JudikaturOLG Innsbruck

3R31/24v – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
11. Juli 2024

Kopf

Beschluss

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Kohlegger als Vorsitzenden und die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser sowie den Richter des Oberlandesgerichts MMag. Dr. Dobler als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A* , geb am **, Angestellte in B*, C* **, vertreten durch Zacherl Schallaböck Proksch Manak Kraft Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, gegen die beklagten Parteien 1. D* E* , geb am **, ohne Beschäftigungsbezeichnung, B*, C* **, vertreten durch Dr. Stefan Warbek, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, und 2. Mag. F* E* , geb am **, Unternehmer im Ruhestand, **, Apt. 1504 443x+8x, G*, VAR, vertreten durch Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in 1070 Wien, wegen EUR 35.000,-- s.Ng., über die Berufung der zweitbeklagten Partei (ON 13) gegen das Versäumungsurteil (betreffend die Berufungswerberin) des Landesgerichts Innsbruck vom 29.1.2024, 12 Cg 134/23w 11, in nichtöffentlicher Sitzung (§§ 471 Z 4, 473 Abs 1 ZPO) beschlossen:

Spruch

Die Berufung wegen Nichtigkeit wird v e r w o r f e n .

Im Übrigen wird der Berufung F o l g e gegeben, das angefochtene Versäumungsurteil gegen die zweitbeklagte Partei a u f g e h o b e n , der Antrag der klagenden Partei auf Erlassung eines Versäumungsurteils gegen die zweitbeklagte Partei a b g e w i e s e n und die Rechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensfortsetzung z u r ü c k v e r w i e s e n .

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung:

Mit der am 14.12.2023 vom Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin eine von ihrer Arbeitgeberin (H* e.U. FN **) abgetretene Provisionsforderung aus der Vermittlung eines Liegenschaftsverkaufs.

Am 15.12.2023 erteilte das Erstgericht den Beklagten – je unter Beischluss der Klage – den Auftrag zur Einbringung einer schriftlichen Klagebeantwortung binnen 4 Wochen (ON 2). Die Zustellung der Klage und des Auftrags erfolgte unter den in der Klage angegebenen Anschriften (beim Zweitbeklagten unter der im Deckblatt der Klage genannten in I*, J*gasse **/K* [S 1 Deckblatt ON 1]) jeweils durch Hinterlegung am 20.12.2023 (erster Tag der Abholfrist). Das Poststück für die Erstbeklagte wurde am 22.12.2023 ausgefolgt, jenes für den Zweitbeklagten am 12.1.2024 als nicht behoben an das Erstgericht retourniert (chronologisch fünfter Zustellnachweis im elektronischen Akt).

Am 19.12.2023 langte beim Erstgericht ein Zustellantrag der Klägerin betreffend den Zweitbeklagten unter der Anschrift **, ** (die in der Klage selbst genannt war [dort S 1 von 12]), ein (ON 3). Die vom Erstgericht daraufhin angeordnete Zustellung konnte nicht bewirkt werden; das Poststück kam mit dem Vermerk „Zustellhindernis; Empfänger nicht anwesend und wohnt nur sehr selten und unregelmäßig an dieser Adresse“ am 27.12.2023 zum Erstgericht zurück (chronologisch vierter Zustellnachweis im elektronischen Akt).

Am 2.1.2024 gab der Zweitbeklagte die Bevollmächtigung seiner im Berufungsverfahren einschreitenden Vertreterin bekannt.

Am 15.1.2024 langte die Klagebeantwortung der Erstbeklagten (ON 8) und am 24.1.2024 die Klagebeantwortung des Zweitbeklagten (ON 9) beim Erstgericht ein (in der dieser die Klagszustellung am 4.1.2024 behauptete, ohne die Gesetzwidrigkeit der Hinterlegung ausdrücklich anzusprechen).

Am 25.1.2024 beantragte die Klägerin die Fällung eines Versäumungsurteils gegen den Zweitbeklagten mit der Behauptung, dass diesem der Auftrag zur Klagebeantwortung entgegen den Behauptungen des Zweitbeklagten in ON 9 nicht am 4.1.2024, sondern am 20.12.2023 zugestellt worden und die Frist daher am 17.1.2024 abgelaufen sei (ON 10).

