8Bs319/96 – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richter Dr. Fischer als Vorsitzenden, Dr. Aistleitner (Berichterstatter) und Dr. Wiesinger, im Beisein der Schriftführerin RiAA Mag. Bernögger, in der Strafsache gegen T***** H***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Strafe gegen das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Linz vom 20.6.1996, 25 EVr 859/96-21, nach der in Anwesenheit des Leitenden Oberstaatsanwalts Dr. Buchmayr, des Angeklagten, seiner gesetzlichen Vertreterin J***** K***** und seines Verteidigers Mag. S***** durchgeführten Berufungsverhandlung am 12.12.1996 zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wegen Nichtigkeit wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in seinem Strafausspruch aufgehoben und insoweit in der Sache selbst erkannt:
1.) Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträglichen Strafausspruch zum Urteil des LG Linz vom 23.11.1995, 25 EVr 1702/95-12, wird a b g e w i e s e n .
2.) Für das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB wird der Ausspruch einer Strafe über den Angeklagten T***** H***** unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren gemäß § 13 Abs 1 JGG vorbehalten.
3.) Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gemäß dem § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 23.11.1995 wurde der am 22. August 1977 geborene, somit noch jugendliche T***** H***** wegen mehrerer Vermögensdelikte verurteilt; gemäß § 13 JGG wurde der Ausspruch einer Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren vorbehalten (ON 12). Zugleich wurde ihm die Weisung erteilt, einen bestimmten Schadensbetrag an die ***** als Privatbeteiligte zu leisten und dies dem Gericht bis 28. Feber 1996 schriftlich unaufgefordert nachzuweisen.
Dieses Urteil erwuchs am 28.11.1995 in Rechtskraft.
Unter der Annahme, der Verurteilte habe die Weisung trotz förmlicher Mahnung nicht erfüllt, beantragte der öffentliche Ankläger am 17.4.1996 den nachträglichen Strafausspruch gemäß §§ 15 Abs 1, 16 Abs 1 JGG (AS 278).
Noch vor der darüber anberaumten Hauptverhandlung wurde das ehemals beim BG Perg zu U 38/96 (hier ON 18) gegen T***** H***** anhängige Verfahren wegen §§ 83 Abs 1, 94 Abs 1 StGB einbezogen; der darin erhobene Strafantrag wurde damit auch zum Gegenstand der Hauptverhandlung vom 20.6.1996, in welcher der Erstrichter mit der angefochtenen Entscheidung T***** H***** nicht nur - insoweit rechtskräftig - des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB verurteilte, sondern über ihn für diese Tat, aber auch unter gleichzeitigem nachträglichem Strafausspruch zum Urteil vom 23.11.1995 eine viermonatige Freiheitsstrafe verhängte, diese jedoch mit dreijähriger Probezeit bedingt nachsah (§ 43 Abs 1 StGB). Vom weiteren Anklagevorwurf nach § 94 Abs 1 StGB wurde der Angeklagte rechtskräftig freigesprochen.
Allein gegen den Strafausspruch richtet sich die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) sowie wegen Strafe. Bereits in ersterem Punkt ist sie berechtigt.
Zunächst verneinte zwar der Erstrichter zutreffend, daß die nicht rechtzeitige Erfüllung der Weisung bei der fallbezogenen Konstellation ein Anlaß für einen nachträglichen Strafausspruch sein könne; der Angeklagte leistete die Zahlung (wohl - vgl. AS 277 unten in der Nachfrist), wenngleich er dies erst in der Hauptverhandlung nachwies. Seiner Beteuerung, daß er der Meinung war, mit der Zahlung selbst die Weisung zur Gänze erfüllt zu haben, und er an den Nachweis bei Gericht als weiteren Teil der Weisung nicht mehr dachte, ist Glauben zu schenken. Von vorsätzlicher Nichterfüllung der Weisung kann demnach nicht die Rede sein.
Rechtliche Beurteilung
Nun stützte der Erstrichter den nachträglichen Strafausspruch darauf, daß der Angeklagte neuerlich auch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB verurteilt worden sei. Dies kann jedoch den Strafausspruch nicht tragen.
Denn diese (nun hervorgekommene) Tat wurde bereits am 17. November 1995 verübt, damit vor dem Urteil vom 23.11.1995, das den Ausspruch nach § 13 JGG enthielt.
