3R85/23h – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Im Namen der Republik
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Kohlegger als Vorsitzenden sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser und den Richter des Oberlandesgerichts MMag. Dr. Dobler als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* GmbH , FN **, **, **straße **, vertreten durch Mag. Roland Seeger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, wider die beklagte Partei B* , **, **platz **, vertreten durch Mag. Jasmin Oberlohr, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, wegen (eingeschränkt) EUR 29.099,74 sA über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse: EUR 29.099,74 sA) gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 2.6.2023, 15 Cg 111/22h-10, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird k e i n e Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen zu Handen der Beklagtenvertreterin die mit EUR 3.138,12 (darin enthalten EUR 523,02 an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die (ordentliche) Revision ist n i c h t zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 27.10.2021 ereignete sich auf der A12 Inntalautobahn im Gemeindegebiet von C* ein Verkehrsunfall zwischen dem von D* gelenkten LKW samt Anhänger der Klägerin (nachfolgend bezeichnet als „Klagsfahrzeug“) und einem von E* gelenkten Sattelzug der F* GmbH (nachfolgend bezeichnet als „Beklagtenfahrzeug“). Beide Fahrzeuge fuhren in Fahrtrichtung Westen. Sie hatten jeweils eine Gesamtlänge von etwa 16,50 Meter und eine Breite von etwa 2,55 Meter. Das Klagsfahrzeug wurde beim Unfall beschädigt.
Im Unfallbereich verlief die Fahrbahn der Autobahn in westlicher Fahrtrichtung annähernd horizontal in einer langgezogenen Linkskurve von Nordosten nach Südwesten. Die 6,5 Meter breite Fahrbahn bestand aus zwei durch eine Leitlinie getrennte Fahrstreifen. Nördlich dieser Fahrstreifen befand sich ein Pannenstreifen, der vom nördlichen Fahrstreifen durch eine Sperrlinie getrennt war. Der Pannenstreifen war etwa 3,25 Meter breit, der nördliche Fahrstreifen etwa 3,60 Meter. Etwa drei Kilometer östlich der Unfallstelle befand sich eine über einen Kreisverkehr mit der Autobahn verbundene Tankstelle. Wenn ein Lenker von der Tankstelle aus über den Kreisverkehr auf die Autobahn nach Westen auffuhr, sah er bereits vom Kreisverkehr aus das Verkehrsschild „Autobahn“.
Im Beklagtenfahrzeug war ein SCR-System eingebaut, das den AdBlue-Stand, den AdBlue-Verbrauch, die AdBlue-Qualität und weitere Abgas-Komponenten überwachte. Störungswarnungen wurden dem Fahrer im Informations-Display angezeigt. Wenn die Störung nicht behoben wurde, wurde im Allgemeinen
der Fahrer zunächst vor einer Leistungsreduktion gewarnt (= „schwache Fahreraufforderung“),
die Zugkraft des Motors sodann um 25 Prozent reduziert,
der Fahrer in weiterer Folge vor einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 km/h gewarnt (= „starke Fahreraufforderung“),
und schließlich eine Drosselung auf eine maximale Geschwindigkeit von 20 km/h aktiviert.
Wenn der vom SCR-Überwachungssystem festgestellte Fehler „schwerwiegend“ war, konnte die „schwache Fahreraufforderung“ übergangen und sofort die „starke Fahreraufforderung“ aktiviert werden. Die Konsequenz, dass der LKW nur noch mit einer maximalen Geschwindigkeit von 20 km/h bewegt werden konnte, trat jedoch erst nach dem nächsten Zündungswechsel in Kraft. Bei Aktivierung des Fahrerwarnsystems wurden ein Symbol oder ein Text im Fahrerinformationssystem angezeigt. Wenn das System einen AdBlue-Fehler registrierte, aktivierten sich ein „Fehlfunktions-Indikator-Licht“ und allenfalls eine Warnkontrollleuchte.
Durch den Unfall entstanden der Klägerin nachfolgende Schäden:
Reparaturkosten Zugmaschine EUR 53.700,00 Reparaturkosten Sattelanhänger EUR 26.992,63 Lackierung Zugfahrzeug EUR 5.523,76 Kosten Abschleppung Sattelanhänger EUR 330,18 Kosten Abschleppung Zugmaschine EUR 682,65 Pauschale Unkosten EUR 70,00 Gesamt EUR 87.299,22
Im Verfahren 41 Cg 2/22w des Landesgerichts Innsbruck (nachfolgend bezeichnet als „Vorverfahren“) klagte die Klägerin aufgrund des Unfalls die Beklagte auf Basis einer Verschuldensteilung von 2:1 zu Lasten der Beklagten. Dieses Verfahren ist rechtskräftig beendet, wobei der Klägerin unter Zugrundelegung der Verschuldensteilung von 2:1 ein Schadenersatz von EUR 58.199,48 zugesprochen wurde.
Insoweit steht der Sachverhalt im Berufungsverfahren bindend fest (§ 498 ZPO).
Mit Mahnklage vom 21.11.2022 begehrt die Klägerin – nach Einschränkung des Zinsenbegehrens in der Tagsatzung vom 9.3.2023 (ON 8 S 2) – die Zahlung von EUR 29.099,74 samt 4 % Zinsen seit 17.11.2022 als Schadenersatz aus dem Unfall. Sie brachte zusammengefasst vor, den Lenker des Beklagtenfahrzeugs treffe das Alleinverschulden. Er habe die Ad-Blue Warnleuchte missachtet und sei trotz deren Aufleuchten auf die Autobahn aufgefahren. Allein dieses Fehlverhalten wiege derart schwer, dass sich das Gericht im Vorverfahren mit einem allfälligen Mitverschulden gar nicht auseinandergesetzt habe. Zudem habe er gegen die StVO verstoßen, indem er den Pannenstreifen über eine lange Wegstrecke mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h befahren habe. Er hätte entweder mit 20 km/h auf dem Fahrstreifen weiterfahren oder den LKW am Pannenstreifen abstellen müssen. Zudem habe das Beklagtenfahrzeug im Unfallzeitpunkt in die Fahrspur des Klagsfahrzeugs hineingeragt. Selbst wenn den Lenker des Beklagtenfahrzeugs kein Verschulden treffe, habe sich mit dem Schalten in das „Notprogramm“ mangels Ad-Blue-Nachfüllung eine außerordentliche Betriebsgefahr verwirklicht.
Demgegenüber sei die Kollision für den Lenker des Klagsfahrzeugs unvermeidbar gewesen. Er habe kurz davor drei mal Niesen müssen. Dieses Niesen stelle ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar und könne nicht als Mitverschulden gewertet werden. Die Einwendungen der Beklagten, er habe das Klagsfahrzeug auf den Pannenstreifen gelenkt und sei es dort zur Kollision gekommen, hätten im Vorverfahren nicht erwiesen werden können.
