23Rs17/25h – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Vetter als Vorsitzende sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser und Mag. Rofner und die fachkundigen Laienrichter:innen Mag. Stefan Wanner (aus dem Kreis der Arbeitgeber:innen) und Mag. a Dr. in Silvia Zangerle-Leberer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer:innen) als weitere Mitglieder des Senats in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , vertreten durch Hermann Kraft Dallago Rechtsanwälte in Kufstein, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **, wegen Invaliditätspension, in eventu Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 18.2.2025, **-31, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird keine Folge gegeben.
Ein Kostenersatz findet im Berufungsverfahren nicht statt.
Die (ordentliche) Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe :
Trotz im Jahr 2004 absolvierter Lehrabschlussprüfung als Berufskraftfahrer genießt der Kläger keinen Berufsschutz iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG. Er übte im maßgeblichen Beobachtungszeitraum nicht zumindest 90 Pflichtversicherungsmonate eine Erwerbstätigkeit nach Abs 1 leg cit oder als Angestellter aus, sondern erwarb in diesem Zeitraum nur 25 Beitragsmonate der Pflichtversicherung.
Mit dem angefochtenen Bescheid lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 9.6.2023 auf Gewährung einer Invaliditätspension mangels Vorliegens von Invalidität ab. Ein Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation bestehe nicht, weil Invalidität in absehbarer Zeit nicht eintreten werde.
Mit der dagegen erhobenen rechtzeitigen Bescheidklage begehrt der Kläger die Gewährung der Invaliditätspension ab dem Stichtag, in eventu die Feststellung des Anspruchs auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation mit der wesentlichen Begründung, er sei aufgrund seiner gesundheitlichen Leiden invalide iSd Gesetzes.
Die Beklagte beantragt unter Aufrechterhaltung ihres im Anstaltsverfahren eingenommenen Standpunkts Klagsabweisung.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klagebegehren ab. Dieser Entscheidung legte es die in den US 2 bis 9 getroffenen Feststellungen ua zum medizinischen Leistungskalkül des Klägers sowie zum Tätigkeits- und Anforderungsprofil in den Verweisungsberufen Portier, Billeteur, Museumswärter, Parkgaragenkassier und Tischarbeiter zugrunde, auf die gemäß §§ 2 Abs 1 ASGG, 500a ZPO verwiesen wird. Zum besseren Verständnis der Berufungsentscheidung werden nachstehende Feststellungen (gekürzt) wiedergegeben, wobei die vom Kläger in der Berufung bekämpfte Sachverhaltsannahme in Fettdruck hervorgehoben ist:
Der Kläger ist aufgrund verschiedener gesundheitlicher Beeinträchtigungen noch in der Lage, leichte körperliche Arbeiten sowie leichte geistige Arbeiten unter zeitweise besonderem Zeitdruck zu verrichten.
Der Kläger kann ganztägig arbeiten. Einschränkungen des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestehen nicht. Er kann einen Fußweg von 500 m ohne Pausen in angemessener Zeit zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benützen. Wohnsitzwechsel, Wochen- und Tagespendeln sind ihm möglich.
Mit seinem medizinischen Leistungskalkül ist der Kläger noch in der Lage, die Tätigkeiten eines Portiers, Billeteurs, Museumswärters, Parkgaragenkassiers oder Tischarbeiters zu verrichten.
Rechtlich verneinte das Erstgericht die Anwendbarkeit von § 255 Abs 1 und 2 ASVG mangels ausreichender Versicherungsmonate im maßgeblichen Zeitraum und von Abs 3a und b leg cit aufgrund des gegebenen, die dortigen Anforderungen übersteigenden Leistungskalküls. Die Frage der Invalidität sei daher nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Da der Kläger noch die in den Feststellungen angeführten Verweisungsberufe ausüben könne, sei er nicht invalide im Sinne dieser Bestimmung.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitige Berufung des Klägers. Aus den Rechtsmittelgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung begehrt er die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinn einer vollumfänglichen Klagsstattgebung; in eventu wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Beklagte nahm von der Einbringung einer Berufungsbeantwortung Abstand, beantragte jedoch dem klägerischen Rechtsmittel keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Nach Art und Inhalt der geltend gemachten Rechtsmittelgründe war über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden (§§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO). Diese ist aus nachstehenden Gründe nicht berechtigt:
1.1. Die Beweisrüge richtet sich gegen die oben in Fettdruck hervorgehobene Feststellung zum Leistungskalkül des Klägers. Das Erstgericht hätte insbesondere aufgrund des persönlichen Eindrucks feststellen müssen, dass der Kläger nicht einmal mehr in der Lage sei, leichte körperliche und leichte geistige Arbeiten unter zeitweise besonderem Zeitdruck zu verrichten. Die Gutachten, die nur eine Hilfestellung für das Gericht darstellten, seien nicht nachvollziehbar.
