4R54/25k – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht hat durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Prantl als Vorsitzende sowie die Richter des Oberlandesgerichts Mag. Schallhart und Mag. Eppacher als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A* , vertreten durch MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger Rechtsanwalt GmbH in 6840 Götzis, wider die beklagte Partei B* AG C* , vertreten durch Dr. Horst Lumper, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, wegen EUR 35.000,00 s.A., über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse: EUR 35.000,00) gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 6.3.2025, **-49, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird keine Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen zu Handen des Beklagtenvertreters die mit EUR 3.662,52 (darin EUR 610,42 an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger, der sich am 12.8.2021 einen Riss der Achillessehne zuzog, macht Ansprüche aus einem mit der Beklagten abgeschlossenen Unfallversicherungsvertrag geltend.
Der vom Kläger am 4.6.2013 gestellte Versicherungsantrag wies unter anderem den handschriftlichen Zusatz „ Mit vereinbarter Gliedertaxe gemäß Rahmenvertrag “ auf. Darunter waren die Jahresbruttoprämie von EUR 355,00 sowie folgende Versicherungssummen erwähnt:
Dauernde Invalidität ab 20 % EUR 350.000,00
(Progression auf EUR 1.050.000,00)
Unfalltod EUR 100.000,00
Unfallkosten (Selbstbehalt EUR 1.000,00) EUR 15.000,00
Der Passus „ Dauernde Invalidität ab 20 % “ war aus der von der Beklagten ausgestellten Versicherungspolizze nicht ersichtlich. Dort fand sich unter anderem nachstehende Passage:
Unfall-Versicherung
Versichert ist: [Der Kläger]
Unfall-Versicherung-Plus gemäß KlauseI 41 C.
EUR 350.000,00 Versicherungssumme für dauernde Invalidität
EUR 100.000,00 Versicherungssumme für Todesfall
EUR 15.000,00 Versicherungssumme für Unfallkosten […]
EUR 355,00 Jahresprämie: […]
Deckungsumfang des Vertrages siehe Beilage B00. […]
Vertragsgrundlagen
B00 – POLIZZENBEILAGE [...]
41C - Besondere Bedingung zur Unfallversicherung für Ärzte [...]
55V - Allgemeine Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB)
Die Bedingung 41C lautete auszugsweise:
„Dauernde Invalidität
1. Die Versicherungsleistung wird nach der Progressionsstaffel gemäß Art. 7, Pkt. 5 AUVB erbracht, wobei die Versicherungsleistung aber mit 300 % der vereinbarten Versicherungssumme maximiert ist. Bei 100 %iger dauernder Invalidität bezahlen wir 300 % der vereinbarten Versicherungssumme.
2. Abweichend von Art. 7, Pkt. 2.2 gilt folgende verbesserte Gliedertaxe vereinbart:
Invaliditätsgrad bei Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit […] eines Beines oder Fußes 100% […] “
Weder die Bedingungen 55V (AUVB) noch die Bedingung 41C beinhalten eine Regelung dahin, dass die Invaliditätsentschädigung erst ab einer dauernden Funktionsminderung von 20 % zu leisten ist.
Dieser Sachverhalt ist im Berufungsverfahren unstrittig (§ 498 Abs 1 ZPO). Aus der unbedenklichen Beilage A, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden kann (RS0121557), ergibt sich zudem, dass die Versicherungssumme für dauernde Invalidität im Unfallszeitpunkt EUR 460.580,00 betrug.
Der Kläger behauptete, die von ihm beim Unfall erlittenen Verletzungen hätten ein dauerndes traumatologisches und neurologisches Funktionsdefizit von zumindest 22,5 % des Beinwerts nach sich gezogen. Ihm stünde daher eine Invaliditätsentschädigung von EUR 103.630,50 zu, wobei er einen Teilbetrag von EUR 35.000,00 samt 4 % Zinsen seit 2.12.2022 begehre. Im Übrigen wäre die Beklagte auch bei einer unter 20 % liegenden Invalidität leistungspflichtig.
Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Sie stellte den Beginn des Zinsenlaufs außer Streit. Darüber hinaus wendete sie im Wesentlichen ein, der Kläger habe eine dauernde Invalidität von maximal 18 % erlitten. Die von ihr ausgestellte Polizze weiche nicht vom Antrag ab. Da im Versicherungsantrag eine Leistungsuntergrenze von 20 % vereinbart worden sei, sei das Klagebegehren nicht berechtigt. Abgesehen davon seien dem Vertrag die Versicherungsbedingungen B00 zugrunde gelegen, nach denen erst ab einer Funktionsminderung von 21 % eine Invaliditätsentschädigung gebühre.
Das Erstgericht wies mit dem angefochtenen Urteil den vom Kläger auf Einholung eines neurologischen Gutachtens gestellten Beweisantrag zurück sowie einen Hauptsachenbetrag von EUR 35.000,00 ab. Über das Zinsenbegehren sprach es nicht ab. Diese Entscheidung stützte es auf die auf US 5 bis 12 dargestellte Sachverhaltsgrundlage, auf die gemäß § 500a ZPO verwiesen werden kann. Zum besseren Verständnis werden nachstehende Feststellungen hervorgehoben:
Der Kläger hat mit der Beklagten einen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen, welcher über den [Versicherungsmakler] vermittelt wurde. […] Dem Kläger war es vorliegend besonders wichtig, eine günstige Versicherung abzuschließen.
Beim vorliegenden Vertrag handelt es sich um einen Rahmenvertrag für Ärzte. Dieser Rahmenvertrag weist eine verbesserte Gliedertaxe auf und wurde als Grundsumme eine Versicherungssumme von EUR 350.000,00 vereinbart. […] Die Jahresprämie betrug EUR 355,00, was im Vergleich zum Produkt eine eher günstige Prämie darstellt. Insgesamt fiel das vorliegende Produkt der beklagten Partei zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses am Markt auf, dies weil es ein besonders gutes Angebot war, vor allem wegen der verbesserten Gliedertaxe.
[…] (A) Ob bei Übermittlung der Polizze auch Beilagen, insbesondere die Beilage B00, übergeben wurden, kann nicht festgestellt werden. Ebenfalls kann der Inhalt der „Beilage B00“ nicht festgestellt werden. [...]
Der Unfall des Klägers rief Symptome einer Bewegungseinschränkung (Gebrauchsminderung) im oberen Sprunggelenk, einer Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk, einer verhärteten Operationsnarbe, einer Verschlechterung der Wadenmuskulatur, einer Verdickung der Achillessehne als auch einer verminderten Sensibilität im Bereich der Ferse (aber kein eigentliches Taubheitsgefühl) hervor. [...]
Nach den literaturrelevanten Einstufungen beträgt das eigentliche Höchstausmaß bei desaströsem Befund einer Achillessehnenschädigung - welcher beim Kläger nicht vorliegt - 15 % des Beinwerts. Bezieht man hierzu noch die subjektiven Beschwerden, wie Anlaufschmerz und schmerzhaft verdickte Sehne mit ein, ist eine Einstufung mit 18 % des Beinwertes mehr als gerechtfertigt. […]
Auch die beim Kläger vorliegende sensible Nervenschädigung betrifft nur einen Teil des Astes des Nervus Tibialis, welcher aufgrund seines geringen Ausmaßes nicht gesondert zu bewerten ist. Zudem kann ausgeschlossen werden, dass es zu einem weiteren Riss oder einer erhöhten Gefahr für eine neuerliche Ruptur an derselben Stelle kommt. Es werden dadurch auch nicht die umliegenden oder anderen Sehnen stärker gefährdet und wird der betroffene Körperbereich in seiner Stabilität auch nicht eingeschränkt. Beim Kläger bestehen auch keine neurologischen Schäden, die einer gesonderten Beurteilung bedürfen und die geeignet wären, das Ausmaß der Gesamtinvalidität zu erhöhen. Vielmehr sind mit den bemessenen 18 % neben den subjektiven Beschwerden auch sämtliches Ungemach mitberücksichtigt.