Mit dem bekämpften Urteil verpflichtete das Erstgericht den Zweitbeklagten zur Leistung von EUR 35.000,-- s.Ng. und Prozesskosten (und wies dessen Klagebeantwortung infolge Verspätung zurück). Dabei ging es von dem dargestellten Verfahrensablauf aus und schloss sich der rechtlichen Beurteilung der Klägerin an, wonach gemäß dem vom Zustellorgan unterfertigten Zustellausweis ausgehend vom Hinterlegungsdatum die Klagebeantwortung spätestens bis 17.1.2024 beim Erstgericht eingebracht werden hätte müssen, sodass die tatsächlich am 24.1.2024 eingelangte Klagebeantwortung als verspätet anzusehen und ein Versäumungsurteil zu erlassen sei.

Gegen diese Entscheidung wendet sich nunmehr die – was die hier zu behandelnde Berufung anlangt – fristgerechte Eingabe des Zweitbeklagten , die – abgestuft gereiht – eine Berufung gegen das Versäumungsurteil aus den Rechtsmittelgründen der Nichtigkeit des Verfahrens (Pkt I.A. und B.) und (implizit) der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (Pkt I.B. 2.j.), einen Widerspruch gegen dieses (Pkt II.) und eine Klagebeantwortung (Pkt III.) enthält; im Rahmen der Berufung beantragt der Zweitbeklagte, das angefochtene Versäumungsurteil kostenpflichtig aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen (ON 13 S 6).

In ihrer (fristgerechten) Berufungsbeantwortung beantragt die Klägerin , dem gegnerischen Rechtsmittel den Erfolg zu versagen (ON 15 S 5).

Über die Nichtigkeitsberufung, die ausschließlich die rechtsunwirksame Zustellung geltend macht, weil der Zweitbeklagte über keinen aufrecht gemeldeten Hauptwohnsitz in Österreich verfüge, die an der behaupteten Zustelladresse gelegene Eigentumswohnung bereits vor 13 Jahren weiterveräußert habe und seine Abgabestelle und der Mittelpunkt seiner tatsächlichen Lebensinteressen, an der er sich regelmäßig aufhalte, in einem Appartement in G* liege, war in nichtöffentlicher Sitzung zu befinden (§§ 471 Z 4, 473 Abs 1 ZPO). Auch über die übrige Berufung war infolge der dort geltend gemachten Anfechtungsgründe die Anberaumung einer öffentlichen, mündlichen Berufung entbehrlich, sodass darüber ebenfalls in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden konnte (§ 480 Abs 1 ZPO). Dabei erwies sich die Berufung aus nachstehenden Erwägungen als begründet:

Rechtliche Beurteilung

1.: Die Frage, ob der bei der Übermittlung eines gerichtlichen Schriftstücks eingehaltene Vorgang als rechtswirksame „Zustellung“ angesehen werden kann, ist in einem Verfahren vor einem österreichischen Gericht ausschließlich nach österreichischem (Verfahrens)Recht zu beantworten (10 ObS 376/02w; RIS Justiz RS0036434). Nach österreichischem Recht bestimmt sich auch, unter welchen Voraussetzungen bei der Zustellung unterlaufene Mängel nachträglich geheilt werden können (10 Ob 53/04y; RIS Justiz RS0036434).

2. Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO ist erfüllt, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch einen ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch die Unterlassung der Zustellung entzogen wurde.

