JudikaturOLG Innsbruck

23Rs63/23w – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
Sozialrecht
26. März 2024

Kopf

Im Namen Der Republik

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Kohlegger als Vorsitzenden sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser und den Richter des Oberlandesgerichts MMag. Dr. Dobler sowie die fachkundigen Laienrichterinnen AD in RR in Irene Rapp (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AD in RR in Sabine Weber (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Mitglieder des Senats in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* B* , geb **, Abfüllerin, **/C*, **, vertreten durch Dr. Andreas Fink und Dr. Christopher Fink, Rechtsanwälte in Imst, gegen die beklagte Partei D* E* , ** C*, **, vertreten durch ihren Mitarbeiter Mag. F*, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 3.8.2023, 45 Cgs 79/23s-7, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird in der Hauptsache keine Folge gegeben.

Die Berufung im Kostenpunkt wird zurückgewiesen .

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen der Klagsvertreter die mit EUR 658,99 (darin EUR 109,83 USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Die (ordentliche) Revision ist nicht zulässig.

Der Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung der Berufung im Kostenpunkt ist jedenfalls unzulässig .

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte gewährte der Klägerin für ihre am ** geborenen Tochter G* B* einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von EUR 66,-- täglich. Die gemäß § 7 Abs 1 MuKiPassV in den ersten 14 Lebensmonaten des Kindes vorzunehmenden fünf ärztlichen Untersuchungen (6. bis 10. Mutter-Kind-Pass-Untersuchung) wurden fristgerecht durchgeführt. Die letzte davon erfolgte am 3.5.2022.

Mit Bescheid vom 27.1.2023 (erster Bescheid) reduzierte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld für ihre Tochter um EUR 1.300,-- und forderte sie zur Rückzahlung dieses Betrags binnen vier Wochen auf. Begründend führte die Beklagte aus, die vorgeschriebenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen seien nicht oder verspätet durchgeführt bzw nicht vollständig oder verspätet nachgewiesen worden.

Da die Beklagte bezüglich der Zustellung des Bescheids vom 27.1.2023 von der H* I* keinen Rückschein übermittelt erhielt, versah sie den ursprünglich mit 27.1.2023 datierten Bescheid mit dem Datum 28.3.2023 (zweiter Bescheid) und veranlasste dessen (neuerliche) Zustellung an die Klägerin. Mit Ausnahme des Datums sind die beiden Bescheide vollkommen ident.

Dieser Sachverhalt ist im Rechtsmittelverfahren nicht strittig und daher der Berufungsentscheidung zu Grunde zu legen (§§ 2 Abs 1 ASGG, 498 Abs 1 ZPO). Die Gründe für die neuerliche Zustellung des zunächst mit 27.1.2023 datierten Bescheids ergeben sich ebenso wie der Umstand, dass die beiden Bescheide inhaltlich vollkommen ident sind, aus dem eigenen, unbestrittenen Prozessvorbringen der Beklagten (ON 2 S 1). Dass die Bescheide – mit Ausnahme des Ausstellungsdatums – wortgleich sind, ergibt sich auch aus den diese Bescheide beinhaltenden, von der Beklagten vorgelegten Urkunden Beilagen 1./ und ./2. Mangels Echtheitsbestreitung können diese Urkunden ebenso wie das unstrittige Prozessvorbringen der Berufungsentscheidung zu Grunde gelegt werden (RIS Justiz RS0121557; RS0040083).

Mit der am 11./12.4.2023 bei der Beklagten eingelangten, von dieser sowie vom Erstgericht als Klage gewerteten – zwischenzeitig verbesserten – Eingabe begehrte die zum damaligen Zeitpunkt nicht qualifiziert vertretene Klägerin erkennbar die Feststellung, dass die von der Beklagten ausgesprochene Rückforderung nicht berechtigt ist. Begründend führte sie aus, die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen seien rechtzeitig durchgeführt und die Bestätigungen persönlich am Schalter und zusätzlich per Einwurf in den Postkasten der Beklagten in J* abgegeben worden. In der Eingabe nahm die Klägerin ausdrücklich Bezug auf den (zweiten) Bescheid vom 28.3.2023. Dem Schreiben beigelegt war der (erste) Bescheid vom 27.1.2023 (siehe Beilage ./4 [im elektronischen Gerichtsakt erfasst als Beilage ./3]; RIS-Justiz RS0121557; RS0040083).

In der Tagsatzung vom 3.8.2023 erklärte die – nunmehr qualifiziert vertretene (§ 40 Abs 1 Z 1 ASGG) – Klägerin, die Klage richte sich gegen den Bescheid vom 28.3.2023. Der Bescheid vom 27.1.2023 sei erst in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zum Bescheid vom 28.3.2023 zugestellt worden. Inhaltlich hielt sie ihr Vorbringen in der Klage aufrecht.