Insgesamt kam es daher beim Kläger aufgrund des Unfalls vom 12.8.2021 zu einer Funktionsbeeinträchtigung, die aus medizinischer Sicht mit 18 % Dauerinvalidität zu bewerten ist.“
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht mit ausführlicher Begründung aus, dass die Bedingung B00 für die Beurteilung des Vertragsinhalts nicht berücksichtigt werden könne. Der Versicherungsantrag sei von der Beklagten antragsgemäß polizziert worden. Eine Abweichung liege nicht vor. Der Vertrag sei dahin auszulegen, dass dem Kläger erst ab einer Funktionsminderung von 20 % ein Anspruch gebühre. Da die Unfallfolgen diese Grenze nicht erreicht hätten, sei das Klagebegehren abzuweisen.
Dagegen richtet sich die aus den Rechtsmittelgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Berufung des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass die Beklagte zur Zahlung von EUR 35.000,00 samt 4 % Zinsen seit 2.12.2022 verpflichtet werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nicht öffentlicher Sitzung entschieden werden kann, ist nicht berechtigt.
1. Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass das Erstgericht über das Zinsenbegehren nicht absprach. Der Berufungsantrag stellt zwar auf Abänderung der Entscheidung im Sinne einer vollständigen Klagsstattgebung (Hauptsache und Zinsen) ab. Ausführungen im Sinn des § 496 Abs 1 Z 1 ZPO (nicht erledigte Sachanträge) beinhaltet das Rechtsmittel aber nicht. Damit schied das Zinsenbegehren aus dem Verfahren aus ( G. Kodek in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 496 ZPO Rz 18).
Zur Verfahrensrüge
2. Als Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt der Kläger die unterbliebene Einholung des von ihm beantragten neurologischen Sachbefunds. Der traumatologische Sachverständige sei zur Beurteilung der sich aus den neurologischen Folgen (Sensibilitätsstörung) resultierenden Funktionsminderung fachlich nicht geeignet gewesen. Dies zeige sich schon daran, dass die Prävention, Diagnostik und Behandlung von Erkrankungen und Funktionsstörungen des Nervensystems nach der Ärzteausbildungsordnung (ÄAO 2015) in das Sonderfach der Neurologie falle. Hätte das Erstgericht den neurologischen Sachbefund eingeholt, dann wäre es höchstwahrscheinlich zum Ergebnis gelangt, dass neben der festgestellten traumatologischen Invalidität von 18 % noch zusätzlich eine neurologische Funktionsminderung von 3 % eingetreten sei, sodass von einer Gesamtinvalidität von 21 % auszugehen sei.
3. Richtig ist zwar, dass der Kläger im Schriftsatz vom 21.7.2023 (ON 6) die Einholung eines neurologischen Gutachtens beantragte. In der vorbereitenden Tagsatzung erörterte das Erstgericht mit den Parteien, dass die Einholung des neurologischen Sachbefunds vorerst vorbehalten bleibe. Ob dieser aufgenommen werde, sei davon abhängig, ob der traumatologische Sachverständige die behaupteten neurologischen Schäden beurteilen könne. Diese Frage wurde vom traumatologischen Sachverständigen bejaht.
