6Bs160/25t – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Friedrich als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Melichar und die Richterin Mag. Obwieser als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* B* wegen des Vergehens der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 20.05.2025, GZ **-103, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Der Beschwerde wird n i c h t Folge gegeben.
Gegen diesen Beschluss steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Text
BEGRÜNDUNG:
Mit Strafantrag vom 25.09.2014, **, legt die Staatsanwaltschaft Feldkirch dem am ** geborenen Staatsangehörigen der Russischen Föderation A* B* zur Last, er habe in der Zeit vom 27.08.2014 bis zumindest 25.09.2014 in ** den am ** geborenen C* B* und den am ** geborenen D* B*, sohin unmündige Personen, vor deren erziehungsberechtigter Mutter E* verborgen gehalten, indem er deren Aufenthalt in Tschetschenien aufrecht beließ. A* B* habe hiedurch das Vergehen der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB begangen. Dieses Verfahren behängt zu ** beim Landesgericht Feldkirch.
Nachdem der Angeklagte zu insgesamt sechs Hauptverhandlungsterminen nicht erschienen war und bereits zwei Festnahmeanordnungen aufgrund von Zusagen des Angeklagten, zur Hauptverhandlung zu erscheinen, widerrufen worden waren, wurde vom Erstgericht mit Beschluss vom 10.09.2020 die erneute Festnahme des Angeklagten aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 170 Abs 1 Z 2 StPO angeordnet und ein europäischer Haftbefehl erlassen (ON 81 und 82). Am 16.06.2023 wurde die Ausschreibung zur Festnahme verlängert (ON 99).
Mit Schriftsatz vom 07.03.2025 (ON 101) beantragte der Angeklagte unter Verweis auf eine Berufungssentscheidung vom 03.02.2022 und eine Rekursentscheidung vom 28.06.2022 russischer Gerichte die Aufhebung der Festnahmeanordnung und des Europäischen Haftbefehls.
Die Staatsanwaltschaft Feldkirch gab dazu am 12.03.2025 eine ablehnende Stellungnahme ab (ON 101).
Mit dem nun angefochtenen Beschluss wies das Landesgericht Feldkirch den Antrag des Angeklagten ab. Nach aktenkonformer Wiedergabe des bisherigen Verfahrensgangs führte das Erstgericht dazu begründend aus:
Zur Hauptverhandlung am 06.11.2014 ist der Angeklagte trotz Zustellnachweises der Ladung unentschuldigt nicht gekommen. Laut telefonischer Nachfrage beim Angeklagten nach Aufruf zur Sache habe er gedacht, dass die Hauptverhandlung am 16.11.2014 stattfinden werde, weshalb er nicht gekommen sei.
Die Ladung zur Hauptverhandlung am 25.11.2014 wurde dem Angeklagten durch die Polizeiinspektion F* am 10.11.2014 ausgehändigt. Zur Hauptverhandlung am 25.11.2014 ist er unentschuldigt nicht gekommen. Laut Auskunft der Zeugin E* habe sie mit dem Angeklagten am 24.11.2014 telefonischen Kontakt gehabt. Auf ihre Frage, ob er zur Hauptverhandlung am 25.11.2014 kommen werde, habe er sie ausgelacht und gesagt, dass er nicht kommen werde. Die Hauptverhandlung wurde zur Vorführung des Angeklagten auf den 04.12.2014 anberaumt.
Vor der Hauptverhandlung am 04.12.2014 erstattete die Polizeiinspektion F* folgenden Bericht:
„Zum oa. Auftrag des LG Feldkirch vom 26.11.2014, betreffend Vorführung der ua. Person zur Hauptverhandlung am 04.12.2014, wird berichtet, dass A* B* an seiner Meldeadresse am 04.12.2014 um 07.30 Uhr nicht angetroffen werden konnte.
Bereits im Vorfeld wurden umfangreiche Erhebungen zum Aufenthaltsort des Gesuchten getätigt. An der Meldeadresse ist Genannter nicht mehr wohnhaft. Seit 01.11.2014 bewohnt eine andere Person die Wohnung. Einer geregelten Arbeit geht A* B* nicht nach. Eine Rücksprache mit dem AMS G* ist erfolgt. Bis mindestens Ende Februar 2015 bezieht Genannter die Arbeitslosenunterstützung. Diese wird auf ein Konto überwiesen. An der ehemaligen Arbeitsstelle Fa. H* in ** ist der derzeitige Aufenthaltsort des Gesuchten ebenfalls ubk. Angeblich hätte er die Möglichkeit, im Februar bzw. März 2015 eine neuerliche Anstellung als Leasingarbeiter zu erhalten.
