6Bs217/25z – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Richter Mag. Melichar als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Mag. Friedrich und die Richterin Mag. Obwieser als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB über die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe gegen das einzelrichterliche Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 22.5.2025, GZ **-15, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den mit diesem Urteil verbundenen Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach der am 24.9.2025 in Anwesenheit der Schriftführerin Rp Mag. Posch, der Oberstaatsanwältin Mag. Draschl, des Angeklagten und seines Verteidigers RA Mag. Flatscher (für RA Dr. Klaunzer) öffentlich durchgeführten Berufungsverhandlung am selben Tag
I. zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird F o l g e gegeben und die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe in weiterer Anwendung auch des § 39 Abs 1a StGB auf zwölf Monate h e r a b g e s e t z t .
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
II. beschlossen:
Gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO wird die dem Angeklagten mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 2.12.2021 zu B*, rechtskräftig seit 7.12.2021, gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde A*, geboren am **, des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Nach dem Schuldspruch hat er am 22.4.2025 in ** den Polizeibeamten C* mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme, zu hindern versucht, indem er mit den Fäusten gegen die Brust des C* schlug.
Hiefür verhängte der Einzelrichter nach dem ersten Strafsatz des § 269 Abs 1 StGB in Anwendung des § 39 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten und verurteilte den Angeklagten gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens. Die vom Angeklagten am 22.4.2025 von 15.30 Uhr bis 22.30 Uhr erlittene Verwahrungshaft wurde gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB auf die Freiheitsstrafe angerechnet.
Unter einem wurde mit Beschluss gemäß § 494 Abs 1 Z 4 StPO die dem Angeklagten zu B* des Landesgerichtes Feldkirch gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen (Freiheitsstrafe von acht Monaten). Vom Widerruf der bedingten Entlassung zu ** des Landesgerichtes Feldkirch wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO abgesehen.
Bei der Strafbemessung ging das Erstgericht von einem wegen Vorliegens der Rückfallsvoraussetzungen nach § 39 Abs 1 StGB bis zu viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmen aus. Es berücksichtigte den Umstand, dass die Tat beim Versuch blieb sowie die verminderte Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten mildernd, erschwerend hingegen die Begehung der Tat während offener Probezeit und das Vorliegen von neun auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen. Diesem Erschwerungsgrund würde der Umstand, dass die einschlägigen Vorstrafen teilweise bereits eine längere Zeit zurücklägen, etwas an Gewicht nehmen. Dem Angeklagten sei jedoch in aller Deutlichkeit aufzuzeigen, dass derartige Taten schlicht nicht geduldet werden. Die Vorstrafen würden einer Anwendung des § 43a Abs 2 oder 3 StGB entgegen stehen.
Der Widerruf der bedingten Strafnachsicht sei unumgänglich gewesen, weil selbst das Verspüren des Haftübels den Angeklagten nicht von der neuerlichen Begehung einer strafbaren Handlung abzuhalten vermochte.
Ausdrücklich nur gegen den Ausspruch über die Strafe richtet sich die rechtzeitig angemeldete und fristgerecht durch den Verteidiger schriftlich ausgeführte Berufung des Angeklagten mit dem Antrag, eine mildere Strafe zu verhängen. Die Strafe sei im Hinblick auf die Persönlichkeit des Angeklagten, das Ausmaß der Schuld und die Milderungsgründe überhöht. Die einem Schuldeingeständnis sehr nahe kommende Erklärung des Angeklagten, es sei schon möglich, dass es so passiert sei, wie die Polizisten dies in den Amtsvermerken festgehalten hätten, sei bei der Strafbemessung zu wenig oder gar nicht eingeflossen. Der Berufung beigeschlossen ist eine Stellungnahme des Angeklagten. Darin bringt er im Wesentlichen zusammengefasst vor, am 22.4.2025 leider „Benzos“ und Alkohol konsumiert zu haben. Nur deshalb sei es zu diesem Vorfall gekommen, den er sehr bereue. Er wolle seine soziale Situation, seine Wohnung und sein Einkommen nicht verlieren. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass niemand verletzt worden sei, bitte er um eine mildere Strafe.
Die wegen des Ausspruchs über die Strafe ergriffene Berufung impliziert gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO eine Beschwerde gegen den Beschluss auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht.
Die Oberstaatsanwaltschaft vertritt in ihrer Stellungnahme die Ansicht, der Berufung des Angeklagten werde in weiterer Anwendung auch des § 39 Abs 1a StGB ebenso wie seiner implizierten Beschwerde keine Folge zu geben sein.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung erweist sich als berechtigt, wenngleich die Strafzumessungsgründe des angefochtenen Urteils ausschließlich zum Nachteil des Angeklagten zu ergänzen und korrigieren sind.
