JudikaturOLG Innsbruck

25Rs31/25g – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
23. September 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Engers als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Mag. Vötter und die Richterin des Oberlandesgerichts Mag. Rofner sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. RR Karlheinz Fagschlunger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. RR Jürgen Fiedler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Mitglieder des Senats in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , vertreten durch Dr. Roland Gabl Rechtsanwalts KG in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, wegen Witwenpension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 11.3.2025 signiert mit 23.5.2025, **-18, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird k e i n e Folge gegeben.

Ein Kostenersatz findet im Berufungsverfahren n i c h t statt.

Die (ordentliche) Revision ist n i c h t zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die nunmehr 36-jährige Klägerin ist derzeit nicht berufstätig; sie lebt von einer in der Schweiz bezogenen Witwenrente. Sie hat zwei Kinder im Alter von vier und zehn Jahren, für die sie unterhaltspflichtig ist. Vater der Kinder ist der vormalige Gatte der Klägerin, weshalb sie für diese eine Waisenrente in der Schweiz erhält. Witwen- und Waisenrente belaufen sich insgesamt auf monatlich CHF 2.400,--. Die Klägerin besitzt keinen nennenswertes Vermögen und hat Schulden in Höhe von CHF 46.000,--, die sie in monatlichen Raten à CHF 500,-- zurückzahlt.

Der am ** geborene Gatte der Klägerin verstarb am 24.10.2023; er war ** Staatsangehöriger und unterhielt von 2012 bis 2018 seinen Hauptwohnsitz in Österreich. Am 16.6.2018 war die Klägerin in die Schweiz gezogen; Ende September 2018 folgte ihr ihr Gatte. Das Ehepaar lebte ab Anfang Oktober 2018 bis zum Ableben des Gatten der Klägerin zusammen in der Schweiz und unterhielt dort seinen Hauptwohnsitz.

Der Gatte der Klägerin hat zum Stichtag 1.11.2023 in Österreich in der Zeit zwischen 1.11.2013 und 30.10.2023 59 Versicherungsmonate erworben; insgesamt liegen in Österreich 66 Versicherungsmonate vor; davon 50 Beitragsmonate der Pflichtversicherung – Erwerbstätigkeit und 16 Beitragsmonate der Pflichtversicherung – Teilversicherung (APG). Außer diesen in Österreich erworbenen Versicherungszeiten hat der Kläger in der Schweiz und im Kosovo gearbeitet und dort jeweils Versicherungszeiten angesammelt. Ob er auch nach dem 24.8.2018 für einen Malereibetrieb in Österreich gearbeitet hat war nicht feststellbar; jedenfalls hat er nach dem 24.8.2018 in Österreich keine Versicherungsmonate erworben und war hier auch nicht angemeldet.

Mit Bescheid vom 16.9.2024 hat die Beklagte den auf die Zuerkennung einer Witwenpension nach ihrem Gatten gerichteten Antrag der Klägerin vom 5.3.2024 mit der Begründung abgelehnt, ihr Gatte habe die Wartezeit im Sinn der §§ 236, 257 ASVG nicht erfüllt.

Dieser Sachverhalt steht im Berufungsverfahren unbekämpft fest.

Gegen den vorgenannten Bescheid hat die Klägerin rechtzeitig Klage mit dem Begehren erhoben, die Beklagte zur Leistung der Witwenpension zu verpflichten und dazu vorgetragen, der Gatte der Klägerin habe nicht nur in Österreich sondern auch in der Schweiz und im Kosovo Versicherungszeiten erworben, sodass die Wartezeit erfüllt sei zumal die in den beiden genannten Ländern erworbenen Versicherungszeiten in Österreich anzurechnen seien.

Die Beklagte bestreitet unter Aufrechterhaltung ihres bereits im Anstaltsverfahren eingenommenen Standpunkts und hielt dem zusammengefasst entgegen, Versicherungszeiten des Gatten der Klägerin aus der Schweiz und dem Kosovo seien nicht anzurechnen.

Mit Urteil vom 11.3.2025 wies das Erstgericht das Begehren der Klägerin dem Standpunkt der Beklagten folgend ab und sprach aus, ein Kostenersatz finde nicht statt.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die rechtzeitige Berufung der Klägerin aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das bekämpfte Urteil im Sinn einer Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Zudem enthält das Rechtsmittel eine Kostenrüge.

