3R90/12v – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Brigitta Hütter als Vorsitzende sowie die Richter Dr. Wolfgang Seyer und Dr. Robert Singer in der Rechtssache der klagenden Partei H***** H*****, vertreten durch MMag. Dr. Stefan Hornung, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei G*****, vertreten durch Univ.Prof. Dr. Friedrich Harrer, Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen EUR 65.134,64 s.A. und Feststellung (Streitwert EUR 5.000,00) über den Rekurs des Revisors beim Landesgericht Salzburg gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 30. März 2012, 2 Cg 234/10a-14, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
1. Der erstinstanzliche Beschluss wird im unbekämpft bestimmten Gebührenteil in seinem Ausspruch nach § 2 Abs 2 GEG dahin abgeändert, dass dieser Teil insgesamt lautet:
„Die Gebühren des Sachverständigen ***** für nachstehend angeführte Leistungen werden wie folgt bestimmt:
Die Buchhaltungsagentur des Bundes wird angewiesen, nach Rechtskraft des Beschlusses EUR 256,00 (in Worten: zweihundertfünfzigsechs) aus Amtsgeldern an den Sachverständigen auf dessen Konto ***** zu überweisen.
Die Kostenersatzpflicht für den aus Amtsgeldern ausbezahlten Betrag trifft gemäß § 2 Abs 2 GEG beide Parteien je zur Hälfte. Die Wirkungen der Verfahrenshilfe der Klägerin bleiben durch diesen Beschluss unberührt.
2. Im Übrigen wird der bekämpfte Beschluss, der in seinem unbekämpft abgewiesenen Mühewaltungsgebührenteil von EUR 294,00 unberührt bleibt, in seinem Ausspruch über die Position 3. des Gebührenantrags (Mühewaltung [ON 10]) im Umfang von EUR 1.176,00 aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
3. Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 5 ZPO jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Die Klägerin wurde am ***** im *****Spital ***** der Beklagten an ihrer linken Hüfte operiert. Gestützt auf einen ärztlichen Aufklärungs- und Kunstfehler begehrt die Klägerin von der Beklagten Schadenersatz von EUR 65.134,64 s.A. und die urteilsmäßige Feststellung der Haftung der Beklagten für ihre künftigen Schäden, die aus dieser Operation resultieren. Beide Streitteile - die Klägerin genießt Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit c und Z 3 ZPO - beriefen sich auf ein einzuholendes Gutachten eines Orthopäden; für die Hälfte der Gebühr übernahm die Beklagtenvertreterin die persönliche Haftung.
Der mit den Fragen der gehörigen Aufklärung und kunstgerechten Operation befasste Sachverständige ***** überreichte am 2. März 2012 sein Gutachten samt (aufgegliederter) Gebührennote über EUR 1.726,50 (ON 10). Darin sprach er in Position 3 eine Mühewaltung für sechs Stunden zu einem Stundensatz von EUR 245,00, gesamt EUR 1.470,00 an.
Der Revisor beim Landesgericht Salzburg äußerte dazu, die Leistung des Sachverständigen sei dem § 43 GebAG zu subsumieren. Es möge die Mühewaltungsgebühr für drei Fragenkomplexe gemäß § 43 Abs 1 lit d GebAG mit 3 x EUR 116,20 bestimmt werden. Wegen des verzögerten Gutachtens sei ferner § 25 Abs 3 GebAG anzuwenden.
Mit dem bekämpften Beschluss bestimmte das Erstgericht die Gebühr des Sachverständigen mit EUR 1.432,00 und ordnete an, diese aus Amtsgeldern zu begleichen. Weiters sprach es aus, dass die Klägerin für diese Gebühr zahlungspflichtig sei.
Rechtlich meinte das Erstgericht: Da die Klägerin Verfahrenshilfe genieße, sei die Gebühr für Mühewaltung nach § 34 Abs 2 GebAG zu bestimmen. Die Leistungen des Sachverständigen unterfielen nicht den Tarifen des § 43 GebAG. Der Sachverständige stütze nämlich sein Gutachten nicht nur auf eine körperliche Untersuchung der Klägerin, sondern auch darauf, viele Röntgenbilder und eine umfangreiche Krankengeschichte mit den OP-Unterlagen ausgewertet zu haben. Die Mühewaltungsgebühr sei nach dem Einkommen des Sachverständigen im freien Erwerbsleben abzüglich 20% zu bestimmen. Ein Abschlag für das bedeutend verspätet erstellte Gutachten könne unterbleiben, weil es sehr schwierig sei, für derartige Fälle einen kompetenten Sachverständigen zu finden.