4. Die Frage, ob außer dem bzw den bereits eingeholten Gutachten noch weitere Sachverständigengutachten einzuholen sind, gehört nach der Rechtsprechung des OGH zur richterlichen Beweiswürdigung. Bei Vorliegen der in § 362 Abs 2 ZPO normierten Voraussetzungen kann durch die Nichteinholung eines weiteren Gutachtens auch ein Stoffsammlungsmangel verwirklicht werden. Diese Bestimmung verpflichtet nämlich das Gericht dazu, auf Antrag oder von Amts wegen eine neuerliche Begutachtung durch den bestellten oder einen anderen Sachverständigen anzuordnen, wenn sich ein bereits abgegebenes Gutachten als ungenügend, mit unauflösbaren Widersprüchen behaftet oder als nicht vervollständigbar erweist. Schlagen Gerichtssachverständige keine weiteren Befundaufnahmen vor, sondern erachten sie weitere Gutachten als nicht erforderlich, stellt das Absehen von dahin gehenden weiteren Beweisaufnahmen idR keinen Verfahrensmangel dar. Gerichtssachverständige sind nämlich verpflichtet, ihre Gutachten umfassend und nach dem letzten Stand der Wissenschaft abzugeben, womit sich das Gericht grundsätzlich auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der medizinischen Begutachtung verlassen kann, wenn von dem befassten Gutachter keine weiteren medizinischen Erhebungen vorgenommen oder angeregt werden. Einem medizinischen Sachverständigen muss auf Grund seiner Fachkunde zugestanden werden, die zur Beantwortung der fallspezifischen Fragen notwendigen und zweckentsprechenden Befundaufnahmen abschließend eingrenzen zu können (RI0100128; Weber , Das Recht der Sachverständigen und Dolmetscher 5 , Seite 58 mwN; Klauser/Kodek 18 , § 362 ZPO E 8).
4.1 Im Rahmen der mündlichen Gutachtenserörterung führte der traumatologische Sachverständige aus, dass es aus seiner Sicht nicht erforderlich sei, ein neurologisches Gutachten einzuholen. Dies begründete er damit, dass es im Zuge von Knieoperationen häufig zu Beschädigungen von Nerven komme. Beim Kläger sei es zu einer Schädigung des Nervus Tibialis gekommen, wobei dies aber keinen motorischen Ast betroffen habe. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre nach der maßgeblichen Literatur keine gesonderte Funktionsminderung anzusetzen. Nach der Literatur sei nicht einmal dann eine Funktionsminderung anzunehmen, wenn es im Zuge einer Operation zu einer kompletten Schädigung des Nervus Suralis komme. Wenn hiefür keine Funktionsminderung anzusetzen sei, obwohl der Nervus Suralis im Vergleich zum Nervus Tibialis eine wesentlich größere Körperregion versorge, sei auch bei der beim Kläger eingetretenen Nervenbeschädigung keine gesonderte Berücksichtigung möglich.
4.2 Das Erstgericht begründete das Unterbleiben der Einholung des neurologischen Gutachtens mit der dargelegten Expertise des von ihm beigezogenen Sachverständigen. Die Beurteilung von unfallskausalen Nervenschäden sei im Übrigen vom Fachgebiet des Unfalltraumatologen umfasst.
4.3 Tatsächlich lassen die Ausführungen des Sachverständigen keinen Zweifel, dass er aus fachlicher Sicht auch geeignet war, die konkreten Auswirkungen der beim Kläger unfallbedingt entstandenen Sensibilitätsstörungen in seine Beurteilung einzubeziehen. Über Frage der Erstrichterin betonte er sogar ausdrücklich, dass es aus seiner Sicht keine neurologischen Schäden gebe, die Auswirkungen auf das Ausmaß der Gesamtinvalidität haben würden. Auf Grundlage der nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen ist die Vorgangsweise des Erstgerichts nicht zu beanstanden. Ob die Beurteilung von Nervenstörungen gemäß der ÄAO 2015 vom Fachbereich der Orthopädie und Traumatologie umfasst ist, ist nicht entscheidend. Maßgeblich ist vielmehr die tatsächliche Fachkunde des Sachverständigen, die dieser im konkreten Fall logisch nachvollziehbar und lebensnah erläuterte. Dass ein erfahrener traumatologischer Sachverständiger auch unfallbedingt entstandene Sensibiltätsstörungen mitbeurteilen kann, zeigt sich im Übrigen schon daran, dass auch die beiden vorprozessual beigezogenen Privatsachverständigen die neurologischen Defizite in ihre Bewertung einfließen ließen. Einen Hinweis darauf, dass nach der Ansicht der traumatologischen Privatsachverständigen die Beiziehung eines neurologischen Sachverständigen erforderlich wäre, lässt sich weder der Beilage D noch dem Privatgutachten Beilage 4 entnehmen.