Die Beklagte bestreitet und beantragt Klagszurück- oder abweisung. Trotz Nichtvorliegens eines Rückscheins ergebe sich bereits aus dem Klagsvorbringen, dass der Klägerin der erste Bescheid jedenfalls mehr als vier Wochen vor dem 11.4.2023 zugegangen sei. Sollte sich die Klage gegen diesen Bescheid richten, sei sie verspätet und daher zurückzuweisen. Auch wenn sie sich gegen den zweiten Bescheid richte, sei die Klage zurückzuweisen. Der erste Bescheid habe dem zweiten vollkommen entsprochen und diesen nur wiederholt. Nach der Rsp bleibe ein früherer, gleichlautender Bescheid nach dem Außerkrafttreten des späteren Bescheids infolge Bescheidklage wirksam. Damit stehe die Rechtskraft des ersten Bescheids einer gegen den zweiten Bescheid gerichteten Klage entgegen.

Inhaltlich wendet die Beklagte ein, die Klägerin hätte die Nachweise für die 6. bis 10. Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen spätestens bis zur Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes am 19.10.2022 vorlegen müssen. Da die Nachweise erstmals am 08.02.2023 eingelangt seien, sei die Rückforderung berechtigt. Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit des Einbringens der Nachweise treffe die Klägerin.

Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Erstgericht aus, der Anspruch der Klägerin auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld reduziere sich nicht um den von der Beklagten rückgeforderten Betrag von EUR 1.300,-- und das darauf gerichtete Rückforderungsbegehren der Beklagten sei nicht berechtigt. Diesem Erkenntnis legte es neben dem eingangs dargestellten Sachverhalt nachstehende, im Rechtsmittelverfahren umkämpfte Feststellungen zu Grunde:

(1) „Die Nachweise über die 7. bis 10. Mutter-Kind-Pass-Untersuchung wurden von der Klägerin am 28.6.2022 bei der Bezirksstelle der beklagten Partei in J* persönlich durch Einwurf in den dortigen Briefkasten abgegeben.“

(2) „Nicht festgestellt werden kann, wann der Bescheid vom 27.1.2022 der Klägerin zugestellt wurde, insbesondere nicht, ob dies mehr als vier Wochen vor dem 11.4.2023 erfolgte.“

Rechtlich referierte das Erstgericht die §§ 24a und 24c KBGG sowie § 7 Mutter-Kind-Pass-Verordnung 2002. Da die Klägerin die Untersuchungen fristgerecht nachgewiesen habe, seien die Voraussetzungen für die Reduzierung des Kinderbetreuungsgelds nicht gegeben. Sofern sich die Beklagte auf eine Nichteinhaltung der Klagsfrist gegen den Bescheid vom 27.1.2023 stütze, sei darauf zu verweisen, dass die Klage im Fall von nicht zu klärenden Zweifeln über die Rechtzeitigkeit als fristgerecht anzusehen sei.

Dagegen wendet sich die rechtzeitige Berufung der Beklagten . Aus den Rechtsmittelgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung beantragt sie, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagszurück-, in eventu -abweisung abzuändern und den angefochtenen Bescheid zu wiederholen; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Zudem enthält die Berufung eine Kostenrüge.

Die Klägerin beantragt in ihrer fristgerechten Berufungsbeantwortung , dem gegnerischen Rechtsmittel den Erfolg zu versagen.

Nach Art und Inhalt der geltend gemachten Anfechtungsgründe war über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden (§§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO). Diese ist aus nachstehenden Gründen nicht berechtigt:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Beweisrüge richtet sich zunächst gegen die unter (1) hervorgehobene Feststellung und will diese durch die entsprechende Negativfeststellung, es könne nicht festgestellt werden, ob die Klägerin die Nachweise am 28.6.2022 abgegeben habe, ersetzt wissen. Das Erstgericht stütze die angefochtene Feststellung auf den von der Klägerin vorgelegten WhatsApp-Schriftverkehr, lasse jedoch die Widersprüche und Erinnerungslücken in den Partei- und Zeugenangaben außer Acht.

1.2. Das Wesen der richterlichen Beweiswürdigung ist darin gelegen, aus den zumeist unterschiedlichen Ergebnissen eines Beweisverfahrens Schlussfolgerungen auf die vom Prozessvorbringen der Streitteile erfassten tatsächlichen Vorgänge zu ziehen. Bei der freien Beweiswürdigung iSd § 272 ZPO ist der Richter durch keine gesetzlichen Beweisregeln gebunden. Er hat vielmehr nach seiner persönlichen Überzeugung zu beurteilen, ob er einen Beweis als gelungen ansieht oder nicht, wobei insbesondere dem anlässlich der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck des Richters von der Glaubwürdigkeit der vernommenen Personen maßgebliche Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RI0100103; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 272 Rz 1). Es gehört zum Wesen der freien Beweiswürdigung, dass die Tatsacheninstanz sich für eine von mehreren widersprechenden Darstellungen aufgrund ihrer Überzeugung, dass diese mehr Glaubwürdigkeit beanspruchen kann, entscheidet (RIS-Justiz RS0043175). Das Regelbeweismaß der ZPO ist dabei nicht das der an Sicherheit grenzenden, sondern jenes der hohen Wahrscheinlichkeit. Dies bedeutet, dass bei der Beurteilung bestimmter Lebenssachverhalte Zweifel bezüglich getroffener Feststellungen nicht überhaupt fehlen müssen (2 Ob 97/11w; 4 Ob 146/10i; RIS Justiz RS0110701; Rechberger aaO Vor § 266 ZPO Rz 5ff).