3.: Dieser Nichtigkeitsgrund setzt demnach einen ungesetzlichen Vorgang voraus. Solange also das Prozessrecht ausdrücklich oder durch rechtliche Schlussfolgerungen einwandfrei gedeckt ein Verhandeln ohne Zuziehung der Partei gestattet, liegt der Nichtigkeitsgrund nicht vor. Deshalb ist der Ausschluss der Partei infolge Eintritts der Säumnisfolgen bei Vorliegen eines gesetzlichen Säumnistatbestands kein Nichtigkeitsgrund; umgekehrt bildet aber die gesetzwidrige Anwendung von Säumnisfolgen und Präklusionen dort, wo kein solcher im Gesetz vorgegebener Säumnis- oder Präklusionstatbestand vorliegt, sehr wohl einen Nichtigkeitsgrund ( Pimmer in Fasching/Konecny³ IV/1 [2019] § 477 ZPO Rz 46). Daher ist der Nichtigkeitsgrund verwirklicht, soweit die Säumigkeit Folge einer nicht gehörigen Ladung ist (2 Ob 98/10s = RS0126357; Obermaier in Höllwerth/Ziehensack , ZPO TaKom [2019] § 477 Rz 31; Kodek in Rechberger/Klicka , ZPO 5 [2019] § 477 Rz 21). Im Falle einer gesetzwidrigen Zustellung der Klage kann der Beklagte das Versäumungsurteil mit Nichtigkeitsberufung bekämpfen (OLG Linz 19.2.2024, 11 Ra 36/23b ErwGr 1.2.; OLG Linz 12.2.2003, 2 R 12/03b EFSlg 105.923; LG Linz 31.1.2002, 14 R 430/01f EFSlg 102.082; Klauser/Kodek , JN ZPO 18 § 477 ZPO E 86, 101). Auch ein gesetzwidriger Vorgang bei der Zustellung der Klage samt Auftrag zur Erstattung der Klagebeantwortung begründet den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO dann, wenn der Beklagte nicht ordnungsgemäß am Verfahren beteiligt wird. Wird die Klage nicht ordnungsgemäß zugestellt, so ist auch der Aufhebungsgrund nach § 471 Z 4 ZPO gegeben, weil eine Säumnis die ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks voraussetzt (OLG Wien 5.9.2023, 2 R 55/23g ErwGr 3.).

4.: Nach § 22 Abs 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis zu beurkunden. Wie das Erstgericht zutreffend erkennen ließ, sind die vom Zusteller ausgestellten Zustellnachweise nach § 292 Abs 1 ZPO öffentliche Urkunden, die – wenn sie die gehörige äußere Form aufweisen – den vollen Beweis dafür erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist (3 Ob 31/24s Rz 11 mzwH). § 292 ZPO gilt bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (vgl § 20 E-GovG) auch für den „hybriden Rückschein“ (4 Ob 90/21w Rz 17). Liegt ein solcher Rückschein vor, ist es die Sache dessen, dem gegenüber die Zustellung nicht wirksam sein soll, den iSd § 292 Abs 2 ZPO zulässigen Gegenbeweis der Vorschriftswidrigkeit der Zustellung zu führen (RIS Justiz RS0040471; RS0036429 [T1]). Dies setzt – in Form zulässiger Neuerungen (9 Ob 19/21s Rz 1; 3 Ob 202/03g) – konkrete Tatsachenbehauptungen über die beim Zustellvorgang unterlaufenen Fehler voraus, die nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen sind (zB 9 Ob 19/21s Rz 1; RIS Justiz RS0040507 [insb T4]).

5.: Solche Zustellfehler wurden erst in der Berufung konkret behauptet (nicht in der Klagebeantwortung ON 9, obwohl dies infolge der Einwendung der mangelnden internationalen Zuständigkeit nahegelegen wäre), ua die Ortsabwesenheit des Zweitbeklagten bei der vom Erstgericht unterstellten Zustellung (durch Hinterlegung) und sein Wohnsitz und Lebensmittelpunkt unter der bekanntgegebenen Anschrift in G*.