Gegen diesen Beschluss erhebt der Revisor beim Landesgericht Salzburg Rekurs; er beantragt den bekämpften Beschluss dahin abzuändern, dass die Gebühr für Mühewaltung nach § 43 Abs 1 Z 1 lit d GebAG für drei Fragenkomplexe mit 3 x EUR 116,20 bestimmt und gemäß § 25 Abs 3 GebAG nach richterlichem Ermessen gekürzt werde; es solle ferner die Ersatzpflicht nach § 2 GEG beiden Streitteilen je zur Hälfte auferlegt werden.
Die Streitteile und der Sachverständige haben sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
Der Rekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 8a JN entscheidet bei den Landes- und Handelsgerichten sowie den Oberlandesgerichten über Rechtsmittel gegen Entscheidungen über die Gebühren der Sachverständigen und Dolmetscher der Einzelrichter. Mit dieser Ausnahme von der in § 8 Abs 1 JN angeordneten Senatsgerichtsbarkeit bei den Oberlandesgerichten wollte der Gesetzgeber das Verfahren straffen und richterliche Kapazitäten einsparen (vgl RV 981 BlgNR 24. GP 66). Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht nur die Bestimmung der Gebühren des Sachverständigen sondern auch die Entscheidung nach § 2 GEG bekämpft. Eine Entscheidung über die Ersatzpflicht der aus Amtsgeldern zu berichtigenden Kosten gemäß § 2 Abs 2 GEG ist eine solche im Kostenpunkt (RIS-Justiz RS0017282 [T 6]; OLG Wien 13 R 234/11v). Beschlüsse nach § 2 Abs 2 GEG über die vorläufige Kostenersatzpflicht werden daher vom Wortlaut des § 8a JN nicht erfasst. Es würde das Verfahren verkomplizieren und den Aufwand vermehren, verlangte man bei einem Beschluss, in dem nicht nur dessen Gebührenbestimmung sondern auch dessen Ausspruch nach § 2 Abs 2 GEG bekämpft ist, die Entscheidung des Einzelrichters über die Gebühren und des Senates über die Ersatzpflicht. Primär ist davon auszugehen, dass ein Gesetz den Zweck hat, praktisch angewendet zu werden, und dass der Gesetzgeber beabsichtigte, vernünftig zu handeln (vgl Fasching in Fasching2 I Einl Rz 94). Nach dem Zweck des § 8a JN, das Verfahren zu straffen und richterliche Kapazitäten zu sparen (vgl RV 981 BlgNR 24. GP 66), ist daher diese Norm teleologisch zu reduzieren, sodass die Ausnahmeregelung des § 8a JN ausschließlich dann anzuwenden ist, wenn in einem Rechtsmittel nur die Gebühren des Sachverständigen und/oder Dolmetscher bekämpft sind (vgl Krammer in SV 2012, 42 [Anm 1]; RIS-Justiz RKR0000201). Über den Rekurs ist daher in Senatsbesetzung zu entscheiden.
2. Der Rekurswerber meint, die Gebühr für Mühewaltung wäre nicht nach den Einkünften des Sachverständigen im außergerichtlichen Erwerbsleben, sondern nach dem gesetzlichen Tarif für Ärzte nach § 43 GebAG zu bestimmen. Selbst wenn man dem nicht folgte, müsste der Sachverständige nach § 34 Abs 1 GebAG nachweisen, was er im außergerichtlichen Erwerbsleben verdiene. Die Honorarrichtlinie der Österreichischen Ärztekammer für gutachterliche Tätigkeiten, auf die sich der Sachverständige bezöge, sei kein geeigneter Nachweis. Daher hätte das Erstgericht den Sachverständigen auffordern müssen, seine außergerichtlichen Einkünfte für vergleichbare Tätigkeiten zu beweisen. Andernfalls wäre die Gebühr nach dem Satz des § 34 Abs 3 Z 3 GebAG bestenfalls mit EUR 150,00 pro Stunde zu bemessen gewesen. Wegen der verzögerten Erstattung des Gutachtens wäre überdies die Mühewaltungsgebühr nach § 25 Abs 3 GebAG „nach richterlichem Ermessen“ zu kürzen.