Ein konstitutives Anerkenntnis des Mitverschuldens durch die Klägerin liege nicht vor. Im Vorverfahren habe sie nur ausgeführt, sie lasse sich ein Mitverschulden anrechnen. Daraus sei kein Anerkenntnis abzuleiten. Eine entschiedene Rechtssache liege ebenso wenig vor. Über den geltend gemachten Anspruch sei noch nicht entschieden worden und habe das Gericht im Vorverfahren auch keine Feststellungen zu einem Mitverschulden der Klägerin getroffen.
Die Beklagte erhob Einspruch, bestreitet das Klagsvorbringen, beantragt Klagsabweisung und wendet im Wesentlichen ein, der Lenker des Klagsfahrzeugs habe mehr als 15 Sekunden vor der Kollision Sicht auf das Beklagtenfahrzeug gehabt. Das Klagsfahrzeug sei nach rechts versetzt worden, woraufhin es ungebremst auf das Beklagtenfahrzeug aufgefahren sei. Der Lenker des Klagsfahrzeugs sei daher offensichtlich unaufmerksam gewesen. Hätte er die gebotene Sorgfalt walten lassen, hätte er rechtzeitig reagieren und den Unfall vermeiden können.
Die Behauptung, das Beklagtenfahrzeug habe in den Fahrstreifen des Klagsfahrzeugs hineingeragt, sei unrichtig. Doch selbst in einem solchen Fall hätte der Lenker des Klagsfahrzeugs – jedenfalls ohne Niesen – das Beklagtenfahrzeug rechtzeitig als Gefahr wahrnehmen, seinen LKW auf dessen Geschwindigkeit reduzieren und dadurch die Kollision verhindern können.
Die Klagsführung sei unzulässig, weil die Klägerin im Vorverfahren ein Mitverschulden von 1/3 anerkannt habe. Sie habe dort vorgebracht, eine Verschuldensteilung von 2:1 zu Lasten des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs sei vorzunehmen. Dabei habe sie weder angeführt, sich die weitere Geltendmachung vorzubehalten, noch dass zur Vorsicht nur ein Teil der Forderung geltend gemacht werde. Eine Teileinklagung liege daher nicht vor. Vielmehr habe sich die Klägerin ein Verschulden von 1/3 anrechnen lassen. Damit sei das Klagebegehren wegen Vorliegens einer bereits entschiedenen und anerkannten Sache abzuweisen.
Mit dem bekämpften Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin EUR 29.099,74 samt 4 % Zinsen ab 16.11.2022 binnen 14 Tagen zu bezahlen sowie die Prozesskosten zu ersetzen, ab. Dieser Entscheidung legte es den eingangs der Berufungsentscheidung wiedergegebenen sowie den nachfolgenden, auszugsweise dargestellten Sachverhalt zugrunde, wobei die im Rechtsmittelverfahren umkämpfte Feststellung hervorgehoben ist:
„E* fuhr von Weißrussland in die Niederlande. Dort wechselte er das Fahrzeug. Mit dem neuen Fahrzeug fuhr er dann von ** in Richtung **/C*. Er verließ bei der Ausfahrt „**“ die Autobahn, um zur dort befindlichen G*-Tankstelle zu fahren. Dort stellte er den Motor für eine nicht näher feststehende Dauer ab. Anschließend fuhr er auf die Autobahn A12 auf. Spätestens als er den LKW wieder in Betrieb nahm, hätte er die Warnung, dass eine „AdBlue-Störung“ vorliegt, sehen können.
Ob er diese Warnung zunächst ignorierte oder nicht wahrnahm, kann nicht festgestellt werden. Spätestens, als er sich im Kreisverkehr befand, bemerkte E* die AdBlue-Warnung. Er versuchte Gas zu geben und hoffte somit die Deaktivierung der Warnung zu erreichen. Aufgrund der Drosselung der Geschwindigkeit konnte der LKW jedoch nicht mehr auf eine 20 km/h übersteigende Geschwindigkeit beschleunigt werden. E* wäre es möglich gewesen, im Kreisverkehr zu verbleiben und zurück zum Tankstellenareal zu fahren. Er entschloss sich den Kreisverkehr zu verlassen und auf die Autobahn aufzufahren. Im Anschluss daran nahm er Kontakt mit einer Notfall-Hotline auf, von der er die Auskunft erhielt, dass er langsam auf dem Pannenstreifen weiterfahren und die Autobahn bei der nächsten Gelegenheit verlassen sollte. Da er diese Anweisung befolgen wollte, setzte er die Fahrt auf dem Pannenstreifen fort. Nicht festgestellt werden kann, ob er die Warnblickanlage des Sattelzuges aktivierte.
Auf der rechten Fahrspur befand sich D*. Dieser hatte bereits mehr als 15 Sekunden vor der Kollision Sicht auf den von E* gelenkten Sattelzug. Er nahm den Sattelzug aber bis zur Kollision nicht wahr. In Annäherung an das litauische Fahrzeug musste D* dreimal niesen. Dabei wurde sein Fahrzeug soweit nach rechts versetzt, dass es den Pannenstreifen teilweise befuhr. Das Fahrzeug der klagenden Partei fuhr ungebremst auf den von E* gelenkten Sattelzug auf. Im Kollisionszeitpunkt befand sich der LKW der Klägerin zumindest teilweise auf dem Pannenstreifen. Selbst wenn D* den nördlichen Fahrstreifen in Annäherung an die Kollisionsstelle nicht verlassen hätte, sondern E* den litauischen Sattelzug knapp vor der Kollision etwas nach links gezogen hätte und dabei in den Bereich des nördlichen Fahrstreifens geraten wäre, hätte D* − jedenfalls ohne Niesen − das Einfahren des litauischen Sattelzugs rechtzeitig als Gefahr wahrnehmen und den LKW der Klägerin noch östlich des litauischen Sattelzugs auf dessen Geschwindigkeit reduzieren und dadurch eine Kollision verhindern können.