6.: Auch wenn § 292 Abs 2 ZPO zur Widerlegung der beurkundeten Tatsachen den Beweis des Gegenteils erfordert, begnügt sich die Rechtsprechung beim Zustellnachweis mit dem Gegenbeweis (und nicht Beweis des Gegenteils), was mit dem Gebot der amtswegigen Überprüfung des Zustellvorgangs begründet wird (9 ObA 144/21y Rz 6; RIS Justiz RS0006957; vgl auch RS0006965). Damit schlägt die Amtswegigkeit des Zustellwesens bei der Auslegung des § 292 Abs 2 ZPO durch, was auch Ausfluss des öffentlich-rechtlichen Charakters der Zustellnormen ist (7 Ob 5/06w). Diejenige Partei, die sich darauf beruft, dass an sie – ungeachtet eines vom Zusteller erstellten Zustellausweises – keine wirksame Zustellung erfolgt ist, muss demnach nicht beweisen, dass das Zustellorgan die Zustellung falsch beurkundet hat. Diese Partei trifft damit keine Beweislast(-umkehr). Es reicht vielmehr aus, dass letztlich Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung verbleiben (3 Ob 31/24s Rz 11 f; 4 Ob 90/21w Rz 19 23 mzwH). Diese Zweifel vermochte die Berufung des Zweitbeklagten jedenfalls zu erwecken. Die Berechtigung sowohl der Nichtigkeitsberufung wegen Zustellmangels (die nur bei tatsächlich rechtmäßiger Hinterlegung am 20.12.2023 unbegründet wäre) als auch des in der Berufungsbeantwortung eingewendeten Arguments der Heilung einer fehlenden Zustellung durch Einlassung (die voraussetzte, dass zuvor jedenfalls keine rechtmäßige Zustellung erfolgt war) hing von der auch amtswegig (§ 87 Abs 1 ZPO; RIS-Justiz RS0036440) zu klärenden Frage der Rechts(un)wirksamkeit der angenommenen Zustellung vom 20.12.2023 ab (siehe dazu auch unten ErwGr 8.). Der Berufungssenat trug dem Erstgericht daher mit Beschluss vom 26.3.2024 (ON 19) Erhebungen zum Zustellvorgang am 20.12.2023 auf (§ 473 Abs 2 ZPO).

6.1.: Unter Zugrundelegung der vom Erstgericht über Auftrag des Berufungsgerichts (Rückleitungsbeschluss vom 26.3.2024 ON 19) durchgeführten Erhebungen (§ 473 Abs 2 ZPO) trifft der Berufungssenat zum Zustellvorgang betreffend die Klage samt dem Auftrag zur Klagebeantwortung folgende zusätzliche Feststellungen :

Der seit mindestens sechs Jahren für die vom Erstgericht angenommene Zustellanschrift I*, J*gasse L*/K* als „Stammzusteller“ tätige Mitarbeiter der M* AG hatte zumindest im Dezember 2023 Kenntnis davon, dass dort der Name „N*“ auf jenem Postkasten ausgewiesen ist, den er für die Zustellung verwendete. Er hatte keine Anhaltspunkte dafür, dass unter dieser Adresse der Zweitbeklagte F* O* E* wohnhaft ist. Zustellungen an einen Adressaten unter diesem Namen nahm er an dieser Anschrift in den letzten Jahren nie vor. Der Zweitbeklagte hatte zumindest seit 2003 seinen tatsächlichen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt in G* und hielt sich dort auch im Dezember 2023 auf. Das Zustellstück kam dem Zweitbeklagten jedenfalls vor dem 4.1.2024 auch nicht faktisch zu.

6.2.: Dieser Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung :

Diese Annahmen beruhen auf der kontradiktorisch durchgeführten Vernehmung des zuständigen Postzustellers P* vom 18.6.2024 ON 26. Da sich dieser Zeuge an keinen einzigen Zustellvorgang für F* O* E* unter der Zustellanschrift I*, J*gasse L*/K* erinnern konnte, obwohl er seit sechs Jahren als Stammzusteller fungiert, war zwanglos feststellbar, dass es solche Zustellvorgänge tatsächlich nicht gab. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der ebenfalls unter Beiziehung der Parteienvertreter durchgeführten Vernehmung des Zweitbeklagten (ON 26 S 3 f). Die Feststellungen über Wohnsitz, Lebensmittelpunkt und Aufenthaltsort des Zweitbeklagten sowie das mangelnde Zukommen des Poststücks ergeben sich aus den insoweit glaubhaften Angaben des Zweitbeklagten (ON 26 S 3 f), dessen Angaben über Zustellungen unter dieser Anschrift an sich mit jenen des vorgenannten Zeugen harmonieren, was ihnen zusätzliche Überzeugungskraft verleiht.