Das Berufungsgericht verkennt nicht, daß die nach dem JGG 1961 gültige Rechtslage auch bei einer derartigen Konstellation einen nachträglichen Strafausspruch zuließ (EvBl 1957/15; OGH vom 17.2.1987, 10 Os 5/87). Die nunmehr maßgeblichen Bestimmungen rechtfertigen jedoch bei einer solchen Situation den nachträglichen Strafausspruch nicht: In Abkehr von der alten Gesetzesformulierung (§ 13 Abs 2 JGG alt: "Zeigt sich innerhalb der Probezeit, daß die Besserung sonst nicht erzielt werden kann, so ist die Strafe auszusprechen und zu vollziehen") bestimmt nunmehr § 15 Abs 1 JGG:
"Wird der Rechtsbrecher wegen einer vor Ablauf der Probezeit begangenen strafbaren Handlung neuerlich verurteilt, so ist die Strafe auszusprechen, wenn dies in Anbetracht der Verurteilung zusätzlich zu dieser geboten erscheint, um den Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten."
Nun könnte dieser Wortlaut bei grammatikalischer Interpretation auch - allerdings nicht nur - die Lösung zulassen, eine vor Beginn der Probezeit verübte Tat auch als eine vor dem Probezeitablauf geschehene Delinquenz zu sehen. Dies kann jedoch - vor allem mit Blick auf die Gesetzesmaterialien (EBRV zum JGG, 30; Bogensberger, Jugendstrafrecht und Rechtspolitik, 1992, S 177) - hier nicht gemeint sein. Denn erklärter Wille war es, die materiellen Voraussetzungen für einen nachträglichen Strafausspruch wegen neuerlicher Verurteilung den durch das StrÄG 1987 neu gefaßten Voraussetzungen für den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht (§ 53 Abs 1 StGB) anzugleichen. Das heißt: § 15 Abs 1 JGG ist dahin zu verstehen, daß die Straftat, wegen der der Proband neuerlich verurteilt wurde, während der Probezeit gesetzt worden sein muß, um den nachträglichen Strafausspruch zu begründen. Die ältere Judikatur ist damit überholt (und die in Jesionek/Held JGG2 § 15 Anm 4 vertretene Ansicht nicht mehr aktuell).
Durch den dennoch erfolgten nachträglichen Strafausspruch ist das Urteil - wie die Berufung zutreffend aufzeigt - nichtig im Sinn des § 281 Abs 1 Z 11 StPO, handelt es sich doch nicht bloß um einen (vertretbaren) Ermessensfehler, sondern um einen Verstoß gegen zwingende Gesetzesbestimmungen über die Strafbemessung.
Der Antrag des öffentlichen Anklägers auf nachträglichen Strafausspruch war demnach - nach Kassierung des gesamten Strafausspruchs - abzuweisen.
Damit war die Strafe (nur) für das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB auszumessen (der Angeklagte hatte am 17. November 1995 in Pierbach eine andere Person durch Schläge am Körper in Form eines Blutergusses am Hinterkopf und einer Prellung des Brustbeins vorsätzlich verletzt). Als mildernd waren dem Angeklagten das Geständnis (AS 74 in ON 18, der Sache nach auch AS 292), sowie die Unbescholtenheit (zur Tatzeit) zuzubilligen. Ein erschwerender Umstand war nicht erkennbar.
Eine Zusatzstrafe im Sinn der §§ 31, 40 StGB, wie vom Berufungswerber begehrt, kommt nicht in Betracht, da mit dem in Rede stehenden "Vor"-Urteil vom 23.11.1995 über den Angeklagten ja keine Strafe verhängt worden war (Leukauf-Steininger Komm3 § 31 RN 16a mwH).
Unter Beachtung aller Präventionszwecke war auch hier der Ausspruch einer Strafe gemäß § 13 Abs 1 JGG vorzubehalten. Eine zweijährige Probezeit genügt im Hinblick auf die ersichtlich schon begonnene innere Konsolidierung des Angeklagten.
Ein Eingehen auf die Strafberufung erübrigte sich wegen originärer Neubemessung der Strafe durch das Berufungsgericht.