecht in Ton- oder Bildaufnahmen nur mehr in eng umschriebenen Fällen zulasse; da ein solcher Ausnahmefall hier nicht vorliege, seien die begehrten Videokopien auszufolgen und dem Angeklagten (lediglich) iSd zweiten Halbsatzes des § 52 Abs 1 zweiter Satz StPO die Pflicht zur Geheimhaltung dieser Aufnahmen aufzuerlegen (§ 301 Abs 2 StGB).
2. Gesetzliche Grundlagen für das Beschwerdegericht:
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 51 Abs 1 StPO ist der Beschuldigte berechtigt, in die der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungs- und des Hauptverfahrens Einsicht zu nehmen. Das Recht auf Akteneinsicht berechtigt auch dazu, Beweisgegenstände in Augenschein zu nehmen, soweit dies ohne Nachteil für die Ermittlungen möglich ist. Nach Abs 2 erster Satz leg cit ist es, soweit die in § 162 StPO angeführte Gefahr besteht, zulässig, personenbezogene Daten und andere Umstände, die Rückschlüsse auf die Identität oder die höchstpersönlichen Lebensumstände der gefährdeten Person zulassen, von der Akteneinsicht auszunehmen und Kopien auszufolgen, in denen diese Umstände unkenntlich gemacht wurden.
§ 52 Abs 1 (erster und zweiter Satz) StPO idF BGBl I 2013/195, der seit 1. Jänner 2014 gilt, lautet: Soweit dem Beschuldigten Akteneinsicht zusteht, sind ihm auf Antrag und gegen Gebühr Kopien (Ablichtungen oder andere Wiedergaben des Akteninhalts) auszufolgen oder ist ihm nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zu gestatten, Kopien selbst herzustellen, sofern dieses Recht nicht durch einen Verteidiger ausgeübt wird (§ 57 Abs 2). Ton- oder Bildaufnahmen, deren Besitz allgemein verboten ist, oder die Inhalte betreffen, die gemäß § 51 Abs 2 erster Satz der Akteneinsicht nicht unterliegen, sind davon ausgenommen; betrifft deren Inhalt schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter, so ist dem Beschuldigten die Pflicht zur Geheimhaltung dieser Aufnahmen aufzuerlegen (§ 301 Abs 2 StGB).
Da in der aktuellen Sachverhaltskonstellation die Voraussetzungen des § 52 Abs 1 zweiter Satz erster Halbsatz (konkret iVm §§ 51 Abs 2 erster Satz, 162) StPO nicht indiziert sind, ist die Bestimmung des § 52 Abs 1 zweiter Satz zweiter Halbsatz StPO präjudiziell. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind jedoch notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und anderseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen miterfasst werden (VfGH G 201/2014 mwH; VfSlg 16.911/2003 mwH). Im Fall der Aufhebung bloß des zweiten Halbsatzes des § 52 Abs 1 zweiter Satz StPO, bei dem es sich insgesamt um einen – hier als zu eng gefasst kritisierten – Ausnahmetatbestand in Bezug auf die ansonsten zwingend mit dem Akteneinsichtsrecht nach § 51 StPO einhergehende Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden zur Ausfolgung von Kopien speziell für Ton- und Bildaufnahmen handelt, entspräche aber der Sinn der dann (ausnahmslos) verbleibenden (Grundsatz-)Bestimmung dem erkennbaren gesetzgeberischen Willen umso weniger.
Die angefochtene Regelung ist Konsequenz des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 13. Dezember 2012, G 137/11 (= VfSlg 19.730/2012), mit dem jener Teil des bis dahin geltenden § 52 Abs 1 StPO idF BGBl I 2009/52 – welcher Ton- und Bildaufnahmen generell vom Recht des Beschuldigten (Angeklagten - § 48 Abs 2 StPO) ausschloss, auf Antrag und gegen Gebühr Kopien (Ablichtungen oder andere Wiedergaben des Akteninhalts) ausgefolgt oder hergestellt zu erhalten – wegen Verstoßes gegen das in Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit b EMRK garantierte Fairnessgebot sowie den in Art 2 StGG gewährleisteten Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufgehoben worden war.