7.: Daraus ergibt sich, dass ganz erhebliche Zweifel daran bestehen, ob für den Zweitbeklagten unter der Adresse I*, J*gasse L*/K* überhaupt eine Abgabestelle im Sinn des § 2 Z 4 ZustG begründet war und ob der Zusteller berechtigten Grund zur Annahme hatte, dass der Zweitbeklagte sich regelmäßig an dieser Anschrift aufhielt, sodass eine Hinterlegung im Sinn des § 17 Abs  1 ZustG zulässig gewesen wäre. Eine Heilung nach § 7 ZustG erfolgte nicht, weil dem Zweitbeklagten das Poststück jedenfalls vor dem 4.1.2024 nicht faktisch zugekommen war. Zusammengefasst folgt daraus, dass der konkret am 20.12.2023 eingehaltene Vorgang nicht als rechtswirksame Zustellung der Klage samt Auftrag zur Klagebeantwortung angesehen werden kann.

8.: Dennoch war der Nichtigkeitsberufung aus nachfolgenden Überlegungen, die übrigens auch in der Berufungsbeantwortung sachlich eingewendet werden, nicht dahin Folge zu geben, als das Versäumungsurteil samt dem diesem vorangegangenen Verfahren bis einschließlich des Zustellvorgangs über die Klage samt Auftrag zur Klagebeantwortung als nichtig aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage (Zustellung der Klage samt Auftrag zur Erstattung der Klagebeantwortung an den Zweitbeklagten) aufzutragen gewesen wäre (§ 478 Abs 2 ZPO): Wäre die Hinterlegung (Zustellung) am 20.12.2023 bereits rechtswirksam gewesen, würde sich die Frage nach einer Heilung derselben (egal welcher Art) nicht mehr stellen. Da jedoch aufgrund der vom Erstgericht vorbildlich geführten Erhebungen feststeht, dass am 20.12.2023 keine rechtmäßige Zustellung durch Hinterlegung erfolgte (oben ErwGr 6.), ist amtswegig und aufgrund des Einwands in Berufung und Klagebeantwortung (ON 13 S 5 Pkt I.B.2.j., ON 9 S 2 oben) auf die auch in der Berufungsbeantwortung thematisierte (ON 15 S 3f) Heilung der fehlenden Zustellung „durch Einlassung“ des Zweitbeklagten einzugehen. Dem ist lediglich vorauszuschicken, dass für die in der Klagebeantwortung ON 9 S 2 und in der impliziten Rechtsrüge der Berufung ON 13 Pkt I.B.2.j. erwähnten Zustellungen am 4. und 2.1.2024 keine aktenkundigen Nachweise vorliegen. Die bloße Akteneinsicht – möglicherweise am 4.1.2024 – ersetzt keine Zustellung (4 Ob 217/23z Rz 16; vgl RIS Justiz RS0083711; RS0083733). Der Zweitbeklagte hat in seiner Klagebeantwortung auch nicht behauptet, dass ihm oder seiner Parteienvertreterin die Klage samt Auftrag zur Einbringung einer Klagebeantwortung erst am 4.1.2024 durch die Erstbeklagte (der rechtswirksam bereits am 20.12.2023 zugestellt worden war) bekannt gegeben worden wäre (was für eine wirksame Zustellung nicht ausreichte: RIS Justiz RS0083733). Auch für eine Heilung durch tatsächliches Zukommen des Poststücks an den Zweitbeklagten besteht nach den Ergebnissen der Zwischenerhebungen (oben ErwGr 6.1. und 7.) kein Anhaltspunkt.

9.: Der Oberste Gerichtshof vertritt nun die aus allgemeinen Verfahrensgrundsätzen abgeleitete – in der Berufungsbeantwortung korrekt dargelegte (ON 15 S 3 f) – Auffassung, wonach eine Partei sich nicht nachträglich auf einen Zustellmangel berufen darf, wenn sie bereits dem „Zustellinhalt gemäß reagiert“ habe (8 Ob 183/14i ErwGr 1.2.; 10 ObS 95/17v ErwGr 2.; 8 Ob 69/07s; 7 Ob 75/04m; 10 Ob 47/03i; 10 Ob 376/02w). Dies gilt insbesondere, wenn eine Verfügung – mag diese Verfügung auch von jemandem anderen durchgeführt worden sein (1 Ob 190/99v; 8 Ob 2090/96b) – über das Schriftstück getroffen wurde (1 Ob 183/14i ErwGr 1.2.; 8 Ob 69/07s; 10 ObS 376/02w), etwa durch Erhebung eines Rechtsmittels gegen die nicht oder nicht gesetzmäßig zugestellte Entscheidung (4 Ob 217/23z Rz 17; 1 Ob 183/14i ErwGr 1.2.; 8 Ob 69/07s; 10 ObS 376/02w). Dies wird teilweise als „Heilung durch Einlassung“ bezeichnet ( Gitschthaler in Rechberger/Klicka ZPO 5 [2019] § 7 ZustG Rz 7; Stummvoll in Fasching/Konecny ZPO³ II/2 [2016] § 7 ZustG Rz 12). Dafür wird auch auf § 377 Abs 2 Satz 3 Geo verwiesen, weil gemäß dieser Bestimmung bedeutungslos gewordene Zustellnachweise zu vernichten sind (10 Ob 47/03i; Danzl Geo 10 [Stand 15.1.2023, rdb.at] § 377 Anm 10).

