JudikaturOLG Innsbruck

13Ra16/23k – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
27. Juli 2023

Kopf

Im Namen der Republik

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Kohlegger als Vorsitzenden sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser und den Richter des Oberlandesgerichts MMag. Dr. Dobler sowie die Laienrichterinnen AD in RR in Irene Rapp (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AD in RR in Sabine Weber (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Mitglieder des Senats in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , geb am **, Elektrotechniker, **straße **, **, vertreten durch Rainer-Rück-Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei B* GmbH , FN C*, **straße **, **, vertreten durch ***, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen (eingeschränkt) EUR 6.570,-- sA über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 7.2.2023, 65 Cga 57/22f-13, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird keine Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen der Klagsvertreter die mit EUR 1.095,12 (darin EUR 182,52 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Die (ordentliche) Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten vom 12.1.2022 bis 15.7.2022 als Elektromonteur beschäftigt. Das Dienstverhältnis, auf das der Kollektivvertrag für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe anwendbar war, endete durch Arbeitnehmerkündigung.

Die Streitteile vereinbarten für eine Vollzeitbeschäftigung einen monatlichen Lohn von [laut Beilage ./A und unbestrittenem Vorbringen des Klägers richtig] brutto EUR 2.3 7 2,19 14 Mal jährlich. Für die Monate Februar, März, April, Mai, Juni und Juli 2022 zog die Beklagte dem Kläger unter dem Titel „Darlehen“ je EUR 730,-- netto, sohin insgesamt EUR 4.380,-- vom Lohn ab. In der Endabrechnung vom Juli 2022 errechnete die Beklagte einen Betrag von brutto EUR 3.085,04 bzw netto EUR 2.951,94. Hievon überwies sie mit Valuta 17.10.2022 EUR 761,94 auf das Kanzleikonto der Klagsvertreter. Den restlichen Betrag von netto EUR 2.190,00 bezahlte die Beklagte dem Kläger nicht aus.

Der Kläger absolvierte in Serbien eine 8-jährige Grundschulausbildung, eine 4 jährige Fachschulausbildung für den Beruf Elektrotechniker und eine 3-jährige Ausbildung an einer höhere Technischen Schule für Fachingenieure für Elektrotechnik und Informatik. Für seine Beschäftigung bei der Beklagten benötigte er eine Rot-Weiß-Rot-Karte.

Vor Beginn des Arbeitsverhältnisses zwischen den Streitteilen fanden zwei Gespräche bei der Beklagten statt. Beim ersten Gespräch legte der Kläger einer Mitarbeiterin die notwendigen Urkunden und Zeugnisse vor. Beim zweiten Termin erhielt er ein von der Beklagten ausgefülltes Formular zur Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte und die erforderlichen Unterlagen. Dieses Formular gab der Kläger in weiterer Folge bei der D* E* ab und bezahlte dort EUR 140,-- an Gebühren. In weiterer Folge absolvierte der Geschäftsführer oder ein Mitarbeiter der Beklagten im Zusammenhang mit der Erlangung der Rot-Weiß-Rot-Karte des Klägers ein Vorgespräch beim AMS. Danach musste die Beklagte noch eine weitere Stellungnahme abgeben und einen Dienstvertrag vorlegen. Gebühren entrichte die Beklagte hiefür nicht.

Der Kläger bemerkte erstmals im März nach Erhalt der Lohnabrechnungen für Februar den dort unter dem Titel „Darlehen“ aufscheinenden Abzug von EUR 730,--. Auf Nachfrage teilte der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger mit, es sei bei der Beklagten üblich, dass Kosten im Zusammenhang mit der Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte in Höhe von EUR 7.300,-- in 10 monatlichen Raten vom Einkommen abgezogen werden. Der Kläger äußerte sich zu dieser Erklärung nicht. Auch auf den folgenden, dem Kläger regelmäßig ausgehändigten Lohnabrechnungen schien der Abzug auf. Vor dem Gespräch im März war dem Kläger die Praxis der Beklagten nicht bekannt.

Die Beklagte schließt im Zusammenhang mit der Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte mit den davon betroffenen Mitarbeitern regelmäßig folgende Vereinbarung:

„Betreff: Gewährung eines einmaligen Darlehens

[...]

„Gemäß Ihrem Wunsche gewähren wir Ihnen ein einmaliges Darlehen mit einem Betrag von EUR 7.300,-- (siebentausenddreihundert Euro) welches von Ihnen in 10 Monatsraten á EUR 730,-- zurück zu zahlen ist. Der monatliche Betrag wird automatisch in der Lohnabrechnung ab dem pfändbaren Freibetrag berücksichtigt und beginnend ab Feber 2022 in Abzug gebracht. Sollten Sie vor 31.12.22 das Unternehmen verlassen wird der gesamte noch aus haftende Betrag von der letzten Lohnabrechnung über den pfändbaren Freibetrag abgezogen.

Durch diese Vereinbarung soll nach Ansicht der Beklagten der Aufwand, den sie im Zusammenhang mit der Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte hatte, mit einem Betrag von EUR 2.300,-- abgedeckt werden. Der weitere Betrag von EUR 5.000,-- soll den Unterschied zwischen der Entlohnung laut Kollektivvertrag und der nach Meinung der Beklagten gerechtfertigten Entlohnung ausgleichen. Die Beklagte war der Ansicht, die vom Kläger in seinem Heimatland abgeschlossene Ausbildung entspreche nicht den Anforderungen in Österreich, weshalb für sie durch die Einschulung des Klägers ein gewisser Aufwand entstehe.

Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses reklamierte der Kläger, vertreten durch die F*, erstmals mit 18.7.2022 die Unzulässigkeit der vorgenommenen Lohnabzüge gegenüber der Beklagten.

Von diesem im Rechtsmittelverfahren unstrittigen Sachverhalt muss das Berufungsgericht ausgehen (§§ 2 Abs 1 ASGG, 498 Abs 1 ZPO). Ausdrücklich außer Streit steht auch die rechnerische Richtigkeit der Klagsforderung, der geltend gemachte Zinssatz sowie der jeweilige Beginn des Zinsenlaufs.

Der Kläger begehrt nach Einschränkung aufgrund der nach Klagseinbringung erfolgten Teilzahlung netto EUR 6.570,-- sA. Die Lohnabzüge in Höhe des eingeschränkten Klagsbetrags seien rechtsgrundlos erfolgt. Der Kläger habe von der Beklagten nie ein Darlehen ausbezahlt erhalten. Die von der Beklagten behauptete Vereinbarung sei nie abgeschlossen worden. Mit den Lohnabzügen habe sich der Kläger nie einverstanden erklärt. Aber selbst wenn der Kläger dem von der Beklagten behaupteten Vorgehen zugestimmt hätte, wäre eine derartige Vereinbarung sittenwidrig und damit rechtsunwirksam. Zum behaupteten Abschlusszeitpunkt bei Beginn des Dienstverhältnisses habe für den Kläger eine Drucksituation bestanden, weil er auf den Arbeitsplatz angewiesen gewesen sei. Eine Aufwandsentschädigung für die Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte von EUR 7.300,-- sei weit überhöht und stelle Wucher iSd § 879 ABGB dar. Der Kläger habe alle Kosten hiefür selbst bezahlt. Da die vorgelegte Vereinbarung vergleichbar mit einer Ausbildungskostenrückersatzvereinbarung sei, seien auch die Grundsätze von § 2d AVRAG – zumindest analog – anwendbar. Mangels Schriftlichkeit sei die Vereinbarung daher zwingend nichtig. Zudem werde die behauptete Vereinbarung auch den Anforderungen des KautSchG nicht gerecht. Die Klagsforderung sei zudem unschlüssig. Der Beklagten seien der Ausbildungsstand des Klägers und dessen fehlende Deutschkenntnisse bei Begründung des Dienstverhältnisses bewusst gewesen.