Die Beklagte hat von der Erstattung einer Berufungsbeantwortung abgesehen und beantragt, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Nach Art und Inhalt der geltend gemachten Rechtsmittelgründe war über die Berufung in nicht öffentlicher Sitzung zu befinden (§§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO). Hiebei erwies sich das Rechtsmittel, das sich in der Hauptsache ausschließlich mit der Frage der Anrechenbarkeit von vom Gatten der Klägerin im Kosovo und in der Schweiz erworbenen Versicherungszeiten auf die Wartezeit befasst, als nicht berechtigt :

1. Zufolge § 257 ASVG gebührt eine Witwenpension, wenn die Wartezeit erfüllt ist (§ 236 ASVG). Dass die Wartezeit für die von der Klägerin angestrebte Hinterbliebenenpension aus dem Blickwinkel der vom Gatten der Klägerin in Österreich angesammelten Versicherungsmonate nicht erfüllt ist, ist nicht strittig, sodass sich unter diesem Gesichtspunkt weitere Erörterungen erübrigen. Außerdem entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass die Frage, ob eine Leistung der Pensionsversicherung gebührt, nach den Verhältnissen an dem durch den Pensionsfall ausgelösten Stichtag zu prüfen ist; dies gilt auch für den Aspekt, ob und in welcher Fassung ein Sozialversicherungsabkommen auf einen konkreten Fall Anwendung zu finden hat (RIS-Justiz RS0084524, RS0076166). Unstrittig ist der maßgebliche Stichtag hier der 1.11.2023 als ersten Monatsersten nach dem Tod des Gatten der Klägerin.

2. Die Berufungswerberin verficht zunächst (und hauptsächlich) den Standpunkt, entgegen der Auffassung des Erstgerichts seien die von ihrem Gatten im Kosovo erworbenen Versicherungszeiten bei der Beurteilung der Erfüllung der Wartezeit zu berücksichtigen.

2.1. Mit BGBl III Nr. 147/2010 (in einem hier nicht maßgeblichen Teil berichtigt mittels BGBl Nr. 53/2011) wurde kundgemacht, dass auf der Grundlage der allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts unter anderem das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien über soziale Sicherheit (BGBl III Nr. 100/2002) weiterhin im Verhältnis zwischen der Republik Österreich und der Republik Kosovo bindend ist und von den jeweils zuständigen Behörden angewendet wird. Infolge Art. 19 Abs 1 dieses Abkommens hat, so nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben eines Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängt, der zuständige Träger dieses Vertragsstaats, soweit erforderlich, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaats zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen, als wären es nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegte Versicherungszeiten, soweit sie auf dieselbe Zeit entfallen. Auf Grund dieser Regelung wäre dem einleitend in der Rechtsrüge der Klägerin vorgetragenen Standpunkt beizupflichten.

2.2. Allerdings wurde mit BGBl III 132/2012 – wie die Berufungswerberin selbst ausführt – die Erklärung der Republik Österreich über die teilweise Suspendierung des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien über soziale Sicherheit im Verhältnis zwischen der Republik Österreich und der Republik Kosovo kundgemacht, auf Grund derer das vorgenannte Abkommen mit Ausnahme dessen Abschnitts II (Bestimmungen über die anzuwendenden Rechtsvorschriften) nach Art. 62 Abs 3 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge suspendiert wurde. In den Erläuterungen (1737 der Blg. XXIV GP) wird hiezu begründend ausgeführt, mangels Anwendung wesentlicher Grundsätze aus dem Abkommen für den Bereich der Pensionsversicherung durch die Republik Kosovo sowie mangels Bestehens eines Systems der Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung dort sei keine Gegenseitigkeit gegeben und daher eine pragmatische Anwendung des Abkommens nicht mehr möglich. Da sich der erwähnte Art. 19 nicht in Abschnitt II sondern Abschnitt III dieses Abkommens findet, ist diese Norm nicht von der Suspendierung ausgenommen. In Folge Art. 72 Abs 1 lit a des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (BGBl Nr. 40/1980 idgF) befreit die Suspendierung eines Vertrags – soweit hier in Betracht zu ziehen – die Vertragsparteien, zwischen denen der Vertrag suspendiert ist, in ihren gegenseitigen Beziehungen während der Suspendierung von der Verpflichtung, den Vertrag zu erfüllen. Seit Wirksamkeit der Suspendierung in Folge deren Ausspruchs gegenüber der Republik Kosovo am 29.8.2012 (BGBl III Nr. 132/2012) besteht sohin für den Sozialversicherungsträger in Österreich die in Art. 19 des schon mehrfach erwähnten Abkommens geregelte Verpflichtung zur Zusammenrechnung der Versicherungszeiten nicht mehr (OLG Innsbruck 23 Rs 35/16t). In diesem Sinn konnte sich auch der Kläger zu 10 ObS 175/01k im Zusammenhang mit der Erfüllung der Wartezeit nach § 236 ASVG nicht auf das vormalige Abkommen über soziale Sicherheit zwischen (verkürzt) Jugoslawien und Österreich berufen, war dieses Abkommen doch zum dort maßgeblichen Stichtag aufgekündigt gewesen (vgl. ebenso 10 Obs 20/00i).

