JudikaturOLG Innsbruck

23Rs13/25w – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
09. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Vetter als Vorsitzende sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser und Mag. Rofner und die fachkundigen Laienrichter:innen Mag. Stefan Wanner (aus dem Kreis der Arbeitgeber:innen) und Mag. a Dr. in Silvia Zangerle-Leberer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer:innen) als weitere Mitglieder des Senats in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , vertreten durch den Verfahrenshelfer Mag. Manuel Dietrich, Rechtsanwalt in Hard, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle **, wegen Berufsunfähigkeitspension, in eventu Rehabilitationsgeld, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 13.12.2024, **-45, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird keine Folge gegeben.

Ein Kostenersatz findet im Berufungsverfahren nicht statt.

Die (ordentliche) Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am ** geborene Kläger absolvierte in ** ein Ausbildung zum Diplom-Sozialpädagogen. Nach Abschluss der Ausbildung im Jahr 2000 war er viele Jahre im Rahmen verschiedener Dienstverhältnisse in diesem Berufsfeld beschäftigt. Er genießt Berufsschutz gemäß § 273 Abs 1 ASVG. Vor dem Stichtag (1.9.2022) war er zuletzt von September 2017 bis Juni 2020 als Bezugsbegleiter im selbständigen Wohnen der Lebenshilfe (Wohngruppenbetreuung) tätig. Sein Einsatzgebiet war die Betreuung von Personen mit Beeinträchtigungen und von psychisch Kranken, Alltagsbegleitung, Krisenintervention und Beratung bei Konflikten.

Unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses kann der Kläger für acht Stunden täglich noch leichte und teilweise mittelschwere Arbeiten unter durchschnittlichem und bis zu 30 % überdurchschnittlichem Zeitdruck verrichten. Er muss ca alle zwei Stunden für ca 2 bis 3 Minuten die Toilette aufsuchen. Er hat ua Arbeiten unter hohem psychischen Druck, bei denen er mit hoher Wahrscheinlichkeit aggressivem Verhalten anderer ausgesetzt ist, mit hoher emotionaler Belastung, hoher Eigenverantwortung oder im Bereich Krisenintervention zu vermeiden. Eine Wohnsitzverlegung sowie Tages- und Wochenpendeln sind dem Kläger möglich.

Dieser gekürzt dargestellte Sachverhalt steht im Berufungsverfahren unbekämpft fest.

Mit dem angefochtenen Bescheid lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 11.8.2022 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab, weil unter Zugrundelegung des Berufsschutzes als Sozialpädagoge dauerhafte Berufsunfähigkeit nicht vorliege. Vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von mindestens sechs Monaten liege ebenfalls nicht vor, weshalb kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung bestehe. Ein Anspruch auf medizinische oder berufliche Rehabilitationsmaßnahmen bestehe ebenso wenig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitige Bescheidklage des Klägers , mit der er die Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension, in eventu die Gewährung von Rehabilitationsgeld begehrt. Unter Zugrundelegung des von der Beklagten bereits im Anstaltsverfahren anerkannten Berufsschutzes als Sozialpädagoge liege Berufsunfähigkeit iSd § 273 Abs 1 ASVG vor.

Die Beklagte beantragt unter Aufrechterhaltung ihres im Anstaltsverfahren eingenommenen Standpunkts Klagsabweisung.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klagebegehren ab. Dieser Entscheidung legte es den auf den US 3 bis 9 festgestellten Sachverhalt zugrunde, auf den gemäß §§ 2 Abs 1 ASGG, 500a ZPO verwiesen wird. Über den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinaus, traf es ua folgende Feststellungen, wobei die im Berufungsverfahren umkämpften Sachverhaltsannahmen hervorgehoben sind:

Die vom Kläger im Beobachtungszeitraum ausgeübten Tätigkeiten sind kalkülsüberschreitend. Sämtliche Tätigkeiten waren solche, die überdurchschnittliche Anforderungen an die sozialen und persönlichen Kompetenzen stellen, insbesondere auch an die kommunikative Arbeitsfähigkeit, auch die Befähigung zu konflikthafter Kommunikation. Er war bislang hauptsächlich in Bereichen tätig, die mit Krisenintervention verbunden sind. Das Berufsbild eines Diplom-Sozialpädagogen umfasst jedoch eine Vielzahl von Tätigkeiten. Lediglich 50% der 8.000 bis 10.000 Personen, die in Österreich als Diplom-Sozialpädagogen tätig sind, arbeiten im Bereich der Krisenintervention.

Der Kläger ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten gesundheitlichen Einschränkungen noch in der Lage verschiedene Tätigkeiten wie, Verwaltungs- und Organisationsarbeit, präventive Bildungsarbeit, Freizeit und Kulturpädagogik, Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung, rein technische und digitale Unterstützung auszuüben.