Lt. Angaben seines Bruders I* B* und weiteren Familienmitgliedern soll er aber wegen seiner Straftaten in Österreich (ua. Kindesentziehung) nach Norwegen geflüchtet sein. Wie I* B* weiters angab, habe er jedoch über das Internet mit seinem Bruder Kontakt. Er habe ihn über die bevorstehende Verhandlung bereits informiert. Dieser habe ihm aber erklärt, dass er mindestens ein Jahr nicht nach Österreich zurückkehren werde. Er halte sich momentan in Norwegen auf.“
Zur Hauptverhandlung am 04.12.2014 ist der Angeklagte nicht gekommen. Über Antrag der Staatsanwaltschaft Feldkirch wurde gegen den Angeklagten eine Festnahmeanordnung aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 170 Abs 1 Z 2 StPO erlassen. Zudem wurde der Angeklagte zur Festnahme im Inland ausgeschrieben.
Am 02.03.2015 meldete sich der Angeklagte telefonisch beim Richter, der über das Telefonat folgenden Amtsvermerk verfasste:
„Der Angeklagte ruft mich an und teilt mir mit, dass er sich nunmehr wieder in Österreich aufhalte. Er hat sich nach dem Verfahren erkundigt. Ich teile ihm mit, dass er zur Festnahme im Inland ausgeschrieben sei. Er gibt an, dass die Kinder in Tschetschenien seien, er dafür eine rechtsgültige Entscheidung eines russischen Gerichtes habe und am 25.03.2015 einen Termin beim Bezirksgericht Bregenz habe. Er gibt an, dass er sich dem Verfahren nicht entziehen werde und nunmehr in Österreich sei und einer Ladung Folge leisten werde. Ich informiere ihn, dass ich in diesem Fall die Festnahme widerrufen werde und belehre ihn, dass eine neuerliche Festnahmeausschreibung erfolgt, wenn er sich dem Verfahren entziehe.
Er sei in der ** in ** aufhältig.“
Die Hauptverhandlung wurde daraufhin auf den 02.04.2015 anberaumt. Die Hinterlegungsanzeige der Ladung wurde vom Angeklagten nicht behoben, weshalb die Polizeiinspektion F* am 27.03.2015 mit der Zustellung beauftragt wurde.
Die Polizeiinspektion F* berichtete per FAX vom 01.04.2015 darüber wie folgt:
„Zum beiliegenden Auftrag wird berichtet, dass B* A* nicht an seiner Meldeadresse angetroffen werden konnte.
Bei Erhebungen zu seinem Aufenthalt konnte die Schwester des B*, J* K*, geb **, angetroffen werden, welche angab, dass ihr Bruder sich zurzeit mit Freunden in ** befinde und telefonisch nicht erreichbar sei. Sie rechne damit, dass er im KW 15 wieder nach ** zurückkehre.“
Der zuständige Richter im Pflegschaftsverfahren zu ** des Bezirksgerichts Bregenz verfasste über sein Telefonat am 23.03.2015 mit dem Vertreter des Angeklagten einen Amtsvermerk, wonach sich die Schwester des Angeklagten beim Vertreter gemeldet und mitgeteilt habe, dass sich dieser berufsbedingt bis Ende April in Norwegen an einer nicht bekannten Adresse aufhalten werde, ihr der Aufenthalt der Kinder nicht bekannt sei, der Angeklagte den Termin am 25.03.2015 nicht wahrnehmen könne und um eine Vertagung ersuche. Daraufhin wurde die Tagsatzung auf den 27.05.2015 vertagt.
Der Pflegschaftsrichter verfasste am 30.03.2015 einen neuerlichen Amtsvermerk über ein Telefonat mit der Schwester des Angeklagten. Sie kenne die Adresse des Angeklagten in Norwegen nach wie vor nicht, wobei sich die Kinder bei ihm aufhalten würden. Sie teilte mit, dass der Angeklagte auch zur Verhandlung am 27.05.2015 nicht erscheinen werde.
