3R89/23x – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Beschluss
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Kohlegger als Vorsitzenden und die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser sowie den Richter des Oberlandesgerichts MMag. Dr. Dobler als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* B* , geb am **, C* D*, E*, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, gegen die beklagte Partei Ing. F* B* , geb am **, **, **straße **, wegen Feststellung (Streitinteresse gemäß § 58 Abs 2 zweiter Satz JN: EUR 50.000,-- s.Ng.), über den Rekurs der klagenden Partei (ON 5) gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 29.8.2023, 64 Cg 97/23p (nach Überweisung: 64 Cg 105/23i) 3/2., in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Aus Anlass des Rekurses wird die bekämpfte Entscheidung a u f g e - h o b e n und der noch rekursverfahrensgegenständliche Verfahrenshilfeantrag der klagenden Partei ON 1 an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Feldkirch ü b e r w i e s e n .
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz über den Verfahrenshilfeantrag.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls u n z u l ä s s i g .
Text
Begründung:
Mit ihrer am 25.8.2023 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin die mit EUR 50.000,-- bewertete Feststellung, dass ihr ein lebenslanges Wohnrecht an der gesamten Liegenschaft in C* D*, E* (GSt Nr 1345/8 in EZ ** GB ** D*) zukomme. Beim Bezirksgericht Feldkirch behänge zu 9 Fam 23/22m ein nacheheliches Aufteilungsverfahren im Sinn der §§ 81 ff EheG zwischen den Streitteilen. Im Lauf dieses Verfahrens habe der hier Beklagte bestritten, der Klägerin ein Wohnrecht an der zitierten Liegenschaft eingeräumt zu haben. Im Verfahren 9 Fam 23/22m habe das BG Feldkirch mit Beschluss vom 17.7.2023 ausgesprochen, hinsichtlich der Aufteilung der ehelichen Liegenschaft innezuhalten für den Fall, dass die Klägerin innerhalb von sechs Wochen die Einbringung einer Klage gegen den Beklagten auf Feststellung der Rechtswirksamkeit der behaupteten Vereinbarung über die Einräumung des Wohnrechts nachweise. Sowohl im Hinblick auf die Rechtsbestreitung durch den Beklagten wie auch im Hinblick auf den Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 17.7.2023 bestehe ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Rechtsverbindlichkeit der Einräumung eines Wohnrechts hinsichtlich der zitierten Liegenschaft. Zusätzlich begehrte sie die Bewilligung der Verfahrenshilfe.
Mit dem bekämpften Beschluss wies das Erstgericht die Klage im unbekämpften Spruchpunkt 1. wegen sachlicher Unzuständigkeit des Landesgerichts Feldkirch zurück. Zu diesem Ergebnis gelangte das Erstgericht in der Überlegung, dass eine Streitigkeit betreffend einer Dienstbarkeit an der Ehewohnung das zugrunde liegende familienrechtliche Verhältnis an sich voraussetze. Die Klägerin habe sich selbst auf das Ehegesetz gestützt. Es sei daher eine Eigenzuständigkeit nach § 49 Abs 2 Z 2b JN anzunehmen. Selbst wenn man argumentierte, ein Wohnrecht könne an sich auch ohne das familienrechtliche Verhältnis eingeräumt werden, so greife jedenfalls § 49 Abs 2 Z 3 JN, weil die Klägerin die Feststellung eines Wohnungsgebrauchsrechts begehre. Damit seien gleich zwei Tatbestände der Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichts verwirklicht, sodass die Klage zurückzuweisen sei.
In dem nunmehr angefochtenen Spruchpunkt 2. wies das Erstgericht den Verfahrenshilfeantrag der Klägerin (der mangels Zuständigkeit offenbar aussichtslos sei) ab .
Nur gegen den Spruchpunkt 2. wendet sich nunmehr der (fristgerechte) Rekurs der Klägerin aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung dahin abzuändern, dass der Klägerin Verfahrenshilfe im beantragten Umfang bewilligt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag betreffend den Verfahrenshilfeantrag gestellt (ON 5 S 6).
Der - über Rückleitung der Akten mittlerweile verständigte - Revisor hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt (Vermerk ON 5 S 1 im [nach Überweisung] Verfahren 64 Cg 105/23i LG Feldkirch).
