JudikaturOLG Linz

7Bs382/93 – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
10. Januar 1994

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richter Senatspräsident Dr.Ludwig Rathmayr als Vorsitzenden, Dr.Erich Feigl (Berichterstatter) und Dr.Wolfgang Krichbaumer über den Einspruch des W. J. W. vom 8.11.1993 gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft W. vom 20.8.1993, 5 St 1555/93 (ON 3), nach Anhörung der Oberstaatsanwaltschaft in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

1.) Der Anklage wird Folge gegeben.

2.) Die Strafsache gegen W. J. W. wegen des Verdachtes des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach den §§ 15 Abs. 1, 201 Abs. 2 StGB wird dem Landesgericht Wels als Jugendschöffengericht zugewiesen.

Text

Begründung:

Nach der vorliegenden Anklageschrift ist der am 1.2.1971 geborene W. W. verdächtig, zu nachangeführten Zeiten in Wels R. K. mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung eines Beischlafes zu nötigen versucht zu haben, und zwar:

1.) zu einem nicht mehr genau festzustellenden Zeitpunkt im Jahr 1989 dadurch, daß er sie an den Schultern erfaßte und sie auf das Bett drückte, sich auf sie legte und versuchte, seine Hose auszuziehen, wobei die Vollbringung der Tat nur durch Dazwischenkunft eines fremden Hindernisses beim Versuch geblieben sei;

2.) von Mai 1990 bis 9.7.1993 durch gefährliche Drohung, nämlich sinngemäß durch die Äußerung, er werde sie schlagen, wenn sie nicht mit ihm schlafe.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft habe W. W. dadurch das Verbrechen der versuchten Vergewaltigung nach den §§ 15 Abs. 1, 201 Abs. 2 StGB begangen und sei hiefür nach dem 202 Abs. 2 StGB unter Bedachtnahme auf § 28 StGB zu bestrafen.

Gegen diese Anklageschrift erhob W. W. lediglich mit der Begründung Einspruch, daß er erst am 1.2.1990 das 19. Lebensjahr vollendet habe, daher zum Tatzeitpunkt im Jahr 1989 noch minderjährig gewesen sei. Er stellte daher den Antrag, die gegenständliche "Rechtssache" an das Jugendschöffengericht zu verweisen.

Die Oberstaatsanwaltschaft trat dem Antrag des Einspruchswerbers bei.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst war der Anklage Folge zu geben, da ihr keiner der in den §§ 211-213 StPO erwähnten Fälle entgegen steht. Da sich die Prüfung des Gerichtshofes zweiter Instanz nicht bloß auf die im Anklageeinspruch geltend gemachten Gründe beschränkt, sondern der Gerichtshof zweiter Instanz die gesamte Anklage zu prüfen hat (EvBl. 1968/206), wird vor der Prüfung des im Einspruch geltend gemachten Zuständigkeitsproblems noch auf die Anklage inhaltlich eingegangen.

Sowohl nach dem Aufbau der Anklage als auch nach dem Beweiswert der belastenden und entlastenden Aussagen ist der in der Anklage erhobene Verdacht als begründet anzusehen.

Es muß jedoch auf zwei Unrichtigkeiten hingewiesen werden, die als offenbare Schreibfehler zu qualifizieren sind. Die Staatsanwaltschaft Wels umschreibt den Zeitraum der Tatbegehung zum Faktum II.) in Tenor von Mai 1990 bis 9.7.1993. Sowohl aus der Aktenlage als auch aus der Begründung der Anklageschrift ergibt sich jedoch, daß W. W. begründet verdächtig ist, seit Mai 1993 die im Tenor unter Faktum II.) angeführten Äußerung gegenüber R. K. abgegeben zu haben. Da die Dauer der Tatbegehung letztlich der Beweiswürdigung des erkennenden Gerichtes obliegt und in der Hauptverhandlung zu klären sein wird, kann von einer vorläufigen Zurückweisung im Sinne des § 211 Abs. 1 StPO abgesehen werden. Weiters darf auch auf eine Diskrepanz im Tenor der Anklage hingewiesen werden: Einerseits erachtet die Staatsanwaltschaft Wels, daß durch die unter I.) und II.) umschriebenen Tathandlungen das Verbrechen der versuchten Vergewaltigung nach den §§ 15 Abs. 1, 201 Abs. 2 StGB begangen werde. Andererseits fordert sie eine Bestrafung nach dem § 202 Abs 1 StGB. Da beide Delikte (sowohl § 201 Abs. 2 StBG als auch § 202 Abs. 2 StGB) nach § 13 Abs. 1 Z. 4 StPO in die Zu- bzw. Eigenzuständigkeit des Schöffengerichtes fallen, konnte eine vorläufige Zurückweisung der Anklage zur Behebung von Formgebrechen unterbleiben.