Beim Unfall, bei dem E* ca 20 km/h und D* ca 76 km/h einhielten, entstanden am Fahrzeug der klagenden Partei großflächige Deformationen und Materialabrisse der rechten Fahrzeugfront bzw der rechten Fahrzeugseite, am Fahrzeug der beklagten Partei hingegen Deformationen, Materialbrüche und Abrisse im linken Heckbereich des Anhängers und im linken hinteren Seitenbereich.“
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, aus dem Vorverfahren sei kein konstitutives Anerkenntnis eines Mitverschuldens abzuleiten. Auf Grund der Teileinklagung liege das Hindernis der entschiedenen Sache nicht vor. Beide Fahrer treffe ein Verschulden. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs hätte die auf eine AdBlue-Störung hinweisende Warnung erkennen und wissen müssen, dass daraus eine Drosselung auf die Fahrgeschwindigkeit von 20 km/h resultieren könne. Obwohl er im Kreisverkehr die Fehlermeldung samt Geschwindigkeitsdrosselung wahrgenommen habe, sei er ohne Ursachenforschung auf die Autobahn gefahren. Darin liege ein Verstoß gegen § 102 Abs 1 KFG. Er habe den Kreisverkehr im Wissen verlassen, die Autobahn mit einer Geschwindigkeit von nur 20 km/h benützen zu können. Dadurch liege ein Verstoß gegen § 46 Abs 4 lit d StVO vor, weil klar gewesen sei, dass er mit dieser Maximalgeschwindigkeit eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellen könne. Der Fahrer des Klagsfahrzeugs sei bedingt durch das dreimalige Niesen unaufmerksam gewesen und sei das Fahrzeug dadurch auf den Pannenstreifen geraten. Dieses gegen § 46 Abs 4 lit d StVO verstoßende Verhalten sei unfallkausal gewesen. Ein unabwendbares Ereignis iSd § 9 EKHG liege nicht vor. In Abwägung des Mitverschuldens sei eine Verschuldensquote von 1/3 des Lenkers des Klagsfahrzeugs angemessen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die fristgerechte Berufung der Klägerin aus den Rechtsmittelgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinn einer gänzlichen Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
In ihrer fristgerechten Berufungsbeantwortung beantragt die Beklagte, dem gegnerischen Rechtsmittel keine Folge zu geben.
Nach Art und Inhalt der geltend gemachten Anfechtungsgründe war die Anberaumung einer öffentlichen, mündlichen Berufungsverhandlung entbehrlich. Über das Rechtsmittel war daher in nichtöffentlicher Sitzung zu befinden (§ 480 Abs 1 ZPO). Dabei erwies es sich aus nachstehenden Erwägungen als unberechtigt:
Rechtliche Beurteilung
A. Gegenstand des Berufungsverfahrens
1. Der inhaltlichen Behandlung des Rechtsmittels ist die Beurteilung des aufrechten Verfahrensgegenstands voranzustellen. Die Klägerin begehrt die Zahlung von EUR 29.099,74 samt 4 % Zinsen seit 17.11.2022 (vgl Protokoll ON 8 S 2). Das Erstgericht hat hingegen über einen Zinsenanspruch ab 16.11.2022 abweisend entschieden. Damit hat es zum Zinsenbegehren über einen nicht klagsgegenständlichen Anspruch (Zinsen von 16.11. bis 17.11.2022) erkannt und insoweit das Klagebegehren überschritten. Im Berufungsverfahren wird dieser Umstand von den Parteien nicht aufgegriffen.
2. Die vorliegende Überschreitung des Klagebegehrens stellt jedoch keinen – ohnehin als Verfahrensmangel nach § 496 Abs 1 Z 2 ZPO in der Berufung geltend zu machenden – Verstoß gegen § 405 ZPO dar. Vielmehr geht der diesbezügliche klagsabweisende Teil des Spruchs ins Leere, ist also wirkungslos (RIS-Justiz RS0041130). Die dargestellte Abweichung zwischen Klagebegehren und Urteilsspruch ist daher unbeachtlich.
B. Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache
1. Im erstinstanzlichen Verfahren wendete die Beklagte die Unzulässigkeit der Klage ein, weil die Klägerin im Vorverfahren ein Verschulden von 1/3 anerkannt habe. Es liege eine entschiedene Streitsache vor. Das Erstgericht verneinte das Prozesshindernis der entschiedenen Streitsache, da das letzte Drittel des Schadenersatzbetrags bislang nicht eingeklagt worden sei. Im Berufungsverfahren kommen die Parteien zwar nicht mehr auf diesen Aspekt zurück. Dennoch soll dieses – von Amts wegen aufzugreifende – Prozesshindernis beleuchtet werden.
2. Die Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft (das Prozesshindernis der entschiedenen Streitsache) verhindert eine neuerliche Verhandlung und Entscheidung über eine bereits entschiedene Hauptfrage (RIS-Justiz RS0041115 [T2, T4, T6]). Die Zurückweisung einer Klage wegen der Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft setzt die Identität der Parteien, des geltend gemachten Anspruchs und des rechtserzeugenden Sachverhalts im Folgeprozess und im rechtskräftig entschiedenen Vorprozess voraus (RIS-Justiz RS0041340; RS0108828). Der selbe Streitgegenstand liegt nur vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts ident ist mit jenen des Vorprozesses; die rechtlich relevanten Tatsachenbehauptungen im Folgeprozess müssen im Kern dem festgestellten rechtserzeugenden Sachverhalt des Vorprozesses entsprechen (RIS-Justiz RS0039347; RS0041229).
Wird nur ein Teil der Forderung eingeklagt, tritt die Rechtskraftwirkung des Urteils nur bezüglich des eingeklagten Teils ein; in Ansehung des weiteren Rechtsanspruchs kann das Urteil keine Rechtskraft erzeugen (RIS-Justiz RS0039155). Das Gleiche gilt für den Fall der sog verdeckten Teileinklagung, also dann, wenn die erste Klage nicht ausdrücklich als Teilklage bezeichnet wurde (RIS-Justiz RS0041449). Die Bindungswirkung ist daher nur auf den abschließend entschiedenen Anspruchsteil beschränkt (RIS-Justiz RS0127052). Eine solche abschließende Regelung müsste sich aus den Entscheidungsgründen selbst ergeben, etwa der Abweisung eines Mehrbegehrens oder der urteilsmäßigen Feststellung des Nichtbestehens einer weiteren Forderung (7 Ob 53/20z; 3 Ob 315/05b).
Lässt sich ein Kläger ausdrücklich ein Mitverschulden anrechnen und klagt nur den unter Berücksichtigung der Mitverschuldensquote entsprechenden Anteil des Gesamtschadens ein, liegt auch in diesem Fall eine Teileinklagung – unter Einbekennung eines Mitverschuldens – vor (vgl 2 Ob 117/16v; 2 Ob 65/16x; 2 Ob 4/04h). Ein Kläger ist dabei auch nicht verhalten, auf den nicht eingeklagten Rest des Gesamtschadens zu verzichten, um den Zuspruch des der Mitverschuldensquote entsprechenden Anteils des Gesamtschadens zu erhalten (2 Ob 4/04h; 2 Ob 97/95). In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof im Fall eines nur einen Teil des Anspruchs umfassenden Feststellungsbegehrens (Feststellung der Haftung für zumindest zwei Drittel der Schäden) ausgesprochen, dabei handle es sich um eine Teileinklagung; die rechtskräftige Entscheidung im Vorprozess stehe der Einbringung einer neuen Klage auf den Restbetrag (Feststellung der Haftung für ein weiteres Drittel der Schäden) nicht entgegen (2 Ob 213/97f).