Jenem Erkenntnis zufolge stelle das Prinzip der Waffengleichheit nach ständiger Rechtsprechung des EGMR einen der Wesenszüge des fairen Verfahrens iSd Art 6 EMRK dar, weshalb jeder Partei Gelegenheit eingeräumt werden müsse, ihren Fall einschließlich aller ihrer Beweise unter solchen Bedingungen zu präsentieren, die keinen wesentlichen Nachteil gegenüber ihrem Gegner bedeuten. Dieser Grundsatz fordere, dass dem Beschuldigten hinlänglicher Zugang zu allen Beweisen der Strafverfolgungsbehörden ermöglicht werde, was die Einräumung von ausreichend Zeit und das Bereithalten von Räumlichkeiten zur Vorbereitung der Verteidigung einschließe, um nicht in eine gegenüber der Anklagebehörde nachteilige Position zu geraten (vgl EGMR 9.10.2008, Fall Moiseyev, Appl 62936/00, Z 217f). Vor dem Hintergrund müsse dem Beschuldigten grundsätzlich auch das Recht zukommen, ohne wesentliche Privilegierung der Staatsanwaltschaft, also unter vergleichbaren Bedingungen, Zugang zu Bildaufnahmen zu erhalten. Der generelle Ausschluss des Beschuldigten von der Möglichkeit der Erlangung von Kopien, wie ihn § 52 Abs 1 StPO in der bis dahin geltenden Fassung schlechthin normiert habe, womit auch Fälle erfasst worden seien, in denen Bildmaterial großen Umfangs von nachhaltiger Relevanz als Beweismittel betroffen gewesen sei, stehe diesem Prinzip entgegen. Dass mit der Ausfolgung von kopiertem Bildmaterial allenfalls strafbares Verhalten begünstigt oder Rechte Dritter gefährdet würden, könne – wie es § 54 StPO in Bezug auf Aktenkopien vorsehe – durch entsprechende legistische Vorkehrungen mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen werden.
Ausgehend von den referierten Erwägungen des Höchstgerichts bringe, den Materialien zum Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2013 (ErläutRV 2402 BlgNR 24. GP 2 und 6f) zufolge, die Neufassung des § 52 Abs 1 StPO das grundsätzliche Recht des Beschuldigten auf Herausgabe von Kopien der im Akt befindlichen Ton- und Bildaufnahmen zum Ausdruck. Künftig sollen deshalb nur Kopien jener Ton- und Bildaufnahmen, deren Besitz aufgrund des Inhalts bzw der entsprechenden Darstellungen, wie etwa im Fall von Kinderpornographie (§ 207a StGB), strafbar und allgemein verboten ist, oder die Inhalte betreffen, die gemäß § 51 Abs 2 erster Satz StPO der Akteneinsicht zum Schutz vor einer ernsten Gefahr für Leben, Gesundheit, körperlicher Unversehrtheit oder Freiheit (§ 162 StPO) nicht unterliegen, von der Ausfolgung ausgenommen bleiben.
Gleichzeitig werde aber – so die Materialien weiter – der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit eingeräumt, jene Ton- und Bildaufnahmen, die schutzwürdige Interessen Betroffener berühren, im Sinn einer Interessenabwägung mit einem ausdrücklichen Verbot der Veröffentlichung zu belegen: Denn das Strafprozessrecht habe auch die Rechte anderer vom Verfahren Betroffener sowie das Strafverfolgungsinteresse zu berücksichtigen, das durch eine Weitergabe von Informationen an die Öffentlichkeit behindert werden könnte. Dazu trete das Verfassungsgebot des Art 1 Abs 2 DSG 2000, das den Gesetzgeber verpflichte, Daten, die ihrer Art nach besonders schutzwürdig sind, nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen zu verwenden und gleichzeitig angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festzulegen. Als Beispiel für die Existenz besonders schutzwürdiger Interessen seien etwa Zeugenaussagen von Kindern oder von in ihrer sexuellen Integrität, Selbstbestimmung oder sonst in ihrer Menschenwürde verletzten Personen (beispielsweise durch Folter) zu nennen. Besonderes Augenmerk verdienten in dieser Hinsicht gerade auch die Ton- und Bildaufnahmen kontradiktorischer Vernehmungen (§ 165 StPO). Die Gefahr, dass Aufzeichnungen von Zeugenaussagen, die etwa von Kindern oder von in ihrer Geschlechtssphäre verletzten Personen getätigt wurden, im Weg einer auch das Recht auf Herstellung von Kopien enthaltenden Gewährung von Akteneinsicht letztlich über Videoportale im Internet oder andere Kanäle an die Öffentlichkeit gelangen könnten, sei evident. Aufgabe des Strafverfahrens sei es deshalb, den Anspruch der Betroffenen auf Geheimhaltung der im Zuge der Strafverfolgung ermittelten Daten wirksam zu gewährleisten, ohne dadurch das Verteidigungsinteresse des Beschuldigten nach Art 6 EMRK oder das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit nach Art 10 EMRK zu beeinträchtigen. Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs müsse dem Beschuldigten jedenfalls das Recht zukommen, ohne wesentliche Privilegierung der Staatsanwaltschaft, also unter vergleichbaren Bedingungen, Zugang zu Ton- und Bildaufnahmen zu erhalten. Vor dem Hintergrund der bestehenden gesetzlichen Schutzmechanismen vor verbotener Veröffentlichung (§ 54 StPO, § 301 StGB, §§ 6ff MedienG, § 1328a ABGB) und dem hohen Verbreitungsrisiko sensibler, in Ton- und Bildaufnahmen enthaltener Daten durch deren Ausfolgung an den Beschuldigten bzw dessen Verteidiger sei im Sinn des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der Persönlichkeitsschutz der von einer allfälligen Veröffentlichung der ausgefolgten Kopien von Ton- und Bildaufnahmen betroffenen Person(en) gegenüber der unbedingten Möglichkeit zur Herstellung und Ausfolgung von Kopien derartiger Akteninhalte im Verteidigungsinteresse als höheres Gut zu bewerten. Die angestrebte Interessenwahrung werde dadurch erreicht, dass dem Beschuldigten eine Pflicht zur Geheimhaltung dieser Aufnahmen (§ 301 Abs 2 StGB) auferlegt wird, sodass in jenen besonderen Fällen nicht nur die Berechtigung zur Verwertung iSd § 54 erster Satz StPO nicht zum Tragen komme, sondern auch ein Schutz durch strafrechtliche Sanktion bei Zuwiderhandeln bestehe. Als bloße Ergänzung zur schriftlichen Protokollführung anlässlich einer Vernehmung veranlasste Ton- und Bildaufzeichnungen, die nach Fertigstellung des Protokolls nicht zum Akt genommen werden, seien demgegenüber der Akteneinsicht grundsätzlich nicht zugänglich, weshalb auch keine Kopien dieser Datenträger herzustellen oder auszuhändigen seien. Anderes gelte, wenn solche Datenträger samt Inhalt zu besonderen Dokumentationszwecken zum Akt genommen und damit Gegenstand des Verfahrens würden: Für den Bereich des Ermittlungsverfahrens sei dies aus den Bestimmungen der §§ 96 und 97 StPO zu folgern, die anders als § 271a Abs 2 StPO eben kein Recht vorsähen, die Übersendung der Aufnahme auf einem Datenträger verlangen zu können.
3. Verfassungsrechtliche Bedenken:
Die betroffenen Zeuginnen haben in ihrer Äußerung zur Beschwerde des Angeklagten – auch vom erkennenden Senat geteilte – Bedenken aufgeworfen, die seit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2013 (BGBl I 2013/195) geltende Gesetzeslage könnte aus dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK und gegen den in Art 2 StGG grundgelegten Gleichheitssatz verstoßen.
Die anzuwendende Bestimmung ist nach dem Dafürhalten des Beschwerdegerichts angesichts ihres eindeutigen Wortlauts, zumal im Zusammenhalt mit den referierten Erläuterungen des Gesetzgebers, einer verfassungskonformen Auslegung ( Markel in WK-StPO § 1 Rz 38) nicht zugänglich, die es dem Gericht außerhalb der engen, durch § 52 Abs 1 zweiter Satz erster Halbsatz StPO gezogenen Grenzen im jeweiligen Einzelfall aufgrund eigenständiger Abwägung von Verteidigungsinteressen (Art 6 Abs 3 lit b EMRK) und schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen Dritter (Art 8 EMRK) erlaubte, gleichsam entkoppelt vom Recht des Beschuldigten auf insoweit uneingeschränkte Akteneinsicht nur die Herausgabe von Kopien bestimmter Ton- und Bildaufnahmen aus dem Strafakt, zumal bei konkret vorhandenen Indizien für eine zu befürchtende Veröffentlichung, abzulehnen (oder auch nur auf den Verteidiger zu beschränken, und die damit verbundene Beeinträchtigung der Beschuldigtenrechte auf andere Weise bestmöglich zu kompensieren, um das Verfahren insgesamt dennoch fair zu halten). Vielmehr stellt sich die aktuelle Regelung selbst bereits als abgeschlossenes Ergebnis jener Interessenabwägung dar. Indem diese starre Gesetzesbestimmung aber undifferenziert auch der Gefahr gravierendster Verletzungen von Persönlichkeitsrechten Dritter, die de facto erst durch die strafprozessuale Abwicklung generiert wurde, allein dadurch begegnen lässt, dass dem Beschuldigten die Pflicht zur Geheimhaltung des Ton- und Bildmaterials überbunden wird, mag jene auch in Form eines in die bezirksgerichtliche Zuständigkeit ressortierenden Straftatbestands (bei derzeit im Übrigen unklarer Interferenz mit § 54 StPO; vgl Fabrizy StPO 12 § 52 Rz 1a aE) sanktionsbewehrt sein, erweist sie sich als unsachlich und inadäquat.
