JudikaturOLG Linz

7Bs234/96 – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
21. August 1996

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richter Senatspräsident Dr. Ludwig Rathmayr als Vorsitzenden, Dr. Wolfgang Krichbaumer (Berichterstatter) und Dr. Erich Feigl über den Einspruch des J***** und der C***** P***** gegen die wegen des Verbrechens des Quälens und Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach dem § 92 Abs 2 und 3 2.Fall StGB erhobene Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Steyr vom 10. Juli 1996, nach Anhörung der Oberstaatsanwaltschaft in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Dem Einspruch wird Folge gegeben und die Anklageschrift zur besseren Aufklärung des Sachverhaltes vorläufig zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die erwähnte Anklageschrift wirft den Ehegatten P***** vor, in der Zeit von Anfang Juni 1992 bis 19.3.1994 in E***** und anderen Orten als Beteiligte (§ 12 StGB) dadurch, daß sie es als Eltern der am 12.4.1978 geborenen K***** P***** unterließen, ihre an einem Knochentumor leidende Tochter einer schulmedizinischen und damit zumindest lebensverlängernden Behandlung in Form eines operativen Eingriffes in Verbindung mit einer adjuvanten Chemotherapie zuzuführen, wodurch sich als Folge bei K***** P***** zahlreiche Lungenmetastasen mit massiver Ergußbildung im Bauchraum, im Brustraum und im Herzbeutel bildeten, an welchen diese am 19.3.1994 verstarb, ihre Verpflichtung zur Fürsorge oder Obhut einem Menschen gegenüber, der ihrer Fürsorge und Obhut unterstand und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, gröblich vernachlässigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, dessen Gesundheit beträchlich geschädigt zu haben, wobei die Tat den Tod der Geschädigten zur Folge hatte.

In ihrem Einspruch beantragen die Beschuldigten der Anklage keine Folge zu geben und das Verfahren einzustellen, in eventu die Anklage vorläufig zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes zurückzuweisen.

Dem Einspruch kommt im Sinne des Eventualantrages Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Zur Erfüllung des Tatbildes des § 92 Abs 2 StGB ist erforderlich, daß der Täter seine Pflicht zur Fürsorge oder Obhut gröblich vernachlässigt. Dies wird (erst) dann zu bejahen sein, wenn der Täter durch sein Verhalten zu erkennen gibt, daß es ihm an der Bereitschaft, seinen Pflichten nachzukommen, in erheblichem Maße fehlt, es muß sich um ein auffallendes krasses, geradezu auf einen Charaktermangel hinweisendes Mißverhältnis zwischen seinem pflichtwidrigen Verhalten und jenem Maß an Fürsorge oder Obhut handeln, dessen Aufwendung unter den konkreten Tatumständen allgemein erwartet wird. Eine gröbliche Pflichtverletzung liegt etwa vor, wenn eine Mutter trotz Erkennens akuter Kinderkrankheitssymptome es unterläßt, für eine ständige ärztliche Behandlung oder rechtzeitige Spitalsunterbringung ihres Kleinkindes zu sorgen oder wenn sie ihren Säugling nicht oder nur so mangelhaft ernährt, daß er verdurstet bzw. verhungert, wobei sich der (zumindest bedingte) Vorsatz auf die Vernachlässigung und alle jene Modalitäten erstrecken muß, die diese als gröblich erscheinen lassen (vgl. Leukauf-Steininger, 3. Auflage RZ 10 und 12 zu § 92 StGB).

Zur Klärung der Frage, ob das Tatbildmerkmal des gröblichen Vernachlässigens vorliegt und die beiden Einspruchswerber mit dem notwendigen zumindest bedingten Vorsatz handelten, ist der Sachverhalt aufklärungsbedürftig. In diesem Punkt wird in der Anklageschrift lediglich ausgeführt, daß die beiden Beschuldigten, "die der Tatsachen geständig seien", als Eltern dadurch, daß sie die schulmedizinische Behandlung ihrer Tochter trotz Erfolgsaussichten nicht fortführten, das gegenständliche Verbrechen zu verantworten hätten.