Die Beklagte bestreitet, beantragt Klagsabweisung und brachte zunächst im Einspruch vor, die monatlichen Abzüge resultierten aus einem dem Kläger bei Eintritt in das Dienstverhältnisses gewährten Darlehen in der Höhe von EUR 7.300,-- (ON 3). Im Weiteren stand die Beklagte zunächst auf dem Standpunkt, dieses Darlehen sei dem Kläger zum Zweck der Abgeltung der ihr im Zusammenhang mit der Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte des Kläger entstandenen Kosten gewährt worden (ON 7). Der Kläger sei sich dieser Vereinbarung auch bewusst gewesen, habe er doch bis zu seinem Ausscheiden die Abzüge geduldet.

In der (zweiten und abschließenden) Tagsatzung vom 7.2.2023 brachte die Beklagte ergänzend vor, die Ausbildung des Klägers in seinem Heimatland sei nicht der Ausbildung in Österreich gleichzusetzen. Der Kläger müsse als Elektrotechniker entlohnt werden, obwohl seine Leistung nur jener eines Helfers entspreche. Die Beklagte müsse ca 2 Jahre in die Ausbildung des Klägers investieren, damit sein Wissensstand jenem eines Elektrotechnikers mit österreichischer Ausbildung entspreche. Der Kläger habe auch kein Deutsch gesprochen, sodass er nicht selbständig arbeiten habe können. Die Beklagte müsse den Kläger daher effektiv überzahlen, in seine Ausbildung investieren und sämtliche Aufwendungen für die Erlangung der Rot-Weiß-Rot-Karte tragen. Daraus resultiere das Darlehen. Der Betrag setze sich aus EUR 2.300,-- als Aufwandsersatz für die Erlangung der Rot-Weiß-Rot-Karte (50 Arbeitsstunden eines Mitarbeiters) und EUR 5.000,-- resultierend aus der Überzahlung eines Elektrohelfers im Verhältnis zu einem Elektrotechniker zusammen (EUR 208,33 monatlich für zwei Jahre).

Nach Durchführung der Parteien- und Zeugeneinvernahmen in der letzten Tagsatzung beantragte die Beklagte die Einvernahme der Zeuginnen G* H* und I* (ON 11.1 S 15) und brachte dazu vor, sie habe in Vorbereitung der Verhandlung versucht, denjenigen Mitarbeiter/diejenige Mitarbeiterin zu eruieren, der/die damals das Gespräch mit dem Kläger geführt habe. Bei der Einvernahme des Klägers habe sich herausgestellt, dies sei G* H* gewesen; I* sei ebenfalls dabei gewesen. Erstere sei nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt. Sie sei vom Geschäftsführer angewiesen gewesen, die Vereinbarung gemäß Beilage ./1 auszuhändigen und abzuschließen. Das habe bei der Beklagten grundsätzlich so funktioniert, weshalb davon auszugehen sei, dass der Kläger damals die Vereinbarung mit G* H*, die wie er Serbokroatisch spreche, abgeschlossen habe.

Der Kläger beantragte die Zurückweisung dieses Zeugenanbots wegen Verspätung (ON 11.1 S 15).

Mit dem bekämpften Urteil gab das Erstgericht dem eingeschränkten Klagebegehren vollumfänglich statt. Dabei ging es vom eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt aus und traf darüber hinaus nachstehende von der Beklagten angefochtene Feststellungen:

(1) Nicht festgestellt werden kann, in welchem Umfang der beklagten Partei ein allfälliger Aufwand im Zusammenhang mit der Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte des Klägers entstanden ist.

(2) Der Kläger hat eine solche Vereinbarung (Anmerkung wie in Rz 6) weder unterfertigt, noch wurde ihm eine solche übergeben oder er über den Inhalt dieser Vereinbarung vor oder bei Beginn seines Beschäftigungsverhältnisses informiert.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, mangels Einwilligung des Klägers sei zwischen den Streitteilen keine Darlehensvereinbarung zustande gekommen. Allein das Dulden der Abzüge durch den Kläger bis Juni indiziere keine konkludente Zustimmung. Zudem sei die Klagsforderung unschlüssig, weil aus dem Vorbringen der Beklagten nicht ersichtlich sei, wie sich die angeblichen Kosten zur Erlangung der Rot-Weiß-Rot-Karte im Detail zusammensetzten und welche Aufwendungen die Beklagte zu tragen gehabt habe. Auch die behaupteten Ausbildungskosten habe die Beklagte nicht aufschlüsseln können. Zudem bewirke die von der Beklagten behauptete Darlehensvereinbarung eine Umgehung des Kollektivvertragslohns, weshalb sie sittenwidrig sei. Eine Unterschreitung des kollektivvertraglichen Entgelts führe zur Strafbarkeit nach § 29 LSD-BG.

Die unterlassene Einvernahme der Zeuginnen G* H* und I* begründete das Erstgericht mit einer Verfristung iSd § 179 ZPO. Ausgehend davon, dass dem Geschäftsführer der Beklagten spätestens seit dem Telefonat mit dem Kläger bekannt gewesen sei, dass dieser keine Vereinbarung unterschrieben habe, sei es nicht nachvollziehbar, weshalb die Ausfindigmachung der Zeuginnen nicht schon früher möglich gewesen sein soll.

Die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens zum Zweck eines Ausbildungsvergleichs habe wegen geklärter Sach- und Rechtslage unterbleiben können.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitige Berufung der Beklagten . Aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung begehrt sie eine vollumfängliche Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner ebenfalls rechtzeitigen Berufungsbeantwortung , dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Nach Art und Inhalt der geltend gemachten Rechtsmittelgründe war über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden (§§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO). Diese erweist sich aus nachstehenden Gründe als nicht berechtigt:

Rechtliche Beurteilung

A) Zur Mängelrüge:

1.1. Unter diesem Berufungsgrund kritisiert der Kläger zunächst die unterlassene Einvernahme der in der abschließenden Tagsatzung angebotenen Zeuginnen G* H* und I* zum Beweis des Abschlusses der Darlehensvereinbarung. Das Erstgericht habe diese Beweisanbote zu Unrecht als verfristet zurückgewiesen. Die Beklagte habe erst anlässlich der Angabe des Klägers und des Zeugen in der Tagsatzung eruieren können, dass es sich bei der Mitarbeiterin, die das Gespräch mit dem Kläger geführt habe, um G* H* gehandelt habe und dass I* beim Abschluss der Vereinbarung anwesend gewesen sei. Von in Verschleppungsabsicht gestellten Beweisanboten oder einer schuldhaften Verspätung könne keine Rede sein. Mangels früherer Kenntnis der am Gespräch beteiligten Personen sei es der Beklagten nicht möglich gewesen, die Beweisanbote früher zu stellen. Bei Einvernahme der Zeuginnen hätte sich ergeben, dass der Kläger die Darlehensvereinbarung bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrags gekannt und dieser zugestimmt habe.

