JudikaturOLG Innsbruck

3R77/23g – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
08. August 2023

Kopf

Beschluss

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Kohlegger als Vorsitzenden sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser und den Richter des Oberlandesgerichts MMag. Dr. Dobler als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb am **, Pensionist, **gasse **, **, vertreten durch Mag. Dr. Florian Scheiber, Rechtsanwalt in 6441 Umhausen, gegen die beklagte Partei B* , **straße **, **, wegen EUR 35.000,-- s.A., über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 3.7.2023, 4 Cg 39/23t 5, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird F o l g e gegeben. Der bekämpfte Beschluss wird ersatzlos aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen .

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Der (ordentliche) Revisionsrekurs ist n i c h t zulässig.

Text

Begründung:

Der Kläger hat seinen Hauptwohnsitz seit 31.1.2007 im Sprengel des LG Feldkirch (Beilagen A und B). Zuvor lebte der Kläger in Deutschland. Er war seinerzeit Gesellschafter und Geschäftsführer mehrerer Gesellschaften, die zur sog C*-D* gehörten. Die Hausbank der C*-D* kündigte dieser mit Schreiben vom 2.10.2001 diverse Kredite. Die C*-D* musste in der Folge Insolvenz anmelden.

Der Kläger war der beherrschende Mehrheitsgesellschafter der C*-D* und Bürge zu Gunsten der Beklagten für die C*-Firmengruppe.

Im Jahr 2009 [in S 2 ON 5 irrtümlich: 2008] begehrte der Kläger von der Beklagten vor dem Landgericht Göttingen (in Deutschland) und von seinen vormaligen Prozessbevollmächtigten in mehreren Vorverfahren (insbesondere vor dem LG Konstanz und dem OLG Karlsruhe) als Gesamtschuldner EUR 104,760.485,69 gemäß §§ 823 II dBGB iVm §§ 263, 265b, 285, 266 dStGB sowie § 826 dBGB aufgrund Prozessbetrugs unter anderem der Beklagten als Kreditgeberin. Er behauptete Pflichtverletzungen aus dem Anwaltsvertrag bzw im Zusammenhang mit dem Kreditmanagement der Beklagten betreffend die C*-D*. Der Kläger wirft der Beklagten vor, die ursprünglich verbindlich zugesagte Sanierung der C*-D* planmäßig hintertrieben zu haben. Zur Führung des Verfahrens vor dem Landgericht Göttingen gegen seine früheren Prozessbevollmächtigten und die Beklagte beantragte der Kläger dort Prozesskostenhilfe.

Mit Beschluss des LG Göttingen vom 16.7.2010 wurde das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung zurückgewiesen. Diese Zurückweisung stützte das Landgericht Göttingen unter anderem darauf, dass die Rechtskraft des Verfahrens 5 O 283/03 LG Konstanz und 9 U 108/05 OLG Karlsruhe dem entgegenstehe: In diesen Verfahren sei rechtskräftig festgestellt worden, dass dem Kläger gegen die Beklagte im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der C*-Firmengruppe keinerlei Schadenersatzansprüche zustehen. Die beabsichtigte Klagsführung vor dem LG Göttingen betreffe aber gerade derartige Schadenersatzansprüche (Beilage BD).

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des LG Göttingen wies das OLG Braunschweig mit Beschluss vom 15.8.2012 zurück (Beilage BE).

Während des Verfahrens betreffend die Prozesskostenhilfe vor dem LG Göttingen arbeitete der Kläger in einem Auftragsverhältnis von Österreich aus für ein schweizerisches Unternehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er ein Konto bei der E* eröffnet, über welches die Vergütungszahlungen des Unternehmens liefen. Ein Konto in Österreich hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht (ON 4 S 3 letzter Absatz). Im Oktober 2016 eröffnete der Kläger zwecks Auszahlung einer Erwerbsunfähigkeitspension (die ihm aufgrund eines am 8.1.2016 erlittenen Herzinfarkts gewährt wurde) ein Bankkonto bei der F* (ON 4 S 4 zweiter Absatz).

Der Kläger stützt die Zuständigkeit des angerufenen LG Feldkirch darauf, dass die Beklagte im Verfahren zur Erlangung der Prozesskostenhilfe vor dem LG Göttingen wahrheitswidrig vorgetragen habe, weshalb dem Kläger die Prozesskostenhilfe nicht gewährt worden und er dadurch am Vermögen geschädigt worden sei (ON 5 S 3 dritter Absatz).

