Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Friedrich als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Klammer und den Richter Mag. Melichar als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach §§ 28 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 und Abs 3 SMG, 15 StGB und einen weiteren Angeklagten über die Beschwerde des A* gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 03.10.2025, ** 81, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Der Beschwerde wird n i c h t Folge gegeben.
Die über A* verhängte Untersuchungshaft hat aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a StPO f o r t z u d a u e r n .
Die Wirksamkeit dieses Beschlusses ist durch eine Haftfrist nicht mehr begrenzt (§ 175 Abs 5 StPO).
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Begründung:
Der am ** geborene A* wurde mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 03.10.2025 des Verbrechens der (versuchten) Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 und Abs 3 SMG (zu ergänzen: § 15 StGB) schuldig erkannt.
Nach dem hier relevanten Schuldspruch (zu Punkt B.) hat A* vorschriftswidrig Suchtgift als Mitglied einer kriminellen Vereinigung mit zumindest den unbekannten Tätern „B*“ und „C*“ am 18.03.2025 in einer die fünfzehnfache Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 937,3 Gramm Cannabisharz mit einem Reinsubstanzgehalt von zumindest 26,15 Gramm Delta-9-THC und 342,11 Gramm THCA sowie 1.550,8 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von 1.278,76 Gramm Cocain mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, zu erwerben und besitzen versucht, indem er am vereinbarten Übergabetreffpunkt auf D* wartete, jedoch auf frischer Tat betreten wurde.
Hiefür verhängte der Schöffensenat – soweit für die Behandlung der Beschwerde von Relevanz – über A* nach § 28 Abs 3 SMG eine Freiheitsstrafe von 21 Monaten, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil von 14 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Die erlittene Vorhaft wurde aktenkonform vom 18.03.2025, 22:22 Uhr, bis zum Schluss der Verhandlung am 03.10.2025, 12:05 Uhr, gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.
Gleichzeitig beschloss der Schöffensenat, dass A* für den Fall der Rechtskraft des Urteils erster Instanz gemäß § 265 StPO aus dem unbedingten Teil der Freiheitsstrafe von 7 Monaten nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln der Freiheitsstrafe gemäß § 46 Abs 1 und 2 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen wird.
Gegen dieses Urteil richtet sich ausschließlich die durch den öffentlichen Ankläger angemeldete Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe zum Nachteil des A* und eines Mitangeklagten, während der Angeklagte sowie der Mitangeklagte Rechtsmittelverzicht erklärten (ON 82 AS 15).
Bereits im Ermittlungsverfahren war über A* über Antrag der Staatsanwaltschaft Innsbruck mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 21.03.2025 die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit a StPO verhängt worden (ON 14), die in weiterer Folge mit den Beschlüssen vom 04.04.2025 (ON 35), 02.05.2025 (ON 50), 01.07.2025 (ON 61), zuletzt aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO unbekämpft fortgesetzt wurde.
Nach Verkündung des mündlichen Urteils beantragte A* seine Enthaftung, allenfalls unter Anwendung gelinderer Mittel (ON 80). Die Staatsanwaltschaft sprach sich gegen die Enthaftung aus und verwies darauf, dass der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr weiterhin vorliege und bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausspruch einer bedingten Haftstrafe nicht zugrunde zu legen sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies der Vorsitzende des Schöffengerichts den Enthaftungsantrag des A* ab (I.) und setzte die verhängte Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a StPO fort (II.). Er verwies dabei zum dringenden Tatverdacht auf den Schuldspruch und hinsichtlich des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr, an dem sich keine Änderung ergeben hätte, auf die bisherigen Haftbeschlüsse. Darüber hinaus verfüge der Beschwerdeführer in Österreich über keinen festen Wohnsitz, kein geregeltes Beschäftigungsverhältnis und keine familiären oder sozialen bzw beruflichen Anbindungen. Im Hinblick darauf sowie unter Berücksichtigung der hohen Strafdrohung sei auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gegeben. Die Fortdauer der Untersuchungshaft sei nicht unverhältnismäßig. Erwägungen, ob die Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen werde, seien für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ohne Bedeutung. Gelindere Mittel reichten mit Blick auf die Intensität der Haftgründe nicht aus, um den Haftzweck zu erreichen.