Denn nicht zuletzt die völlig unterschiedlichen, unter den Begriff der "Ton- und Bildaufnahmen" zu subsumierenden Sachverhalte, wie sie einerseits im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu G 137/11 (Videoaufzeichnungen aus mehreren Überwachungskameras am Wiener Westbahnhof betreffend Ausschreitungen zwischen Anhängern rivalisierender Fußballvereine, die Körperverletzungen einschreitender Polizeibeamter und schwere Sachbeschädigungen zur Folge hatten) und anderseits im gegenwärtigen Strafverfahren angesprochen sind, illustrieren die Vielfalt denkbarer Fallgestaltungen, sowohl was die prozessuale Bedeutung des in Rede stehenden Beweismaterials als auch was dessen Eingriffsintensität und das spezifische Gefährdungspotential in Bezug auf die (grundrechtlich geschützte) Privatsphäre Dritter betrifft. Hier den Gerichten den erforderlichen – weiteren – Entscheidungsspielraum offen zu halten, um die Umstände des jeweiligen Einzelfalls angemessen berücksichtigen zu können, sollte Ziel des normierten Rechts des Beschuldigten auf Herausgabe (auch der Kopien) von Ton- und Bildaufnahmen sein.
Dabei wird nicht verkannt, dass das Recht des fairen Verfahrens (Art 6 Abs 1 EMRK) den absoluten Ausgangspunkt der Überlegungen bildet. Es enthält eine Vielzahl von Teilgarantien, die alle auf die Sicherstellung eines Verfahrensablaufs gerichtet sind, in welchem die Parteien unter im Wesentlichen gleichartigen Bedingungen ihren Prozessstandpunkt effektiv vertreten können. Zum Fairnessgrundsatz gehören zunächst Teilgewährleistungen wie (unter anderem) der Grundsatz der Waffengleichheit und das Recht auf Akteneinsicht, daneben aber auch (etwa) die in Art 6 Abs 3 EMRK ausdrücklich verankerten Beschuldigtenrechte ( Grabenwarter/Pabel EMRK 5 § 24 Rz 60ff und 98 mwN), von denen hier besonders jene der lit b leg cit interessieren.
Der Grundsatz der Waffengleichheit ist zentraler Bestandteil des Fairnessgebots des Art 6 Abs 1 EMRK und stellt gleichzeitig eine besondere Ausprägung des Gleichheitssatzes dar. Demnach muss jede Partei, wie vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13.12.2012, G 137/11, ausgeführt, vernünftige Gelegenheit haben, ihren Fall einschließlich aller ihrer Beweise unter solchen Bedingungen zu präsentieren, die keinen wesentlichen Nachteil gegenüber ihrem Gegner bedeuten. Dazu zählt nach der Rechtsprechung des EGMR insbesondere auch der unbeschränkte Zugang zu den Verfahrensakten und die Verwendung aller Aufzeichnungen einschließlich der Möglichkeit, Kopien der relevanten Dokumente zu erhalten, sofern diese notwendig sind; etwa die Beschränkung der Akteneinsicht auf den Verteidiger des Angeklagten wird dabei freilich als mit diesem Grundsatz vereinbar erachtet (VfGH VfSlg 19.730 mvH). Besondere Probleme zeigen sich, wenn es um die Waffengleichheit zwischen dem privaten Grundrechtsberechtigten und dem Vertreter der Anklage oder dem Vertreter des öffentlichen Interesses geht. Zu Normprüfungsverfahren, in denen typischerweise nicht nur Interessen des Beschwerdeführers, sondern insbesondere öffentliche Interessen wahrzunehmen sind, hat der EGMR beispielsweise festgehalten, dass das Gebot der Waffengleichheit nicht in jeder Hinsicht die Gleichstellung etwa betreffend den Zugang zu den Akten verlange ( Grabenwarter/Pabel aaO Rz 62 mwN). Gewiss lässt sich diese Einschränkung nicht vorbehaltlos auf das Strafverfahren ummünzen. Aber gerade auch, was die Gewährung ausreichender Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung (Art 6 Abs 3 lit b EMRK), namentlich das Erfordernis des Zugangs zu Beweismaterial in bestimmtem Umfang angeht, orientiert sich die EGMR-Judikatur zur Frage einer allfälligen Verletzung der Konventionsgarantie durch das Verhalten von Staatsorganen maßgeblich an den Umständen des jeweiligen Einzelfalls nach Abwägung der unterschiedlichen Gesichtspunkte ( Grabenwarter/ Pabel aaO Rz 103 und § 18 Rz 30f).