Aus Anlass des Rekurses ist aus nachstehenden Erwägungen mit Überweisung vorzugehen:
Rechtliche Beurteilung
1.: Gemäß § 65 Abs 2 ZPO hat über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe stets das Prozessgericht erster Instanz - hier das Landesgericht Feldkirch - zu entscheiden. An ein unzuständiges Gericht gewendete, selbstständige (vor Verfahrenseinleitung gestellte) Verfahrenshilfeanträge sind in sinngemäßer Anwendung des § 44 JN dem zuständigen Gericht zu übermitteln (RIS Justiz RS0131152; OLG Wien 21.1.2020, 5 R 1/20h; 2.7.1999, 17 R 132/99b WR 858; 17.6.1993, 11 R 110/93, EFSlg 72.793; Schneider in Fasching/Konecny ZPO³ I [2000] § 44 JN Rz 2). Verfahrenshilfeanträge, die - wie im vorliegenden Fall - jedoch gemeinsam mit oder nach einer Klage beim unzuständigen Gericht eingebracht wurden, sind von dem zur Führung des Prozesses unzuständigen Gericht nicht wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen. Diese inhaltliche Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag würde nämlich die prinzipielle Zuständigkeit des Erstgerichts voraussetzen, die gerade nicht gegeben ist. Solche Verfahrenshilfeanträge sind daher grundsätzlich zurückzuweisen (OLG Wien 21.1.2020, 5 R 1/20h; 15.4.1997, 3 R 37/97a WR 802). In diesem Fall hat der Antragsteller auf Verfahrenshilfe analog zu § 230a ZPO die Möglichkeit, die Überweisung des Verfahrenshilfeantrags (gemeinsam mit der Klage) an das eigentlich zuständige Prozessgericht zu beantragen, wodurch er insbesondere nicht Gefahr läuft, den für die einstweilige Befreiung von der Entrichtung der Gerichtsgebühren nach § 64 Abs 3 ZPO maßgeblichen Stichtag der Antragstellung zu verlieren. Genau das wäre aber der Fall, wenn der Verfahrenshilfeantrag wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen würde (OLG Wien wie vor).
2.: Das Erstgericht hat sich nach dem Inhalt der bekämpften Entscheidung zur Entscheidung über die eingebrachte Klage ausdrücklich für unzuständig erachtet. Im Übrigen hat das Erstgericht inhaltliche Gründe angeführt, die seiner Auffassung nach gegen die inhaltliche Begründetheit des Verfahrenshilfeantrags sprechen. Es hat somit trotz seiner selbst angenommenen Unzuständigkeit die inhaltliche Zuständigkeit für die meritorische Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag in Anspruch genommen (und diesen wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen).
3.: Gemäß den §§ 514 Abs 2, 477 Abs 1 Z 3 ZPO war daher der angefochtene Spruchpunkt 2. aufzuheben, weil er vom Erstgericht zu einem Zeitpunkt gefasst wurde, als es sich bereits in der Hauptsache (mittlerweile rechtskräftig) für unzuständig erklärt hatte. Es konnte daher auch durch ausdrückliche Parteienvereinbarung für die Bewilligung des Verfahrenshilfeantrags nicht mehr zuständig gemacht werden. Aus Anlass des Rekurses war daher der angefochtene Beschluss als nichtig aufzuheben.
4.: Das Landesgericht Feldkirch hat mittlerweile mit seinem - außer im Kostenpunkt - unanfechtbaren Beschluss vom 14.9.2023 (ON 10) die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Feldkirch überwiesen (dort nach derzeitigem Aktenstand: 23 C 466/23t BG Feldkirch). Es war daher vom § 475 Abs 2 ZPO Gebrauch zu machen, der für alle Fälle, die ein Rechtsschutzbegehren im weiteren Sinn wie zB einen Verfahrenshilfeantrag betreffen, analogiefähig ist (OLG Wien 15.4.1997, 3 R 37/97a, WR 802; vgl Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 [2019] § 514 Rz 5; Sloboda in Fasching/Konecny ZPO³ IV/1 [2019] Vor §§ 514 ff ZPO insb Rz 5 mwH) und auch der Verfahrenshilfeantrag ON 1 direkt an das Bezirksgericht Feldkirch zu überweisen. Das Eingangsgericht muss daher diese Entscheidung nach Zustellungen bloß wieder an das BG Feldkirch zur weiteren Behandlung des Verfahrenshilfeantrags ON 1 übermitteln.
5.: Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 2 ZPO: Es wurde weder endgültig über den Verfahrenshilfeantrag abgesprochen, noch ein Zwischenstreit zur Klärung der Frage der Bewilligung der Verfahrenshilfe durchgeführt (OLG Wien 21.1.2020, 5 R 1/20h; Fucik in Rechberger/Klicka ZPO 5 [2019] § 72 Rz 2). Der Ausschluss der Kostenersatzpflicht in § 72 Abs 3 letzter Satz ZPO gilt allerdings auch für das gesamte Verfahren erster Instanz (3 Ob 82/10w ErwGr 4.; 8 Ob 40/10f ErwGr 6.; LG Wr Neustadt 18.6.2014, 19 R 39/14t, Zak 2014/760, 399; LGZ Wien 7.9.2004, 44 R 395/04w, EFSlg 108.921).
6.: Der weitere Rechtszug war schon wegen des Rechtsmittelausschlusses in Verfahrenshilfesachen (§ 528 Abs 2 Z 4 ZPO) nicht zu eröffnen.