Ausgehend davon steht auch bei einem – wie hier – bloßen Zahlungsbegehren die rechtskräftige Entscheidung im Vorprozess, in welchem auf Basis eines vom Kläger zugestandenen Mitverschuldens nur ein Teil des Gesamtschadens klagsweise begehrt und zugesprochen wurde, nicht der Einbringung einer neuen Klage auf den Restbetrag unter Zugrundelegung einer anderen Verschuldensquote entgegen. Im vorliegenden Fall war der hier geltend gemachte (Rest-)Anspruch von EUR 29.099,74 sA nicht Gegenstand der Rechtskraft des Vorverfahrens und der dortigen Teilklage. Das Prozesshindernis der entschiedenen Streitsache liegt daher nicht vor.
3. In der Entscheidung 2 Ob 51/91 hatte der Oberste Gerichtshof zwar eine ähnliche Konstellation wie hier zu beurteilen. Der dortige Kläger hatte in einem Vorprozess ausdrücklich eine Mithaftung von 50 % eingeräumt und nur 50 % des insgesamt bezifferten Gesamtschadens aus einem Verkehrsunfall geltend gemacht. Ein antragsgemäß erlassener Zahlungsbefehl erwuchs unbekämpft in Rechtskraft. Im Folgeprozess begehrte der Kläger aus demselben Verkehrsunfall die weitere Hälfte des Gesamtschadens mit der Begründung, den Beklagten treffe das Alleinverschulden. Der Fachsenat kam zum Ergebnis, die prozessuale Erklärung des Klägers im Vorprozess, er lasse sich eine Mithaftung von 50 % anrechnen und stelle eine Haftung von 50 % außer Streit, stelle einen Verzicht auf den restlichen Klagsanspruch dar. Der Kläger habe ausdrücklich seinen Gesamtschaden um die einbekannte Mithaftung auf den restlichen Teilbetrag gekürzt und damit die behauptete Forderung schon in der Klage auf diesen geringeren Betrag eingeschränkt. Das habe die gleiche Wirkung wie der Verzicht auf den Anspruch, weshalb es wegen der materiellen Rechtskraft zur Zurückweisung der Klage im Folgeprozess zu kommen habe.
Demgegenüber hat die Klägerin im Vorverfahren 41 Cg 2/22w in Auslegung ihres dortigen Vorbringens gerade keinen (ausdrücklichen) Verzicht auf den darüber hinausgehenden Teil ihrer Gesamtforderung erklärt. In der Mahnklage führte sie aus, auf Basis 2:1 errechne sich – bei einem Gesamtschaden von EUR 88.845,22 – der Klagsbetrag. Stelle man das Verhalten beider Lenker gegenüber, so sei eine Verschuldensteilung von 2:1 zu Lasten des Lenkers des Sattelzuges vorzunehmen. In der Tagsatzung vom 29.9.2022 (ON 30 S 7, Rz 17.5) brachte sie ergänzend vor, aus dem Geschehen resultiere „zumindest ein Verschulden des Beklagtenfahrzeuges im Ausmaß von 2:1 zu seinen Lasten“. Damit schränkte sich die Klägerin im Vorprozess also nicht auf ein Mitverschulden von 1/3 ein, sondern gab zu erkennen, dass das behauptete Verschulden des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs „zumindest“ 2/3 beträgt und daher auch über diese Verschuldensquote hinausgehen kann.
Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, die Klägerin habe ihren gesamten Schaden bereits im Vorverfahren zum Streitgegenstand gemacht und auf die spätere Geltendmachung des restlichen Teilbetrags – unter Zugrundelegung einer anderen Verschuldensquote – verzichtet. Der vorliegenden Klage steht daher auch nicht die materielle Rechtskraft eines Verzichts entgegen.
C. Beweisrüge
1. Die Berufung bekämpft die im dargestellten Sachverhalt hervorgehobene Feststellung und begehrt stattdessen folgende Ersatzfeststellung:
„Ob sich der LKW der Klägerin im Kollisionszeitpunkt zur Gänze auf dem nördlichen Fahrstreifen oder teilweise auf dem Pannenstreifen befand, steht nicht fest. Ob die Kollisionsstelle südlich der Sperrlinie lag, das Klagsfahrzeug im Rahmen des nachkollisionären Anhalteweges zunächst nach Norden über die Sperrlinie geriet und anschließend nach links ausgelenkt wurde, oder ob die Kollisionsstelle bereits nördlich der Sperrlinie lag, kann nicht festgestellt werden.“
2. Die Berufung ist nicht judikaturkonform ausgeführt. Die erfolgreiche Geltendmachung einer Beweisrüge bedingt, dass bekämpfte und gewünschte Feststellungen in einem Austauschverhältnis zueinander stehen, also denkunmöglich nebeneinander existieren können; die eine Feststellung muss die andere ausschließen (RIS-Justiz RS0041835; OLG Innsbruck RI0100145). Dabei genügt es nicht, wenn der Berufungswerber lediglich begehrt, einzelne Feststellungen ersatzlos entfallen zu lassen (RIS-Justiz RS0041835 [T3]). Das Erstgericht stellt zwar unter anderem fest, im Kollisionszeitpunkt habe sich das Klagsfahrzeug zumindest teilweise auf dem Pannenstreifen befunden, während die Berufung dazu eine Negativfeststellung begehrt. Darüber hinaus enthalten die bekämpften Feststellungen aber auch die Aussage, das Klagsfahrzeug sei ungebremst auf das Beklagtenfahrzeug aufgefahren. Dies wird in der begehrten Ersatzfeststellung nicht erwähnt, womit diese Feststellung ersatzlos entfallen würde.