Ähnlich zeichnete das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 13.12.2012, G 137/11, mit Blick auf § 52 Abs 1 StPO idF BGBl I 2009/52 zwar vor, dass die den Beschuldigten einseitig belastende Anordnung eines kategorischen Ausschlusses, Kopien von Bild- und Tonaufnahmen zu erhalten, dem Grundsatz der Waffengleichheit des Art 6 EMRK widerspricht. Aus den Leitlinien, die bisher zu diesem Gebot im Kontext mit der Beschränkung des Anspruchs auf Erhalt von Ablichtungen wesentlicher Dokumente in Papierform (Aktenkopien) entwickelt wurden, sowie der Entscheidung im Fall Moiseyev (EGMR 9.10.2008, Appl 62.936/00) ergibt sich zudem das prinzipielle Recht des Beschuldigten, ohne wesentliche Privilegierung der Staatsanwaltschaft, also unter vergleichbaren Bedingungen, Zugang auch zu Duplikaten verfahrensrelevanter Ton- und Bildaufnahmen zu erlangen. Der Beschuldigte ist in seiner Rechtsstellung gegenüber der Anklagebehörde jedenfalls dann nicht unerheblich benachteiligt, wenn es sich bei dem Videomaterial, wie im seinerzeitigen Anlassfall, um ein besonders bedeutsames, allenfalls sogar um das einzige (belastende) objektive Beweismittel handelt. Zumindest in jener Konstellation ist die nachhaltige Schlechterstellung im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft unter den Aspekten ausreichender Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung auch weder durch eine Verweisung des Beschuldigten auf die Möglichkeiten des Augenscheins (§ 51 Abs 1 zweiter Satz StPO), noch durch technische Umwandlung der Videofilme in Papierbilder oder durch die bloße spätere Vorführung der Filmdokumente in der Hauptverhandlung angemessen kompensierbar.
Allerdings scheint die Verfassungsrechtslage unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensfairness nicht zu einer strafprozessualen Regelung zu zwingen, die – lediglich mit Ausnahme von Ton- und Bildmaterial, dessen Besitz schon wegen des Inhalts allgemein verboten ist, und ferner von solchen Aufzeichnungen, hinsichtlich derer dem Beschuldigten kraft § 51 Abs 2 erster Satz StPO schon kein Akteneinsichtsrecht zusteht – ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls die Herausgabe von Kopien aller sonstigen Ton- und Bildaufnahmen an den Beschuldigten anordnet. Dass nämlich sehr wohl auch die spezifische Beweisrelevanz oder der Umfang des umstrittenen Materials bei der Abwägung eine Rolle spielen, ob die Konventionsgarantie letztlich ausreichend gewahrt wurde, bringt der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13.12.2012, G 137/11, mit dem Hinweis zum Ausdruck, dass in Einzelfällen (anstelle der Aushändigung von Kopien) – vor allem wenn nur wenige Bildaufnahmen betroffen sind – ein Augenschein iSd § 51 Abs 1 zweiter Satz StPO dem Grundsatz der Waffengleichheit genügen kann.