Das Berufungsgericht hingegen hat keine eigene Würdigung der Beweisergebnisse vorzunehmen, sondern nur zu überprüfen, ob das Erstgericht die ihm vorgelegenen Beweisergebnisse nach der Aktenlage schlüssig gewürdigt hat, nicht jedoch, ob seine Urteilsannahmen mit der objektiven Wirklichkeit übereinstimmen (3 Ob 2004/96v; OLG Innsbruck 2 R 13/19g; 15 Ra 12/19f; 5 R 20/15b; RIS-Justiz RI0100099). Einer Beweisrüge kann nur dann Erfolg beschieden sein, wenn stichhaltige Bedenken gegen die Richtigkeit der vom Erstgericht vorgenommenen Beweiswürdigung ins Treffen geführt werden. Zu diesem Zweck ist darzulegen, dass die getroffenen Feststellungen zwingend unrichtig sind oder wenigstens bedeutend überzeugendere Beweisergebnisse für andere Feststellungen vorliegen (OLG Innsbruck 13 R 24/20p; 2 R 72/18g; OLG Wien 34 R 125/15z; RIS Justiz RI0100099). Der bloße Umstand hingegen, dass nach den Beweisergebnissen allenfalls auch andere Feststellungen möglich gewesen wären oder dass es einzelne Beweisergebnisse gibt, die für den anderen Prozessstandpunkt sprechen, reicht in aller Regel nicht aus, eine Bedenklichkeit oder Unrichtigkeit der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanz aufzuzeigen (OLG Wien 133 R 80/18i; OLG Innsbruck 13 Ra 8/23k; 1 R 16/19s; 2 R 13/19g; 3 R 23/19k; RIS Justiz RI0100099; RES0000012).

1.3. Ausgehend von diesen bei der Behandlung einer Beweisrüge zu beachtenden Grundsätzen gelingt es der Berufung nicht, die schlüssige erstgerichtliche Beweiswürdigung und die darauf fußenden Feststellungen zu entkräften. Wenn das Erstgericht, das sich anlässlich der Einvernahmen einen persönlichen Eindruck von der Klägerin und ihrem Ehegatten verschaffen konnte, deren Angaben zur Abgabe der Unterlagen am 28.6.2022 unter Berücksichtigung des zwischen den beiden an diesem Tag geführten WhatsApp-Schriftverkehrs, in welchem sie sich über die Öffnungszeiten der Beklagten und die Abgabe der Urkunden austauschten, für ausreichend glaubwürdig erachtete, ist dies vor dem Hintergrund der dargelegten Regeln der freien richterlichen Beweiswürdigung und des anzulegenden Beweismaßes nicht zu beanstanden. Allein die von der Beklagten angesprochenen Unschärfen in den Partei- und Zeugenangaben vermögen beim Berufungsgericht keine ausreichenden Bedenken an diesen Überlegungen zu erwecken. Die von der Beklagten aufgezeigten vermeintlichen Widersprüche beziehen sich zu einem Gutteil nicht auf die Schilderungen zur Abgabe der Unterlagen am 28.6.2022, sondern auf die Formulierungen in der als Klage gewerteten Eingabe der nicht qualifiziert vertretenen Klägerin und die Bescheidzustellung. In den Angaben des Zeugen zu den Abläufen am 28.6.2022 kann das Berufungsgericht den von der Beklagten relevierten Widerspruch nicht erkennen. Allein die Korrektur, dass nicht er sondern die Klägerin nach seiner Frühschicht bzw Schicht bis 14:00 Uhr das Schreiben der Beklagten entdeckt habe, bildet keinen relevanten Widerspruch. Im Übrigen stellte der Zeuge seine Angaben sofort von sich aus und nicht erst auf Nachfrage richtig. Eine Schicht bis 14:00 Uhr kann durchaus als Frühschicht bezeichnet werden. Die Überlegung der Beklagten, es sei „lebensfern“, dass die Klägerin die Nachweise bereits in einem Kuvert mitgebracht habe, obwohl geplant gewesen sei, sie am Schalter abzugeben, teilt das Berufungsgericht nicht. Es ist durchaus gebräuchlich, Urkunden für den Transport in ein Kuvert zu stecken, um sie vor Beschädigungen zu schützen. Wenn der Ehegatte zwar sah, dass seine Frau das Kuvert einwarf, weil er sie zur Geschäftsstelle der Beklagten begleitete, aber einräumen musste, nicht genau zu wissen, was tatsächlich in dem Kuvert war, tut dies seiner Glaubwürdigkeit keinen Abbruch. Es stellt sich die Frage, was die Klägerin bei der Beklagten einwerfen hätte sollen, wenn nicht die Nachweise über die tatsächlich und fristgerecht durchgeführten Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen. Richtig ist, dass die Klägerin einerseits – auch in der verfahrenseinleitenden Eingabe – davon sprach, die Bestätigungen sowohl am Schalter abgegeben als auch in den Postkasten eingeworfen zu haben. Andererseits schilderte sie, dass die Bezirksstelle schon geschlossen gewesen sei, als sie am 28.6.2022 vor Ort war. Auch dieser Widerspruch vermag die grundsätzlich in puncto Abgabe der Nachweise übereinstimmenden Angaben der Klägerin und ihres Gatten nicht in dem für einen Erfolg der Beweisrüge erforderlichen Maß zu erschüttern, dies auch – wie vom Erstgericht aufgezeigt (§ 500a ZPO) – vor dem Hintergrund des als Beilage ./A vorgelegten WhatsApp-Schriftverkehrs. Mangels ausreichend stichhaltiger Argumente gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung ist die angefochtene Feststellung zur Abgabe der Unterlagen daher zu übernehmen.