Dazu ist auszuführen:
Für eine Begutachtung - wie hier -, ob ein ärztlicher Kunstfehler vorliegt, ist in § 43 GebAG kein Tarif vorgesehen (SV 2010, 92; SV 2011, 217). Die Mühewaltungsgebühr für derartige Gutachten ist gemäß § 34 Abs 1 GebAG nach richterlichem Ermessen orientiert an der aufgewendeten Zeit und Mühe und den Einkünften zu bestimmen, die der Sachverständige für eine gleiche oder ähnliche Tätigkeit im außergerichtlichen Erwerbsleben üblicherweise bezöge. Genießt eine zahlungspflichtige Partei Verfahrenshilfe - wie hier -, dann ist hievon „zum Wohl der Allgemeinheit ein Abschlag von 20% vorzunehmen.“
Der Sachverständige stützte die angesprochene Gebühr für Mühewaltung auf die „Autonome Honorarordnung der Österreichischen Ärztekammer für gutachterliche Tätigkeiten.“ Es ist dies jedoch keine gesetzlich vorgesehene Gebührenordnung im Sinn des § 34 Abs 4 GebAG; diese Gebührenordnung hat die Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer am 14. Dezember 2007 beschlossen (vgl Diemath/Grabner/Kopetzki/Zahrl, Das ärztliche Gutachten5, Anhang 17 [712]). Es handelt sich dabei also um eine Gebührenordnung einer autonomen, berufsständischen Einrichtung, die seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs als Kartellobergericht vom 20. Dezember 2005, 16 Ok 45/05 (SV 2006/1, 33) wegen ihres wettbewerbsbeschränkenden Zwecks zur Gebührenbestimmung nicht mehr herangezogen werden darf. Deshalb wurde auch die Bestimmung des § 34 GebAG über die Gebühr für Mühewaltung mit BGBl I 2007/111 grundlegend neu gestaltet (vgl Krammer, Aktuelles aus dem Gebührenanspruchsrecht, SV 2009/1, 1). Diese Rechtslage haben das Erstgericht und der Sachverständige übersehen.
Das Gebührenbestimmungsverfahren ist - unabhängig von den sonst im Hauptverfahren geltenden Verfahrensvorschriften - weitgehend einem eigenen Zivilprozess nachgebildet, indem sowohl der Honoraranspruch des Sachverständigen als auch alle Einwendungen der Parteien oder sonst wirtschaftlich Betroffenen vollständig vorgebracht und alle Beweise und Bescheinigungen aufgenommen werden (9 Ob 67/03y). Vor der Gebührenbestimmung kann das Gericht den Sachverständigen auffordern, sich über Umstände, die für die Gebührenbestimmung bedeutsam sind, zu äußern und, unter Setzung einer bestimmten Frist, noch fehlende Bestätigungen über seine Kosten vorzulegen (§ 39 Abs 1 Satz 3 GebAG).
Das Erstgericht hat dem Sachverständigen weder die Einwände des Revisors bekanntgegeben, noch diesen aufgefordert die Unklarheit, was er für eine vergleichbare Tätigkeit außergerichtlich verdiene, aufzuklären und zu bescheinigen. Wegen dieses Verfahrensmangels ist der erstinstanzliche Beschluss im Punkte der zugesprochenen Mühewaltungsgebühr - nur dieser Punkt ist bekämpft - aufzuheben.
Damit kann die Frage, ob die Gebühr für Mühewaltung wegen eines verzögerten Gutachtens gemäß § 25 Abs 3 GebAG zu kürzen ist, (vorerst) auf sich beruhen.
3. Treffend releviert der Rekurswerber, dass gemäß § 2 Abs 2 GEG auch die beklagte Partei zum Kostenersatz zu verpflichten ist.
Die Frage, wer die im Zivilprozess entstandenen Kosten - unbeschadet einer allfälligen Ersatzpflicht des Gegners - zunächst zu tragen hat, regelt § 40 Abs 1 ZPO. Danach hat jede Partei die durch ihre Prozesshandlungen verursachten Kosten selbst zu bestreiten. Die Kosten solcher gerichtlichen Handlungen, welche von beiden Parteien gemeinschaftlich veranlasst oder vom Gericht im Interesse beider Parteien auf Antrag oder von Amts wegen vorgenommen werden, sind von beiden Parteien gemeinschaftlich zu bestreiten (Stabentheiner, Gerichtsgebühren 9.03 GEG § 2 E 32). Beide Streitteile haben das Sachverständigengutachten beantragt. Die Kostenersatzpflicht dafür trifft daher beide Teile je zur Hälfte (vgl Stabentheiner aaO E 30). Die Wirkungen der der klagenden Partei bewilligten Verfahrenshilfe werden dadurch nicht aufgehoben (vgl Stabentheiner aaO E 115 f).
Die von der Beklagtenvertreterin übernommene persönliche Haftung für die Hälfte der Sachverständigengebühr ist ausschließlich nach § 34 ZPO und ABGB zu beurteilen (vgl AnwBl 1980/1207). Dennoch hat sie auch durch diese Haftungserklärung die Sachverständigengebühr mitveranlasst (vgl AnwBl 1980/1207).
4. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht hinsichtlich des aufgehobenen Teils zunächst nach § 39 Abs 1 Satz 3 GebAG vorzugehen und dann in seiner neuerlichen Entscheidung festzustellen haben, was der Sachverständige für gleiche oder ähnliche Tätigkeit außergerichtlich bezieht.