Zur Hauptverhandlung am 02.04.2015 ist der Angeklagte nicht gekommen. Neben den Amtsvermerken erörterte der Richter, er habe dem Angeklagten beim Telefonat am 02.03.2015 mitgeteilt, dass in der Kalenderwoche 14 der Termin für die Hauptverhandlung anberaumt werde, um die Ergebnisse der Verhandlung beim Bezirksgericht Bregenz am 25.03.2015 in die Hauptverhandlung mit einfließen zu lassen.
Die Staatsanwaltschaft Feldkirch beantragte die Erlassung einer Festnahmeanordnung gegen den Angeklagten aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 170 Abs 1 Z 2 StPO. Mit Festnahmeanordnung vom 02.04.2015 wurde der Angeklagte aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 170 Abs 1 Z 2 StPO erlassen und der Angeklagte zur Festnahme im Inland ausgeschrieben und das Verfahren wurde gemäß § 197 Abs 1 StPO abgebrochen.
Der Bericht der Polizeiinspektion F* vom 03.05.2015 enthält folgenden Inhalt:
„Es wird der Staatsanwaltschaft Feldkirch berichtet, dass die Adresse, **, im Monat März sowie im April 2015 mehrfach zu den verschiedensten Uhrzeiten aufgesucht und Nachschau bezüglich B* A* gehalten wurde. Für diesen besteht eine aufrechte Festnahmeanordnung des Landesgerichtes Feldkirch wegen Verdachtes des Vergehens der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 170 Abs 1 Z 2 StPO.
B* A* konnte unter der angeführten Adresse zu keinem Zeitpunkt angetroffen werden.
Wie bereits am 12.03.2015 berichtet, handelt es sich bei der Adresse, um den Wohnsitz der Eltern, B* L* (Vater), J* M* (Mutter) und den beiden Schwestern, B* N* und J* O* mit Kleinkindern.
Bei der mehrfachen Befragung der Eltern und der Schwestern machte lediglich B* N* Angaben bezüglich des Aufenthaltes ihres Bruders, B* A*. Sie gab an, dass sich er sich vor zwei bis drei Wochen kurz Zuhause aufgehalten habe. B* A* sei dann wieder nach Norwegen abgereist. Der genaue Aufenthaltsort in Norwegen sei B* N* nicht bekannt. Sie wisse nur, dass er dort bei Freunden für längere Zeit auf Besuch sei.
Bei einer weiteren Nachschau in der Wohnung, **, gab B* N* den Beamten gegenüber an, dass B* A* am 27.04.2015 mit unterdrückter Telefonnummer angerufen habe. Er habe dabei angegeben, dass er sich noch immer in Norwegen aufhalten und nicht so schnell nach Österreich zurückkehren würde.“
Mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 08.06.2015 zu ** wurde dem Angeklagten die Obsorge betreffend die Kinder C* B*, geb. **, und D* B*, geb. **, entzogen und zur Gänze auf die Kindesmutter E* übertragen.
Mit Schreiben vom 27.12.2019 teilte Sirene Österreich mit, dass aufgrund einer Mitteilung von Sirene Litauen der Angeklagte bei der Firma P*, an der Adresse **, in Litauen arbeiten würde.
Aufgrund dieser Mitteilung wurde das Verfahren fortgesetzt und die Hauptverhandlung auf 31.08.2020, 16:00 Uhr bis 18:00 Uhr, Verhandlungssaal **, anberaumt. Die Ladung zur Hauptverhandlung wurde dem Angeklagten via Rechtshilfegericht und internationalem Rückschein geschickt.
Der internationale Rückschein kam bis dato nicht retour. Das zuständige Rechtshilfegericht teilte mit Schreiben vom 24.03.2020 mit, dass eine Zustellung nicht möglich gewesen sei.
Der Angeklagte ist seit 10.03.2020 in **, mit einem Hauptwohnsitz gemeldet. Die Ladung zur Hauptverhandlung konnte ihm am 27.04.2020 durch eigenhändige Übernahme zugestellt werden.
Am Vormittag des 31.08.2020 legte der Angeklagte eine Krankmeldung vor, wonach er zum Hauptverhandlungstermin nicht kommen könne.
Die Hauptverhandlung wurde daher auf den 10.09.2020, 13:00 Uhr bis 15:00 Uhr, Verhandlungssaal **, vertagt. Von diesem Termin wurde der Angeklagte durch seinen Verteidiger verständigt und hatte daher Kenntnis davon.