Darüber hinaus stünde die begehrte Ersatzfeststellung in unauflösbarem Widerspruch mit der unbekämpft gebliebenen weiteren Feststellung im selben Absatz, dass „selbst wenn D* den nördlichen Fahrstreifen in Annäherung an die Kollisionsstelle nicht verlassen hätte, sondern E* den litauischen Sattelzug knapp vor der Kollision etwas nach links gezogen hätte und dabei in den Bereich des nördlichen Fahrstreifens geraten wäre“ , die Kollision vermeidbar gewesen wäre. Mit dieser Feststellung zur Vermeidbarkeit der Kollision bei einem alternativen Geschehnisablauf bringt das Erstgericht zum Ausdruck, dass sich der tatsächliche Hergang gerade nicht in der dargelegten Weise abgespielt hat, der Lenker des Klagsfahrzeugs also sehr wohl den nördlichen Fahrstreifen verlassen hat und umgekehrt das Beklagtenfahrzeug nicht in den Bereich des nördlichen Fahrstreifens geraten ist. Würde das Berufungsgericht nun in Stattgebung der Beweisrüge anstelle der bekämpften Feststellung jene Negativfeststellung setzen, die die Klägerin als Ersatzfeststellung anstrebt, würde diese damit in einem unlösbaren Widerspruch stehen. Widersprüchliche Feststellungen begründen jedoch einen sekundären Feststellungsmangel, wodurch die Sachverhaltsgrundlage einer abschließenden rechtlichen Beurteilung nicht mehr zugänglich wäre. Dies führt zur Konsequenz, dass sich das Berufungsgericht inhaltlich nicht mit der Beweisrüge befassen kann (OLG Innsbruck RIS-Justiz RI0100163).
3. Der Beweisrüge wäre jedoch auch inhaltlich nicht zu folgen. Die Klägerin stützt sich zunächst auf eine Bindungswirkung der im Vorverfahren ergangenen Entscheidung. Die dort getroffenen, anderslautenden Feststellungen seien als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen.
Die Bindungswirkung einer Entscheidung ist ebenso wie die Einmaligkeitswirkung ein Aspekt der materiellen Rechtskraft (RIS-Justiz RS0102102 [T9]). Eine Bindungswirkung der Vorentscheidung ist dann anzunehmen, wenn die Identität der Parteien und der rechtserzeugende Sachverhalt gegeben sind, aber anstelle der Identität der Begehren ein im Gesetz gegründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren besteht (RIS-Justiz RS0041251; RS0127052; RS0041567; RS0039843).
Die Rechtskraft eines früheren Urteils steht allerdings der selbstständigen Prüfung eines aus demselben Tatbestand erhobenen neuen Anspruchs – ausgenommen der Fall, dass über ein entsprechendes Feststellungsbegehren entschieden wurde – nicht entgegen. Sie hindert auch nicht die neuerliche Aufrollung der Verschuldensfrage bei Erhebung eines weiteren Anspruchs aus einem Verkehrsunfall (RIS-Justiz RS0041292). Auch die in den Entscheidungsgründen enthaltene Beurteilung der Mitverschuldensquote ist als bloße Vorfrage eines Leistungsbegehrens nicht von der Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils umfasst (2 Ob 220/19w; 7 Ob 132/18i; 4 Ob 137/11t; 7 Ob 196/99w).
Die gegenständlichen Ansprüche der Klägerin sind daher selbständig zu beurteilen. Eine Bindungswirkung an das Leistungsurteil des Vorverfahrens besteht nicht. Die Frage der Mitverschuldensquote ist somit neuerlich und losgelöst vom Vorverfahren zu prüfen. Dass der dortigen Entscheidung eine Schadensteilung im Verhältnis von 2:1 zugrunde gelegt wurde, ist dafür ohne Bedeutung (vgl 2 Ob 220/19w; 1 Ob 50/08x). Die Abweichungen der bekämpften Feststellungen vom Urteil im Vorverfahren können daher weder im Rahmen der Beweisrüge erfolgreich geltend gemacht werden noch stellt dies – wie von der Klägerin behauptet – einen Verfahrensmangel oder eine Aktenwidrigkeit dar.
4. Das Erstgericht begründete die bekämpfte Feststellung im Wesentlichen damit, die Angaben des Lenkers des Klagsfahrzeugs seien nicht überzeugend. Vielmehr sei der Aussage der Zeugin H* zu folgen und jene Unfallversion wahrscheinlich, wonach der Lenker des Klagsfahrzeugs dieses auf Grund seines Niesens auf den Pannenstreifen gelenkt habe. Hingegen sei es nicht lebensnah, dass der Lenker des Beklagtenfahrzeugs bei einer Fahrgeschwindigkeit von 20 km/h ohne Not in den rechten Fahrstreifen gelenkt habe. Die Berufungswerberin hält dieser Beweiswürdigung entgegen, die Aussagen der Zeugen H* und D* seien nicht nachvollziehbar. Zusätzlich seien das unfalltechnische Gutachten und die Aussage des Zeugen I* zu berücksichtigen.
Das im Vorverfahren eingeholte unfalltechnische Gutachten konnte nicht erheben, ob die Kollisionsstelle südlich oder nördlich der Sperrlinie lag (dortige ON 24 S 13) und ob das Klagsfahrzeug im Kollisionszeitpunkt die Sperrlinie des Pannenstreifens überfahren hatte (ON 24 S 17 und 21; ON 30 S 5). Diese mangelnde Objektivierbarkeit aus unfalltechnischer Sicht hindert das Gericht jedoch nicht, auf Basis weiterer Beweisergebnisse, insbesondere der Aussagen der Beteiligten, eine positive Feststellung in die eine oder andere Richtung zu treffen. Dazu ist die Beweiswürdigung des Erstgerichts auch nachvollziehbar und erweckt die Berufung daran keine erheblichen Bedenken.
Die Zeugin H* (Vorakt ON 14 S 3 ff) beschrieb, wie das Klagsfahrzeug immer weiter nach rechts gekommen sei und sie das auf dem Pannenstreifen fahrende Beklagtenfahrzeug nach und nach aus ihrem Blickfeld verloren habe. Irgendwann habe sie gar keine Sicht mehr auf das Beklagtenfahrzeug gehabt. Da sie aber die Kollision selbst nicht wahrgenommen habe, könne sie nicht sagen, ob das Beklagtenfahrzeug noch zur Gänze auf dem Pannenstreifen gefahren sei. In der Zeit, als sie dieses noch gesehen habe, sei es aber immer auf dem Pannenstreifen gewesen. Diese zu den Parteien fremde, unbeteiligte Zeugin tätigte vor Gericht in sich schlüssige und konsistente Angaben. Diese finden auch Deckung in ihrer Aussage vor der Polizei unmittelbar nach dem Unfall (Vorakt Beilage ./E). Zudem hatte sie direkte Sicht auf die Fahrzeuge in Annäherung zur späteren Kollisionsstelle, womit sie am besten befähigt war, deren Fahrweise zu schildern.