Beim Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 StGB handelt es sich um einen Sonderfall der Nötigung ( Danek/Mann in Höpfel/Ratz , WK² StGB § 269 Rz 1), und damit um eine vorsätzliche strafbare Handlung gegen das Rechtsgut der Freiheit. Deshalb liegen auch die Rückfallsvoraussetzungen des § 39 Abs 1a StGB vor. Das Vorliegen beider Fälle der Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB bildet zwar keinen zusätzlichen und eigenständigen Erschwerungsgrund, verstärkt aber das Gewicht des besonderen Erschwerungsgrundes nach § 33 Abs 1 Z 2 StGB. Der Umstand war auch im Spruch des Berufungsurteils anzuführen (RIS-Justiz RS0133600 [T2]).
Die den Verurteilungen des Angeklagten zu ** und ** jeweils des Bezirksgerichtes Dornbirn wegen der Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu Grunde liegenden Taten sind als Aggressionsdelikte (Einschlagen einer Plexiglasscheibe bzw. Treten gegen eine Eingangstüre) einschlägig zum vorliegenden, durch Gewalt begangenen Widerstand gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 StGB, womit elf der insgesamt 15 zählbaren Vorstrafen erschwerend im Sinne des § 33 Abs 1 Z 2 StGB zu werten sind. Das Urteil zu ** des Bezirksgerichtes Wolfsberg liegt nicht vor und ist in der Verfahrensautomation Justiz (VJ) nicht abrufbar, sodass diesbezüglich im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen wird, dass die damit abgeurteilte Sachbeschädigung nicht auf der gleichen schädlichen Neigung beruhte (vgl. Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz WK² StGB § 71 Rz 8).
Einzuräumen ist der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft auch, dass die mildernde Berücksichtigung der infolge des Konsums von Alkohol, Cannabis und Benzodiazepinen eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit zu entfallen hat, weil der Angeklagte auch den zu B* des Landesgerichtes Feldkirch abgeurteilten Widerstand gegen die Staatsgewalt im durch übermäßigen Konsum von Alkohol und Cannabis berauschten Zustand begangen hat. Die dadurch den Konsum (auch) dieser Substanzen bedingte neuerliche Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit wird durch den Vorwurf aufgewogen, den der Genuss und Gebrauch der berauschenden Mittel den Umständen nach begründet (§ 35 StGB), weil der Angeklagte schon aufgrund dieser Erfahrung von deren Wirkung wissen musste. Zu Recht weist die Oberstaatsanwaltschaft auch darauf hin, dass die Tat während zweier Probezeiten begangen wurde.
In der Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung kann weder ein reumütiges Geständnis im Sinne des besonderen Milderungsgrundes des § 34 Abs 1 Z 17 StGB erblickt werden, noch trug seine Aussage im Sinne dieser Gesetzesstelle wesentlich zur Wahrheitsfindung bei.
Die von der Stellungnahme des Angeklagten angesprochenen, mit dem Vollzug einer Freiheitsstrafe regelmäßig verbundenen Nachteile sind kein Kriterium der Strafzumessung. Nicht mildernd zu berücksichtigen ist auch, das der Polizeibeamte durch die Tätlichkeiten des Angeklagten nicht verletzt wurde.
Trotz der somit ausschließlich zum Nachteil des Angeklagten ergänzten und korrigierten Strafzumessungsgründe ist die vom Erstgericht verhängte Sanktion angesichts des Schuld- und Unrechtsgehalts der vorliegenden Tat zu streng ausgefallen und war auf angemessene zwölf Monate zu reduzieren. Die bedingte Nachsicht auch nur eines Teils der Freiheitsstrafe zog das Erstgericht zu Recht wegen des erheblich einschlägig getrübten Vorlebens des Angeklagten ebenso wenig in Betracht wie die Umwandlung eines Teils der Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe in Anwendung des § 43a Abs 2 StGB. Aus denselben spezialpräventiven Erwägungen kommt jedoch auch die Verhängung einer Geldstrafe anstelle der primär angedrohten Freiheitsstrafe in Anwendung des § 37 Abs 1 StGB beim Angeklagten nicht mehr in Frage.
Der Ausgang des Berufungsverfahrens hat die im Spruch angeführten Kostenfolgen.
Infolge Abänderung des Strafausspruchs war der davon abhängige Beschluss nach § 494a StPO aufzuheben und hatte das Berufungsgericht darüber selbst zu entscheiden ( Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz , WK-StPO § 494a Rz 11 und § 498 Rz 8; RIS-Justiz RS0101886, RS0101859).
Der Angeklagte wurde innerhalb der bereits auf fünf Jahre verlängerten Probezeit zu B* des Landesgerichtes Feldkirch einschlägig rückfällig, dies nur acht Monate nach seiner Entlassung aus der zu ** des Landesgerichtes Feldkirch verbüßten Freiheitsstrafe. Der Vollzug von Freiheitsstrafen vermochte den Angeklagten zum wiederholen Male nicht von der neuerlichen Begehung (einschlägiger) strafbarer Handlungen abzuhalten. Der Widerruf ist damit im Sinne des § 53 Abs 1 StGB zusätzlich zur verhängten Freiheitsstrafe geboten.