Rechtlich verneinte das Erstgericht unter Zugrundelegung der vom Kläger zuletzt ausgeübten Tätigkeit die Voraussetzungen für die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension. Er könne zwar nicht mehr wie zuletzt im Bereich der Krisenintervention arbeiten. Da es aber eine Reihe von Tätigkeiten gebe, die dem Berufsbild des Sozialpädagogen entsprechen und die der Kläger mit dem gegebenen Leistungskalkül noch ausüben könne, liege Berufsunfähigkeit im Sinn des § 273 Abs 1 ASVG nicht vor.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitig angemeldete und ausgeführte Berufung des Klägers . Aus den Rechtsmittelgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung begehrt er die Abänderung der Entscheidung im Sinn der Gewährung der Berufsunfähigkeitspension, in eventu des Rehabilitationsgelds; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer (ebenfalls rechtzeitigen) Berufungsbeantwortung , dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Nach Art und Inhalt der geltend gemachten Rechtsmittelgründe war über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden (§§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO). Diese ist nicht berechtigt:

1.1. Die Beweisrüge richtet sich gegen die oben in Fettschrift hervorgehobene Feststellung. Der Kläger begehrt deren Ersatz durch folgende Feststellung:

"Der Kläger ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage verschiedene Tätigkeiten auszuüben."

1.2. Die begehrte Feststellung spricht nur ganz allgemein von „verschiedenen Tätigkeiten“. Die bekämpfte erstgerichtliche Feststellung beinhaltet demgegenüber konkrete Tätigkeiten innerhalb des Berufsfelds eines Sozialpädagogen, die der Kläger trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch ausüben kann. Aufgrund der nur allgemein gehaltenen Formulierung würde sich selbst unter Zugrundelegung der vom Kläger begehrten Feststellung keine Änderung in der rechtlichen Beurteilung ergeben, weil damit gerade keine Aussage getroffen wird, welche Tätigkeiten der Kläger nicht mehr ausüben kann. Wenn aber der festgestellte und der angestrebte Sachverhalt zum gleichen rechtlichen Ergebnis führen, muss die Beweisrüge erfolglos bleiben (vgl RIS-Justiz RS0042386).

1.3. Aber auch die in der Berufung gegen die angefochtene Feststellung vorgetragenen Argumente vermögen der Beweisrüge nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das Erstgericht begründete seine Feststellung mit den Ergebnissen des berufskundliche Gutachtens samt der – gemeinsam mit dem psychiatrischen Sachverständigen durchgeführten – Erörterung in der abschließenden Tagsatzung. Der berufskundliche Sachverständige blieb auch unter Berücksichtigung der vom – qualifiziert vertretenen – Kläger im Verfahren erster Instanz ausführlich vorgetragenen Einwände sowie der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Gutachtenserörterung bei seiner Einschätzung, wonach dem Kläger die Ausübung der im Urteil angeführten Tätigkeiten innerhalb des Berufsbilds eines Sozialpädagogen noch möglich und zumutbar ist (vgl insb PA ON 36 S 7ff; ON 37). In dem als Reaktion auf die Einwände des Klägers zur Vorbereitung für die mündliche Erörterung erstellten schriftlichen Ergänzungsgutachten ON 37 beschrieb der berufskundliche Sachverständige den Inhalt und das jeweilige Anforderungsprofil dieser Tätigkeiten im Detail. Dabei ging er auch darauf ein, dass der Kläger konfliktträchtige Situationen zu vermeiden hat. Schließlich führte auch der psychiatrische Sachverständige aus, dass dem Kläger trotz der in sein Fachgebiet fallenden Leiden und Einschränkungen sowohl einfache, nicht konfliktträchtige Beratungstätigkeiten in den Bereichen Bildung, Alltagsstrukturierung oder Freizeitpädagogik als auch die Arbeit mit psychisch beeinträchtigten Menschen nach wie vor möglich sind. Dass der Kläger in seinem bisherigen beruflichen Betätigungsfeld der Sozialpädagogik keinerlei Tätigkeiten mehr ausüben könnte, lässt sich aus der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen nicht ableiten. In der Beweisrüge wiederholt der Kläger im Wesentlichen die im Verfahren erster Instanz vorgetragenen Einwände gegen die berufskundliche Beurteilung, ohne jedoch diese widerlegende Beweisergebnisse zu benennen. Allein die subjektive Einschätzung des Klägers ist aber nicht geeignet, die widerspruchsfreien, gleichbleibenden und die Einwände des Klägers berücksichtigenden Ausführungen des/der Sachverständig(en) zu erschüttern. Damit geben die Berufungsausführungen keinen Anlass für ein Abgehen von den erstgerichtlichen Feststellungen (RIS-Justiz RS0040613; RS0040592; RI0100099).

1.3. Die Beweisrüge bleibt daher erfolglos. Die angefochtene Feststellung ist der rechtlichen Beurteilung zu Grunde zu legen.