Zur Hauptverhandlung am 10.09.2020 ist der Angeklagte nicht gekommen. Im Hauptverhandlungsprotokoll wurde Folgendes festgehalten:
„Der Angeklagte ist nicht gekommen. Der Verteidiger gibt an, dass der Angeklagte Kenntnis vom Termin hatte und dass der Angeklagte ihn gestern Abend am 09.09.2020 gegen 17:00 Uhr telefonisch angerufen hat und mitgeteilt hat, dass er zur Verhandlung heute nicht kommen könne, weil einer seiner beiden Kinder, es handelt sich dabei um Kinder einer anderen Frau, krank sei und er eine Verhandlung in Tschetschenien habe. Ob er von Tschetschenien aus angerufen hat, hat der Verteidiger nicht nachgefragt.
Der Richter erörtert, dass sich der Angeklagte bei Gericht nicht gemeldet hat.
Der Richter erörtert den heute eingeholten ZMR-Auszug, wonach der Angeklagte nach wie vor seit 10.03.2020 in der ** in ** gemeldet ist.
Der Richter beauftragt die Gerichtskanzlei, die PI Q* mit der Vorführung des Angeklagten zu beauftragen.
Die anwesende Zeugin E* gibt informativ an, dass sie bis heute keinen Kontakt zu den Kindern hat und heute in Tschetschenien bei einem Gericht eine Verhandlung über das Kontaktrecht betreffend ihrer Kinder im Zusammenhang zu der Großmutter mütterlicherseits stattfindet. Sie gibt weiters an, dass ihre Mutter ihr erzählt habe, dass sie den Angeklagten via Skype gesehen habe, dass er sich im Verhandlungssaal im Gericht in Tschetschenien befinde.
Die Verhandlung wird um 13:05 unterbrochen.
Um 13:31 Uhr wird die Hauptverhandlung fortgesetzt.
Der Richter erörtert, dass er von der Gerichtskanzlei mitgeteilt bekommen hat, dass die PI Q* angerufen hat und mitgeteilt hat, dass der Angeklagte nicht am Wohnort auffindbar sei und die dort anwesende Schwester des Angeklagten ihnen mitgeteilt habe, dass er vor zwei Tagen aus dem Nichts, ohne etwas zu sagen wo er hingehe, weggegangen sei.
Der öffentliche Ankläger dehnt den Strafantrag in zeitlicher Hinsicht aus, sodass es zu lauten hat anstelle von „25.09.2014“ nunmehr „10.09.2020“.“
Der öffentliche Ankläger beantragte die Erlassung einer Festnahmeanordnung aus den Haftgründen der Fluchtgefahr und der Tatausführungsgefahr gemäß § 170 Abs 1 Z 2 und 4 StPO sowie die Erlassung eines europäischen Haftbefehls gemäß §§ 3 und 4 Abs 1 EU-JZG. Zur Fluchtgefahr wurde ausgeführt, dass sich der Angeklagte wiederum unmittelbar vor der heutigen Hauptverhandlung durch eine Ausreise aus Österreich dem Strafverfahren entzogen habe. Zudem werde auf die Begründung der bisherigen Festnahmeanordnung verwiesen. Der angeklagte Zustand sei nach wie vor aufrecht und liege daher auch der Haftgrund der Tatausführungsgefahr vor.
Mit Beschluss vom 10.09.2020 wurde die erneute Festnahme des Angeklagten aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 170 Abs 1 Z 2 StPO angeordnet und ein europäischer Haftbefehl erlassen. Zugleich wurde das Verfahren gemäß § 197 Abs 1 StPO abgebrochen.
Der Angeklagte meldete sich anschließend wiederholt per E-Mail und bestritt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und gab an, dass er sich in Tschetschenien aufhalte.
Am 16.06.2023 wurde die Ausschreibung zur Festnahme verlängert.
Am 07.03.2025 stellte der Angeklagte, vertreten durch R* GmbH, den Antrag, die Festnahmeanordnung und den europäischen Haftbefehl aufzuheben und brachte wie folgt vor:
„Der Antragsteller übermittelt in der Beilage eine Rekurs- und eine Revisionsentscheidung jeweils samt Übersetzung und einen Aktenvermerk aus dem Pflegschaftsakt der Kinder.