Von diesem Sachverhalt muss das Rekursgericht derzeit ausgehen (vgl 3 Ob 639/89, JBl 1989, 48).

Mit der am 16.6.2023 bei der Vorinstanz zu 4 Cg 39/23t eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines (Teil)Betrags in Höhe von EUR 35.000,--. Dazu brachte er zusammengefasst vor, er habe die Beklagte vor dem LG Göttingen in Deutschland in Anspruch nehmen und dafür beim LG Göttingen Prozesskostenhilfe bewilligt erhalten wollen. Aufgrund eines Prozessbetrugs der Beklagten sei ihm die Prozesskostenhilfe verwehrt worden. Ohne den vorsätzlich wahrheitswidrigen Vortrag der Beklagten im Prozesskostenhilfeverfahren vor den deutschen Gerichten LG Göttingen und OLG Braunschweig hätte der Kläger dort Prozesskostenhilfe gewährt bekommen und den darauf folgenden Aktivprozess gegen seine vormaligen Rechtsanwälte und gegen die Beklagte als Gesamtschuldner gewonnen. Die Gerichtsgebühren für die Prozesskostenhilfeverfahren hätten die Beklagte zu tragen gehabt.

Das LG Feldkirch sei für den deliktischen Schadenersatzanspruch des Klägers nach Art 7 Nr 2 EuGVVO (2012) international und örtlich zuständig. Der Kläger wohne nämlich seit 29.1.2007 ununterbrochen im Sprengel des LG Feldkirch. Ausweislich der Beschlüsse des LG Göttingen und des OLG Braunschweig im Prozesskostenhilfeverfahren sei im Rubrum die damalige Anschrift und der Wohnsitz des Klägers mit **, **gasse **, angegeben. Der Entwurf der Klageschrift zur Erlangung der Prozesskostenhilfe beim LG Göttingen sei mit gleichem Rubrum eingereicht worden. Die Prozessbetrügereien der Beklagten am LG Göttingen und OLG Braunschweig hätten den Kläger an seinem Sitz in Österreich geschädigt.

Mit dem bekämpften Beschluss wies das Erstgericht die Klage wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit des LG Feldkirch zurück. Dazu traf das Erstgericht aufgrund der vom Kläger vorgelegten Urkunden die eingangs der Rekursentscheidung wiedergegebenen Sachverhaltsfeststellungen.

In rechtlicher Hinsicht schloss das Erstgericht, dass die vom Kläger behauptete Schadenszufügung in Deutschland erfolgt sei. Der dadurch bewirkte Erstschaden, nämlich dass dem Kläger die Prozesskostenhilfe nicht bewilligt worden sei, wäre damals in Deutschland eingetreten. Der Kläger hätte damals kein Konto in Österreich unterhalten. Der damit verbundene behauptete Vermögensschaden sei daher nicht in Österreich eingetreten. Dass der Kläger seinen Wohnsitz während des Verfahrens über die Prozesskostenhilfe vor dem LG Göttingen/OLG Braunschweig in Österreich gehabt habe, könne für sich allein die internationale Zuständigkeit des LG Feldkirch nicht begründen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich nunmehr der (rechtzeitige) - und, zumal auf vor Streitanhängigkeit gefasste Unzuständigkeitsbeschlüsse auch die Anfechtungsbeschränkung des § 45 JN schon nach dem Gesetzeswortlaut nicht anwendbar ist, einseitige ( Mayr in Rechberger/Klicka ZPO 5 [2019] § 45 JN Rz 2; OLG Innsbruck 3 R 64/23w Rz 9) - Rekurs des Klägers aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage durch deren Zustellung an die Beklagte aufzutragen (ON 7 S 4 f).

Der Rekurs ist aus nachstehenden Gründen berechtigt:

Rechtliche Beurteilung

1.: Das Rekursgericht hat bereits ausgesprochen, dass gemäß Art 66 EuGVVO 2012 diese VO auf Verfahren anzuwenden ist, die am 10.1.2015 oder danach eingeleitet worden sind. Wann sich der maßgebende Sachverhalt ereignete, ist für die Eröffnung des zeitlichen Anwendungsbereichs der verfahrensrechtlichen Norm der EuGVVO 2012 (VO [EU] Nr. 1215/2012) ohne Bedeutung (3 R 22/23v ErwGr C. 2. [vgl RIS Justiz RI0100117]; ferner 2 R 64/22m; Binder/Klausner in Fasching/Konecny ZPO³ V/2 Art 66 EuGVVO 2012 [Stand 1.8.2020, rdb.at] Rz 15). Es kommt daher nur auf die Verfahrenseinleitung (hier mit der am 16.6.2023 eingebrachten Klage) und nicht darauf an, dass sich der zugrunde liegende Sachverhalt in den 2000er Jahren zugetragen hat.