1.2.1. Die Zurückweisung von neuem Vorbringen und Beweisanbot kann nach dem Wortlaut von § 179 ZPO (ZPO-Bestimmungen hier wie im folgenden iVm § 2 Abs 1 ASGG) auch amtswegig ohne diesbezüglichen Antrag des Gegners erfolgen ( Annerl in Fasching/Konecny ³ § 179 Rz 91). Hier beantragte der Kläger die Zurückweisung ausdrücklich (ON 11.1 S 15). Gemäß § 179 dritter Satz ZPO kann der Zurückweisungsbeschluss nicht abgesondert angefochten werden. Ein als verspätet zurückgewiesenes Vorbringen ist in das Urteil aufzunehmen (§ 417 Abs 3 ZPO) und muss – wie hier richtig erfolgt – mit Berufung unter dem Rechtsmittelgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens bekämpft werden ( Fucik in Rechberger/Klicka 5 § 179 ZPO Rz 8; Annerl aaO Rz 91).

1.2.2. Das Gericht muss seine Absicht, das Vorbringen zurückzuweisen, nicht aufwendig erörtern oder die Zurückweisung besonders androhen. Vielmehr hat die verspätet vorbringende Partei die Gründe hiefür von sich aus gleichzeitig damit dazutun. So kann ein Vorbringen sogar erstmals vom Rechtsmittelgericht für unstatthaft erklärt werden (vgl RIS-Justiz RS0036739; Annerl aaO Rz 85).

1.2.3. Die Zurückweisung von Vorbringen und Beweisanträgen als verspätet nach §§ 179 ZPO, 275 Abs 2 ZPO ist nur unter drei kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen statthaft: 1) neues Vorbringen oder Beweisanbot, 2) Verspätung des Vorbringens aus grobem Verschulden und 3) Eignung das Verfahren erheblich zu verzögern. Auch wenn § 179 ZPO ausdrücklich nur die Zurückweisung neuen Vorbringens anspricht, wenden Lehre und Rsp die dort genannten Kriterien auch auf die Zurückweisung von Beweisanträgen sowohl mit als auch ohne neues Vorbringen – also auch auf neue Beweisanträge zu altem Vorbringen – an (RGZ0000005; RS0000366; Fucik aaO Rz 10; Annerl aaO Rz 52; Rechberger in Rechberger/Klicka 5 § 275 ZPO Rz 3; ausführlich zu den unterschiedlichen Judikaturlinien, die jedoch zum selben Ergebnis führen: Pochmarski/Tanczos/Kober Berufung in der ZPO 4 141f).

1.2.4. Verspätet iSd zitierten Bestimmung ist ein Beweisantrag dann, wenn er – unter Beachtung der Prozessförderungspflicht (§ 178 Abs 2 ZPO) und im Hinblick auf die Erörterung des Sach- und Rechtsvorbringens (§ 182a ZPO) – objektiv bereits zu einem früheren Zeitpunkt gestellt hätte werden können ( Annerl aaO Rz 54; Pochmarski/Tanczos/Kober aaO 142). Hinzu kommt, dass die Zurückweisung des Vorbringens nur bei grob schuldhafter Verzögerung und damit grob vorwerfbarem Verstoß gegen die Prozessförderungspflicht erfolgen darf. Der Grad der Vorwerfbarkeit eines Verstoßes gegen die Prozessförderungspflicht ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu prüfen (RIS-Justiz RS0036739 [T1]; RS0036877 [T1]). Dabei ist ein objektiver Maßstab anhand einer durchschnittlich sorgfältigen Partei anzulegen ( Annerl aaO Rz 69). Je naheliegender ein früheres Vorbringen gewesen wäre, umso schwerer wiegt der Verstoß ( Fucik § 179 Rz 2f).

Bei bereits vorhanden gewesenen neu in Erfahrung gebrachten Tatsachen oder Beweismitteln (nova reperata) ist eine Verletzung der Prozessförderungspflicht dann denkbar, wenn der Partei grobes Verschulden an der späten Kenntniserlangung vorzuwerfen ist, etwa weil sie gar keine Schritte unternommen hat, die entscheidungserheblichen Tatsachen aufzuklären oder allfällige Beweismittel zu erheben ( Annerl aaO Rz 71).

1.2.5. Schließlich müsste die Zulassung des neuen Vorbringens oder Beweisanbots zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen (RIS-Justiz RS0036877). Eine solche Verzögerung kann nur eintreten, wenn der Schluss der Verhandlung auf einen späteren Zeitpunkt verlegt werden müsste. Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn zumindest noch eine weitere, sonst nicht erforderliche zusätzliche Tagsatzung stattfinden müsste (3 Ob 61/07b) oder ein weiterer Verfahrensschritt zB eine zusätzliche Befunderhebung durch Sachverständige erforderlich wäre, um die Sache entscheidungsreif zu machen ( Annerl aaO Rz 78).

1.3.1. Entgegen der von der Berufung vertretenen Ansicht sind hier alle Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Anträge auf Einvernahme der beiden genannten Zeuginnen erfüllt. Dass die Beweisanträge erstmals in der abschließenden Tagsatzung gestellt wurden, ist aktenkundig und wird von der Beklagten nicht bestritten. Die durch Aufnahme dieser Beweise sich ergebende Verfahrensverzögerung bedarf keiner weiteren Erörterung, waren doch beide Zeuginnen bei der Tagsatzung, in der die Beweisanträge erstmals gestellt wurden, nicht anwesend. Der Beklagten war zu diesem Zeitpunkt nicht einmal die Anschrift der Zeugin H* bekannt.

1.3.2. Ausgehend vom Verfahrenslauf ist im hier zu beurteilenden Fall auch das Kriterium der grob schuldhaften Verspätung erfüllt: Die Beklagte stützte sich von Beginn an auf den Abschluss einer (Darlehens)Vereinbarung mit dem Kläger und berief sich dazu auf die sich in ihren Händen befindliche Urkunde Beilage ./1. Dass diese vom Kläger nicht unterfertigt worden war, ist nicht strittig. Dieser Umstand musste der Beklagten und ihrem qualifizierten (§ 40 Abs 1 Z 1 ASGG) Vertreter zumindest seit Prozessbeginn bekannt sein, ist doch die Beklagte die-jenige, die diese Urkunde zum Beweis ihres Prozessstandpunkts in das Verfahren einbrachte (§ 297 ZPO). Zutreffend führt das Erstgericht zudem ins Treffen, der Geschäftsführer der Beklagten sei bereits seit dem Gespräch im März 2022 darüber informiert gewesen, dass der Kläger die Beilage ./1 nicht unterfertigt hatte und ihm diese auch nicht bekannt war. Vor dem Hintergrund dieses Wissensstands des Geschäftsführers der Beklagten lange vor Klagseinbringung und des Prozessstandpunkts der Beklagten ist es – wie das Erstgericht richtig betont – nicht nachvollziehbar, warum es der Beklagten nicht möglich gewesen sein soll, die Zeuginnen zu einem früheren Zeitpunkt zu benennen. Allein die gleichzeitig mit dem Beweisanbot vorgetragene Behauptung, die Beklagte habe versucht, den/die Mitarbeiter zu eruieren, die damals das Gespräch mit dem Kläger geführt hätten, vermag im hier zu beurteilenden Fall keine ausreichend schlüssige Erklärung für das verspätete Beweisanbot zu liefern, handelte es sich bei den Personen doch um Mitarbeiterinnen der Beklagten selbst und nicht um ihr an sich unbekannte unbeteiligten Dritte. Aus welchen konkreten Gründen es der Beklagten erstmals nach den in der Tagsatzung durchgeführten Einvernahmen möglich gewesen sein soll, die Zeuginnen konkret zu benennen, verabsäumte die Beklagten in der Tagsatzung ohnehin darzulegen. Erstmals in ihrer Berufung – und damit verspätet (§ 482 Abs 2 ZPO) – behauptet sie – aber auch hier ohne nähere schlüssige Begründung – ihr wäre das nicht früher möglich gewesen. Dazu ist nochmals zu betonen, dass es sich bei den angebotenen Zeuginnen, um (zumindest zum Zeitpunkt des behaupteten Vereinbarungsabschlusses) Mitarbeiterinnen der Beklagten handelt. Auch ist nicht nachvollziehbar, warum der Beklagten allein aus den allgemein gehaltenen Angaben des Klägers und des Zeugen, die beide keine Namen nannten, sondern lediglich eine ältere und eine jüngere Mitarbeiterin (letzter habe Serbokroatisch gesprochen) erwähnten, plötzlich und erstmals die Benennung der Zeuginnen möglich gewesen sein soll. Einer durchschnittlich sorgfältigen Partei wäre es bei einer ebensolchen gründlichen Prozessvorbereitung angesichts ihres eigenen Prozessstandpunkts jedenfalls möglich gewesen, im eigenen Betrieb die Zeuginnen zu eruieren, mit denen der Kläger im Zuge der Anbahnung des Dienstverhältnisses und dessen Abschluss Kontakt hatte.