Im gegebenen Zusammenhang ist daher der verfahrensrechtliche Status speziell von Ton- und Bildaufnahmen einer kontradiktorischen Zeugenvernehmung nach § 165 StPO näher zu beleuchten:
Jenes Rechtsinstrument verfolgt mehrere Zwecke, die in dem für das Strafverfahren markanten "Spannungsdreieck" Wahrheitsforschung – Opferschutz – Verteidigungsrechte stehen ( Kirchbacher in WK-StPO § 165 Rz 2ff mH). Der Gesetzgeber wollte mit den konkreten Beweisaufnahmemodalitäten gerade der belastenden Situation gesteigert schutzwürdiger (mutmaßlicher) Tatopfer, allem voran Unmündiger und solcher, die durch die angelastete Straftat in ihrer Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnten (vgl § 156 Abs 1 Z 2 StPO), Rechnung tragen und hat insoweit eine partielle Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bewusst in Kauf genommen. Besonderes Augenmerk wurde darauf gelegt, im Widerstreit unterschiedlicher Interessen (einen ersten Einblick aus Zeugenwarte gibt Hinterhofer Zeugenschutz und Zeugnisverweigerungsrechte 1ff) – den Grundsätzen der EMRK entsprechend – die Verteidigungsrechte im größtmöglichen Ausmaß zu wahren. Die von der Judikatur zu Art 6 Abs 3 lit d EMRK entwickelten Erfordernisse ausreichender Verteidigungsrechte sind erfüllt, wenn bei nicht vor dem erkennenden Gericht abgelegten Zeugenaussagen zur Erlangung deren Verwertbarkeit dem Beschuldigten hinreichend Gelegenheit gegeben wurde, sich an der Vernehmung zu beteiligen und Fragen an den Belastungszeugen zu stellen. Sind Protokolle auf solche Art zustande gekommen, dürfen sie unter den Voraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 2a StPO verlesen und darf deren Inhalt der Entscheidung zugrunde gelegt werden (vgl 11 Os 34/99; Fabrizy aaO § 165 Rz 3 mH).
Die einschlägigen Protokollierungsvorschriften dazu finden sich in § 96 StPO. Demnach ist über die Vernehmung ein Protokoll zu verfassen, das neben den im Einzelnen geregelten Angaben das eigentliche Beweisergebnis, also die Aussage selbst, zu enthalten hat. Diese Aussage ist – nach freilich insoweit nicht einhelliger Ansicht im Schrifttum – bei einer kontradiktorischen Zeugenvernehmung, da in § 165 Abs 1 StPO, anders als in §§ 150 Abs 2, 164 Abs 2 StPO, nicht auf § 97 StPO verwiesen werde, auch dann zu protokollieren, wenn zusätzlich eine technische Aufzeichnung stattfindet ( Kirchbacher aaO Rz 28 mwN; Vogl in WK-StPO § 97 Rz 7; aA Fabrizy aaO Rz 5). Soweit ersichtlich unstrittig, liegt die Herstellung solcher Ton- und Bildaufnahmen von kontradiktorischen Vernehmungen nach wie vor ausschließlich im Ermessen des Gerichts ( Kirchbacher aaO Rz 29 mH und § 252 Rz 93; vgl 11 Os 34/99). Der Anspruch des in § 156 Abs 1 StPO umschriebenen, besonders geschützten Personenkreises erstreckt sich demgegenüber nur darauf, kontradiktorisch, dh unter Beteiligung des Beschuldigten und der Anklagebehörde, und schonend (iSd § 165 Abs 3 StPO) vernommen zu werden ( Kirchbacher aaO § 165 Rz 11); umgekehrt steht – worauf im späteren Zusammenhang noch einmal zurückzugreifen sein wird – dem Zeugen weder gegen diese Form der Vernehmung an sich noch gegen eine fakultative Ton- und Bildaufnahme im Rahmen des § 165 StPO ein Widerspruchsrecht zu (vgl § 97 Abs 1 StPO; Fabrizy aaO Rz 8; Vogl aaO 9f). Die Vorführung audiovisueller Aufzeichnungen in der Hauptverhandlung unterliegt denselben Bedingungen wie die erwähnten Protokollverlesungen (RIS-Justiz RS0112014). Die Zulässigkeit der Verlesung eines Protokolls über eine kontradiktorische Zeugenaussage hängt aber nicht davon ab, ob auch die technische Aufnahme vorgeführt wird bzw werden kann (RIS-Justiz RS0117190; Fabrizy aaO § 252 Rz 17 mH; Kirchbacher aaO § 252 Rz 93 mwH). Vielmehr beantwortete der Oberste Gerichtshof zu 12 Os 95/05w den Einwand eines Angeklagten, es sei die Vorführung der Videoaufzeichnungen über die (in der Hauptverhandlung verlesenen) kontradiktorischen Vernehmungen zweier Belastungszeuginnen unterblieben, mit dem Hinweis, dass für das Gericht keine (mit Nichtigkeitssanktion verbundene) Verpflichtung, sondern unter den Voraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 2a StPO bloß eine Ermächtigung zur Vorführung der filmischen