2.1. Im Weiteren wendet sich die Beweisrüge gegen die unter (2) hervorgehobene Negativfeststellung zum Zeitpunkt der Zustellung des (ersten) Bescheids vom [richtig] 27.1.202 3 . Stattdessen begehrt sie die Feststellung, der Bescheid vom 27.1.2023 sei der Klägerin spätestens bis zum 11.4.2023 zugestellt wurde.

2.2. In diesem Punkt mangelt es der Beweisrüge am erforderliche Austauschverhältnis zwischen angefochtener und begehrter Feststellung (OLG Innsbruck 3 R 9/23g; 3 R 69/22d; 3 R 71/20w; 1 R 182/20d; 23 Rs 22/20a, 3 R 71/20w; RIS Justiz RS0041835; RI0100145; Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 471 ZPO Rz 15 mwN). Aus der angefochtenen Feststellung ergibt sich nur, dass das Erstgericht keine gesicherte Aussage über eine Bescheidzustellung mehr als vier Wochen vor dem Einlangen der als Klage gewerteten Eingabe machen konnte. Die begehrte Ersatzfeststellung bezieht sich aber auf den spätest möglichen Zustelltermin und möchte diesen mit dem Tag der Klagseinbringung festgestellt wissen. Tatsächlich schließen die angefochtene und die begehrte Feststellung einander nicht aus, sondern könnten vielmehr nebeneinander bestehen, weshalb der Beweisrüge schon aus diesem Grund kein Erfolg beschieden sein kann (OLG Wien 13 R 87/22t; 13 R 132/16a, 30 R 17/16i, 2 R 175/15t, 12 R 1/22p; RIS-Justiz RI0100145).

2.3. Eine wie hier über die angefochtene Feststellung hinausgehende, also den Sachverhalt erweiternde Feststellung kann nur als sekundärer Feststellungsmangel und damit in der Rechtsrüge geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0043603 [T7]; RS0043304 [T5, T6]), was die Beklagte hier – zusätzlich zu ihren Ausführungen in der Beweisrüge – auch beabsichtigt. Unabhängig davon, dass die von der Beklagten angestrebte Sachverhaltsannahme der Bescheidzustellung spätestens am 11.4.2023 schon ausgehend von der Klage (dieser wurde der angesprochene Bescheid beigelegt) als unstrittig unterstellt werden kann (RIS-Justiz RS0121557; RS0040083), kommt es – wie nachfolgend im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge aufzuzeigen sein wird – darauf im vorliegenden Fall nicht an.

2.4. Insgesamt hat es daher bei der angefochtenen Negativfeststellung zu bleiben, vermag die Beklagte dieser in der Beweisrüge doch keine Beweisergebnisse entgegenzuhalten, die eine mehr als vier Wochen vor dem 11.4.2023 erfolgte Zustellung des ersten Bescheid belegen würden. Allein eine solche Feststellung wäre für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung. Wie gerade aufgezeigt strebt die Beklagte eine solche Sachverhaltsannahme aber gar nicht an.

3.1. In der Rechtsrüge hält die Beklagte ihren im Verfahren erster Instanz vertretenen Standpunkt aufrecht, aufgrund der Erklärung der Klägerin in der Tagsatzung vom 3.8.2023 richte sich die Klage (ausschließlich) gegen den mit 28.3.2023 datierten zweiten Bescheid. Der erste Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen. Diese stehe der vorliegenden Klage entgegen, weil nach der Rsp ein früherer gleichlautender Bescheid nach dem Außerkrafttreten des späteren Bescheids wirksam bleibe. Im Weiteren wiederholt die Beklagte ihre Ansicht, das Erstgericht hätte feststellen müssen, dass der erste Bescheid spätestens am 11.4.2023 zugestellt worden sei, ferner dass die Bescheide inhaltsgleich seien und die Klägerin den zweiten nicht mittels Klage bekämpft habe.