2.1. Wenn der Kläger in der Rechtsrüge die Auffassung vertritt, das Erstgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es eine Reihe von Tätigkeiten gäbe, die dem Berufsbild des Diplom-Sozialpädagogen entsprechen und die er nach wie vor ausüben könne, richtet sich diese Kritik tatsächlich nicht gegen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, sondern wiederum gegen die gerade behandelte erstgerichtliche Tatsachenfeststellung, geht doch aus dieser in Zusammenschau mit den unmittelbar voranstehenden Feststellungen klar hervor, dass der Kläger trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch in den genannten Tätigkeitsfeldern innerhalb des Berufsbilds des Sozialpädagogen (präventive Bildungsarbeit, Freizeit und Kulturpädagogik, Verwaltung- und Organisation, etc) eingesetzt werden kann. Damit ist aber auf Sachverhaltsebene hinreichend – und das Berufungsgericht bindend – geklärt, dass und welche konkreten Tätigkeiten innerhalb des – sehr breiten und vielfältigen – Tätigkeitsfelds eines Sozialpädagogen (vgl berufskundliches GA ON 37 S 2) der Kläger nach wie vor ausüben kann (10 ObS 142/13z). Dass der Kläger (Angestellten)Berufsschutz iSd § 273 Abs 1 ASVG in diesem Tätigkeitsfeld genießt, ist nicht strittig. Er hat sich selbst mehrfach darauf berufen (ON 19, 24).

2.2. Nicht zielführend ist auch der Einwand, es fehlten Feststellungen zu den vom Kläger in den letzten 15 Jahre tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten. Zum einen trifft dieser Vorwurf nicht zu, hat das Erstgericht auf den US 4f doch Feststellungen zum Inhalt und der jeweiligen Dauer der vom Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausgeübten Tätigkeiten getroffen. Zum anderen kommt es im Anwendungsbereich von § 273 Abs 1 ASVG für die Prüfung der Verweisbarkeit nicht auf die im Lauf der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag insgesamt ausgeübten Berufstätigkeiten an. Vielmehr ist auf die zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübte Angestelltentätigkeit abzustellen. Das Verweisungsfeld wird durch diese Tätigkeit bestimmt (RIS-Justiz RS0106498; RS0084954; RS0084943; RS0111370; RS0084867).

2.3. Nach den Urteilsfeststellungen kann der Kläger zwar die zuletzt von September 2017 bis Juni 2020 ausgeübte Tätigkeit in der Wohngruppenbetreuung nicht mehr ausüben. Das Berufsbild eines Sozialpädagogen ist aber nicht auf solche Tätigkeiten beschränkt, sondern gibt es innerhalb dieses Berufsbilds auch vielfache Einsatzfelder die – anders als die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit – weder mit Krisenintervention noch mit anderen, dem Kläger nach seinem medizinischen Leistungskalkül nicht mehr möglichen Arbeiten verbunden sind. Dass eine Verweisung auf die vom Erstgericht herangezogenen Betätigungsfelder unzulässig wäre, behauptet der Kläger nicht einmal. Nach der Rechtsprechung ist eine Verweisung auf alle Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen, zulässig (RIS-Justiz RS0084867; RS0084954 [T6, T8]; RS0084931 [T3]). Da es sich bei den genannten Verweisungsberufen sogar um Tätigkeiten innerhalb des selben Berufsbilds handelt, in dem der Kläger ausgebildet wurde sowie jahrelang und auch zuletzt tätig war, ist nicht erkennbar, warum eine Verweisung auf diese Tätigkeiten nicht zulässig sein soll.

2.4. Abschließend festzuhalten ist, dass auch aus der in der Berufung angeführten Entscheidung 10 ObS 10/13p für den Kläger nichts gewonnen ist, behandelt diese doch die der Prüfung der Verweisbarkeit nach § 273 Abs 1 ASVG vorgelagerte Frage, ob es sich bei den von einem Pensionswerber ausgeübten Tätigkeiten inhaltlich um Angestellten- oder Arbeitertätigkeiten handelt. Diese Frage ist hier nicht strittig.

2.5. Sonstige rechtliche Argumente trägt die Berufung nicht vor, weshalb sich weitere rechtliche Ausführungen des Berufungsgerichts erübrigen (RIS Justiz RS0041585 [T2]; RS0043603 [T3]; RS0041570; RS0043338).

3. Damit bleibt die Berufung insgesamt erfolglos.

4. Ein Kostenzuspruch an den im Berufungsverfahren unterlegenen Kläger scheidet schon deshalb aus, weil das Rechtsmittelverfahren weder mit tatsächlichen noch rechtlichen Schwierigkeiten verbunden war. Solche sind jedoch Voraussetzung für einen Kostenersatz nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG (10 ObS 116/06s; 10 ObS 35/95; Sonntag in Köck/Sonntag ASGG § 77 Rz 21). Ein Kostenersatz findet im Berufungsverfahren daher nicht statt.

5. Da im vorliegenden Berufungsverfahren keine Rechtsfragen in der von §§ 2 Abs 1 ASGG, 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zu lösen waren, war der weitere Rechtszug an das Höchstgericht nicht zuzulassen.

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