2.: Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind die Vorschriften der VO (EU) Nr. 1215/2012 (EuGVVO 2012) bzw ihrer Vorgängerin, der VO (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO 2001) autonom , also unter Berücksichtigung vor allem ihrer Systematik und ihrer Zielsetzung auszulegen (EuGH zB 20.10.2022, C 604/20, ROI Land Investments Ltd/FD , ECLI:EU:C:2022:807, Rn 29; 10.3.2022, C 498/20, ZK [als Nachfolger von JM, Insolvenzverwalter der BMA Nederland BV] BMA Braunschweigische Maschinenbauanstalt AG , ECLI:EU:C:2022:173, Rn 28, 38; 11.9.2014, C 112/13, A gegen B ua, ECLI:EU:C:2014:2195, Rn 50; 3.4.2014, C 387/12, HI Hotel HCF SARL/Uwe Spoering , ECLI:EU:C:2014:215, Rn 24). Denn mit diesen Verordnungen (nachstehend kurz: VOen) soll das reibungslose Funktionieren des europäischen Binnenmarkts dadurch gefördert werden, dass Bestimmungen erlassen werden, die das Ziel verfolgen, unter anderem die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit im Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen (vgl Erwägungsgründe 3. und 4. VO [EU] Nr. 1215/2012 und Erwägungsgründe 1. und 2. VO [EG] Nr. 44/2001; SA GA Yves Bot vom 2.4.2014 in C 112/13, A gegen B ua, ECLI:EU:C:2014:207, Rn 35). Eine uneinheitliche Auslegung dieses Begriffs könnte die Verwirklichung dieses Ziels gefährden. Insbesondere Art 24 VO (EG) Nr. 44/2001 und Art 26 VO (EU) Nr. 1215/2012 sind daher im Licht dieser Systematik und Zielsetzung auszulegen (SA GA Yves Bot , Rn 35 und 41). Überdies sind die Bestimmungen des Unionsrechts wie die genannten VOen im Licht der Grundrechte auszulegen, die nach ständiger Rechtsprechung des Gerichthofs der Europäischen Union zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gerichtshof und die mit Unionsrecht befassten nationalen Gerichte - in ihrer Funktion als unionsrechtliche Grundrechtsschutz-Instanzen ( Kohlegger , Die ordentlichen Gerichte als unionsrechtliche Grundrechtsschutz-Instanzen, in: Pilgermair [Hrsg] Wandel in der Justiz [2013] 15 [insb 18 ff]) - zu sichern haben und die nun in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, kurz GRC, verankert sind (EuGH Rs A gegen B ua, Rn 51; 13.5.2014, C 131/12, Google Spain SL und Google Inc./AEPD und Mario Costeja González , ECLI:EU:C:2014:317, Rn 68). Insoweit ist daher besonders das Bestreben dieser VOen zu beachten, insgesamt sicherzustellen, dass im Rahmen der Ziele der VOen die Verfahren, die zum Erlass gerichtlicher Entscheidungen führen, unter Wahrung der in Art 47 GRC verankerten Verteidigungsrechte , die inhaltlich den Regeln in Art 6 EMRK sinngemäß entsprechen (Art 52 Abs 3 GRC; Kohlegger 22 f), durchgeführt werden (EuGH Rs A gegen B ua, Rn 51; 15.3.2012, C 292/10, G/Cornelius de Visser , ECLI:EU:C:2012:142, Rn 47 f; vgl 10.3.2016, C 94/14, Flight Refund Ltd/Deutsche Lufthansa AG , ECLI:EU:C:2016:148, Rn 58 60).