Gegen diesen Beschlusses erhob der Angeklagte durch seine Verteidigerin nach dessen Verkündung Beschwerde, die in der Folge näher schriftlich ausgeführt wurde (ON 85). In der Beschwerdeausführung wird mit dem Fehlen der Haftgründe und der Unverhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft sowie der Möglichkeit gelinderer Mittel argumentiert und die Aufhebung der Untersuchungshaft und die Enthaftung des A*, allenfalls gegen gelindere Mittel, beantragt.
Die Beschwerde, zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft einer Stellungnahme enthielt, dringt nicht durch.
Hinsichtlich des – von der Beschwerde ohnehin nicht kritisierten – dringenden Tatverdachts als eine der notwendigen Voraussetzungen für die Verhängung bzw Fortsetzung der Untersuchungshaft wird auf den oben referierten und im Übrigen rechtskräftigen erstinstanzlichen Schuldspruch des Schöffensenates verwiesen (RIS Justiz RS0061107, RS0108486; Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz , WK StPO § 173 Rz 4).
Der Angeklagte weist keine Vorverurteilungen auf. Der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO liegt dann vor, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der Angeklagte werde auf freiem Fuß ungeachtet des wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat gegen ihn geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete Straftat mit schweren Folgen.
Der Begriff der schweren Folgen im Sinn des § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO umfasst über die tatbestandsmäßigen Folgen hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dabei sind Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch für die Gesellschaft im Ganzen, der gesellschaftliche Störwert einschließlich der Eignung, umfangreiche und kostspielige Abwehrmaßnahmen auszulösen und weitreichende Beunruhigung und Besorgnisse herbeizuführen, zu berücksichtigen. Maßgeblich ist stets die konkrete Fallkonstellation. Der Erwerb und Besitz einer das 15 fache der Grenzmenge weit übersteigenden Menge an Suchtgift im Rahmen einer kriminellen Vereinigung in einem Angriff ist auch in der Form des Versuchs als Straftat mit schweren Folgen zu qualifizieren. Der Vorsatz, dass dieses in Verkehr gesetzt werde, führt zur Eignung, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen herbeizuführen (§ 28b SMG).
Der Angeklagte war aus finanziellen Motiven bereit, als Verkäufer des übernommenen Suchtgifts zu fungieren.
Die bestimmten Tatsachen, aus denen sich die Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO ergibt, zeigen sich in der vom Angeklagten selbst getätigten Angabe, er sei bereits in Italien als Drogenverkäufer angeworben und nach ** geschickt worden, wobei Drogen über die Grenze gebracht werden sollten, die er sodann in ** verkaufen sollte. Dabei sei für ihn ein Lohn von EUR 600,-- pro Woche vereinbart worden (ON 24.3 AS 5 ff, ON 82 AS 11). Er sei in Italien beschäftigungslos gewesen und habe auch zum Zeitpunkt seiner Festnahme kein regelmäßiges Einkommen gehabt, wobei er angab, „ab und zu schwarz zu arbeiten“ (ON 11 AS 2). Mit Blick auf die beabsichtigte Übernahme einer aus Italien nach Österreich eingeführten Suchtgiftmenge, die das 15
Entgegen den Beschwerdeausführungen liegt eine Änderung der Verhältnisse nicht vor. Welche „Außenbedingung“ weggefallen wäre, macht die Beschwerde nicht klar. Zwar befindet sich der Mitangeklagte des Beschwerdeführers in Untersuchungshaft, die übrigen unbekannten Mitglieder der kriminellen Vereinigung, in deren Rahmen der Beschwerdeführer die nunmehr zur Verurteilung gelangte Tat ausgeführt hat, sind dagegen auf freiem Fuß und befinden sich (zumindest teilweise) in Italien. Eine Änderung der Verhältnisse, unter denen die Anlasstat begangen wurde, liegt sohin nicht vor.
Es liegt aber auch der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO vor. Der Angeklagte ist marokkanischer Staatsangehöriger, weist keine sozialen Bindungen in Österreich auf und geht auch keiner Beschäftigung nach. Die Miete für seine Wohnung wurde nach seinen Angaben von Mitgliedern der kriminellen Vereinigung bereits im Vorfeld bezahlt (ON 82 AS 11). Der Angeklagte gibt selbst an, er sei durch Europa gereist und recht mobil gewesen, zuletzt sei er eben auch in Italien gewesen. Nach seiner Haftentlassung würde er nach Frankreich gehen, wo ein engerer Familienkontakt bestehe (ON 82 AS 12). Im Hinblick auf diesen unsteten Aufenthalt des Angeklagten ist von der konkreten Gefahr auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung der Strafdrohung von 1 bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe sowie der zu seinem Nachteil wegen des Ausspruchs über die Strafe angemeldeten Berufung der Staatsanwaltschaft dem noch nicht abgeschlossenen Strafverfahren auf freiem Fuße entziehen und sohin flüchten werde.
Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr erst aufgrund des nunmehr angefochtenen Beschlusses in Erwägung gezogen und dem Beschwerdeführer im Rahmen der Haftverhandlung (ON 80) dazu kein rechtliches Gehör eingeräumt wurde. Allerdings erweist sich dieser Verstoß gegen das Recht auf angemessenes rechtliches Gehör insoweit als saniert, als es dem Beschwerdeführer unbenommen blieb, im Rahmen des – keinem Neuerungsverbot unterliegenden – Beschwerdeverfahrens hiezu Stellung zu beziehen, wovon er im Rahmen der Ausführung zu gelinderen Mitteln auch Gebrauch gemacht hat (vgl RIS Justiz RS0129510).
Die Haftgründe sind von solcher Intensität, dass ihnen bei realitätsbezogener Betrachtung durch gelindere Mittel nicht wirksam begegnet werden kann. Die im Rahmen der Beschwerdeausführung angeführten gelinderen Mittel könnten allenfalls der Flucht-, nicht aber jener der intensiven Tatbegehungsgefahr entgegenwirken.
Die Fortdauer der seit 18.03.2025 verhängten Untersuchungshaft steht weder zur Bedeutung der Sache noch zu der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft ist das von der ersten Instanz verhängte Strafmaß heranzuziehen (RIS Justiz RS0108401). Für das Maß der zu erwartenden Strafe bildet grundsätzlich die gesamte vom Erstgericht verhängte Strafe, nicht nur deren unbedingter Teil den wesentlichen Anhaltspunkt (RIS Justiz RS0118876 [T8], 13 Os 130/15i). Die bislang etwa 7 Monate andauernde Untersuchungshaft ist daher gemessen an der maßgeblichen vom Erstgericht verhängten Freiheitsstrafe von 21 Monaten und mit Blick auf die Bedeutung der dem Beschwerdeführer konkret zur Last liegenden strafbaren Handlung, die nach § 28 Abs 3 SMG mit Freiheitsstrafe von 1 bis zu 10 Jahren bedroht ist, nicht unverhältnismäßig. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft ist es auch ohne Bedeutung, ob nach der Verurteilung die Möglichkeit einer bedingten Entlassung besteht. Der vom Erstgericht verkündete Beschluss nach § 265 StPO ist für den Fall der Rechtskraft des Urteils erster Instanz aufgrund der Anmeldung eines Rechtsmittels gegenstandslos ( Lewisch in Fuchs/Ratz , WK-StPO § 265 Rz 5). Auch für eine derzeitige Anwendung des § 265 Abs 1 StPO besteht kein Anlass. Die in der anlässlich der Beschwerdeausführung zitierten Entscheidung 14 Os 141/05z (vgl auch 14 Os 24/02) verlangte analoge Anwendung des § 265 Abs 1 StPO bedeutet zwar, dass eine solche Entscheidung nicht stets nur (solcherart aufschiebend) bedingt für den Fall der Rechtskraft geschieht, sondern bereits aufgrund des erstgerichtlichen Urteils zu erfolgen hat, wenn es allein darum geht, Angeklagte, die das gegen sie ergangene Urteil bekämpfen, gegenüber solchen, die auf Urteilsanfechtung verzichten, nicht zu benachteiligen. Wird das Urteil jedoch auch zum Nachteil des Angeklagten angefochten – wie fallaktuell ausschließlich – kommt die bedingte Entlassung nur aufschiebend bedingt für den Fall der Rechtskraft in Betracht (13 Os 9/10p; RIS Justiz RS0123343 [T2]). Das Vorliegen zeitlicher Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung führt sohin nicht notwendig zu unverhältnismäßiger Untersuchungshaft (RIS Justiz RS0123343 [T2]). Eine allfällig zu erwartende bedingte Strafnachsicht oder bedingte Entlassung hat außer Betracht zu bleiben ( Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz , WK StPO § 173 Rz 14 mwN).
Der Beschwerde war sohin nicht Folge zu geben.
Die Wirksamkeit dieses Beschlusses ist durch eine Haftfrist nicht mehr begrenzt (§ 175 Abs 5 StPO).
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