1.2. Das Erstgericht stützte die angefochtene Feststellung auf die im vorliegenden Verfahren eingeholten medizinischen Gutachten aus den Fachgebieten Lungenheilkunde, Psychiatrie, Innere Medizin und Neurologie. Richtig ist, dass das Erstgericht in der Tagsatzung vom 19.9.2024 nach dem ergänzenden Vorbringen des Klägers zur Verschlechterung seines Gesundheitszustands insbesondere in lungenfachärztlicher Hinsicht festhielt, der Kläger präsentiere sich in einem „äußerst reduzierten gesundheitlichen Zustand“. Aus diesem Grund ordnete es die neuerliche lungenfachärztliche Begutachtung des Klägers an. Nachdem der Kläger im vorliegenden Verfahren bereits am 16.4.2024 lungenfachärztlich untersucht und ein entsprechendes Gutachten erstellt worden war, erfolgte die neuerliche lungenfachärztliche Begutachtung am 26.11.2024. Im darauf basierenden Gutachten vom selben Tag führte der Sachverständige aus, es habe sich zwar eine leichte Verschlechterung im Sinn einer COPD im Stadium I/B eingestellt, die Blutgasanalyse und der Lebensqualitätstest seien verschlechtert, das Thoraxröntgen hingegen sei unverändert. Die Spiromentrie habe sich sogar etwas verbessert. Eine Änderung des Leistungskalküls aus lungenfachärztlicher Sicht im Verhältnis zum Vorgutachten vom April 2024 ergebe sich nicht. Aufgrund eines entsprechenden Hinweises im zweiten lungenfachärztlichen Gutachten beauftragte das Erstgericht anschließend die Erstellung eines neurologischen und neuen interdisziplinären Gutachtens. Auch dieses Gutachten erbrachte – wie auch jene aus den anderen Disziplinen – zwar Einschränkungen des Leistungskalküls, eine gänzliche Arbeitsunfähigkeit, wie vom Kläger nunmehr geltend gemacht, ergibt sich jedoch auch daraus nicht. Insgesamt wurden im vorliegenden Verfahren fünf medizinische Gutachten aus vier verschiedenen Fachgebieten eingeholt, die in Zusammenschau das vom Erstgericht festgestellte medizinische Leistungskalkül ergaben. Wenn sich der Kläger allein auf sein subjektives Empfinden und den persönlichen Eindruck des Gerichts beruft, vermögen diese Argumente die Ergebnisse der schlüssigen und widerspruchsfrei begründeten Sachverständigengutachten nicht zu erschüttern. Worin konkret die behauptete Unschlüssigkeit der Gutachten liegen soll, zeigt die Berufung ebenso wenig auf, wie sie diese widerlegende Beweisergebnisse ins Treffen zu führen vermag. Damit besteht für das Berufungsgericht keine Veranlassung für ein Abgehen von den erstgerichtlichen Feststellungen (RIS-Justiz RS0040613; RS0040592; RI0100099).
1.3. Die Beweisrüge bleibt daher erfolglos. Die angefochtene Feststellung ist der rechtlichen Beurteilung zu Grunde zu legen.
2.1. Im Zusammenhang mit der Abweisung des Pensionsbegehrens kritisiert die Rechtsrüge ausschließlich das Fehlen von Feststellungen zur örtlichen Lage der Arbeitsplätze in den vom Erstgericht festgestellten Verweisungsberufen und dazu, ob der Kläger diese von seinem Wohnsitz aus erreichen könne. Arbeitsplätze in den vom Erstgericht herangezogenen Verweisungsberufen seien bekanntermaßen primär in Großstädten, nicht aber im ländlichen Raum verfügbar.