3.: Im vorliegenden Fall ist der Rekurs mit seiner Auffassung, eine Zurückweisung der Klage limine litis sei nicht zulässig, aus nachstehenden Überlegungen jedenfalls berechtigt:

3.1.: Wenn der Standpunkt des Klägers zuträfe, dass das Erstgericht gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 zuständig sei, ist die Klagszurückweisung nicht haltbar und das gesetzliche Verfahren einzuleiten. Auch diese Bestimmung - und ihre Vorgängernorm Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 (EuGH zB 12.9.2018, C 304/17, Helga Löber/Barclays Bank plc , ECLI:EU:C:2018:701, Rn 17 mzwH) - ist autonom und eng auszulegen. Die nach Art 4 EuGVVO 2012 vorgesehene Zuständigkeit, dh die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, hier also Deutschland, stellt die allgemeine Regel dar. Diese Verordnung sieht besondere oder ausschließliche Zuständigkeitsregeln nur als Ausnahme von dieser Regel für abschließend angeführte Fälle vor, in denen eine Person vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats - je nach Lage des Falls - verklagt werden kann oder muss (EuGH Rs Helga Löber/Barclays Bank plc , Rn 18 mzwH). Ob der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ in Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 (= Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001), also der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (Schadenseintritts) oder der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (Schadensursache), zwischen denen der Kläger wählen kann (EuGH Rs Helga Löber/Barclays Bank plc , Rn 22), hier im Sprengel des Erstgerichts lag, kann im gegenwärtigen Verfahrensstadium jedoch aus folgenden Gründen dahingestellt bleiben.

3.2.: Denn auch wenn sich die Behauptung des Klägers, das Erstgericht sei nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 zuständig, als unrichtig erweist, kann hier nicht mit Zurückweisung der Klage (§ 42 Abs 1 JN) vorgegangen werden:

3.2.1.: Art 26 Abs 1 EuGVVO 2012 (ebenso wie Art 24 EuGVVO 2001) regelt nämlich (nur) genau den Fall, dass das angerufene Gericht trotz Unzuständigkeit durch Einlassung zuständig wird (SA GA Maciej Szpunar vom 29.7.2019, C 468/18, R gegen P , ECLI:EU:C:2019:649, Rn 45 mwH in FN 25 allgemein und für die Parallelregelung in Art 5 VO [EG] Nr. 4/2009).

3.2.2.: Das Rekursgericht hat unter anderem in der Entscheidung 3 R 22/23v ErwGr C.9. die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Anwendungsbereich der EuGVVO, der sich der Oberste Gerichtshof in ständiger Judikatur angeschlossen hat (RIS Justiz RS0111247; RS0130470), dargestellt: Danach darf das angerufene Gericht seine internationale Unzuständigkeit im Anwendungsbereich unter anderem der EuGVVO 2012, die wie erwähnt auf das vorliegende Verfahren anzuwenden ist (oben ErwGr 1.), nicht von Amts wegen a limine wahrnehmen und die Klage nicht aus diesem Grund limine litis zurückweisen. Vielmehr muss es dem Beklagten die Möglichkeit geben , sich in das Verfahren einzulassen (RIS Justiz RS0111247; RS0130470; OLG Innsbruck 3 R 22/23v ErwGr C.9. in LG Feldkirch 57 Cg 44/23t [vgl diese E in RIS Justiz RI0100117]).