1.3.3. Zudem behauptete die Beklagte erstmals mit den Anträgen auf Einvernahme der beiden Zeuginnen zumindest indirekt, bis dahin nicht in Kenntnis darüber gewesen zu sein, mit wem der Kläger firmenintern Kontakt gehabt habe. Auch dieser Umstand ist der Beklagten im Licht des § 179 ZPO als grobes Verschulden anzulasten. Angesichts der nicht unterfertigten Beilage ./1 und des eigenen Prozessstandpunkts ist nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte diesen Umstand nicht bei erster Gelegenheit offenlegte und durch entsprechende Antragstellung (§ 184 ZPO) oder Befragung des bei der vorbereitenden Tagsatzung persönlich anwesenden Klägers (§§ 380 Abs 1, 341 Abs 1, 289 Abs 1 ZPO) zu erheben versuchte, mit wem dieser firmenintern gesprochen hatte. Dadurch hätte die Beklagte den selben Informationsstand wie in der abschließenden Tagsatzung erreichen und die Einvernahme der Zeuginnen zeitgerecht beantragen können.

1.4. Das Erstgericht hat daher die Beweisanträge zu Recht als verspätet zurückgewiesen, weshalb der Mängelrüge ein Erfolg zu versagen ist.

1.5. Ausgehend vom eigenen Vortrag der Beklagten in der abschließenden Tagsatzung handelt es sich bei diesem Beweisantrag im Übrigen um einen unzulässigen Erkundungs- bzw Ausforschungsbeweis, trägt sie doch selbst vor es sei „davon auszugehen“ der Kläger habe mit der genannten ehemaligen Mitarbeiterin die Vereinbarung geschlossen. Dieses Vorbringen gepaart mit der laut eigenem Standpunkt bestehenden Unkenntnis der firmeninternen Kontaktperson zeigt, dass die Beklagte selbst keinesfalls von diesem Sachverhalt überzeugt ist, sondern diesen erst durch die Einvernahme der Zeugin zu erheben versucht, welcher Umstand einen unzulässigen Erkundungs- oder Ausforschungsbeweis charakterisiert (RIS-Justiz RS0039973; RS0040023). Die Nichtberücksichtigung eines solchen Beweisanbots stellt keinen Stoffsammlungsmangel dar.

2.1. Als weitere Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt die Beklagte die unterlassene Einholung des in der Tagsatzung vom 7.2.2023 beantragten berufskund-lichen Gutachtens. Dieses Gutachten wäre geeignet gewesen, den Aufwand der Beklagten für die Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte zu belegen. Zudem hätte dadurch unter Beweis gestellt werden können, dass der Beklagten ein erheblicher Aufwand für die Ausbildung des Klägers entstanden bzw dieser mit einem Betrag von EUR 5.000,-- überbezahlt worden sei, weil seine Ausbildung nicht der Qualifikation eines Elektrotechnikers entsprochen habe.

2.2. Die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens stellt kein taugliches Beweismittel dar, um den von der Beklagten behaupteten Aufwand von 50 Stunden bzw EUR 2.300,-- für die Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte des Klägers unter Beweis zu stellen. Diesbezüglich wäre es vielmehr zunächst an der Beklagten gelegen gewesen, ganz konkret die von ihr im Zusammenhang mit der Erlangung der Rot-Weiß-Rot-Karte des Klägers erbrachten Leistungen im Einzelnen darzulegen. Nachdem die Beklagte bis zur abschließenden Tagsatzung – also sogar bis über die vorbereitende Tagsatzung hinaus – sogar den Standpunkt vertrat, die gesamte „Darlehenssumme“ von EUR 7.300,-- sei als Aufwandsentschädigung für die Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte angefallen und den damit einhergehenden Aufwand als gerichtsbekannt voraussetzte (ON 7 S 2), splittete sie die „Darlehenssumme“ erstmals in der Tagsatzung vom 7.2.2023 in kollektivvertragliche Überzahlung (EUR 5.000,--) und Aufwandsersatz (EUR 2.300,--) auf. Was den Aufwandsersatz betrifft beschränkte sich die Beklagte allerdings darauf, pauschal einen internen Arbeitsaufwand von 50 Stunden zu behaupten und ganz allgemein darzustellen, welche Schritte für die Erlangung einer Rot-Weiß-Rot-Karte zu setzen seien (ON 11.1 S 16). Welche einzelnen Leistungen sie im Zusammenhang mit der Rot-Weiß-Rot-Karte des Klägers tatsächlich erbrachte und vor allem welchen zeitlichen Aufwand diese einzelnen Leistungen jeweils in Anspruch nahmen, verabsäumte die Beklagte jedoch darzulegen. Allein die allgemeine Darstellung des Verfahrenslaufs und die Behauptung eines Arbeitsaufwands von 50 Stunden ohne jegliche Darstellung der im konkreten Fall jeweils erbrachten Einzelleistungen ist hier jedenfalls kein tauglicher Prozessvortrag.

Dahingestellt bleiben kann, ob das Prozessvorbringen der Beklagten in diesem Punkt wegen seiner Unvollständigkeit schon an der eine Frage der rechtlichen Beurteilung bildenden Schlüssigkeitsprüfung scheitern muss (RIS-Justiz RS0037532; RS0037516 [T5]; RS0001252). Aufgrund des nur allgemein gehaltenen unspezifischen Sachvortrags stellt der Antrag auf Einholung eines berufskundlichen Gutachtens im vorliegenden Fall ein untaugliches und unzulässiges Beweisanbot dar: Untauglich deshalb, weil es sich bei der Frage, welche konkreten Leistungen die Beklagte tatsächlich für den Kläger erbrachte, nicht um eine solche handelt, die besondere Sachkunde erfordert und daher von einem Sachverständigen zu beantworten ist. Prozessual unzulässig ist das Beweisanbot, weil auch dieses – wie die unter ErwGr A) 1. behandelten Zeugenanbote – im Ergebnis auf die bloße Ausforschung von von der Beklagten nur unzureichend vorgetragenen Tatsachen abzielt und damit einer konkreten Beweisaufnahme nicht zugänglich ist. Auch hier würde daher die Beiziehung eines Sachverständigen die Aufnahme eines unzulässigen Erkundungsbeweises darstellen (9 ObA 253/98s; 8 Ob 341/97y; RIS-Justiz RS0039973; RS0040023).