Die Rekursentscheidung vom 3.2.2022 regelt die Frage des gewöhnlichen Wohnsitzes der beiden inzwischen 15- bzw. bald 13-jährigen Söhne des Antragstellers bei ihm und die Höhe der von der Kindesmutter zu leistende Unterhaltsbeiträge und bestätigt das gemeinsame Sorgerecht. Die Entscheidung ist ergangen über Rekurs der Kindesmutter, die sohin am Verfahren voll teilgenommen und sich inhaltlich eingelassen hat.
Die Revisionsentscheidung vom 30.6.2022 ist ergangen über Rechtsmittel der Kindesmutter, sie weist dieses Rechtsmittel ab. Die Kindesmutter hat demnach auch am Revisionsverfahren voll teilgenommen und sich auf das Verfahren voll eingelassen.
Übermittelt wird weiters ein Aktenvermerk des Pflegschaftsrichters vom 20.1.2015, wonach Österreich den Beitritt der Russischen Föderation zum HKÜ nicht angenommen habe. Damit besteht kein zwischenstaatliches Abkommen.“
Die Staatsanwaltschaft Feldkirch lehnte den Antrag in ihrer Stellungnahme vom 12.05.2025 ab.
Die Kindesmutter E* teilte über ihre Privatbeteiligtenvertreterin mit Schriftsatz vom 19.03.2025 Folgendes mit:
„Nach Rücksprache mit dem Opfer E* wird mitgeteilt, dass der Angeklagte nach wie vor jeden Kontakt der Kindesmutter zu den mj. Söhnen C* B*, geb. am ** und D* B*, geb. am **, verhindert und die Kinder ihr nach wie vor entzieht. Der Angeklagte lässt es nicht einmal zu, dass E* den Kindern Geburtstagsgeschenke übermittelt. Auch telefonische Kontaktaufnahmen verhindert er und setzt die Kinder unter Druck, von den von E* geschenkten Handys keinen Gebrauch zu machen.
E* steht in Österreich seit 14.08.2014 die alleinige Obsorge über ihre Söhne zu. Es ist keineswegs so, wie der Angeklagte versucht, dies in seinem Antrag von 6.3.2025 darzustellen - die Kindesentziehung der damals unmündigen Kinder war und ist rechtswidrig. E* erteilt nach wie vor die Ermächtigung zur Verfolgung des Angeklagten.
Der Angeklagte hat versucht, E* in Tschetschenien das Obsorgerecht zu entziehen. Aufgrund einer komplett unrichtigen Darstellung, die einer Verhöhnung der E* gleichkommt, wurde dem Antrag / der Klage des A* B* auf Entzug des Obsorgerechts der E* mit Urteil des Stadtgerichts ** vom 14.11.2014 stattgegeben und E* das Sorgerecht entzogen. Über diese Klage bzw den Gerichtstermin wurde E* nicht einmal verständigt, sodass sie keine Gelegenheit hatte, ihre Sicht der Dinge zu schildern und zum Klagebegehren Stellung zu nehmen. Seither wehrt sich E* gegen den Entzug des Sorgerechtes und hatte letztlich Erfolg. Mit Urteil des Obersten Gerichtshofs der Tschetschenischen Republik vom 3.2.2022 wurde das oben angeführte Urteil wegen schweren Verfahrensmängeln aufgehoben und ein neues Urteil in der Sache erlassen. Unter anderem wurde darin das Klagebegehren des A* B* betreffend den Entzug der Obsorge abgewiesen.