Die Berufung sieht nunmehr zunächst einen Widerspruch zwischen der Aussage dieser Zeugin und ihren Skizzen (ON 14 S 2), wonach das Klagsfahrzeug fast zur Gänze auf dem Pannenstreifen gefahren sei und ihre Sicht auf das Beklagtenfahrzeug verdeckt habe, zum unfalltechnischen Gutachten, wonach nur ein Streifschaden vorliege und die Fahrzeuge sich gänzlich parallel oder geringfügig relativ verdreht zueinander befanden (ON 24 S 13). Damit sei die von der Zeugin beschriebene Fahrspur faktisch unmöglich und durch das Schadensbild sowie das Gutachten widerlegt. Zunächst ist dazu auf das unfalltechnische Gutachten zu verweisen. Der Sachverständige konnte nämlich – wie die Berufung selbst anführt – nicht objektivieren, ob sich die Fahrzeuge zum Kollisionszeitpunkt gänzlich parallel oder geringfügig relativ verdreht zueinander befanden (ON 24 S 13). Damit ist aber auch der Kollisionswinkel und die „Überlappung“ der Fahrzeuge nicht eindeutig eruierbar. D* beschrieb den Unfall als Frontalkollision (ON 14 S 11), also eine nicht bloß seitliche Streifung der beiden Fahrzeuge. Weiters hatte das Klagsfahrzeug einen Anhänger, womit die Sicht der Zeugin auf das Beklagtenfahrzeug schon aus Gründen der Perspektive weiter eingeschränkt war, selbst wenn (nahezu) eine Parallelfahrt stattfand. Vor allem aber sagte die Zeugin aus, das Geschehen liege schon einige Zeit zurück, und verwies damit auf eine allenfalls eingeschränkte Erinnerungsfähigkeit in manchen Details. Speziell zu ihren Fahrzeug-Skizzen beschrieb sie, es „im Nachhinein nicht mehr ganz genau sagen“ zu können, aber die rechte hintere Ecke des Klagsfahrzeugs sei etwa im Bereich der Mitte des Pannenstreifens gewesen; sie müsse daher ihre eigene Skizze insofern verbessern, als sich das Klagsfahrzeug etwas weiter links befunden habe. Bei Annahme einer solchen Situation ist der Streifschaden auch gut mit der Zeugenaussage vereinbar. Zudem zeigt sich, dass die Zeugin in den Details (wie weit das Klagsfahrzeug sich auf dem Pannenstreifen befunden habe) zwar nicht abschließend genaue Angaben machen konnte, aber sich sicher war, dass es auf dem Pannenstreifen gefahren sei. Dass sie dabei ihre eigene Skizze verbesserte und auf Unsicherheiten auf Grund des Zeitablaufs verwies, steigert insofern sogar ihre Glaubwürdigkeit.
Dem Zeugen D* schenkte das Erstgericht keinen Glauben und begründete dies zunächst damit, es sei nicht nachvollziehbar, dass er das Beklagtenfahrzeug bis zur Kollision gar nicht wahrgenommen habe. Diesen Überlegungen kann sich das Berufungsgericht anschließen. Nach den Ergebnissen des unfalltechnischen Gutachtens konnte der Zeuge das Beklagtenfahrzeug über eine Dauer von 15 Sekunden vor der Kollision wahrnehmen. Selbst bei einer Reizung seiner Augen wegen der Sonneneinstrahlung und einem dreimaligen Niesen, wie vom Zeugen geschildert, wäre dies ein derart langer Zeitraum dass eine Wahrnehmung möglich wäre. Dies gilt umso mehr, als der Zeuge die gesamte Zeitdauer des Niesens mit etwa vier bis maximal sechs Sekunden beschrieben hat (ON 14 S 10). Zusätzlich konnte der Zeuge hinsichtlich seiner Fahrlinie nur Vermutungen und Herleitungen auf Grund des im Fahrzeug verbauten und nach seiner Aussage vor der Kollision nicht warnenden technischen Spurassistenten tätigen. Dabei erfolgt durch das Fahrerassistenzsystem im Klagsfahrzeug bei Verlassen des vorgegebenen Fahrstreifens nur ein akustisches Signal, nicht aber ein technisches Eingreifen in das Fahrverhalten (Gutachten ON 24 S 17, Aussage Zeuge D*). Insoweit konnte die Aussage des Zeugen, das akustische Signal sei nicht erfolgt, aus technischer Sicht nicht weiter überprüft werden. Dessen Aussage selbst war jedoch wie dargestellt für das Erstgericht nicht überzeugend.
Der Zeuge I* wiederum verwies bereits eingangs seiner Aussage (ON 14 S 12) darauf, die Frage zur Fahrspur des Klagsfahrzeugs nicht mit absoluter Sicherheit beantworten zu können. Er verwies also selbst auf die eigene Unsicherheit seiner Aussage. Zwar beschrieb er in der Folge, das Klagsfahrzeug sei nach seiner Erinnerung durchgehend auf dem rechten Fahrstreifen geblieben und nicht auf den Pannenstreifen geraten. Dazu ist aber zu berücksichtigen, dass der Zeuge selbst auf dem linken Fahrstreifen knapp hinter dem Klagsfahrzeug gefahren ist. Damit hatte er im Ergebnis eine schlechtere Sicht auf dessen Fahrlinie hin zum Pannenstreifen und die gesamte Annäherungssituation als die Zeugin H*. Hinzu kommen die unterschiedlichen Angaben des Zeugen I* vor der Polizei (Vorakt Beilage ./D) und dem Gericht. In seiner polizeilichen Einvernahme schilderte er, wie rechts versetzt vor dem Klagsfahrzeug ein anderer LKW gefahren sei. Vor Gericht beschrieb er, das Beklagtenfahrzeug vor der Kollision nicht bewusst wahrgenommen zu haben.
Letztlich verweist die Berufung auf die Aussage des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs. Aufgrund der Vielzahl von Verstößen sei es lebensnah, dass er auch den rechten Fahrstreifen befahren habe. Dabei sei zu bedenken, dass er während der Fahrt eine Hotline angerufen habe und abgelenkt sowie nervös gewesen sei. Im Gegensatz zum Lenker des Klagsfahrzeugs, der seine eigene Fahrlinie nicht unmittelbar wahrgenommen hatte, konnte E* beschreiben, wie er sicher nicht in den rechten Fahrstreifen geraten sei; er sei zwar im Bereich der Sperrlinie gefahren, aber nur auf dem Pannenstreifen verblieben (ON 20 S 5). Diese Aussage war in sich überzeugend und schlüssig. Zudem sind die beweiswürdigenden Ausführungen des Erstgerichts, bei einer Fahrgeschwindigkeit von 20 km/h eine Einlenkung in den rechten Fahrstreifen verhindern zu können, nachvollziehbar und werden durch die Beweisrüge in ihrer Überzeugungskraft nicht erschüttert.