2.3. Im Übrigen erübrigte sich die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens schon deshalb, weil es der Beklagten nicht gelungen ist, den Abschluss der von ihr behauptete „Darlehensvereinbarung“ unter Beweis zu stellen. Die Berechtigung der vorgenommenen Lohnabzüge stützt die Beklagte aber ausschließlich auf diese Vereinbarung, die sie – nach Änderung ihres Prozessvorbringens in der abschließenden Tagsatzung – mit den beiden Begründungen überkollektivvertragliche Entlohnung und Aufwandsentschädigung zu rechtfertigen sucht. Mangels erwiesener Vereinbarung zwischen den Streitteilen war die Beklagte aber unabhängig von von ihr allenfalls getätigten Leistungen und Aufwendungen entweder für die Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte oder die Ausbildung des Klägers ohnehin nicht berechtigt Lohnabzüge vorzunehmen. Auf einen anderen Rechtsgrund als die behauptete „Darlehensvereinbarung“ stützt sich die Beklagte nicht. Es wird auf die Ausführungen im Rahmen der Behandlung der Beweis- und Rechtsrüge verwiesen.

2.4. Auch die unterlassene Einholung eines berufskundlichen Gutachtens führt hier daher nicht zu einer Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz.

B) Zur Beweisrüge:

1.1. Unter diesem Rechtsmittelgrund bekämpft die Beklagte zunächst die mit (1) bezeichnete Feststellung und möchte diese durch folgende ersetzt wissen:

„Im Zusammenhang mit der Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte des Klägers entstand der Beklagten ein Selbstkostenaufwand in Höhe von EUR 2.300,00.“

1.2. Wenn sich die Beklagte zur Begründung ihrer Wunschfeststellung auf die Angaben ihres Geschäftsführers beruft, ist ihr entgegen zu halten, dass dieser zwar angegeben hat, die Beklagte verlange für „das ganze Administrative, die Vorbereitung für die Rot-Weiß-Rot-Karte“ EUR 2.300,-- (ON 11.1 S 13); welche Leistungen oder tatsächlichen Aufwendungen er bzw die Mitarbeiter der Beklagten für diesen berechneten Aufwand erbrachten, vermochte er jedoch in keinster Weise zu konkretisieren. So konnte er nicht einmal angeben, ob das Formular vom Kläger selbst oder der Beklagten bei der D* abgegeben wurde (ON 11.1 S 11 viertletzter Absatz). Gebühren wurden von ihm nicht entrichtet (ON 11.1 S 11 drittletzter Absatz). Für welche Verrichtungen, welche Beträge von der Beklagten veranschlagt werden, konnte er nicht sagen. Er gab nur allgemein an, seine Mitarbeiter müssten Arbeitszeit für Behördengänge (AMS) aufwenden (ON 11.1 S 13 unten). Er wusste nicht einmal, ob er bezüglich des Klägers selbst zum AMS gegangen war oder einer seiner Mitarbeiter (ON 11.1 S 14 erster Absatz). Er meinte sich erinnern zu können, beim Kläger hätten Unterlagen gefehlt, genauere Angaben dazu machte er allerdings nicht (ON 11.1 S 14 dritter Absatz).

Wenn das Erstgerichts angesichts dieser äußerst vagen Angaben, aus denen sich in keinster Weise ergibt, welche konkreten Tätigkeiten die Beklagte in welchem Umfang im Zusammenhang mit der Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte des Klägers erbracht haben soll, eine Negativfeststellung zu einem allfälligen Aufwand der Beklagte trifft und dies mit dem Mangel an Beweisergebnissen begründet (US 10), ist dies nicht zu beanstanden, sondern vielmehr der einzig tragbare Schluss. Wie bereits im Rahmen der Behandlung der Verfahrensrüge aufgezeigt, vermochte die Beklagte nicht einmal in ihrem Prozessvorbringen darzulegen, welche Leistungen sie für den Kläger in welchem Umfang konkret erbracht haben will. Dass ihre Barauslagen für Gebühren etc. entstanden wären, behauptet sie weder, noch ergibt sich dies aus den Parteiangaben des Geschäftsführers. Es bedarf keiner Erläuterung, dass die bloße Tatsache der Verrechnung eines Betrags von EUR 2.300,-- durch die Beklagte und die Prozessbehauptung eines Aufwands von 50 Stunden nicht belegt, ob und welche Leistungen von ihr tatsächlich im Detail erbracht wurden. Die von der Beklagten in der Beweisrüge ins Treffen geführten allgemein gehaltenen Angaben des Geschäftsführers, die Kosten entstünden für Vorsprachen von (welchen?) Mitarbeitern beim AMS (warum, wie oft, wie lange?), vermögen keinesfalls die begehrte Wunschfeststellung mit der im Zivilprozess erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit zu begründen (RIS-Justiz RS0110701). Im Übrigen gab der Geschäftsführer der Beklagten nicht – wie von ihr der Berufung behauptet – an, dieser seien Kosten in der geltend machten Höhe entstanden, sondern sprach er nur davon, dass sie diesen Betrag von ihren Mitarbeitern „verlangen“ würden. Mit weiteren Beweisergebnissen kann die Beklagte nicht aufwarten.

1.3. Da die beweiswürdigenden Überlegungen des Erstgericht uneingeschränkt schlüssig und lebensnah sind – und nur hierauf hat sich die Überprüfung durch das Berufungsgericht zu beschränken (3 Ob 2004/96v; OLG Innsbruck 2 R 13/19g; 15 Ra 12/19f; 5 R 20/15b; RIS-Justiz RI0100099) – und es der Berufung nicht gelungen ist, stichhaltige Argumente aufzuzeigen, die die erforderlichen erhebliche Zweifel an der Beweiswürdigung des Erstgerichts rechtfertigen würden (OLG Innsbruck 13 R 24/20p; 2 R 72/18g; OLG Wien 34 R 125/15z ErwGr I.2.; RIS-Justiz RI0100099), ist die bemängelte Feststellung nicht zu beanstanden und damit vom Berufungsgericht zu übernehmen.

2.1. Im Weiteren bekämpft die Beklagte die zu (2) hervorgehobene Feststellung und begehrt stattdessen folgende:

„Der Kläger hat eine solche Vereinbarung zwar nicht unterfertigt, doch wurde ihm eine solche übergeben und war er über den Inhalt dieser Vereinbarung bei Beginn seines Beschäftigungsverhältnisses informiert und stimmte er einer derartigen Vereinbarung auch zu.“

Dass der Kläger die Beilage ./1 nicht unterfertigte, gesteht die Beklagte in der Beweisrüge ebenso zu wie den Umstand, dass der Geschäftsführer der Beklagten hiezu keine Angaben machen konnte. Ihre Wunschfeststellung gründet sie zum einen darauf, derartige Vereinbarungen würden bei der Beklagten stets getroffen und es wäre lebensfremd, wenn dies gerade im Fall des Klägers anders wäre. Zum anderen verficht sie – soweit für das Berufungsgericht nachvollziehbar – den Standpunkt, die Zustimmung des Klägers sei schon aus dem Umstand, dass sich dieser mehrere Monate nicht aktiv gegen die Abzüge zur Wehr gesetzt habe, abzuleiten.

2.2. Wenn die Beklagte in der Beweisrüge in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit der Angaben der Zeugin H* betont, ist auf die Ausführungen zur berechtigten Zurückweisung dieses Beweisanbots durch das Erstgericht zu verweisen (ErwGr A) 1.).