10.: Unter anderem hat das Höchstgericht diese Ansicht in folgenden Verfahren vertreten:

10.1.: Im Verfahren 1 Ob 190/99v war der Beklagten über ihren damaligen Vertreter eine Urteilsausfertigung zugekommen. In der Folge hat sie sich ausdrücklich auf dieses Urteil und dessen Rechtskraft berufen und erst später den Einwand erhoben, die Zustellung sei nicht rechtmäßig erfolgt.

10.2.: Im Verfahren 10 Ob 47/03i hat eine von der Beklagten bevollmächtigte Rechtsanwältin genau so gehandelt, wie von ihr zu erwarten gewesen wäre, hätte sie das angefochtene Urteil unmittelbar durch das Gericht und nicht über den Umweg eines substituierten, aber von der Beklagten nicht bevollmächtigten Rechtsanwalts zugestellt bekommen, nämlich rechtzeitig eine Berufung im Namen der Beklagten erhoben und erst im ao Revisionsverfahren die Rechtmäßigkeit der Zustellung bestritten.

10.3.: Im Verfahren 7 Ob 75/04m war der Beschluss des Rekursgerichts (laut Zustellverfügung) der Mutter und deren Verfahrenshelferin sowie dem Vater, nicht aber dem unterhaltsberechtigten Sohn zugestellt worden. Dieser erhob einen Revisionsrekurs, wies auf die Zustellung des Beschlusses des Rekursgerichts an seine Mutter, bei der er ganz offensichtlich wieder wohnte, hin, sodass der Oberste Gerichtshof davon ausging, der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts sei dem Revisionsrekurswerber selbst über die Mutter tatsächlich zugekommen und dieser habe dem Zustellinhalt gemäß reagiert, nämlich den Beschluss des Rekursgerichts mit einem inhaltlich als Revisionsrekurs zu wertenden Schriftsatz bekämpft, sodass die unterbliebene Zustellung als „durch Einlassung“ geheilt angesehen werden konnte.

10.4.: Im Verfahren 10 ObS 376/02w hatte die im Ausland aufhältige Klägerin genau so gehandelt wie eine Leistungswerberin, die sich mit der bescheidmäßigen Erledigung ihrer Anträge (in einer Leistungssache) des Sozialversicherungsträgers nicht zufrieden gibt, nämlich – obwohl sie sich später im Verfahren auf die mangelhafte Zustellung und ihr mangelhaftes Verständnis von dem in deutscher Sprache zugestellten Bescheid berufen hat – Klage nach § 67 Abs 1 Z 1 ASGG gegen die Bescheide vom 22.5. und 3.11.1989 erhoben, sodass die mangelhafte Zustellung der Bescheide jedenfalls durch Einlassung als geheilt angesehen wurde.

10.5.: Im Verfahren 10 ObS 95/17w machte der Kläger, dem ein Bescheid eines Sozialversicherungsträgers nicht rechtswirksam, nämlich ohne Vermerk „trotz Postsperre“ zugestellt worden war, später im Verfahren geltend, diese Zustellung wäre rechtswidrig erfolgt. Der Oberste Gerichtshof nahm eine Heilung durch Einlassung an, weil er sich genau so verhalten hatte, wie er gehandelt hätte, wäre ihm der Bescheid – wie von ihm später gefordert – mit dem Vermerk „trotz Postsperre“ (§ 78 Abs 2 letzter Satz IO) zugestellt worden, indem er eine Klage beim Arbeits- und Sozialgericht erhob.

