4R40/24z – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Prantl als Vorsitzende sowie die Richter des Oberlandesgerichts Mag. Schallhart und Mag. Eppacher als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* Holding AG , **straße **, **, Schweiz, vertreten durch Gottgeisl Leinsmer Weber Rechtsanwälte GmbH in 1040 Wien, wider die beklagte Partei B* , ohne Angabe eines Geburtsdatums, Geschäftsführer, p.A. C* Limited, Level 7, **, High Street, **, Malta, vertreten durch BK.PARTNERS Bugelnig Kirner Rechtsanwälte OG in 1070 Wien, wegen EUR 16.738,93 s.A., aus Anlass des Rekurses der beklagten Partei (Rekursinteresse: EUR 16.738,93) gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 6.2.2024, 57 Cg 102/23x-12, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Das Verfahren wird bis zum Vorliegen der Entscheidung des beim Obersten Gerichtshof zu 5 Ob 9/24w behängenden Verfahrens unterbrochen und nur über Antrag einer der Parteien fortgesetzt.
Der darüberhinausgehende Antrag der beklagten Partei, das Rekursverfahren auch bis zum Vorliegen der Entscheidung des beim Obersten Gerichtshof zu 8 Ob 94/23s behängenden Verfahrens zu unterbrechen, wird abgewiesen .
Text
Begründung:
Gegenstand des Rekursverfahrens ist ausschließlich die Frage der internationalen Zuständigkeit des angerufenen (Erst-)Gerichts.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung von EUR 16.738,93 s.A. Ein im Sprengel des Erstgerichts wohnhafter Spieler habe bei von der C* Ltd, einer Gesellschaft mit Sitz in Malta, angebotenen Online-Glücksspielen in der Zeit von 24.1.2017 bis 12.9.2021 Verluste in Höhe des Klagsbetrags erlitten. Die Klägerin habe die Klagsforderung vom Spieler gekauft. Der Beklagte mit Wohnsitz in Italien sei seit 9.7.2008 „Director“ bzw Geschäftsführer der C* Ltd und als solcher im relevanten Zeitraum dafür verantwortlich gewesen, dass diese in Österreich ohne entsprechende Konzession Online-Glücksspiele angeboten habe. Aufgrund der dadurch bewirkten Schutzgesetzverletzung hafte er für die verfahrensgegenständlichen Spielverluste persönlich. Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus Art 7 Nr 2 EuGVVO. Schadensort sei Österreich, weil dem Spieler ein Schaden in Form des fehlenden Betrags in seinem in Österreich gelegenen Vermögen entstanden sei. Der Schaden resultiere zudem aus Verstößen gegen öffentlich-rechtliche österreichische Eingriffsnormen. Es sei österreichisches Sachrecht anwendbar.
Der Beklagte erhob die Einrede der internationalen Unzuständigkeit. Art 7 Nr 2 EuGVVO gelange nicht zur Anwendung. Weder Handlungs- noch Erfolgsort lägen in Österreich, sondern in Malta. Ebenso sei nicht österreichisches, sondern maltesisches Sachrecht anzuwenden.
Das Erstgericht verwarf die Einrede der internationalen Unzuständigkeit mit dem angefochtenen Beschluss.
Dagegen richtet sich der rechtzeitige Rekurs des Beklagten , mit dem er die Abänderung der Entscheidung iSd Ausspruchs der internationalen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts sowie die Zurückweisung der Klage begehrt; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Rechtsmittelschrift beinhaltet weiters den Antrag, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung von den beim OGH zu 5 Ob 181/23p und 8 Ob 94/23s behängenden Verfahren zu unterbrechen.
Die Klägerin beantragt, dem gegnerischen Rechtsmittel den Erfolg zu versagen. Zu dem vom Beklagten gestellten Unterbrechungsantrag äußerte sie sich nicht.
Rechtliche Beurteilung
Der Unterbrechungsantrag ist teilweise berechtigt.