2.3. Im Übrigen erfordert die erfolgreiche Geltendmachung des Berufungsgrunds der unrichtigen Beweiswürdigung nicht nur die konkrete Benennung der bekämpften und der stattdessen begehrten Feststellungen, sondern auch sowohl eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der erstgerichtlichen Beweiswürdigung als auch die Bezeichnung aufgrund welcher konkreten Beweisergebnisse die gewünschte Alternativfeststellung zu treffen gewesen wäre (10 Ob 5/22s Rz 10; 6 Ob 177/21d Rz 3 5 Ob 311/85; RIS-Justiz RS0041835). Beiden letztgenannten Erfordernissen wird die Beweisrüge nicht gerecht:

Die Beklagte setzt sich in keiner Weise mit den – zutreffenden (§ 500a ZPO) – beweiswürdigenden Überlegung des Erstgerichts in US 9f auseinander und kann auch keine konkreten Beweisergebnisse für ihre Überzeugung benennen. Ihr Geschäftsführer konnte zu den Vorgängen in Bezug auf die Übergabe der Vereinbarung Beilage ./1 an den Kläger mangels Beteiligung daran keine Angaben aus eigener Wahrnehmung machen; er schilderte nur allgemein, wie die Angelegenheit in vergleichbaren Fällen firmenintern gehandhabt wird. Gegenteilig zum in der Berufung vertretenen Standpunkt räumte er mehrfach ein, der Kläger habe die Beilage ./1 nicht erhalten (ON 11.1 S 12 Mitte u. S 13 erster Absatz). Damit in Einklang gab er auch an, den Kläger erstmals bei dem festgestellten Telefonat über den Inhalt der Beilage ./1 in Kenntnis gesetzt zu haben (ON 11.1 S 13 dritter Absatz). Allein der Umstand, dass die Beklagte eine derartige Vereinbarung nach eigenen Angaben häufiger schließt, lässt entgegen den klaren anderslautenden Angaben des Klägers, die auch von den Zeugen gestützt werden, und den dem Grunde nach ebenso gegenteiligen Angaben des eigenen Geschäftsführers nicht den von der Beklagten gewünschten Schluss zu.

Auch das unstrittige Faktum, wonach der Kläger die Abzüge zunächst über mehrere Monate hinnahm, ohne sogleich aktiv dagegen zu werden, kann kein ausreichender Beleg für die von der Beklagten begehrte Sachverhaltsannahme sein, bezieht sich diese doch auf die physische Übergabe der Vereinbarung Beilage ./1, die allein durch die Duldung der Abzüge nicht belegt sein kann. Auf die Frage, ob diese unstrittige Duldung rechtlich als Zustimmung zu werten ist, wird im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge eingegangen. Auf Tatsachenebene vermag die Hinnahme der Abzüge eine Übergabe der Urkunde Beilage ./1 und eine Zustimmung des Klägers zu deren Inhalt jedenfalls nicht zu begründen.

2.4. Sofern die Beweisrüge bei großzügiger Betrachtung überhaupt als judikaturkonform ausgeführt anzusehen ist, kommt ihr aufgrund der nicht zu beanstandenden erstgerichtlichen Beweiswürdigung auch inhaltlich keine Berechtigung zu.

2.5. Im Übrigen würde die begehrte Alternativfeststellung der auf die bemängelte Feststellung unmittelbar folgenden – auf Tatsachenebene nicht bekämpften und damit das Berufungsgericht bindenden (§§ 2 Abs 1 ASGG, 498 Abs 1 ZPO; RIS-Justiz RS0042163) – Sachverhaltsannahme widersprechen, wonach der Kläger erstmals im März von den Abzügen und deren Grund erfahren hat (US 8 dritter Absatz). Wäre ihm – wie von der Beklagten nunmehr als Feststellung gewünscht – die Beilage ./1 bei Beginn des Dienstverhältnisses übergeben worden und hätte er dieser bereits damals zugestimmt, kann er nicht erstmals im März davon erfahren haben. Feststellungen, die zueinander in einem logischen Widerspruch stehen, begründen aber einen rechtlichen Feststellungsmangel, weil dann eine einwandfreie rechtliche Beurteilung nicht möglich ist (RIS-Justiz RS0043182; RS0042744). Auch aus diesem formellen Grund kann der Beweisrüge keine Berechtigung zukommen.

C) Zur Rechtsrüge:

1.1. Die Rechtsrüge vertritt unter ausschließlichem Verweis auf die Parteiangaben des Geschäftsführers der Beklagten, wonach der Kläger anlässlich des bereits mehrfach angesprochenen Gesprächs im März auf die Erklärung des Grunds der Abzüge mit „Okay“ und „es passt“ geantwortet habe (ON 11.1 S 12), die Auffassung, es liege eine explizite Zustimmung des Klägers zu den Lohnabzügen und damit eine wirksame Vereinbarung vor.

1.2. Mit diesen Ausführungen weicht die Berufungswerberin in unzulässiger Weise vom festgestellten Sachverhalt ab: Die vom Geschäftsführer der Beklagten behaupteten zustimmenden Äußerungen spiegeln sich in der bekämpften Entscheidung nicht wider. Vielmehr steht unbekämpft fest, dass sich der Kläger zur Erklärung des Geschäftsführers der Beklagten zu den firmeninternen Gepflogenheiten im Zusammenhang mit der Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte gerade nicht äußerte (US 13 S 7 Mitte). Der Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist aber nur dann judikaturkonform ausgeführt, wenn das angefochtene Urteil unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhalts als unrichtig bekämpft wird. Geht die Berufung – wie hier – von einem reinen Wunschsachverhalt aus, kann eine rechtliche Überprüfung durch das Berufungsgericht nicht vorgenommen werden (RIS-Justiz RS0043312; RS0041585; RS0043603; Lovrek in Fasching/Konecny 3 § 503 ZPO Rz 134). Ein Eingehen auf die Frage einer Kraft ausdrücklicher Willenserklärung des Klägers abgeschlossenen Vereinbarung erübrigt sich daher schon deshalb, weil die Rechtsrüge in Bezug auf diesen Rechtsgrund ausschließlich auf einen Wunschsachverhalt abstellt und damit in dieser Hinsicht nicht judikaturkonform ausgeführt ist. Im Übrigen lässt – wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat (§§ 2 Abs 1 ASGG, 500a ZPO) – der bindend festgestellten Sachverhalt den Schluss auf eine ausdrückliche Zustimmung des Klägers iSd § 863 ABGB und damit eine daraus ableitbare Willenseinigung zwischen den Parteien nicht zu.

2.1. Neben dem Vorliegen einer expliziten Zustimmung vertritt die Berufung die Ansicht, es liege auch ein konkludentes Einverständnis vor. Zur Begründung ihrer Rechtsansicht begnügt sich die Berufung mit einem Verweis auf den Bestand des Beschäftigungsverhältnisses bis Juni (RMS 6 dritter Absatz). Weitere insbesondere rechtlich begründete Argumente für ihre Ansicht führt die Berufung nicht ins Treffen. Vielmehr erachtet sie die Rechtsauffassung des Erstgerichts, wonach der Abschluss eine Darlehensvertrags eine Willenserklärung der Parteien voraussetze, bloßes Schweigen keinen Erklärungswert besitze und bei der Beurteilung der Frage, ob eine Verpflichtung stillschweigend eingegangen werde, Zurückhaltung geboten sei, als zutreffend bzw setzte diesen rechtlichen Ausführungen nichts entgegen.