Aufnahmen bestehe. Wenngleich der Erkenntnisgewinn einer Vorführung von Videoaufzeichnungen in der Hauptverhandlung klar darin liegt, dem Tatrichter einen lebendigeren, weil (nahezu) unmittelbaren Eindruck von der Zeugenaussage zu verschaffen ( Fabrizy aaO § 165 Rz 5 mH), so ändert dies unter Beweiswerterwägungen für die Beurteilung des Gewichts einer allfälligen Schmälerung von Verteidigungsinteressen (nach der auch hier vertretenen Ansicht) nichts daran, dass solche Ton- und Bildaufnahmen die – primär maßgeblichen – Protokolle über den Inhalt der Zeugenaussage stets bloß ergänzen (RIS-Justiz RS0111316; 14 Os 145/98). In dem Sinn verneinte der Oberste Gerichtshof zu 11 Os 34/99 einen Anspruch auf Wiederholung der technischen Aufnahme, hinsichtlich derer ein Angeklagter schlechte Wahrnehmbarkeit von Einzelheiten, konkret des Gesichtsausdrucks des Tatopfers, behauptet hatte.
Bei der Einschätzung der Beeinträchtigung von Beschuldigteninteressen unter den Gesichtspunkten der Waffengleichheit und der Gewährung ausreichender Gelegenheit zur Verteidigung sollte zudem nicht vernachlässigt werden, dass der Beschuldigte und sein Rechtsbeistand – anders als bei anderen "Ton- und Bildaufnahmen" iSd § 52 Abs 1 zweiter Satz StPO – an einer (filmisch aufgezeichneten) kontradiktorischen Zeugenvernehmung typischerweise selbst bereits im formellen strafprozessualen Setting teilnehmen konnten, weshalb die Konventionsgarantien auch aus dieser Warte hinsichtlich des Videomaterials nicht zwingend (etwa) einer Beschränkung des Beschuldigten auf die Möglichkeiten des Augenscheins gemäß § 51 Abs 1 letzter Satz StPO im Sinn einer angemessenen "counterbalance" entgegenstehen müssen.
Unumstößlich ist, dass die gesetzlichen Ermächtigungen, den Beschuldigten und/oder dessen Verteidiger von der Erlangung eines Duplikats verfahrensrelevanter Ton- und Bildaufnahmen auszuschließen, nicht über den Tatbestand des Art 6 EMRK hinausgehen dürfen. Umgekehrt verlangen einzelne Grundrechte – insbesondere Art 8 EMRK – ein gewisses Mindestmaß an Ausschlussgründen, so dass sich hieraus auch Schranken für den Gesetzgeber im Sinn des Untermaßverbots ergeben (vgl Grabenwarter/Pabel aaO Rz 76, konkret zum Ausschluss der Öffentlichkeit; Hinterhofer aaO 21f).
Daran aber rüttelt die angefochtene Bestimmung, wenn sie, um der Gefahr der Veröffentlichung jedweder "Ton- und Bildaufnahmen" zu begegnen, deren Inhalt schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter betrifft, undifferenziert die Aushändigung an den Beschuldigten anordnet und ihm im Gegenzug bloß die Pflicht zur Geheimhaltung unter Strafandrohung auferlegt. Dieses allein auf die Wirkung der Spezialprävention bauende Normkonzept, das eine spürbare staatliche Reaktion – zumal unter der weiteren Voraussetzung, dass konkret dem Beschuldigten tatbestandliches Handeln iSd § 301 Abs 2 StGB überhaupt nachgewiesen werden kann – regelmäßig (mit Ausnahme von Fällen der Versuchsstrafbarkeit) erst vorsieht, wenn eine – irreversible – Verletzung der fremden besonders geschützten Interessen zufolge widerrechtlicher Preisgabe des geheimen Aktenmaterials an Außenstehende längst eingetreten ist (an welcher Sichtweise auch die anderen, vom Gesetzgeber ins Treffen geführten Ansprüche nach dem MedienG und dem ABGB nichts ändern), wurde von der Praxis schon aus Anlass des Begutachtungsverfahrens zum Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2013 (vgl die Stellungnahmen der WKStA 5/SN-532/ME 24. GP, der richterlichen Standesvertretungen 27/SN-532/ME 24. GP und der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs 28/SN-532/ME 24. GP) als unzureichend kritisiert und mutet in Extremfällen als geradezu zynisch an. Über einen sexuellen Missbrauch zu reden, dessen Opfer man (mutmaßlich) geworden ist, fällt selbst im engsten Freundes- und Familienkreis schwer; umso bedrückender ist es, davon fremden Menschen in einem öffentlichen gerichtlichen Verfahren als Zeuge zu erzählen ( Hinterhofer aaO 111), und überdies noch die Befürchtung hegen zu müssen, der Beschuldigte werde hinterher über die angefertigte Videoaufzeichnung außerhalb jeder staatlichen Observanz in alle Zukunft verfügen.