Die Anklage ist somit inhaltlich als begründet anzusehen.

Zur Frage der Zuständigkeit ist dem Einwand des Einspruchswerbers im Einspruch zu folgen.

Wenn der Gerichtshof zweiter Instanz dafür hält, daß zur Vornahme der Hauptverhandlung ein anderes Gericht seines Sprengels zuständig ist, so verweist er diese dahin und erkennt zugleich in der Sache selbst (§ 212 StPO).

Wie das OLG Linz zu 6 Bs 488/74 erkannte, ist unter "zuständiges Gericht" im Sinne des § 212 StPO nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit zu verstehen. In diesem Zusammenhang erschöpft sich die sachliche Zuständigkeit jedoch nicht darin, daß der richtige Gerichtstyp durch den Ankläger angerufen wurde, sondern bezieht sich auch darauf, daß die richtige Besetzung des Gerichtes im Sinne von sondergesetzlichen Bestimmungen beantragt wird. In diesem Sinne kann nach § 212 StPO im Einspruch gegen die Anklageschrift auch die Anrufung eines funktionell unzuständigen Gerichtes bekämpft werden. Nach § 28 Abs. 1 JGG 1988 muß (unter anderem) jedem Schöffengericht eine im Lehrberuf, als Erzieher oder in der öffentlichen oder privaten Jugendwohlfahrt oder Jugendbetreuung tätige oder tätig gewesene Person angehören. Diese besondere Besetzungsvorschrift für das Jugendschöffengericht hat vor Augen, daß zumindest ein Laienrichter aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit für die besonderen Anliegen und Probleme von Jugendlichen Verständnis zeigt. Es wird daher zumindest funktionell - durch die Zuständigkeit des Jugendschöffengerichtes für Jugendstraftaten - ein nach § 212 StPO zu berücksichtigender Zuständigkeitstatbestand geschaffen.

Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, welches Gericht aufgrund der besonderen subjektiven Konnexität für die gegenständliche (Jugend )Strafsache zuständig ist.

Liegen einem Angeklagten sowohl Taten zur Last, die er vor Vollendung des 19. Lebensjahres als auch solche, die er nach Vollendung des 19. Lebensjahres begangen hat, so ist zur Aburteilung aller Taten das Jugendgericht zuständig (RZ 1958, 120). In der Begründung dieser Entscheidung geht der Oberste Gerichtshof darauf ein, daß nach § 56 Abs. 3 StPO dann, wenn zusammentreffende Strafsachen vor verschiedene Gerichte gleicher Ordnung gehören, über eine davon ihrer Art nach aber nur eines der Gerichte entscheiden kann, diese Strafsache für die Zuständigkeit ohne Rücksicht auf das Zuvorkommen eines anderen Gerichtes den Ausschlag gibt.

Da im vorliegenden Fall das Anklagefaktum I.) als Jugendstraftat zu qualifizieren ist, die als Jugendstrafsache in die Zuständigkeit des Jugendschöffengerichtes fällt, hat dieses im Fall der subjektiven Konnexität infolge der bloßen Gleichgewichtigkeit mit einer Erwachsenenstraftat als Gericht besonderer Art zu entscheiden.

Aus diesen Gründen war die gegenständliche Strafsache dem Jugendschöffengericht Wels zuzuweisen.

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