Der Obduzent J***** H***** verwies in seinem Gutachten vom 22.3.1994 (S. 37) darauf, daß osteogene Sarkome ganz allgemein als besonders bösartige Tumore mit schlechter Prognose gelten und laut Statistik nur etwa in einem Prozent der Fälle mit einer fünfjährigen Überlebenszeit ab Diagnosestellung zu rechnen ist (vgl. auch Bericht der Kriminalabteilung des L***** vom 8.8.1994 S. 5 des Aktes). In ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 28.7.1994 verwiesen die beiden Einspruchswerber unter anderem darauf, daß sie nach Ablehnen der Operation (in welcher Art diese geplant war, geht aus dem bisherigen Akteninhalt allerdings nicht hervor) in der Folge einige Ärzte und Therapeuten aufgesucht hätten, unter anderem Dr. S***** und den in Mödling ansässigen Dr. H*****. Vom praktischen Arzt Dr. O***** S*****, der die Minderjährige behandelte, wurden in der Folge verschiedene Unterlagen vorgelegt, unter anderem ein radiologischer Befund Dris. G***** S***** (Institut für bildgebende Diagnostik, Computertomographie und Osteoporosediagnostik) vom 21.7.1992 (S. 107 und 109). Unaufgeklärt blieb bislang, welcher Wissensstand in bezug auf Heilungsverlauf und Erfolgsaussichten den beiden Einspruchswerbern von den damals behandelnden Ärzten vermittelt wurden, aus welchen Gründen sie die weitere schulmedizinische Behandlung ablehnten, obwohl zunächst ds Therapieschema eingehalten wurde, und ob und in welchem Ausmaß bei ihnen (falsche) Hoffnung auf Heilung bei Anwendung alternativmedizinischer Methoden erweckt wurde. Zu diesem Fragenkomplex wurden bislang weder der behandelnde praktische Arzt noch die behandelnden Ärzte des A*****, Orthopädische U***** und A*****, Medizinische Abteilung, sowie die beiden Fachärzte Dr. S***** und Dr. H***** zeugenschaftlich vernommen.

Die bisherigen Verfahrensergebnisse reichen sohin für eine Anklageerhebung wegen gröblichen Vernachlässigens im oben angeführten Sinne nicht aus. Das Gleiche gilt für die Frage des Vorliegens eines zumindest bedingten Vorsatzes. Der Bericht des Landesgendarmeriekommandos für *****, Kriminalabteilung, vom 24.10.1994 (S. 45) spricht eher für das Fehlen eines solchen Vorsatzes im Hinblick auf die Mitteilung Dris. O***** S*****, wonach seiner Meinung nach die Eltern für das Kind "nur das Beste gewollt, allerdings auf die Wirkung alternativer Methoden gehofft hätten". Auch der Inhalt der vom Beschuldigten J***** P***** verfaßten, mit dem Anklageeinspruch vorgelegten Sachverhaltsdarstellung vom 6.8.1996 geht in diese Richtung, wobei sich der Einspruchswerber nunmehr bereit erklärte, zu diesen Angaben vor dem Untersuchungsrichter Stellung zu nehmen.

Das Einspruchsgericht hält sohin den Sachverhalt im aufgezeigten Umfang für aufklärungsbedürftig, wobei eine detaillierte Ergänzung des Vorverfahrens ausdrücklich aufzutragen dem Einspruchsgericht verwehrt bleibt (vgl. Foregger-Kodek, 6. Auflage Erl. III zu § 211 StPO); dem Einspruchsvorbringen zuwider liegen aufgrund der derzeitigen Aktenlage die Voraussetzungen für eine Einstellung gemäß § 213 Abs 1 Z 2 StPO zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor.

Oberlandesgericht Linz, Abt.7,

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