2.2. Auch in diesem Punkt ist die Rechtsrüge daher nicht judikaturkonform ausgeführt: Der Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist nämlich nur dann ordnungsgemäß ausgeführt, wenn in ihm – ausgehend vom festgestellten Sachverhalt – aufgezeigt wird, dass dem Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen ist. Die Rechtsrüge ist hingegen unzureichend, wenn nicht dargelegt wird, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Erstgericht unrichtig erscheint (RIS-Justiz RS0043603). Die pauschale Behauptung, die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts sei unrichtig, ersetzt die notwendige Auseinandersetzung mit konkreten Rechtsfragen nicht (RIS-Justiz RS0043312 [T8]). Die Berufung muss daher bestimmt begründen, warum der festgestellte Sachverhalt rechtlich unrichtig beurteilt wurde (RIS-Justiz RS0043312 [T9]). Lässt eine Rechtsrüge jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts vermissen, ist sie nicht gehörig ausgeführt (2 Ob 84/12k; RIS-Justiz RS0041719; RS0043603 zum Revisionsverfahren, aber mit Gültigkeit auch für das Berufungsverfahren; ebenso RIS-Justiz RS0043605; RS0043312 [insb T13]). Nur wenn die Rechtsrüge anhand der von der Judikatur entwickelten Grundsätze ausgeführt ist, kann das Berufungsgericht auf diese eingehen; andernfalls ist ihm die Überprüfung der rechtlichen Beurteilung verwehrt (RIS-Justiz RS0043312; RS0041585).

2.3. Indem sich die Beklagte in ihrer diesbezüglichen Rechtsrüge allein auf den Hinweis, der Kläger habe bis Juni weiter für die Beklagte gearbeitet, beschränkt und sich inhaltlich in keinster Weise mit den – zutreffenden (§ 500a ZPO) – rechtlichen Ausführungen des Erstgerichts auseinander setzt, wird sie diesen Grundsätzen nicht gerecht, weshalb auch aus diesem Blickwinkel ein Eingehen auf die Frage des Vorliegens einer konkludenten Zustimmung an sich obsolet ist. Der Vollständigkeit halber wird dennoch auf die Grundsätze einer schlüssigen Willenserklärung bzw die Bedeutung bloßen Schweigens im Rechts-verkehr eingegangen:

2.4.1. Nach § 863 Abs 1 ABGB kann eine Person ihren Willen nicht nur ausdrücklich durch Worte oder Zeichen, sondern auch stillschweigend durch solche Handlungen erklären, die mit Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, übrig lassen. § 863 ABGB gilt auch im Arbeitsvertragsrecht (8 ObA 51/03p; RIS-Justiz RS0014457; RS0028642). Schon nach dem Gesetzeswortlaut gilt für schlüssige Willenserklärungen ein strenger Maßstab: Für den Empfänger darf kein vernünftiger Grund für Zweifel an einem bestimmten Rechtsfolgewillen des Erklärenden bestehen; die Handlung muss eindeutig in eine bestimmte Richtung weisen (RIS-Justiz RS0014150). Bei der Prüfung einer Handlung auf ihre konkludente Aussage ist äußerste Vorsicht geboten und ein strenger Maßstab anzulegen, weil die Gefahr besteht, dass dem Handelnden Äußerungen unterstellt werden, die nicht in seinem Sinn gelegen sind. Eine konkludente Handlung darf nur angenommen werden, wenn sie nach den üblichen Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in eine bestimmten Richtung zu verstehen ist. Es darf kein vernünftiger Grund übrig sein, daran zu zweifeln, dass der Wille, eine Rechtsfolge in einer bestimmten Richtung herbeizuführen, vorliegt (RIS-Justiz RS0013947; RS0014157; RS0014146). Die Auslegung einer Erklärung ist am Empfängerhorizont zu messen, wobei die aus der Erklärung abzuleitenden Rechtsfolgen nicht danach zu beurteilen sind, was der Erklärende sagen wollte oder was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, sondern wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage durch einen redlichen und verständigen Menschen zu verstehen war (9 ObA 70/19p; RIS-Justiz RS0113932).

2.4.2. Schweigen allein hat grundsätzlich keinen Erklärungswert (RIS-Justiz RS0014124) und ist im Allgemeinen nicht als Zustimmung zu werten. Es kann nur unter besonderen Umständen als Annahme gewertet werden (9 ObA 235/00z; RIS-Justiz RS0013991). Solche besonderen Umstände können allein deshalb, weil sich der Partner des Anbietenden seine Entscheidung inhaltlich vorbehält, nicht angenommen werden. (RIS-Justiz RS0013991 [T5]). Schweigen kann nur dann ausnahmsweise als Zustimmung gewertet werden, wenn wegen einer Sonderrechtsbeziehung eine Pflicht zum Widerspruch besteht, wenn es nach den bisherigen Gepflogenheiten der Geschäftspartner in diesem Sinn zu verstehen ist oder wenn das Geschäft dem Schweigenden ausschließlich Vorteile bringt (9 ObA 235/00z). Als Annahme und Zustimmung muss Schweigen etwa dort angenommen werden, wo der Nichtzustimmende nach Treu und Glauben oder nach der Verkehrssitte hätte reden müssen (RIS-Justiz RS0013958).

2.5. Ausgehend von diesen Grundsätzen kann im hier zu beurteilenden Fall eine konkludente Zustimmung des Klägers weder zur von der Beklagten als solche bezeichneten „Darlehensvereinbarung“ noch zu den Lohnabzügen angenommen werden: Der Kläger erhielt die von der Beklagten einseitig erstellte Urkunde Beilage ./1 weder vor noch bei Beginn des Arbeitsverhältnisses übergeben und wurde über deren Inhalt erstmals im März, als der erste Lohnabzug bereits vorgenommen worden war, informiert. Zur Erklärung des Geschäftsführers zu den Ursachen für den Lohnabzug äußerte er sich nicht. Allein aus diesem Schweigen und der Fortsetzung des Dienstverhältnisses unter vorläufiger Inkaufnahme der monatlichen Lohnabzüge über eine Dauer von drei bis vier Monaten kann eine Zustimmung des Klägers nicht abgeleitet werden, bestand für ihn mangels entsprechender Gepflogenheiten doch weder eine Widerspruchspflicht, noch brachte sein Schweigen ausschließlich Vorteile für ihn (9 ObA 235/00z).

2.6. Auch bei einer inhaltlichen Behandlung des Arguments einer konkludenten Zustimmung ist für die Beklagte daher nichts gewonnen.

3. Da die von der Beklagten vorgenommenen Lohnabzüge im Ergebnis nicht von einer zwischen den Streitteilen abgeschlossenen – wie auch immer betitelten – Vereinbarung getragen und damit unzulässig sind, ist ein Eingehen auf Frage der Schlüssigkeit des Beklagtenvorbringens obsolet. Andere die Abzüge rechtfertigende Gründe führt die Beklagte weder im Verfahren erster Instanz noch in der Berufung ins Treffen, sodass sich auch unter diesem Gesichtspunkt weitere Ausführungen erübrigen (RIS-Justiz RS0043338; RIS-Justiz RS0043352 [T17, T23, T26, T31, T33, T34]; RS0041570 insbes [T6, T12]).