11.: Wie bereits in der bisherigen Darstellung des Verfahrens verdeutlicht, hat der Zweitbeklagte in seiner Klagebeantwortung, obwohl er dort auf die fehlende internationale Zuständigkeit des Erstgerichts infolge seines Wohnsitzes in G* und seines allgemeinen Gerichtsstands außerhalb von Österreich hingewiesen hat (ON 9 S 3), mit keinem Wort konkret die Rechtsunwirksamkeit der Hinterlegung vom 20.12.2023 (erster Tag der Behebungsmöglichkeit) erwähnt. Er hat lediglich ohne weitere Schlussfolgerungen daraus eine Zustellung von Klage und Auftrag zur Klagebeantwortung am 4.1.2024 geltend gemacht (ON 9 S 2 oben). Der Zweitbeklagte konnte sich also in seiner Berufung – wenn auch nicht, wie in der Berufungsbeantwortung eingewendet wird, aufgrund eines Verstoßes gegen das Tatsachenneuerungsverbot des § 482 Abs 1 ZPO im Rechtsmittel (vgl zur Zulässigkeit von konkreten Neuerungen über die Unrichtigkeit von Zustellvorgängen oben ErwGr 4.), sondern aufgrund seiner Einlassung mit der Klagebeantwortung ON 9 ohne Geltendmachung des Zustellmangels – nicht mehr auf diese fehlerhafte Zustellung berufen. Sowohl ausgehend von dem in der Berufung erwähnten (2.1.2024) oder dem in der Klagebeantwortung behaupteten Zustellzeitpunkt (4.1.2024) als auch ausgehend von der durch die Klagebeantwortung vom (Datum des Einlangens beim Erstgericht) 24.1.2024 erfolgten Einlassung ohne Geltendmachung der gesetzwidrigen Zustellung und damit die „Heilung durch Einlassung“ (4 Ob 21/23z Rz 17) mit diesem Datum erfolgte die Klagebeantwortung aber rechtzeitig. Bei der „Heilung durch Einlassung“ kommt es nicht zu einer Heilung einer mangelhaften Zustellung durch tatsächliches Zukommen des Zustellstücks in die Einflusssphäre der betreffenden Partei (1 Ob 66/01i), also mit dem Zeitpunkt dieses Zukommens, sondern um eine „ Verfügung über das Zustellstück mit dem Zeitpunkt dieser „Verfügung“ oder „Einlassung“ (vgl 4 Ob 21/23z Rz 18). Der Zweitbeklagte weist in seiner Berufung (ON 13 S 5 Pkt I.B.2.j.) unter anderem auch auf ein anderes als das vom Erstgericht angenommene Zustelldatum (dort 2.1.2024) hin, was wie erwähnt einen anderen Endzeitpunkt bei der Berechnung der aufgetragenen vierwöchigen Frist zur Klagebeantwortung zur Folge hätte. Damit wird implizit eine (gesetzmäßige) Rechtsrüge (§ 471 Z 4 ZPO) erhoben. Es reicht aus, wenn das Begehren, ein bestimmtes anderes Rechtsmittel zu erheben (RIS Justiz RS0036404), oder wenn sich die Gründe für die Inanspruchnahme eines anderen Rechtsmittelgrunds (6 Ob 177/15w ErwGr 2. mzwH; OLG Innsbruck zB 3 R 93/21g ErwGr B.c.) insgesamt hinreichend deutlich aus dem Rechtsmittelvorbringen ergeben. Allerdings gehen alle dadurch entstehenden Unklarheiten zu Lasten des Rechtsmittelwerbers (9 ObA 99/20d ErwGr 2.; 2 Ob 41/16t; 6 Ob 177/15w ErwGr 2.; 9 Ob 89/14z ErwGr 2.; 6 Ob 38/10x; RIS Justiz RS0041761; RS0041768; RS0041911 [T1]). Aufgrund der gesetzmäßig ausgeführten, möglicherweise auf den Tag des Antrags auf elektronische Akteneinsicht, jedenfalls auf den 2.1.2024 verweisenden, Rechtsrüge kann auch zwanglos wahrgenommen werden (RIS-Justiz RS0043352; RS0041585 [T3]), dass nach der nun feststehenden rechtsunwirksamen Hinterlegung vom 20.12.2023 (oben ErwGr 6.) und der Heilung durch Einlassung mit der Klagebeantwortung vom 24.1.2024 (oben ErwGr 10.) die materiellen Voraussetzungen eines Versäumungsurteils nicht mehr vorliegen : Gemäß § 396 Abs 1 ZPO setzt die Fällung eines Versäumungsurteils nämlich die Säumnis des Beklagten bei Erstattung der Klagebeantwortung voraus, die tatsächlich nicht vorlag. Somit ist der Aufhebungsgrund des § 471 Z 4 ZPO verwirklicht (1 Ob 144/16g; OLG Wien 18.7. 2006, 13 R 136/06z, 137/06x; vgl auch 30.8.2022, 12 R 66/22x, 84/22v ErwGr 3.). Die weite Formulierung dieser Bestimmung umfasst nicht nur die Fälle, in denen ein Versäumungsurteil wegen Nichtigkeit iS des § 477 Abs 1 Z 4 und 5 ZPO bekämpft wird, sondern auch jene, in denen die Ursache für die unterstellte Säumnis das Ergebnis eines Verfahrensmangels oder einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist ( Kodek in Rechberger / Klicka ZPO 5 [2019] § 471 Rz 18 mwH; ebenso nunmehr auch Pimmer in Fasching / Konecny ZPO 3 IV/1 [2019] § 471 Rz 21 unter Aufgabe der in der Vorauflage geäußerten anderen Auffassung). Dies führt zu der wesentlich verfahrensökonomischeren Konsequenz, dass – unter Verwerfung der Nichtigkeitsberufung (§§ 477 Abs 1 Z 4, 473 Abs 1: Kodek § 474 Rz 3; E. Kodek in Rechberger / Klicka ZPO 5 [2019] § 474 Rz 6) – nur das Versäumnisurteil (gegen den Zweitbeklagten) aufgehoben werden muss und nicht auch das mit diesem ab und einschließlich der Klagszustellung geführte Verfahren. Der mittlerweile schon erbrachte Prozessaufwand, insbesondere die Klagebeantwortung ON 9 bleibt somit verwertbar.