5. Der behauptete Verfahrensmangel liegt somit nicht vor.
Zur Rechtsrüge
6. Der Rechtsrüge legt der Kläger zwei Begründungsstränge zugrunde. Einerseits argumentiert er, dass die widerspruchslos gebliebene Polizze zu Gunsten des Klägers vom Versicherungsantrag abweiche, sodass für die Beurteilung des Leistungsanspruch die Bedingung 41C maßgeblich sei, die keine Untergrenze der Invalidität von 20 % vorsehe. Andererseits macht der Kläger geltend, die Beklagte habe aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Negativfeststellung (A) keine Vereinbarung einer Risikobegrenzung nachweisen können. Im Ergebnis hätte der Vertrag jedenfalls dahin ausgelegt werden müssen, dass keine Invaliditäts-Untergrenze als Leistungsvoraussetzung vereinbart worden sei.
Hierzu wird erwogen:
7. Ein Versicherungsvertrag kommt gemäß § 861 ABGB durch Austausch übereinstimmender Willenserklärungen der Vertragsparteien zustande ( Fenyves in Fenyves/Perner/Riedler , § 1a VersVG Rz 2).
7.1 Im konkreten Fall stellte der Kläger ein Offert, das von der Beklagten durch Übermittlung der Polizze konkludent angenommen wurde. Für die Annahme des Offerts war nach den Bestimmungen des VersVG keine besondere Form vorgesehen. Entgegen der im Rechtsmittel angedeuteten Rechtsansicht ergibt sich auch aus den Versicherungsbedingungen der Beklagten kein Hinweis darauf, dass die Vertragsannahme in einer besonderen (Schrift-)Form erfolgen hätte müssen. Dass ausdrücklich Schriftform im Sinn des § 1b VersVG vereinbart wurde, wurde vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet.
7.2 Die Vertragsannahmeerklärung der Beklagten umfasste somit auch die im Antrag enthaltene Passage „ dauernde Invalidität ab 20 % “. Diese Erklärung konnte nach der maßgeblichen Vertrauenstheorie (RS0014205) von einem redlichen Erklärungsempfänger nur dahin verstanden werden, dass die Beklagte erst dann zur Leistung verpflichtet ist, wenn der Kläger unfallbedingt eine dauernde Funktionsminderung von zumindest 20 % erleide.
7.3 Gegen diese Auslegung vermag die Berufung keine überzeugenden Argumente aufzuzeigen. Mit dem Verweis auf die Aussage des Versicherungsmaklers stellt der Kläger beweiswürdigende Überlegungen an, die im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge unbeachtlich sind. Soweit das Rechtsmittel unterstellt, dass neben der Polizze sowie den AUVB (Bedingungen 55V) nur die Bedingung 41C existiert habe, entfernt sich das Rechtsmittel unzulässig vom festgestellten Sachverhalt, indem es die in der Polizze ausdrücklich genannte Bedingung B00 übergeht (RS0043312). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, warum die vom Erstgericht vorgenommene Vertragsauslegung deshalb unrichtig sein soll, weil es nach der Ansicht des Berufungswerbers logisch ist, dass im „Vertragswerk“ auf eine vermeintliche leistungsrelevante Invaliditäts-Untergrenze hingewiesen werde, um eine widerspruchsfreie Vertragsdokumentation zu erstellen. Unter „Vertragswerk“ versteht der Berufungswerber augenscheinlich nur die Polizze und die darin genannten Versicherungsbedingungen. Wie bereits dargelegt, ist für den Inhalt des Versicherungsvertrags aber vor allem der Antrag maßgeblich, der im gegenständlichen Fall eine ausreichend bestimmte Untergrenze („ ab 20 % “) beinhaltet. Im Übrigen reicht es aus, auf die zutreffende Vertragsauslegung des Erstgerichts zu verweisen, der sich das Berufungsgericht anschließt.