4. Der Berufung kommt daher keine Berechtigung zu.

5.1. Auch wenn es mangels einer zwischen den Streitteilen zu Stande gekommenen Vereinbarung im hier zu beurteilenden Fall nicht darauf ankommt, ist der der Vollständigkeit halber festzuhalten ist, dass die von der Beklagten behauptete „Darlehensvereinbarung“ jedenfalls im Hinblick auf die erstmals in der Tagsatzung vom 7.2.2023 für den Teilbetrag von EUR 5.000,-- ins Treffen geführte Begründung, der Kläger sei überbezahlt, weil seine Arbeitsleistung nur der eines Elektro-helfers entspreche, einer Überprüfung nach den Kriterien der §§ 3 Abs 1, 11 Abs 1 ArbVG, 879 Abs 1 ABGB nicht standhalten würde:

5.2. Unstrittig ist, dass die Streitteile vertraglich eine Entlohnung des Klägers als Elektroinstallationsmonteur in der Lohngruppe 03 mit einem Bruttomonatslohn von EUR 2.372,19 (14 Mal jährlich) vereinbarten. Die Beklagte bringt selbst vor, der Kläger habe als Elektrotechniker entlohnt werden müssen . Da aber dessen Ausbildung nach Ansicht der Beklagte nicht einer österreichischen gleichzusetzen sei, sondern seine Tätigkeit nur jener eines Elektrohelfers entspreche, müsse sie ca zwei Jahre in seine Ausbildung investieren. Für diese „Überzahlung eines Elektrohelfers im Vergleich zu einem Elektrotechniker“ (ON 11.1 S 2) erachtet die Beklagte einen Betrag von gesamt EUR 5.000,-- bzw monatliche Abzüge von EUR 208,33 für angemessen.

5.3. Gemäß § 879 Abs 1 ABGB ist ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstößt, nichtig. Mit „gesetzlich“ sind alle Gesetze im materiellen Sinn gemeint, darunter fallen auch Mindestlohntarife und Kollektivverträge ( Kietaibl/Rebhan ZellKomm³ § 879 ABGB Rz 6). Nichtigkeit infolge Gesetzwidrigkeit ist nach Lehre und Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn diese Rechtsfolge ausdrücklich normiert ist oder der Verbotszweck die Ungültigkeit des Geschäfts notwendigerweise verlangt (9 ObA 80/00f mwN; 9 ObA 338/98s).

Nach dem in § 3 Abs 1 ArbVG normierten Günstigkeitsprinzips können die kollektivvertraglich festgelegten Mindeststandards nicht durch ua einzelvertragliche Vereinbarung zu Lasten des Arbeitnehmers unterschritten werden. Verstößt eine einzelvertragliche Regelung gegen den zwingenden Mindeststandard des Kollektivvertrags, ist sie in diesem Umfang nichtig. Arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarungen sind also nur insoweit zulässig, als sie sich im Bereich über dem kollektivvertraglichen Mindestentgelt bewegen (allgemein zur arbeitsrechtlichen Normenpyramide und deren Wirkung: Kietaibl/Rebhan ZellKomm³ § 3 ArbVG insb Rz 20ff).

5.4. Hier gesteht die Beklagte nicht nur zu, dass der Kläger als Elektrotechniker zu entlohnen war (ON 11.1 S 1), sondern vereinbarte mit ihm unter Bezugnahme auf den anwendbaren Kollektivvertrag für Arbeiter im Eisen- und Metallverarbeitende Gewerbe für das Jahr 2022 eine entsprechende Entlohnung auch arbeitsvertraglich (laut Pkt IX. des KV: Mindestgrundlohn Lohngruppe LG 3 Facharbeiter EUR 2.372,19). Mit dem Abschluss der behauptete „Darlehensvereinbarung“ und den dadurch begründeten monatlichen Lohnabzügen soll im Ergebnis – sogar nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten – hier nichts anderes als eine Unterschreitung des kollektivvertraglich vorgesehenen Mindestentgelts bewirkt werden. Eine solche ist nach den dargestellten Grundsätzen jedoch unzulässig und hat die Nichtigkeit der den Mindestgrundlohn unterschreitenden Vereinbarung zur Folge. Es gilt daher nur der kollektivvertragliche Mindestgrundlohn und nicht irgendeine „Abzugsvereinbarung“.

5.5. Aber auch im Hinblick auf die behauptete Vereinbarung des vom Kläger zu ersetzenden Aufwands der Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte durch monatliche Abzüge vom kollektivvertraglichen Mindest-entgelt gilt es die Garantien des § 3 ArbVG zu beachten:

Nach der Rechtsprechung besteht der Zweck der Festsetzung kollektivvertraglicher Mindestlöhne darin, dem Arbeitnehmer dessen Existenz zu sichern. Dieses Mindestentgelt muss ihm daher zur Gänze zu seiner freien Verfügung verbleiben. Müsste der Arbeitnehmer von diesem Mindestentgelt Spesen (ganz oder zum Teil) bezahlen, die mit seiner Berufsausübung verbunden sind (etwa Reisekosten), dann würde das Mindestentgelt eine unzulässige Kürzung erfahren; abweichende Einzelverträge sind infolge Verstoßes gegen den zwingenden Charakter der Kollektivvertragsbestimmungen über Mindestlöhne rechtsunwirksam (9 ObA 92/15t; RIS-Justiz RS0012340). Nach der Rechtsprechung dürfen mangels einer im Kollektivvertrag dafür vorgesehener Möglichkeit nicht einmal Naturalleistungen des Arbeitgebers auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt angerechnet werden. Vielmehr ist die kollektivvertragliche Festlegung von Mindestentgelten in Euro jedenfalls dann, wenn der Kollektivvertrag keine Durchbrechung vorsieht, als Geldzahlungsgebot zu verstehen (9 ObA 92/15t).

Diese Grundsätze müssen nach Ansicht des Berufungsgerichts umso mehr für den hier von der Beklagten geltend gemachten Aufwand im Zusammenhang mit der Beantragung der Rot-Weiß-Rote-Karte des Klägers (50 Arbeitsstunden eines Mitarbeiters) gelten. Die von der Beklagten hier angedachte und nach dem eigenen Prozessstandpunkt in anderen Fällen offenbar auch praktizierte Vorgehensweise dient letztlich ausschließlich dem Zweck der Überwälzung des eigenen administrativen Arbeitsaufwands auf die Arbeitnehmer, was auf deren Seite – zumindest im Fall des Klägers – zu einer Unterschreitung des kollektivvertraglichen Mindestentgelts führen würde. Eine solche Vorgehensweise widerspricht den Garantien der § 3 Abs 1 ArbVG und ist damit unzulässig.

D) Verfahrensrechtliches:

1. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf die §§ 2 Abs 1 ASGG, 50 Abs 1, 41 und 40 ZPO. Die im Rechtsmittelverfahren unterlegene Beklagte hat dem Kläger die rechtzeitig und tarifkonform verzeichneten Kosten seiner Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

2. Sofern Rechtsfragen zu behandeln waren, konnte sich das Berufungsgericht auf eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stützen, von der es nicht abgewichen ist. Die berufungsgerichtliche inhaltliche Prüfung, ob Verfahrensmängel vorliegen, ist ebenso wenig revisibel wie die Behandlung von Tatsachenrügen (zur Verfahrensrüge: zuletzt für viele 10 ObS 29/23x; RIS-Justiz RS0042963; RS0043919; RS0106371; zur Beweisrüge für viele: 2 Ob 206/99d). Eine erhebliche Rechtsfrage in der von §§ 2 Abs 1 ASGG, 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität war daher in diesem Berufungsverfahren nicht zu lösen. Der weitere Rechtszug nach dieser Gesetzesstelle erweist sich damit als nicht zulässig, worüber gemäß §§ 2 Abs 1 ASGG, 500 Abs 2 Z 3 ZPO ein eigener Ausspruch in den Tenor der Berufungsentscheidung aufzunehmen war.

Oberlandesgericht Innsbruck

in Arbeits- und Sozialrechtssachen, Abteilung 3

Innsbruck, 27. Juli 2023

Dr. Gerhard Kohlegger, Senatspräsident

Elektronische Ausfertigung gemäß § 79 GOG

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