Gravierende Rechtsschutzlücken können sich vor allem in Sachverhaltskonstellationen auftun, in denen, wie hier (S 12 in ON 7), bereits im Vorfeld aus konkreten Anhaltspunkten (im Verdachtsbereich) die Neigung eines Beschuldigten abzuleiten ist, persönliche Daten von Belastungszeugen zum Zweck deren Beeinflussung oder Bloßstellung gezielt an Dritte zu verbreiten. Die derzeitige Regelung bietet dem Gericht auch vor diesem Hintergrund keine Handhabe für eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem Verteidigungsinteresse, die Ton- und Bildaufnahmen vor der Hauptverhandlung ausreichend analysieren zu können, und dem damit kollidierenden Interesse eines Zeugen, der zuvor durch die Prozessrechtsordnung zur Aussage über Umstände aus seiner Intimsphäre unter Duldung auch audiovisueller Aufzeichnungen im Dienst der Wahrheitsforschung verpflichtet worden war, vor der spezifisch verfahrensbedingten Gefährdung durch Verbreitung des gewonnenen, oftmals digitalisierten Filmmaterials möglichst effizient geschützt zu werden, zumal dessen Eingriffsintensität, gleichsam als Kehrseite des früher angesprochenen "Lebendigkeitseindrucks", (gemessen an jener des Aussageprotokolls) als erheblich gesteigert eingestuft werden muss. Der aktuelle Rechtszustand ist umso virulenter, als der Gesetzgeber selbst das Verbreitungsrisiko solcher sensibler Informationen ausdrücklich als hoch einschätzt.
Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann, also auch ein Zeuge, Anspruch auf Achtung seines Privatlebens. Zu dessen Kernbereich zählen insbesondere die Gewährleistung der Privat- und damit unter anderem der Sexualsphäre, außerdem der Schutz persönlicher Daten und der Selbstdarstellung im Zusammenhang mit dem (zu einer früheren Zeugenaussage unter Wahrheitspflicht mitunter konfligierenden) Recht, autonom über die Art und Weise bestimmen zu können, wie sich der Einzelne in der Öffentlichkeit darstellen und wie er wahrgenommen werden will, ebenso wie das Recht am eigenen Bild ( Grabenwarter/Pabel aaO § 22 Rz 6 und 9ff mwH; Hinterhofer aaO 15ff mvN). Dass filmische Aufzeichnungen von kontradiktorischen Zeugenvernehmungen nicht selten Inhalte betreffen, die in den beschriebenen Schutzbereich fallen, liegt auf der Hand.
Wenngleich die Konventionsgarantie zunächst als klassisches Abwehrrecht ausgestaltet ist, ist doch allgemein anerkannt (vgl Grabenwarter/Pabel aaO Rz 1 und 50 mwH; Frowein/Peukert EMRK 3 Art 8 Rz 1f), dass sich aus Art 8 EMRK darüber hinaus die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates ergibt, im Rahmen geeigneter normativer Vorkehrungen diese zentralen Persönlichkeits(grund)rechte von Zeugen in einen angemessenen Ausgleich mit allenfalls entgegenstehenden Verteidigungs(grund)rechten zu bringen. Dazu wäre jedoch eine Regelung vonnöten, die dem Gericht deutlich facettenreichere Reaktionsmöglichkeiten in Bezug auf den dem Beschuldigten einzuräumenden Zugang zu verfahrensrelevanten Ton- und Bildaufnahmen eröffnete. Die angefochtene Bestimmung wird dieser Anforderung nicht gerecht.
RECHTSMITTELBELEHRUNG:
Gegen diese Entscheidung steht kein weiteres Rechtsmittel zu.