Insgesamt gelingt es der Beweisrüge daher nicht, erhebliche Bedenken an der Beweiswürdigung des Erstgerichts hervorzurufen.
D. Rechtsrüge
1. Die Klägerin releviert in ihrer Berufung das Vorliegen mehrerer sekundärer Feststellungsmängel. Ein sekundärer (= rechtlicher) Feststellungsmangel im Sinn des § 496 Abs 1 Z 3 ZPO liegt dabei nur dann vor, wenn das Erstgericht infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung erforderliche Feststellungen nicht getroffen und notwendige Beweise nicht aufgenommen hat und daher Feststellungen für die vorzunehmende rechtliche Beurteilung fehlen. Wurden aber zu einem bestimmten Thema Feststellungen getroffen, mögen diese auch den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers zuwiderlaufen, kann der Vorwurf eines rechtlichen Feststellungsmangels nicht erfolgreich erhoben werden (RIS-Justiz RS0043480 [T15, T19]; RS0043320 [T16, T18]; RS0053317 [T1, T3]).
In ihrer Rechtsrüge behauptet die Klägerin eine fehlende Feststellung, warum der Lenker des Klagsfahrzeugs geniest habe. Das Erstgericht hätte feststellen müssen, dass seine Augen aufgrund der Sonneneinstrahlung gereizt worden seien und er deshalb dreimal niesen habe müssen. Dadurch ergebe sich in rechtlicher Hinsicht die Verwirklichung eines unabwendbaren Ereignisses iSd § 9 EKHG. Ein sekundärer Feststellungsmangel im gerügten Sinn kann schon deswegen nicht vorliegen, weil die Klägerin in erster Instanz kein Vorbringen zum Grund des Niesens und in Richtung der gewünschten Feststellung erstattet hat. Feststellungsmängel können jedoch nur im Rahmen des vom Beweispflichtigen behaupteten Sachverhalts berücksichtigt werden (RIS-Justiz RS0043325). Ob die Klägerin im Vorverfahren näheres Vorbringen erstattet hat, ist auf Grund der Selbständigkeit beider Prozesse unbeachtlich. Darüber hinaus wäre selbst unter Zugrundelegung der gewünschten Feststellung – wie noch näher auszuführen ist – nicht von einem unabwendbaren Ereignis nach § 9 EKHG auszugehen.
Als weiteren Feststellungsmangel rügt die Klägerin fehlende Feststellungen zur Klagshöhe und zur Außerstreitstellung der Klagsforderung der Höhe nach. Die bloße Tatsache einer Außerstreitstellung ist als solche einer Feststellung nicht zugänglich. Die unterbliebene Bestreitung der Klagshöhe könnte ohnehin auch vom Berufungsgericht ohne explizite Anführung im bekämpften Urteil berücksichtigt werden. Zudem hat das Erstgericht die durch den Unfall entstandenen Schäden der Klägerin und den Zuspruch im Vorverfahren festgestellt, womit ausreichende Feststellungen zur Klagshöhe vorliegen. Ein sekundärer Feststellungsmangel ist daher auch hier zu verneinen.
Sofern die Klägerin die Bindungswirkung der im Vorverfahren getroffenen Feststellungen und in diesem Zusammenhang weitere sekundäre Feststellungsmängel geltend macht, ist zunächst auf die Ausführungen zur Beweisrüge zu verweisen. Die gewünschte Feststellung, der Lenker des Beklagtenfahrzeugs habe auf Grund der Drosselung durch das SCR-Überwachungssystem beim Unfall eine Geschwindigkeit von 20 km/h eingehalten, ergibt sich darüber hinaus schon aus dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt. Es steht fest, dass das Beklagtenfahrzeug auf Grund der Aktivierung des SCR-Überwachungssystems nur noch mit einer maximalen Geschwindigkeit von 20 km/h bewegt werden konnte (S 4 zweiter Absatz) und das Beklagtenfahrzeug beim Unfall etwa 20 km/h einhielt (S 5 zweiter Absatz). Die weiters gewünschten Feststellungen, die Fahrzeuge seien wie im unfalltechnischen Gutachten dargestellt kollidiert und es habe eine Überdeckung der Fahrzeuge bei der Kollision vorgelegen, sind rechtlich nicht weiter relevant.
2. In ihrer Rechtsrüge ieS behauptet die Klägerin unter Zugrundelegung der zusätzlich gewünschten Feststellung zur Ursache des Niesens beim Lenker des Klagsfahrzeugs, es liege ein unabwendbares Ereignis nach § 9 EKHG vor. Wie schon dargestellt hat sich die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren auf eine solche Ursache nicht gestützt. In diesem Vorbringen liegt daher ein Verstoß gegen das Neuerungsverbot des § 482 Abs 2 ZPO (vgl RIS-Justiz RS0042049). Das betreffende Vorbringen ist unbeachtlich. Die Rechtsrüge ist in diesem Punkt damit auch nicht judikaturkonform ausgeführt, da sie nicht vom konkret festgestellten Sachverhalt ausgeht (RIS-Justiz RS0043312; RS0043603).
Der Klägerin wäre aber auch inhaltlich nicht zu folgen. Gemäß § 9 Abs 1 EKHG ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit noch auf einem Versagen der Verrichtungen der Eisenbahn oder des Kraftfahrzeugs beruhte. Die Haftungsbefreiung kommt dem Halter dabei nur dann zugute, wenn er die äußerste nach den Umständen des Falls mögliche und zumutbare Sorgfalt eingehalten hat; es muss alles vermieden werden, was zur Entstehung einer gefahrenträchtigen Situation führen könnte (RIS-Justiz RS0058326; RS0058278; RS0058411). An diese Sorgfaltspflicht sind strengste Anforderungen zu stellen; sie darf aber auch nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0058425 [T3]; RS0058326 [T1]; RS0058278 [T5]).
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Kraftfahrer verpflichtet, während der Fahrt die vor ihm liegende Fahrbahn in ihrer ganzen Breite einschließlich der beiden Fahrbahnränder und etwa anschließender Verkehrsflächen im Auge zu behalten (RIS-Justiz RS0074923; RS0074948). Dieses Gebot hat der Lenker des Klagsfahrzeugs nicht durchgehend beachtet. Er konnte das Beklagtenfahrzeug für eine Dauer von etwa 15 Sekunden vor der Kollision wahrnehmen und auf dieses reagieren. Angesichts dieser langen Zeitdauer gilt diese Reaktionsmöglichkeit selbst für den Fall eines von außen beeinflussten Niesens, weshalb ihm eine Unaufmerksamkeit vorzuwerfen ist.