8. Wie erwähnt vertritt der Kläger darüber hinaus den Standpunkt, dass seine Erklärung ( „dauernde Invalidität ab 20 %“ ) letztlich nicht Vertragsbestandteil wurde, weil sie in der Polizze nicht erwähnt wurde und damit zu seinen Gunsten einen Abweichung gemäß § 5 VersVG vorliege. Auch dieser Rechtsansicht kann nicht beigepflichtet werden.
8.1 § 5 Abs 1 VersVG bestimmt, dass eine Abweichung des Inhalts des Versicherungsscheins vom Antrag oder den getroffenen Vereinbarungen als genehmigt gilt, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Empfang der Polizze/des Versicherungsscheins in geschriebener Form widerspricht. Diese Genehmigung ist nach Abs 2 jedoch nur dann anzunehmen, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer bei Übermittlung des Versicherungsscheins darauf hingewiesen hat, dass Abweichungen als genehmigt gelten, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Empfang des Versicherungsscheins in geschriebener Form widerspricht. Der Hinweis hat durch besondere Mitteilung in geschriebener Form oder durch einen auffälligen Vermerk im Versicherungsschein, der aus dem übrigen Inhalt des Versicherungsscheins hervorzuheben ist, zu geschehen; auf die einzelnen Abweichungen ist besonders aufmerksam zu machen. Hat der Versicherer den Vorschriften des Abs 2 nicht entsprochen, so ist nach Abs 3 die Abweichung für den Versicherungsnehmer unverbindlich und der Inhalt des Versicherungsantrags insoweit als vereinbart anzusehen.
8.2 Nach der Judikatur des OGH findet § 5 Abs 1 VersVG auf alle Abweichungen des Versicherungsscheins vom Versicherungsantrag ohne Rücksicht darauf Anwendung, ob der Versicherungsnehmer durch die Abweichung benachteiligt oder begünstigt wird. Dagegen betreffen die in § 5 Abs 2 und 3 VersVG enthaltenen Vorschriften nur solche Abweichungen, die den Versicherungsnehmer benachteiligen (RS0080309). § 5 Abs 2 und Abs 3 VersVG gelten daher nur bei solchen Abweichungen, die für den Versicherungsnehmer ungünstig sind, nicht jedoch bei solchen, die für ihn günstig sind (RS0080309 [T4]; 7 Ob 114/18t). Dabei kommt es auf den Inhalt und nicht auf den Wortlaut an. Der Versicherungsschein muss daher die im Antrag oder den getroffenen Vereinbarungen enthaltenen Regelungen nicht wortwörtlich wiedergeben oder deren getreues Spiegelbild sein ( Fenyves, aaO , § 5 VersVG Rz 18).
8.3 Die Beurteilung, ob die Abweichung der Versicherungspolizze vom Versicherungsantrag für den Versicherungsnehmer vorteilhaft oder nachteilig ist, muss subjektiv erfolgen (RS0121820). Ob der Versicherungsschein überhaupt vom Antrag oder den getroffenen Vereinbarungen abweicht, ist hingegen durch Auslegung der Dokumente zu ermitteln. Dabei trägt der Versicherungsnehmer die Beweislast für das Vorliegen einer Abweichung ( Fenyves, aaO , § 5 VersVG Rz 23).
8.4. Richtig ist, dass die im Antrag enthaltene Leistungsuntergrenze „ ab 20 % “ weder ausdrücklich in der Polizze noch in den Bedingungen 41C oder 55V erwähnt wird. Die Frage, ob von einer Abweichung auszugehen ist, erfordert daher eine Prüfung, ob die in der Polizze genannten Bedingungen B00 Vertragsbestandteil wurden.