C* und D* waren Kleinkinder, als sie der Mutter E* entrissen wurden. Der Angeklagte hat E* durch die Kindesentführung und zwischenzeitliche Entfremdung der Kinder großes Leid zugefügt und auch nicht im Sinne der Kinder gehandelt. Dafür gebührt ihm eine Strafe.“
In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
Die Voraussetzungen für die Festnahmeanordnung und den europäischen Haftbefehl sind nach wie vor gegeben, sodass der Antrag abzuweisen war.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Angeklagten, die in den Antrag mündet, den angefochtenen Beschluss ersatzlos auszuheben und die Festnahmeanordnung und den Europäischen Haftbefehl aufzuheben. Zusammengefasst bringt der Beschwerdeführer vor, dass der angefochtene Beschluss ohne Anhörung des Antragstellers zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft und der Kindesmutter ergangen sei. Dies stelle einen groben Verstoß gegen den Grundsatz des allseitigen Parteiengehörs dar. Zudem würden der Strafantrag, die Festnahmeanordnung und der Europäische Haftbefehl am Mangel der fehlenden „internationalen Zuständigkeit der Republik Österreich“ leiden, zumal das HKÜ laut Rechtsauskunft der Fachabteilung im Justizministerium nicht anwendbar sei. Außerdem sei die Kindesmutter laut Berufungsurteil vom 22.02.2022 der Republik Tschetschenien damit einverstanden gewesen, dass der Beschwerdeführer die Verantwortung für die Kinder übernehme und erhebe keinen Anspruch darauf, den Aufenthalt der Kinder mit ihr zu bestimmen. Dadurch seien der Strafantrag sowie die beiden angefochtenen Anordnungen des Landesgerichtes obsolet, weil von falschen Voraussetzungen ausgegangen werde. Letztlich stünde das Kindeswohl den beiden Anordnungen entgegen, die Mutter habe folglich die Ermächtigung zur Strafverfolgung unwiderruflich zurückzuziehen (ON 104).
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde, zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft einer Stellungnahme enthielt, kommt keine Berechtigung zu.
Gemäß § 105 Abs 1 letzter Satz StPO hat bei Fahndungsausschreibung zur Festnahme die Staatsanwaltschaft mindestens einmal jährlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Festnahme noch vorliegen. Im Fall der Anklageerhebung gegen die zur Festnahme ausgeschriebene Person geht diese Überprüfungskompetenz als Teil der Haftangelegenheiten gemäß § 210 Abs 3 StPO auf das für das Hauptverfahren zuständige Gericht über. Das Gesetz schließt weder eine frühere Überprüfung von Amts wegen noch eine Überprüfung der Festnahmevoraussetzungen über Antrag, etwa - wie im gegenständlichen Fall - des Angeklagten auf Aufhebung der Festnahmeanordnung (und des darauf basierenden Europäischen Haftbefehls), aus.
Gemäß § 170 Abs 1 StPO ist die Festnahme einer Person unter anderem zulässig, wenn sie flüchtig ist oder sich verborgen hält oder wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, sie werde flüchten oder sich verborgen halten (Z 2). Eine Festnahmeanordnung verlangt keinen dringenden Tatverdacht, sondern setzt nach § 170 Abs 1 StPO nur den (konkreten) Verdacht der Begehung eines Verbrechens oder Vergehens voraus, einfache Wahrscheinlichkeit genügt ( Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz , WK StPO § 170 Rz 5 mwN).
Zum Vorliegen des (einfachen) Verdachts der im Strafantrag dargestellten strafbaren Handlung des Angeklagten wird auf die Sachverhaltsdarstellungen der PI F* in ON 2, 3 und 5 verwiesen. Aus diesen, den darin vorgelegten Aktenstücken aus dem Pflegschaftsakt ** des Bezirksgerichtes Bregenz sowie den Angaben der Kindesmutter E* in ihren niederschriftlichen Vernehmungen ergibt sich der im Strafantrag dargestellte (konkrete) Verdacht gegen den Angeklagten.
Auch der Haftgrund der Fluchtgefahr, dessen Vorliegen von der Beschwerde nicht ausdrücklich bestritten wird, liegt vor. Unter Berücksichtigung des auch im angefochtenen Beschluss aktenkonform wiedergegebenen Verhaltens des Angeklagten, der trotz teilweisen Aufenthaltes in Österreich zu sechs Hauptverhandlungsterminen nicht erschien, wobei auch mehrere Vorführversuche scheiterten, sind jene Umstände begründet, woraus die Annahme abgeleitet werden muss, dass der Angeklagte nicht bereit ist, sich der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Feldkirch zu stellen. Nach wie vor ist davon auszugehen, dass der Angeklagte sich der Strafverfolgung gezielt entzieht und flüchtig im Sinn des § 170 Abs 1 Z 2 StPO ist ( Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 7.744 mwN; Nordmeyer in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 197 Rz 4). Die Festnahme ist nach den beschriebenen Umständen sohin derzeit das einzig erfolgversprechende Mittel, den Angeklagten vor ein österreichisches Gericht zu stellen und die Hauptverhandlung in seiner Anwesenheit durchzuführen.
Der inkriminierten Tat wohnt ein hoher sozialer Störwert inne, sodass die Festnahme zur Bedeutung der Sache in einem angemessenen Verhältnis steht (§ 170 Abs 3 StPO).
Auch die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zur Strafverfolgung liegen vor (§ 4 Abs 1 EU-JZG). Die im Verdacht stehende, als Vergehen der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB subsumierbare Tat ist mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht.
Entgegen der Beschwerdeargumentation liegt keine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs vor. Die Anhörung des Antragstellers zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft oder der Kindesmutter ist verfahrensrechtlich nicht vorgesehen. Vielmehr hatte der Antragsteller bereits in seinem Antrag die Möglichkeit, sein Vorbringen zu erstatten. Insofern geht die Beschwerde jedenfalls ins Leere.
Der Strafantrag leidet auch nicht, wie in der Beschwerde angeführt, am Mangel der fehlenden österreichischen Zuständigkeit. Die Argumentation in der Beschwerde, wonach inländische Gerichtsbarkeit nicht gegeben wäre, da das HKÜ nicht anwendbar sei, überzeugt nicht. Während das Haager Kindesentführungsübereinkommen die Rückstellung eines unrechtmäßig verbrachten oder vorenthaltenen Kindes zum Thema hat (beachtlich im Pflegschaftsverfahren), wird dem Angeklagten mit Strafantrag vom 25.09.2014 das Vergehen der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB angelastet mit dem Tatort in **. Nach § 62 StGB gelten die österreichischen Strafgesetze für alle Taten die im Inland begangen worden sind. Die Tatbegehung des § 195 StGB in der Form des Verborgenhaltens begründet ein Dauerdelikt ( Ramsauer in Hinterhofer , Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 195 StGB Rz 14). Wenn bei einem Dauerdelikt auch bloß ein Akt bzw eine Phase des Geschehens bzw eine der miteinander verknüpften Einzelhandlungen in Österreich stattgefunden hat, so sind die inländischen Gerichte für das gesamte Geschehen zuständig, auch für die im Ausland gesetzten Teilhandlungen (Schwaighofer in Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 62 StGB Rz 17, RS0092073). Die vorgeworfene Tathandlung liegt im gegenständlichen Fall in einem Verborgenhalten der Kinder in Tschetschenien, wodurch ein Dauerdelikt iSd § 195 StGB begründet wird. Weil die Entziehung der beiden minderjährigen Kinder - und damit eine Einzelhandlung des Delikts - sich in Österreich ereignet hat und auswirkt, sind zur Entscheidung darüber gegenständlich die inländischen Gerichte zuständig.
Entgegen der Beschwerdeargumentation sind die beiden Anordnungen auch nicht aufgrund der in Tschetschenien ergangenen Urteile obsolet. Bereits mit Strafantrag vom 25.09.2014 wurde dem Angeklagten das Vergehen der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB zur Last gelegt (ON 8). Im gleichzeitig anhängigen Pflegschaftsverfahren wurde dem Angeklagten als Kindesvater am 14.08.2014 die Obsorge betreffend die beiden Kinder vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Obsorgeverfahrens entzogen und der Kindesmutter alleine übertragen. Mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichtes Bregenz vom 08.06.2015 zu ** wurde dem Angeklagten die Obsorge betreffend die Kinder C* B* , geb. **, und D* B*, geb. **, entzogen und zur Gänze auf die Kindesmutter E* übertragen. Unabhängig davon, dass vom Beschwerdegericht weder die Echtheit der Entscheidungen der in Tschetschenien ergangenen Urteile und im dortigen Verfahren vorgelegten Urkunden geprüft werden kann, ist es evident, dass diese viele Jahre nach den mutmaßlichen Tathandlungen ergangenen Entscheidungen nicht ein früheres strafbares Verhalten rechtmäßig machen können.
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, es stünde auf Seiten der Kindesmutter im Interesse des Kindeswohles die Ermächtigung zur Strafverfolgung unwiderruflich zurückzuziehen, entbehrt dies jeglicher Grundlage. Warum die beiden Anordnungen im Widerspruch zum Kindeswohl stehen sollen, ergibt sich aus der Beschwerde jedenfalls nicht.
Die Voraussetzungen für die Festnahmeanordnung und den Europäischen Haftbefehl sind daher nach wie vor gegeben.
Damit drang die Beschwerde nicht durch.