2.2. Nach den bindenden Urteilsfeststellungen kann der Kläger in Vollzeit (8 Stunden täglich) arbeiten und es ist ihm sowohl ein Wohnsitzwechsel als auch Wochen- oder Tagespendeln möglich. Einschränkungen des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestehen nicht. Damit kommt es nicht auf die örtliche Lage der Arbeitsplätze innerhalb des Bundesgebiets oder darauf an, ob und wie viele Arbeitsplätze der Kläger von seinem aktuellen Wohnort aus erreichen kann. Die Lage des Wohnorts bildet nämlich ein persönliches Moment, das bei der Prüfung der Frage, ob Invalidität besteht, außer Betracht zu bleiben hat. Mangels entgegenstehender (medizinischer) Gründe muss der Kläger einen Wechsel seines Wohnorts, allenfalls Wochenpendeln in Kauf nehmen (RIS-Justiz RS0084871 [T2, T3, T4]; RS0084939; RS0085017 [T7, T2]). Die vom Kläger gewünschten Feststellungen sind daher entbehrlich. Ein sekundärer Feststellungsmangel liegt nicht vor.
2.3. Darüber hinausgehende rechtliche Argumente gegen die Abweisung des Pensionsbegehrens trägt die Berufung nicht vor, weshalb sich weitere rechtliche Ausführungen des Berufungsgerichts hiezu erübrigen (RIS Justiz RS0041585 [T2]; RS0043603 [T3]; RS0041570; RS0043338).
3.1. Abschließend vermeint die Berufung, es fehlten Feststellungen bezüglich der Verneinung eines Anspruchs auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation.
3.2. Die Beklagte begründete die Nichtgewährung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation mit § 253e ASVG. Der Anspruch scheitere daran, dass weder aktuell noch in absehbarer Zeit Invalidität vorliege und auch die sonstigen Voraussetzungen für eine Rehabilitation nicht gegeben seien (ON 3).
3.3. Dass der Kläger keinen Berufsschutz genießt und die Frage des Vorliegens von Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen ist, ist im Berufungsverfahren nicht strittig. Dass der Kläger der Abweisung des Pensionsbegehrens in Anwendung dieser Bestimmung keine überzeugenden Argumente entgegen zu halten vermag, wurde bereits dargelegt. Der Kläger ist trotz seiner gesundheitlichen Leiden und den daraus resultierenden Einschränkungen noch arbeitsfähig.
Im Verfahren erster Instanz begründete der – qualifiziert vertretene – Kläger seine Begehren ausschließlich mit der seiner Ansicht nach gegebenen (gänzlichen) Arbeitsunfähigkeit. Aus welchen – tatsächlichen und rechtlichen – Gründen trotz gegebener Arbeitsfähigkeit ein Anspruch auf berufliche Rehabilitation bestehen soll, konkretisiert er weder im erstinstanzlichen noch im Berufungsverfahren. Auf die im Gesetz (insb § 253e ASVG) normierten Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation geht die Berufung in keiner Weise ein, sondern beschränkt sie sich auf die begründungslose Rüge, es fehlten Feststellungen. Damit ist die Rechtsrüge in diesem Punkt nicht ordnungsgemäß ausgeführt, erfordert dies doch die Darlegung, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache in der angefochtenen Entscheidung erster Instanz unrichtig sein soll (RIS-Justiz RS0043605; RS0043480 [T20]; RS0043603 [T4]). Beschränkt sich die Rechtsrüge darauf, allgemein die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen rechtlichen Beurteilung zu behaupten, ohne dies zu konkretisieren, ist sie nicht gehörig ausgeführt (RIS Justiz RS0041719 [T4]). In diesem Fall ist es dem Berufungsgericht verwehrt, die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts zu überprüfen (1 Ob 70/12v; 5 Ob 199/12v; 9 ObA 156/89; 6 Ob 53/68). Ein weiteres Eingehen auf das Eventualbegehren erübrigt sich daher.
4. Damit bleibt die Berufung insgesamt erfolglos.
5. Ein Kostenzuspruch an den im Berufungsverfahren unterlegenen Kläger scheidet schon deshalb aus, weil das Rechtsmittelverfahren weder mit tatsächlichen noch rechtlichen Schwierigkeiten verbunden war. Solche sind jedoch Voraussetzung für einen Kostenersatz nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG (10 ObS 116/06s; 10 ObS 35/95; Sonntag in Köck/Sonntag ASGG § 77 Rz 21). Der Kläger hat es zudem unterlassen, die für einen Kostenersatz nach Billigkeit erforderlichen – vermögensrechtlichen – Voraussetzungen darzulegen (RIS-Justiz RS0085829). Ein Kostenersatz findet im Berufungsverfahren daher nicht statt.
6. Da im vorliegenden Berufungsverfahren keine Rechtsfragen in der von §§ 2 Abs 1 ASGG, 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zu lösen waren, war der weitere Rechtszug an das Höchstgericht nicht zuzulassen.