3.2.3.: Art 26 der hier anwendbaren EuGVVO 2012 befindet sich in Abschnitt 7 des Kapitels II dieser Verordnung („Vereinbarungen über die Zuständigkeit“). Art 26 Satz 1 dieser VO sieht für alle Streitigkeiten, für die sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht aus anderen Vorschriften dieser VO ergibt, eine Zuständigkeitsregel vor, die auf der Einlassung des Beklagten auf das Verfahren beruht. Diese Bestimmung findet auch in Fällen Anwendung, in denen das Gericht unter Verstoß gegen die Bestimmungen dieser VO angerufen wurde, und beinhaltet unter anderem, dass die Einlassung des Beklagten auf das Verfahren als stillschweigende Anerkennung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und somit als Vereinbarung von dessen Zuständigkeit betrachtet werden kann (EuGH Rs A gegen B ua, Rn 53; 27.2.2014, C 1/13, Cartier parfums-lunettes SAS und Axa Corporate Solutions assurance SA/Ziegler France ua, ECLI:EU:C:2014:109, Rn 34; zur im Kern vergleichbaren Norm des Art 5 VO [EG] Nr. 4/2009 etwa EuGH 5.9.2019, C 468/18, R gegen P , ECLI:EU:C:2019:666, Rn 33). Dieses Ergebnis beruht auf der Überlegung, wonach die stillschweigende Vereinbarung über die Zuständigkeit des Gerichts, vor dem sich der Beklagte auf das Verfahren eingelassen hat, zu einer raschen Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen beitragen soll, die ein Gericht erlassen hat, dessen Zuständigkeit beide Parteien anerkannt haben. Diese Begründung wird auch dann schlagend, wenn das angerufene und stillschweigend prorogierte Gericht in Wirklichkeit für eine Entscheidung des Rechtsstreits nicht zuständig war (SA GA Yves Bot , Rn 39; siehe zB OGH 7 Ob 4/19t ErwGr 4.; 6 Ob 122/15 ErwGr 6.4.). Diese Ausnahme des Art 26 Abs 1 EuGVVO 2012 gilt nur dann nicht, wenn die Regeln über die ausschließliche Zuständigkeit in Art 22 (EuGVVO 2001) oder Art 24 (EuGVVO 2012) dieser VOen eingreifen. Die Art 22 oder Art 24 dieser VOen stellen allerdings eine weitere Abweichung von den in diesen VOen grundsätzlich festgelegten Zuständigkeitsregelungen dar und sind daher ebenfalls eng auszulegen (SA GA Yves Bot , Rn 36 iVm Rn 41). Die Voraussetzungen des (hier) Art 24 EuGVVO 2012 liegen auch nicht vor. Auch die bloße Einlegung eines Einspruchs gegen einen Europäischen Zahlungsbefehl , auch wenn er gleichzeitig schon Vorbringen zur Sache enthält, kann nicht bereits als Einlassung auf das Verfahren im Sinn von Art 26 Abs 1 EuGVVO 2012 (= Art 24 EuGVVO 2001) angesehen werden (EuGH 13.6.2013, C 144/12, Goldbet Sportwetten GmbH/Massimo Splindeo , ECLI:EU:C:2013:393, Rn 38 41; siehe SA GA Eleanor Sharpston vom 22.10.2015 in C 94/14, Flight Refund Ltd/Deutsche Lufthansa AG , ECLI:EU:C:2015:723, Rn 67 mwH). Einen solchen Europäischen Zahlungsbefehl hat der Kläger hier jedoch nicht beantragt.

3.2.4.: Die stillschweigende Vereinbarung der Zuständigkeit gemäß Art 26 Abs 1 Satz 1 EuGVVO 2012 (= Art 24 Satz 1 EuGVVO 2001) gründet sich also auf eine bewusste Entscheidung der Parteien des Rechtsstreits über diese Zuständigkeit. Dies setzt voraus, dass (auch) der Beklagte Kenntnis von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren hat (EuGH zB Rs A gegen B ua, Rn 54; SA GA Yves Bot , Rn 41 ff). Besondere Bedeutung kommt dabei insbesondere der Tatsache zu, dass sich der Beklagte auch der Folgen vollkommen bewusst ist, die durch seine „Einlassung“ im Sinn von Art 26 Abs 1 EuGVVO 2012 (= Art 24 EuGVVO 2001) ausgelöst werden. Dies zeigt sich besonders deutlich in der überarbeiteten Fassung der EuGVVO 2012 (VO [EU] Nr. 1215/2012): Dort wurde unter anderem Art 24 (Abs 1; jetzt Art 26 Abs 1) durch einen Abs 2 ergänzt, der lautet: „In Streitigkeiten nach den Abschnitten 3, 4 oder 5, in denen der Beklagte Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter eines Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist, stellt das Gericht, bevor es sich nach Abs 1 für zuständig erklärt, sicher, dass der Beklagte über sein Recht, die Unzuständigkeit des Gerichts geltend zu machen und über die Folgen der Einlassung oder Nichteinlassung auf das Verfahren belehrt wird“ (Art 26 Abs 2 EuGVVO 2012; SA GA Yves Bot , Rn 41). Es ist daher unerlässlich, dass die stillschweigende Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats nur zugelassen wird, wenn sich alle Parteien des Rechtsstreits, vor allem aber der Beklagte, bewusst für diese Zuständigkeit und gegen die Zuständigkeit des aufgrund der übrigen Regeln der EuGVVO 2012 (oder EuGVVO 2001) normalerweise berufenen Gerichts entschieden haben (SA GA Yves Bot , Rn 42).