12.: Somit war der Berufung Folge zu geben, nur das angefochtene Versäumungsurteil aufzuheben, der Antrag der Klägerin gegen den Zweitbeklagten ein Versäumungsurteil zu erlassen abzuweisen (OLG Wien 30.8.2022, 12 R 66/22x, 84/22v ErwGr 4.; 25.10.2021, 13 R 124/21g, 125/21d ErwGr 3.4.; vgl OLG Graz, 29.4.2014, 3 R 72/14d ErwGr 2., allerdings für einen Fall der Aufhebung des Versäumungsurteils wegen Nichtigkeit infolge § 477 Abs 1 Z 4 ZPO, weil eine Auslandszustellung nur vergeblich versucht aber nicht bewirkt wurde, es deshalb an den materiellen Voraussetzungen für den Antrag auf Fällung des Versäumungsurteils fehlte und der deshalb kostenrechtlich anders beurteilt wurde), und die Rechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensfortsetzung (betreffend den Zweitbeklagten) zurückzuverweisen (§ 474 Abs 3 ZPO). In weiterer Folge wird das Erstgericht mangels Säumnis des Zweitbeklagten gemäß § 257 Abs 1 ZPO das Verfahren fortzusetzen haben.

13.: Die Kosten entscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO (OLG Wien 30.8.2022, 12 R 66/22x, 84/22v ErwGr 5.; 25.10.2021, 13 R 124/21g, 125/21d ErwGr 3.5.).

14.: Die vom Berufungsgericht gemäß § 473 Abs 1 ZPO gefassten Beschlüsse sind nur nach § 519 ZPO anfechtbar (1 Ob 144/16g; RIS-Justiz RS0043405 [T24, T25, T43]; Kodek § 473 Rz 1 und § 474 Rz 3; E. Kodek § 474 Rz 6). Eine Klagszurückweisung wird nicht angeordnet, eine erhebliche Rechtsfrage in der von der Grundnorm des § 502 Abs 1 ZPO umschriebenen Qualität ist hier nicht zu prüfen.

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