3.2. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die von der Beklagten zur Begründung ihres Standpunkts ins Treffen geführte Entscheidung 10 ObS 103/17w ist nicht einschlägig. Wie eingangs dargestellt handelt es sich im vorliegenden Fall anders als in der zitierten Entscheidung beim zweiten, mit 28.3.2023 datierten Bescheid nicht um einen im Verhältnis zum ersten Bescheid unterschiedlichen, also „neuen“ Bescheid, sondern sind – wie die Beklagte auch in der Berufung zugesteht – die beiden Bescheide mit Ausnahme des Bescheiddatums inhaltlich vollkommen ident. Tatsächlich handelt es sich also um ein und denselben Bescheid, den die Beklagte nur mit zwei unterschiedlichen Ausstellungsdaten versah. Nach dem unbestrittenen Prozessvorbringen der Beklagten war Grund für die Erstellung des zweiten Bescheids ausschließlich der ausständige Zustellnachweis für die Zustellung des ersten Bescheids. Auch daraus ergibt sich, dass es sich hier nicht um zwei unterschiedliche, sondern vielmehr ein und den selben Bescheid handelt. Allein der Umstand, dass ein und derselbe Bescheid von der Beklagten mit einem neuen Ausstellungsdatum versehen noch einmal versandt wurde, bewirkt nicht das Entstehen eines „neuen“ Bescheids. Insofern unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt von jenem, der der Entscheidung 10 ObS 103/17w zugrunde lag. Dort erließ der beklagte Versicherungsträger aufgrund von drei in verschiedenen Monaten gestellten Anträgen des Versicherten, die jeweils einen neuen Stichtag auslösten, drei verschiedene Bescheide betreffend die Anerkennung bzw Ablehnung von Schwerarbeitszeiten. Auch wenn sich der Inhalt dieser Bescheide bezüglich der Zeiträume, für die der beklagte Versicherungsträger Schwerarbeitsmonate anerkannte oder ablehnte, teilweise überschnitt, handelte es sich bei diesen drei Bescheiden klar um eigenständige Rechtsakte, unterschieden sie sich doch anders als die hier zu beurteilenden Bescheide nicht nur im Datum, sondern auch durch ihren Inhalt. Bei dieser Ausgangslage verwies das Höchstgericht auf den Grundsatz, dass bei Erlassung eines „neuen“ Bescheids, der dem Inhalt des früheren völlig entspricht und diesen nur wiederholt, der frühere gleichlautende Bescheid nach dem Außerkrafttreten des späteren Bescheids wirksam bleibt. Die Rechtskraft eines älteren, die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten ablehnenden Bescheids stehe daher einer auf die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im selben Zeitraum gerichteten Klage entgegen. § 71 Abs 1 zweiter Halbsatz ASGG sei nur dann anzuwenden, wenn der zweite (allenfalls rechtswidrige, weil mangels Änderung der Verhältnisse in die Rechtskraft des früheren Bescheids eingreifende) Bescheid die frühere Entscheidung abändere.

3.3. Wie oben aufgezeigt handelt es sich im vorliegenden Fall beim zweiten Bescheid aber nicht um einen „neuen“ Bescheid, der den Inhalt des ersten wiederholt, sondern um ein und denselben Bescheid der lediglich aufgrund von Zustellproblemen von der Beklagten mit zwei verschiedenen Ausstellungsdaten versehenen und zweimal versandt wurde. Die beiden Bescheide können daher hier nur als Einheit angesehen werden, weshalb es der Klägerin nicht schadet, wenn zunächst sie selbst und dann ihr Rechtsvertreter im Prozessvorbringen ausdrücklich nur auf den zweiten Bescheid vom 28.3.2023 Bezug nehmen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der bei der Beklagten am 12.4.2023 eingelangten Klage (von der Beklagten vorgelegt als Beilage ./4, im elektronischen Gerichtsakt erfasst als Beilage ./3) der mit 27.1.2023 datierte Bescheid beigelegt war, weshalb schon aus diesem Grund bei lebensnaher Betrachtungsweise die klägerischen Prozesserklärungen nicht anders verstanden werden können, als dass sich die vorliegende Klage nicht nur gegen den zweiten, sondern auch den ersten Bescheid richtet. Gegenteiliges, nämlich dass sie nur den zweiten Bescheid bekämpfen und den ersten unangefochten lassen wolle, erklärte die Klägerin zu keinem Zeitpunkt. Damit steht entgegen der Auffassung der Beklagten der erste Bescheid dem Klagebegehren nicht entgegen, weil dieser nicht unangefochten in Rechtskraft erwuchs.