Darüber hinaus wäre eine Sonneneinstrahlung und ein dadurch ausgelöstes Niesen weiterhin der Klägerin zuzurechnen. Der Halter trägt unter anderem das Risiko für plötzliche gesundheitliche Störungen des Fahrers, die ein Steuern des Fahrzeugs unmöglich machen (2 Ob 117/16v; 2 Ob 339/00t; RIS-Justiz RS0058212). Über die eigene Sphäre hinaus hat der Halter aber auch für die durch höhere Gewalt ausgelöste außergewöhnliche Betriebsgefahr einzustehen (RIS-Justiz RS0058494). Damit wäre selbst bei einer Reizung des Lenkers durch äußere Einflüsse eine Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG nicht anzunehmen.
3. Die Klägerin wendet sich gegen die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung von 2:1. Das Verschulden des Lenkers des Klagsfahrzeugs sei, wenn überhaupt anzunehmen, vernachlässigbar klein, währenddessen das Verschulden des Unfallgegners schwerwiegend sei.
Wie dargestellt hat ein Kraftfahrer während der Fahrt die vor ihm liegende Fahrbahn in ihrer gesamten Breite einschließlich der Fahrbahnränder zu beobachten (RIS-Justiz RS0074923; RS0074948). Diesen Anforderungen entsprach das Verhalten des Lenkers des Klagsfahrzeugs nicht. Ihm ist ein Aufmerksamkeits- und Beobachtungsfehler insofern vorzuwerfen, als er das Beklagtenfahrzeug über eine – vergleichsweise lange – Dauer von etwa 15 Sekunden vor der Kollision hätte wahrnehmen und auf die offenkundig gefahrenträchtige Situation durch das verkehrswidrige Verhalten des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs reagieren können. Schon darin und losgelöst vom weiteren Fehlverhalten liegt eine grobe Unaufmerksamkeit und ein nicht zu vernachlässigendes Mitverschulden.
Darüber hinaus steht fest, dass er dreimal niesen musste und dadurch das Klagsfahrzeug nach rechts auf den Pannenstreifen versetzt wurde. Dieses Verhalten hat das Erstgericht richtig als (weitere) Unaufmerksamkeit qualifiziert. Von einem Berufskraftfahrer in der Situation des Klägers kann erwartet werden, dass er selbst im Fall eines unvorhergesehenen Niesens sein Fahrzeug auf dem dafür vorgesehenen Fahrstreifen weiterlenken kann und nicht auf den Pannenstreifen gerät. Dies gilt umso mehr, als das am Pannenstreifen fahrende Beklagtenfahrzeug bereits frühzeitig wahrnehmbar und daher ein einzuhaltender ausreichender Seitenabstand zu diesem offenkundig war. Wie dargestellt wurde zum Grund des Niesens im erstinstanzlichen Verfahren kein konkretes Vorbringen erstattet, womit die betreffenden Ausführungen in der Berufung unberücksichtigt bleiben müssen.
Letztlich ist es durch die eigene Unaufmerksamkeit des Lenkers des Klagsfahrzeugs zum Befahren des Pannenstreifens gekommen, worin ein Verstoß gegen § 46 Abs 4 lit d StVO liegt.
Dem Lenker des Beklagtenfahrzeugs umgekehrt ist vorzuwerfen, auf der Autobahn mit einem Fahrzeug gefahren zu sein, das auf Grund der SCR-Drosselung die Mindestgeschwindigkeit gemäß § 46 Abs 1 StVO von 60 km/h nicht erreichen kann. Darin liegt ein Verstoß gegen die genannte Bestimmung. Er hätte noch rechtzeitig im Kreisverkehr vom Zufahren zur Autobahn absehen können, in welchem Fall er auch nicht auf den Pannenstreifen fahren hätte müssen. Weiters hat er mit dem Fahren auf dem Pannenstreifen gegen § 46 Abs 4 lit d StVO verstoßen. Darüber hinaus liegt aufgrund der Wahrnehmbarkeit der AdBlue-Störung bei Wiederinbetriebnahme des Beklagtenfahrzeugs eine Verletzung des § 102 Abs 1 KFG vor, wonach ein Kraftfahrzeuglenker ein Kraftfahrzeug erst in Betrieb nehmen darf, wenn er sich, soweit dies zumutbar ist, davon überzeugt hat, dass das von ihm zu lenkende Kraftfahrzeug und ein mit diesem zu ziehender Anhänger sowie deren Beladung den dafür in Betracht kommenden Vorschriften entsprechen.
Maßgeblich bei der Verschuldensabwägung ist vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs (RIS Justiz RS0027389) sowie der Grad der Fahrlässigkeit (RIS Justiz RS0027466). Im vorliegenden Fall ist das Verschulden des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs zwar schwerer zu gewichten als jenes des Lenkers des Klagsfahrzeugs. Dessen für die Kollision kausales Fehlverhalten ist jedoch nicht vernachlässigbar oder weitgehend in den Hintergrund tretend, sondern von einem ähnlichen Gewicht wie jenes des Unfallgegners. Wenn das Erstgericht daher ein Mitverschulden von 1/3 angenommen hat, ist dies anhand der referierten Umstände jedenfalls nicht korrekturbedürftig.
Die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung ist daher nicht abzuändern. Da die Klägerin den geltend gemachten Schaden bereits im Vorverfahren auf Basis einer Haftungsteilung von 2:1 ersetzt bekommen hat, steht ihr kein weiterer Ersatzanspruch zu. Weitere Schadenspositionen werden nicht geltend gemacht. Das Erstgericht hat die Klage daher insgesamt zu Recht abgewiesen. Die Rechtsrüge der Berufung ist damit nicht erfolgreich.
E. Zusammenfassung und Verfahrensrechtliches
1. Insgesamt ist der Berufung keine Folge zu geben.
2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 41 und 50 Abs 1 ZPO. Aufgrund dieser Bestimmungen hat die im Berufungsverfahren unterlegene Klägerin der Beklagten die richtig verzeichneten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.
3. Das Berufungsgericht konnte sich zu allen maßgeblichen Rechtsfragen an einer gefestigten Judikatur des Höchstgerichts orientieren. Das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten betrifft darüber hinaus im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0087606; RS0044262). Das gilt auch für die Frage, ob den Geschädigten überhaupt ein Mitverschulden am von ihm geltend gemachten Schaden trifft (RIS-Justiz RS0044088 [T30]). Damit war eine Rechtsfrage mit der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zu lösen, sodass auszusprechen ist, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist (§ 500 Abs 2 Z 3 ZPO).