1. Zu 5 Ob 9/24w (vormals 5 Ob 181/23p) beschloss der OGH, dem EuGH mehrere - im Detail aus RS0134624 ersichtliche Fragen - zur Vorabentscheidung vorzulegen und setzte das Revisionsrekursverfahren bis zum Einlangen der Vorabentscheidung aus. Die zu 8 Ob 94/23s und zu 9 Ob 10/24x behängenden Verfahren wurden jeweils bis zur Entscheidung des EuGH über dieses Vorabentscheidungsersuchen unterbrochen. In den genannten Revisionsrekursverfahren sind - in Bezug auf die persönliche Haftung des Beklagten - weitgehend idente Prozessbehauptungen zur Frage der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu klären.
2. Auch wenn gerichtliche Entscheidungen grundsätzlich auf den einzelnen Fall beschränkt sind (§ 12 ABGB), kommt der Rechtsprechung des OGH - vor allem aus Argumenten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes - eine darüber hinausgehende Präjudizienvermutung zu ( P. Bydlinski in KBB 7 § 12 ABGB Rz 1).
3. Der Bestimmung des § 190 ZPO (Unterbrechung eines Verfahrens) liegen vornehmlich prozessökonomische Erwägungen zu Grunde. Dieser Grundgedanke rechtfertigt in der gegebenen Fallkonstellation eine analoge Unterbrechung des Verfahrens bis zum Ergehen der Entscheidung des OGH und der damit verbundenen Transformation der Entscheidung des EuGH in das (inner-)österreichische Recht. Dadurch kann nämlich ein unterschiedliches Verständnis der durch den EuGH beantworteten Fragen vermieden werden (so bereits OLG Innsbruck 5 R 18/24x; Kohlegger in Fasching/Konecny 3 , Anhang zu § 190 ZPO Rz 262). Eine einheitliche Umsetzung ist vor allem zweckmäßig, weil ein Urteil des EuGH nicht nur das Vorlagegericht bindet, sondern über den Ausgangsrechtsstreit hinaus rechtliche Bindungswirkung dahin entfaltet, dass alle Gerichte der Mitgliedsstaaten die vom EuGH vorgenommene Auslegung oder seine Feststellung der Ungültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes zu beachten haben (RS0111726 [T1]). Damit war dem Antrag des Beklagten stattzugeben und das Verfahren bis zum Vorliegen der Entscheidung im Verfahren 5 Ob 9/24w zu unterbrechen.
4. Auf das Verfahren 8 Ob 94/23s lassen sich die soeben behandelten Überlegungen nicht übertragen, weil dort kein gesondertes Vorabentscheidungsersuchen gestellt wurde. Der diesbezügliche Unterbrechungsantrag war sohin abzuweisen.
5. Da keine gesonderten Kosten verzeichnet wurden, konnte in dem die Unterbrechungsfrage betreffenden Zwischenstreit eine Kostenentscheidung entfallen.
6. Zwar nahm die Klägerin in der Rekursbeantwortung zur beantragten Unterbrechung keine Stellung. Eine gesonderte Äußerungsmöglichkeit musste ihr aber nicht mehr eingeräumt werden.
7. Im Hinblick auf die im Zivilprozess herrschende Dispositionsmaxime ist das Verfahren nur über Antrag einer der Parteien fortzusetzen (RS0041123; Höllwerth in Fasching/Konecny 3 § 190 ZPO Rz 92 und 93).
8. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 519 Abs 1 ZPO; 7 Ob 21/97g; RS0037125 [T5]; Höllwerth aaO, § 192 ZPO Rz 23; Trenker in Kodek/Oberhammer ZPO-ON § 192 ZPO Rz 3).
Oberlandesgericht Innsbruck
Abteilung 4, am 17. April 2024
Dr. Barbara Prantl , Senatspräsidentin
Elektronische Ausfertigung gemäß § 79 GOG