3.4. Dass die Negativfeststellung zur Zustellung des ersten Bescheids mehr als vier Wochen vor Klagseinbringung zu ihren Lasten geht, wird von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Es kann daher zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts verwiesen werden (§§ 2 Abs 1 ASGG, 500a ZPO). Auch auf die Zustellungen von Bescheiden der Sozialversicherungsträger sind die Vorschriften des Zustellgesetzes anzuwenden. Dem Sozialversicherungsträger obliegt es daher, die Zustellung nachzuweisen. Er trägt das Risiko einer nicht oder nicht gehörig erfolgten Zustellung (RIS-Justiz RS0049619). Im Zweifel ist von der Rechtzeitigkeit der Einbringung eines Rechtsmittels – hier einer Klage in Sozialrechtssachen – auszugehen, sofern durch die Aktenlage nicht eindeutig dessen Verspätung erwiesen ist. Die Ergebnislosigkeit von Erhebungen über die Rechtzeitigkeit wirkt zum Vorteil des Rechtsmittelwerbers, hier der Klägerin, aus (RIS Justiz RS0006965).

3.5. Damit ist die am 11./12.4.2023 bei der Beklagten eingelangte Klage aber sowohl im Hinblick auf den ersten als auch den zweiten Bescheid (Ausstellungsdatum 28.3.2023) als rechtzeitig anzusehen.

4.1. Im Weiteren wendet sich die Rechtsrüge gegen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, wonach die Nachweise über die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen durch das Einwerfen der Bestätigungen in den Briefkasten der K* J* fristgerecht erbracht worden seien. Aus der entsprechenden Urteilsfeststellung ergebe sich nicht, ob die Nachweise auch bei der Beklagten eingelangt seien. Allein dies sei rechtlich maßgeblich. Da hiezu – nämlich zum tatsächlichen Einlagen der Nachweise bei der Beklagten – Feststellungen fehlten, liege ein sekundärer Feststellungsmangel vor.

4.2. Ein sekundärer (= rechtlicher) Feststellungsmangel iSd §§ 2 Abs 1 ASGG, 496 Abs 1 Z 3 ZPO liegt vor, wenn das Erstgericht infolge einer unrichtigen Rechtsansicht für die (richtige) rechtliche Beurteilung wesentliche Feststellungen nicht getroffen hat (RIS Justiz RS0053317; Kodek aaO § 496 Rz 11). Wurden zu einem bestimmten Thema ohnehin Feststellungen getroffen, mögen diese auch den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers zuwiderlaufen, kann der Vorwurf eines Feststellungsmangels nicht mehr erfolgreich erhoben werden (RIS-Justiz RS0043320 [T16, T18]; RS0043480 [T15, 19]; RS0053317 [T1]). In diesem Fall stellt es nämlich einen Akt der freien richterlichen Beweiswürdigung dar, wenn das Erstgericht die vom Rechtsmittelwerber gewünschten (abweichenden) Feststellungen nicht getroffen hat (RIS-Justiz RS0053317 [T3]).

Rechtliche Feststellungsmängel setzen im Übrigen ein bereits im Verfahren erster Instanz erstattetes Tatsachenvorbringen voraus. Wurde ein bestimmter Sachverhalt nicht behauptet, dann bewirkt die Unterlassung entsprechender Feststellungen keinen sekundären Feststellungsmangel. Ein solcher Mangel ist daher nur denkbar, wenn die begehrte Feststellung von einem ausreichend konkreten Tatsachenvorbringen der Partei getragen ist (6 Ob 241/06v; RIS-Justiz RS0053317 [T2, T4]; RS0042444 insb [T3, T4, T6] Kodek aaO Rz 11) .

4.3. Entgegen der Ansicht der Beklagten bedarf es keiner weiteren Feststellungen zum Einlagen der Nachweise bei ihr. Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die Rsp des Verwaltungsgerichtshofs verweist, wonach die Klägerin das Einlangen der Nachweise bei der Beklagten unter Beweis zu stellen und sie die Gefahr des Verlusts der Unterlagen auf dem Postweg zu tragen habe, übersieht sie, dass die Klägerin durch die angeführte (Positiv)Feststellung das Einlangen der Unterlagen bei ihr bereits unter Beweis stellen konnte, weshalb sich die Frage der Beweislast hier gar nicht stellt.

Nach dem festgestellten Sachverhalt warf die Klägerin die Unterlagen am 28.6.2022 in den Briefkasten der Bezirksstelle der Beklagten in J* ein. Diese Urteilsfeststellung kann nicht anders verstanden werden, als dass es sich dabei um den Eingangspostkasten der Beklagten und nicht irgendeinen Briefkasten etwa der H* I* handelte. Letzteres behauptete die Beklagte trotz des – mit der Urteilsfeststellung korrespondierenden – Klagsvorbringens, die Untersuchungsbestätigungen seien „per Einwurf in den Postkasten der E*“ übermittelt worden, auch gar nicht. Hätte es einen solchen Postkasten der Beklagten an Ort und Stelle tatsächlich nicht gegeben, wäre es Sache der Beklagten gewesen, dies im Verfahren erster Instanz entsprechend zu behaupten, was sie nicht einmal im Rechtsmittelverfahren vorbringt. Dementsprechend lässt die Beklagte in der Berufung auch auf offen, welche weiteren Feststellungen ihrer Ansicht nach in diesem Zusammenhang zu treffen gewesen wären. Sie führt nur ganz allgemein aus, es fehlten Feststellungen zum Einlangen der Nachweise bei der Beklagten.

Damit ist für die rechtliche Beurteilung davon auszugehen, dass die von der Klägerin abgegebenen Nachweise in den Verfügungsbereich der Beklagten gelangten, handelte es sich doch um ihren eigenen Briefkasten, in den die Unterlagen eingeworfen worden waren. Die Gefahr des danach wie auch immer eingetretenen Verlusts der Unterlagen – allenfalls im Zuge deren Bearbeitung durch die Mitarbeiter der Beklagten – hat nicht die Klägerin zu tragen.

4.4.1. Im Übrigen übersieht die Beklagte die Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Erfüllung der in § 24c Abs 2 Z 1 KBGG normierten Nachweispflicht. Nach dieser Bestimmung besteht trotz nicht rechtzeitig – bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats (§ 24c Abs 1 Z 2 KBGG), hier also dem 19.7.2022 – erbrachten Nachweises Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen nur aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt. Ausschlaggebend ist, dass dem beziehenden Elternteil kein rechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden kann (10 ObS 2/21y; 10 ObS 122/20v). Ob ein Kindergeldbezieher den nicht rechtzeitigen Nachweis einer Mutter-Kind-Pass-Untersuchung zu vertreten hat, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS Justiz RS0130213 [T2]). Zu 10 ObS 88/16p sah das Höchstgericht die Nachweisobliegenheit dadurch erfüllt, dass der dortige Kläger seiner Ehegattin den Auftrag erteilt hatte, den Nachweis eingeschrieben zur Post zu gegeben, sie jedoch eine einfache Postsendung wählte und die Unterlagen in weiterer Folge auf dem Postweg verloren gingen, sodass sie nicht bei der Beklagten einlangten. Damit sei in ausreichender Weise für die Erfüllung der Nachweisobliegenheit Sorge getragen worden. Das Nichteinlangen der Unterlagen bei der Beklagten wegen eines in der Sphäre der Post liegenden Fehlers sei nicht von den Eltern zu vertreten, weil im Regelfall davon ausgegangen werden dürfe, dass die D* I* AG ihre Beförderungs- und Zustellverpflichtung auch dann ordnungsgemäß erfülle, wenn eine Sendung nicht eingeschrieben zur Post gegeben werde. Zu 10 ObS 140/20s, 10 ObS 2/21y und 10 ObS 32/21k erachtete das Höchstgericht die Übermittlung des Nachweises per E-Mail an eine von der Beklagten bekannt gegeben E-Mail-Adresse für ausreichend, obwohl das E-Mail dort nicht ankam. Dass die Erfassung und weitere Verarbeitung des E Mails bei der Beklagten in der Folge aus unbekannten Gründen unterblieb, sei nicht von der Klägerin zu vertreten (10 ObS 2/21y). Eine unterbliebene Nachfrage bei der Beklagten sei nicht vorwerfbar (10 ObS 140/20s; 10 ObS 32/21k). Zu 10 ObS 31/21p beurteilte der Oberste Gerichtshof die Übermittlung per Telefax an die vom beklagten Versicherungsträger angegebene Nummer als ausreichend, selbst wenn dort nur leere Seiten einlangten, für die Klägerin aber kein erkennbarer Grund bestanden habe, die Fehlerhaftigkeit der Telefaxsendung anzunehmen.

4.4.2. Ausgehend von dieser Rsp ist die Klägerin der ihr obliegenden Nachweispflicht durch das Einwerfen der Unterlagen in den Briefkasten der Bezirksstelle der Beklagten in J* innerhalb der von § 24c Abs 1 Z 2 KBGG vorgesehenen Frist in ausreichendem Maß nachgekommen. Jedenfalls aber ist ihr der Umstand, dass die Unterlagen von dort – aus welchen Gründen auch immer – allenfalls nicht in die Hände der Mitarbeiter der Beklagten gelangten, nicht vorwerfbar. Auf den Ausnahmetatbestand des § 24c Abs 2 Z 2 KBGG kommt es – anders etwa in den Entscheidungen 10 ObS 58/21t; 10 ObS 174/21t (vgl RIS-Justiz RS0133739) – hier nicht an.

5. Da somit auch der Rechtsrüge keine Berechtigung zukommt, bleibt die Berufung in der Hauptsache insgesamt erfolglos.

6.1. In der Berufung im Kostenpunkt bemängelt die Beklagte wie bereits in ihren rechtzeitig erhobenen Einwendungen gemäß § 54 Abs 1a ZPO die Entlohnung der Vollmachtsbekanntgabe vom 27.7.2023. Es sei keine Direktzustellung gemäß §§ 40 Abs 4 ASGG, 112 ZPO erfolgt und der Schriftsatz sei der Beklagten auch nicht anderweitig zugegangen. Zudem falle die Vollmachtsbekanntgabe ausschließlich in die Sphäre der Klägerin. Der Kostenzuspruch an die Klägerin sei daher von EUR 496,32 auf EUR 458,83 zu reduzieren.