3.2.5.: Wie oben zu ErwGr 3.2.2. näher dargelegt, muss das Erstgericht daher die Klage - auch wenn es sich für diese als unzuständig erachtet (oben ErwGr 3.2.3.) - zunächst der Beklagten zustellen . Es muss dabei allerdings im Sinn der dargelegten Rechtsprechung des EuGH (ErwGr 3.2.4.) auch Folgendes sicherstellen : Die Beklagte muss sich darüber im Klaren sein, dass ihre rügelose Einlassung zur Sache, die nach österreichischen Rechtsgrundsätzen bereits durch Erstattung einer schriftlichen Klagebeantwortung ohne vorweg erfolgenden ausdrücklichen Hinweis auf die Zuständigkeit erfolgt (OGH 2 Ob 121/22s Rn 1 f), die stillschweigende Anerkennung (Vereinbarung) der ua internationalen Zuständigkeit des LG Feldkirch bewirkt. Dies kann das Erstgericht zB erreichen, indem es zusammen mit der Klage die vorliegende Rekursentscheidung an die Beklagte zustellen lässt, zumal die Beklagte ab der Zustellung ohnehin jederzeit Akteneinsicht iS des § 219 ZPO hat. In Verfahren, in denen mit Eingaben einer unvertretenen Partei gerechnet werden muss, kann das erkennende Gericht zusammen mit der Klagszustellung auch einen ausdrücklichen Hinweis darauf geben, dass die Beklagte, wenn sie sich etwa erstmalig schriftlich einwendungslos zur Sache äußert, gleichzeitig auf die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts im Sinn einer Zuständigkeitsvereinbarung einlässt.

3.2.6.: Wie der Rekurswerber in seinem Rechtsmittel daher zutreffend geltend macht (ON 7 S 3), war die vorliegende Klagszurückweisung limine litis nach der Rechtsprechung des EuGH und des OGH auch dann nicht zulässig , wenn das Erstgericht nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 unzuständig sein sollte.

4.: Wie immer die Beurteilung nach Art 7 Nr 2 oder Art 26 Nr 1 EuGVVO 2012 ausfällt, erweist sich daher die hier bekämpfte Klagszurückweisung als unberechtigt und das Rechtsmittel als begründet.

5.: Im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung wird das Erstgericht daher gegebenenfalls (bei Unzuständigkeitseinwendungen der Beklagten) - wie es auch der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union entspricht (oben ErwGr 3.2.4.) - auf das Vorbringen der Beklagten zur Zuständigkeitsfrage in den von ihr allenfalls zu erstattenden Eingaben Rücksicht nehmen müssen, weil das erkennende Gericht über die Frage der internationalen Zuständigkeit im Licht aller ihm verfügbaren (vorliegenden) Informationen einschließlich der Einwände des Beklagten entscheiden muss (EuGH Rs Flight Refund Ltd/Deutsche Lufthansa AG , Rn 60; vgl 28.1.2015, C 375/13, Harald Kolassa/Barclays Bank plc , ECLI:EU:C:2015:37, Rn 64). Das Erstgericht wird daher im Rahmen seiner Zuständigkeitsentscheidung, die aufgrund allfälliger Einwendungen der Beklagten zu treffen ist (vgl zB § 261 Abs 1 und 5 ZPO), auch auf die dort eingewendeten Umstände Bedacht nehmen müssen. Das Erstgericht wird außerdem zu allfälligen die (insbesondere) internationale Zuständigkeit des LG Feldkirch betreffenden Einwendungen der Beklagten ebenso wie zu den (gegenteiligen) zuständigkeitsbegründenden Behauptungen des Klägers in seiner Entscheidung im allfälligen Zwischenstreit über die Zuständigkeit entsprechende Tatsachenfeststellungen treffen müssen, weil es insoweit auf den tatsächlichen Sachverhalt ankommt (RIS Justiz RS0046282; HG Wien 25.9.1987, 1 R 223/87, WR 397).

6.: Die Kosten entscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO. Die Kosten des - wenngleich erfolgreichen - Rechtsmittels sind mangels Vorliegens eines Zwischenstreits mit der Beklagten, die dem erstinstanzlichen Verfahren noch gar nicht beigezogen wurde, weitere Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (für viele: Obermaier , Kostenhandbuch³ [2018] Rz 1.334; OLG Innsbruck 3 R 64/22w Rz 19 mzwH).

7.: Wie durch Zitate belegt wurde, konnte sich das Rekursgericht an einer gesicherten Judikatur des Höchstgerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union orientieren. Eine Rechtsfrage in der von § 528 Abs 1 ZPO geforderten Qualität war daher in diesem Rekursverfahren nicht zu klären. Somit war auszusprechen, dass der weitere Rechtszug an das Höchstgericht (ordentlicher Revisionsrekurs) nicht zulässig ist (§§ 526 Abs 3, 500 Abs 2 Z 3 ZPO).

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