2.3. Die Berufungswerberin hält die zuvor erwähnte Suspendierung im Hinblick auf den auch im Völkerrecht geltenden Grundsatz „pacta sunt servanda“ für rechtsunwirksam; zudem verficht sie die Ansicht, Österreich hätte die Suspendierung gar nicht aussprechen können, weil die Republik Kosovo nicht Vertragspartei des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge sei; schließlich wären die Voraussetzungen für eine derartige Vertragsauflösung nicht vorgelegen.

Diese Argumentation verkennt, dass in Folge der Kundmachung der Suspendierung mittels BGBl. österreichisches Recht geschaffen wurde, das von den österreichischen Gerichten anzuwenden ist.

2.4. Schließlich hält die Berufungswerberin die Suspendierung des genannten Abkommens für verfassungswidrig und regt sie insoweit die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens an. Dazu besteht kein Anlass, weil der Oberste Gerichtshof gerade auch im Zusammenhang mit dem hier entscheidenden Abkommen zwischen Österreich und Jugoslawien ausgesprochen hat, dass das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand einer bestimmten Rechtslage als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genießt und sich grundsätzlich auch jeder Normunterworfene auf Rechtsänderungen einstellen muss (10 ObS 175/01k). Auch das Oberlandesgericht Linz (12 Rs 11/25m) hat jüngst keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität der Suspendierung gehegt.

3. Schließlich argumentiert das Rechtsmittel unter Hinweis auf den (vormaligen) Wohnsitz des Gatten der Klägerin in Österreich und das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU einen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004. Dem genügt entgegenzuhalten, dass der verstorbene Gatte der Klägerin seit dem Jahr 2018 keinen Wohnsitz mehr in Österreich unterhielt und der persönliche Anwendungsbereich der genannten Verordnung für einen (zuletzt) in der Schweiz wohnhaften Drittstaatsangehörigen – wie den Gatten der Klägerin - nicht eröffnet ist (10 ObS 37/21w [ebenfalls zur Frage der Zusammenrechenbarkeit von schweizerischen und österreichischen Pensionszeiten]).

4. Das Erstgericht hat einen Kostenersatz aus Billigkeit mit der Begründung abgelehnt, das Verfahren habe sich weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht als komplex erwiesen. Die Berufungswerberin hält dem entgegen, das Verfahren sei mit besonderen rechtlichen Schwierigkeiten behaftet gewesen, die für eine rechtsunkundige Person schlicht nicht zu bewältigen seien, wie etwa die Anwendung oder Nichtanwendung internationaler Verträge.

Die Rechtsmittelwerberin zieht nicht in Zweifel, dass Voraussetzung für einen Zuspruch von Kosten an eine unterlegene Versicherte im Sinn des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG unter anderem das Vorliegen tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten ist. Bereits das Fehlen derartiger Schwierigkeiten steht einem Kostenersatz nach Billigkeit entgegen (10 ObS 116/06s). Die hier zur Beurteilung anstehenden Fragen konnten aber auf Basis einer gesicherten zweit- und drittinstanzlichen Judikatur gelöst werden, sodass die genannten Schwierigkeiten nicht vorliegen.

5. Insgesamt ist dem Rechtsmittel somit ein Erfolg zu versagen.

Auch im Berufungsverfahren mangelt es an den Voraussetzungen für einen Kostenzuspruch aus Billigkeit, sodass auszusprechen ist, dass ein Kostenersatz nicht stattfindet.

Da eine Rechtsfrage mit der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zu lösen war ist zudem auszusprechen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist (§§ 2 Abs 1 ASGG, 500 Abs 2 Z 3, 502 Abs 5 Z 4 ZPO).

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