6.2. Das Anfechtungsinteresse der Berufung im Kostenpunkt beläuft sich auf lediglich EUR 37,49. Gemäß § 517 Abs 3 ZPO ist ein Kostenrekurs jedenfalls unzulässig, wenn der Betrag, dessen Zuspruch oder Aberkennung beantragt wird, EUR 50,-- nicht übersteigt. Nichts anderes kann für eine – wie hier – in die Berufung aufgenommene Anfechtung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung (Berufung im Kostenpunkt/Kostenrüge) gelten (so auch OLG Linz 1 R 55/23y = RIS-Justiz RL0000223; OLG Wien 4 R 397/11y; Sloboda in Fasching/Konecny ³ § 517 ZPO Rz 27; G. Kodek in Kodek/Oberhammer ZPO-ON § 517 Rz 15). Es gelangt daher auch im vorliegenden Fall die Anfechtungsbeschränkung des § 517 Abs 3 ZPO zur Anwendung, weshalb die Berufung im Kostenpunkt (gesondert) zurückzuweisen ist (vgl OLG Linz 1 R 55/23y).

6.3. Der Kostenrüge käme aber auch bei einer inhaltlichen Behandlung keine Berechtigung zu: Der bemängelte Schriftsatz diente einerseits der Bekanntgabe des Vertretungsverhältnisses des nunmehrigen Klagsvertreters und beinhaltet andererseits das Begehren auf Freischaltung im elektronischen Akt bzw Gewährung von Akteneinsicht. Wie das Erstgericht richtig erkannt hat (§§ 2 Abs 1 ASGG, 500a ZPO), fällt dieser Schriftsatz daher sowohl unter TP 1 lit a (Anzeige oder Mitteilung an das Gericht) als auch TP 1 lit b RATG (Ansuchen bei Gericht und anderen Behörden um [...] Akteneinsicht) und ist daher nach dieser Tarifpost entlohnungsfähig. Die von der Beklagten zitierte Rsp ist nicht einschlägig; der Rechtssatz RIS Justiz RS0125382 bezieht sich lediglich auf die Anzeige eines Vollmachtswechsels. Hier wurde jedoch erstmals ein Vertretungsverhältnis angezeigt, nachdem die Klägerin vorher (ob der Klagsführung in einem Verfahren ohne Anwaltspflicht) nicht anwaltlich vertreten war. Dass ihr der Schriftsatz entgegen den §§ 40 Abs 4 ASGG, 112 ZPO nicht direkt übermittelt wurde, ist für die Entlohnung nicht ausschlaggebend, hat sich diese doch daran zu orientieren, ob der Schriftsatz gemäß §§ 2 Abs 1, 77 Abs 2 Z 2 ASGG, 42 Abs 1 ZPO, zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung bzw -verfolgung notwendig war. Davon ist in Bezug auf den bemängelten Schriftsatz jedoch schon deshalb auszugehen, weil durch die dem Gericht gegenüber erfolgte Anzeige des Vertretungsverhältnisses dem Klagsvertreter die Möglichkeit eröffnet wurde, in den elektronisch geführten Gerichtsakt Einsicht zu nehmen. Die Möglichkeit der Akteneinsicht dient immer der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. Zu berücksichtigen ist, auch dass die Klägerin mit Ausnahme der bemängelten Vollmachtsbekanntgabe keine weiteren Schriftsätze einbrachte, mit denen sie diese allenfalls verbinden hätte können (§§ 22 RATG, 178 ZPO, 2 Abs 1 ASGG).

7. Da kein Fall des § 77 Abs 2 ASGG vorliegt, beruht die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf den §§ 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG, 50 Abs 1, 41 und 40 ZPO. Bemessungsgrundlage ist der zurückgeforderte Betrag von EUR 1.300,-- (10 ObS 160/20g; 10 ObS 15/19g; RIS-Justiz RS0085754; RS0085773 [T14, T18]). Die von der Klägerin in der Berufungsbeantwortung verzeichneten Kosten waren daher entsprechend zu korrigieren.

8. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil ausgehend von der dargestellten Rechtsprechung und der Einzelfallbezogenheit der zu beurteilenden Fragen eine erhebliche Rechtsfrage in der von §§ 2 Abs 1 ASGG, 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität hier nicht zu lösen war. Der weitere Rechtszug an das Höchstgericht erweist sich daher als nicht zulässig, worüber gemäß §§ 2 Abs 1 ASGG, 500 Abs 2 Z 3 ZPO ein eigener Ausspruch in den Tenor der Berufungsentscheidung aufzunehmen war.

9. Nach §§ 2 Abs 1 ASGG, 528 Abs 2 Z 3 ZPO ist der Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung der Berufung im Kostenpunkt jedenfalls unzulässig.

Oberlandesgericht Innsbruck

in Arbeits- und Sozialrechtssachen, Abteilung 3

Innsbruck, 26.3.2024

Dr. Gerhard Kohlegger, Senatspräsident

Elektronische Ausfertigung gemäß § 79 GOG

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