8.4.1 Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen (nur) dann Vertragsbestandteil werden, wenn sie vertraglich vereinbart wurden (7 Ob 119/19d mwN); andernfalls kommt - wenn Art der Versicherung, versichertes Risiko und Prämie feststehen - der Versicherungsvertrag ohne AVB zustande (RS0117649; vgl RS0062323 [T5]). Dem Versicherungsnehmer muss deutlich erkennbar sein, dass der Versicherer nur zu seinen AVB kontrahieren will (RS0014506 [T1]); diesem Willen muss sich der Versicherungsnehmer unterworfen haben. Dafür wird gefordert, dass in der Vertragsunterlage zumindest ein deutlicher Hinweis auf die Einbeziehung der AVB enthalten ist und der Versicherungsnehmer die Möglichkeit hat, sich die AVB zu beschaffen und deren Inhalt zu erfahren. Insofern reicht für deren Einbeziehung in das Vertragsverhältnis etwa die Anführung der maßgebenden AVB auf dem vom Kunden unterfertigten Antragsformular aus, ohne dass es auf die Aushändigung der AVB an den Versicherungsnehmer ankäme (RS0117648 [T1, T3]).
8.4.2 Die von der Beklagten vorgelegte Beilage 1 (Antrag), deren Inhalt unstrittig ist, enthält eingangs den Hinweis „Antrag nach den derzeit geltenden Allgemeinen und allfälligen Besonderen Versicherungsbedingungen der [Beklagten]“ . Da es sich um ein speziell auf Ärzte abgestimmtes Versicherungsprodukt handelte, wurde dem Kläger durch diesen Hinweis in dem von ihm unterfertigten Antragsformular ausreichend deutlich gemacht, dass die Beklagte zum Abschluss der Unfallversicherung nur auf Basis der für die Ärzteunfallversicherung maßgeblichen Allgemeinen Vertragsbedingungen bereit ist. Dass der Kläger keine Möglichkeit hatte, die relevanten Bedingungen vor Vertragsabschluss von der Beklagten anzufordern, wird von ihm nicht behauptet.
8.4.3 Aufgrund dieser Überlegungen ist als Ergebnis festzuhalten, dass die Bedingungen B00 Vertragsbestandteil wurden. Zwar steht deren Inhalt nicht fest. Die vom Erstgericht getroffene Negativfeststellung wirkt sich bei der Prüfung der Frage, ob von einer Abweichung im Sinn des § 5 Abs 1 VersVG auszugehen ist, im Hinblick auf die unter 7.3 dargelegte Beweislastverteilung aber zu Lasten des Klägers aus. Es ist nämlich denkbar, dass in den Bedingungen B00 eine Mindestinvalidität von 20 % festgelegt wurde.
8.4.4 Davon ausgehend ist dem Kläger der ihm obliegende Beweis einer Abweichung des Versicherungsantrags von der Polizze nicht gelungen. Vielmehr ist dem Erstgericht im Ergebnis beizupflichten, dass in rechtlicher Hinsicht kein Anwendungsfall des § 5 VersVG gegeben ist.
Ergebnis
9. Zusammengefasst kommt dem Rechtsmittel daher keine Berechtigung zu. Der behauptete Verfahrensfehler liegt nicht vor, weil es der Aufnahme eines neurologischen Gutachtens nicht bedurfte. Auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts ist nicht zu beanstanden. Die im Antrag enthaltene Passage ist nach ihrem objektiven Erklärungswert dahin zu verstehen, dass die Beklagte nur bei Vorliegen einer Funktionsminderung von mindestens 20 % zur Leistung einer Invaliditätsentschädigung verpflichtet ist. Diese Grenze wurde durch den Unfall vom 12.8.2021 nicht erreicht. Von einer Abweichung zwischen Antrag und Polizze kann nicht ausgegangen werden.
Verfahrensrechtliches
10. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO. Der erfolglos gebliebene Kläger ist verpflichtet, der Beklagten die tarifmäßig verzeichneten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen (EUR 3.662,52; darin EUR 610,42 an USt).
11. Fragen der Vertragsauslegung betreffen den Einzelfall (RS0112106), ebenso, ob ausreichend deutlich auf die Einbeziehung der AVB hingewiesen wurde (RS0117648 [T4]). Zudem konnte sich das Berufungsgericht - wie durch mehrere Zitate belegt - auf eine gesicherte höchstgerichtliche Judikatur stützen. Mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist sohin auszusprechen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist.