3R66/23i – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
B eschluss
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Kohlegger als Vorsitzenden und die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser sowie den Richter des Oberlandesgerichts MMag. Dr. Dobler als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb am **, Arbeiter in **, **, vertreten durch Dr. Emelle Eglenceoglu, Rechtsanwältin in 6800 Feldkirch, gegen die beklagte Partei B* mbH , FN C*, **, **gasse **, vertreten durch Achammer Mennel Rechtsanwälte OG in 6800 Feldkirch, über den Rekurs der klagenden Partei (ON 41) gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Feldkirch vom 19.5.2023, 57 Cg 107/21d 36, und vom 23.5.2023, 57 Cg 107/21d 39, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Den Rekursen wird k e i n e Folge gegeben.
Die Streitteile haben die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls u n z u l ä s s i g .
Text
Begründung:
In dem vom Kläger wegen einer behaupteten fehlerhaften Behandlung durch Mitarbeiter der Beklagten eingeleiteten Rechtsstreit lehnte der Kläger den vom Erstgericht bestellten neurochirurgischen Sachverständigen mit der Begründung ab, dieser habe aufgrund seiner Arbeitsüberlastung ein Aktengutachten ohne Anamnese mit dem Kläger vorgeschlagen, was seine Unbefangenheit zweifelhaft erscheinen lasse (ON 32).
Die Beklagte sprach sich gegen diesen Ablehnungsantrag aus (ON 34).
Mit dem ersten bekämpften Beschluss ON 36 wies das Erstgericht den Ablehnungsantrag ON 32 mit der zusammengefassten Begründung ab, der Sachverständige habe ohnehin von Anfang an dargelegt, er sei selbstverständlich bereit, den Kläger persönlich zu untersuchen, und das Aktengutachten erkennbar nur als alternative Lösung zur Vermeidung von Verzögerungen angeboten.
Mit dem zweiten bekämpften Beschluss ON 39 traf das Erstgericht die in der ersten Entscheidung fehlende Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Ablehnung des Sachverständigen und verpflichtete den dort unterlegenen Kläger insoweit zum Ersatz dessen mit EUR 890,28 bestimmten Kosten (ON 39).
Gegen diese Entscheidungen wendet sich nunmehr der (fristgerechte) Rekurs des Klägers aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem sinngemäßen Antrag, die bekämpften Entscheidungen dahin abzuändern, dass dem Ablehnungsantrag Folge gegeben, der abgelehnte Sachverständige enthoben und der Beklagten die Kosten dieses Zwischenstreits auferlegt werden (ON 41 S 6 f).
In ihrer (fristgerechten) Rekursbeantwortung beantragt die Beklagte , das gegnerische Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (ON 43).
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs erweist sich aus nachstehenden Erwägungen als zulässig, jedoch unberechtigt:
A) Zur Zulässigkeit der Rekurse:
1.: Gemäß § 366 Abs 1 ZPO ist eine abgesonderte Anfechtung eines Beschlusses, mit dem die Ablehnung eines Sachverständigen verworfen wird, nicht zulässig. Anderes gilt nur in einem von einem Hauptprozess unabhängigen Beweissicherungsverfahren, weil in einem solchen eine weitere Anfechtung im Sinn des § 515 ZPO nicht mehr erwartet werden kann (3 Ob 212/22f Rz 10; RIS Justiz RS0123678). In solchen Fällen können die Parteien gemäß § 515 ZPO ihre Beschwerden gegen diesen Beschluss mit einem gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung - zB einer Gebührenbestimmung (3 Ob 212/22f Rn 12 ff; OLG Wien 3 R 47/19g SV 2020/1, 38) - eingebrachten Rechtsmittel verbinden und zur Geltung bringen, oder damit bis zur Endentscheidung zuwarten und das Rechtsmittel des Rekurses mit dem Rechtsmittel gegen die Endentscheidung verbinden (5 Ob 21/97t; OLG Wien 2 R 139/19d, SV 2021/1, 37; OLG Wien 8 Rs 118/14b SVSlg 64.810; 10 Rs 14/01, SVSlg 50.242). Unzulässig wäre es nur, ein beliebiges dem gegen die nächstfolgende Entscheidung eingebrachten Rechtsmittel nachfolgendes Rechtsmittel als „Vehikel“ für einen vorbehaltenen Rekurs einzusetzen (9 Ob 27/18p ErwGr 4.; 4 Ob 156/06d; 4 Ob 554/91). Der Rechtsmittelwerber kann als Verbindungsmöglichkeit iS des § 515 ZPO somit das Rechtsmittel gegen die unmittelbar nachfolgend anfechtbare Entscheidung oder gegen die Endentscheidung wählen.
2.: Nach Auffassung des Rekursgerichts ist eine - wenn auch sinngemäß deren Unterbleiben im Zwischenstreit über die Ablehnung nachholende - abgesonderte Kostenentscheidung eine solche nächstfolgend anfechtbare Entscheidung im Sinn des § 515 ZPO. Die Voraussetzung für die Zulässigkeit des vorbehaltenen Rekurses, wonach das Rechtsmittel, mit dem er schließlich verbunden wird, nach rein formalen Gesichtspunkten zulässig ist (1 Ob 8, 9/94; 5 Ob 565/88; RIS Justiz RS0043991; Sloboda in Fasching/Konecny ZPO³ IV/1 [2019] § 515 Rz 4), wird hier erfüllt. Da der Kläger hier den ersten auf ON 36 folgenden formal anfechtbaren Beschluss ON 39 mit einem zulässigen Rechtsmittel bekämpft, kann er mit diesem Rechtsmittel auch den dem bekämpften Beschluss ON 39 (zur Kostenfrage) unmittelbar vorangehenden nicht abgesondert bekämpfbaren Beschluss ON 36 (in der Sachverständigen-Ablehnungsfrage) anfechten. Der Einwand der Rekursbeantwortung, das (die) Rechtsmittel gegen den Beschluss ON 36 (oder beide) sei(en) unzulässig, erweist sich daher als unberechtigt. Die Rekurse sind daher inhaltlich zu behandeln.
B) Zur Sachverständigen-Ablehnung:
1.: Ein Ablehnungsgrund für einen Sachverständigen liegt in jeder Tatsache, die bei verständiger Würdigung ein auch nur subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen rechtfertigen kann (3 Ob 345/88; OLG Innsbruck 3 R 42/19d ErwGr 2.). Diese Regelung ist aus verfassungsrechtlicher Hinsicht unbedenklich (VfGH 4.10.2022, G 252/2022 oder 22.9.2015, G 412/2015; OLG Wien 3 R 47/19g, SV 2020/1, 38 ErwGr 3.2.). Die Bestimmung entspricht auch der deutschen Judikatur zur § 355 Abs 1 ZPO inhaltlich entsprechenden Regelung des § 406 Abs 1 dZPO (OLG Innsbruck 3 R 42/19d ErwGr 2.; Leipold in Stein/Jonas ZPO 22 V [2006] § 406 Rz 7 mwH).
2.: Die im Ablehnungsantrag ON 32 kritisierte, im Rekurs inhaltlich wiederholte Formulierung des Sachverständigen vom 6.5.2023, die Anlass für die Befürchtungen des Rechtsmittelwerbers sind, lautet nun (ON 30):
„Nach Recherche habe ich bemerkt, dass anscheinend der Gutachtensauftrag während der Weihnachtsfeiertage von mir nicht zur Kenntnis genommen wurde, dafür möchte ich mich entschuldigen.
Da ich derzeit im Juni einen Reha-Aufenthalt und anschließend einen Urlaub geplant habe, rechne ich damit, dass ich den Kläger frühestens im September einbestellen kann, da der Kläger gemeinsam mit einem Dolmetscher/einer Dolmetscherin zu befragen wäre.
Falls ein Aktengutachten ausreicht, könnte ich das Gutachten deutlich früher, wahrscheinlich noch vor meinem Reha-Antritt im Juni erstellen.
Dazu würde ich um Bestätigung bitten.
Medizinisch ist ein Aktengutachten sicher möglich, da auch mit einer Befragung und Untersuchung des Klägers keine neuen medizinischen Erkenntnisse zu gewinnen sind.
Mit freundlichen Grüßen in Erwartung Ihrer geschätzten Rückmeldung […]“
3.: Aus dieser Erklärung ergibt sich einerseits, dass der Sachverständige in erster Linie eine Verfahrensabkürzung in Erwägung gezogen (§§ 178 Abs 2, 354 Abs 1 ZPO) und diese jedenfalls in das Ermessen des Erstgerichts gestellt hat. Mit der im Ablehnungsantrag und im Rechtsmittel besonders kritisch bewerteten Bemerkung, wonach ein Aktengutachten „medizinisch […] sicher möglich [sei], da auch mit einer Befragung und Untersuchung des Klägers keine neuen medizinischen Erkenntnisse“ zu gewinnen seien, wird eindeutig nur auf die medizinische Fachfrage abgestellt und nicht etwa auf die möglichen Ergebnisse eines Beweisverfahrens. Dass ein Aktenverfahren in Fällen, wo - wie offensichtlich auch vom Sachverständigen als Regelfall unterstellt - der Betroffene noch sinnvoll befragt und zur Informationsgewinnung beitragen kann, kaum je in Betracht kommen wird, wurde weder vom Sachverständigen noch vom Erstgericht in der bekämpften Entscheidung bestritten. Im Übrigen entspricht es der üblichen Vorgangsweise zB in Verkehrsunfalls- oder Arzt-/Krankenanstaltenhaftungsprozessen, dem geschädigten Kläger auch im Rahmen einer ausführlichen Parteienvernehmung die Möglichkeit zu bieten, seine Einschätzungen und Beschwerden vorzutragen. Bei solch einer Parteienvernehmung steht der eigenen Rechtsvertretung des Klägers aber auch der Gegenseite und ihrer Rechtsvertretung prozessual verbrieft das Fragerecht an die vernommene Partei zu (§§ 357 Abs 2 iVm 289 Abs 1, 367 und 341 f ZPO). Auch damit können noch weitere Aspekte erörtert und in das Verfahren eingebracht werden. Eine Ergänzung und/oder Erweiterung des Sachverständigengutachtens aufgrund einer solchen Parteienvernehmung wird in einer großen Zahl der erwähnten Beispiele (Verkehrsunfalls- oder Ärzte-/Krankenanstaltenhaftungsprozesse) zusätzlich durchgeführt. Schließlich steht dem Kläger jederzeit die Möglichkeit offen, schriftliche Stellungnahmen zu schriftlichen ärztlichen Gutachten abzugeben, die mündliche Gutachtenserörterung zu verlangen und bei dieser Gelegenheit entweder selbst oder durch seinen Parteienvertreter Fragen an den Sachverständigen zu stellen. Rechtlich erhebliche Einschränkungen beim Fragerecht zB gegenüber der Partei oder dem Sachverständigen können als Stoffsammlungsmangel (§ 496 Abs 1 Z 2 ZPO), unschlüssige oder unklare Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen von Beweis- oder Mängelrüge (§§ 488 iVm 498 und 496 Abs 1 Z 2 ZPO) auch noch im Rechtsmittel gegen die Endentscheidung geltend gemacht werden.
4.: Unter Berücksichtigung dieses üblichen Verfahrensablaufs kann wegen der Anfrage an das Erstgericht, ob unter den konkreten Umständen auch ein vorgezogenes Aktengutachten gewünscht wird, um das Verfahren zu beschleunigen und ein solches Aktengutachten als medizinisch möglich beschrieben wird, bei verständiger Würdigung keine Befangenheit des Sachverständigen in der dargestellten Qualität des § 355 Abs 1 ZPO befürchtet werden.
5.: Der Rekurs erweist sich daher auch inhaltlich als unbegründet.
C) Zum Kostenrekurs:
Die vom Erstgericht vertretene Ansicht, wonach das Ablehnungsverfahren gegen Sachverständige analog dem Ablehnungsverfahren zB gegen (Laien)Richter:innen einen Zwischenstreit im Hauptverfahren darstellt, entspricht entgegen der impliziten Meinung des (Kosten)Rekurses des Klägers herrschender Auffassung (7 Ob 64/05w; 4 Ob 106/04y; OLG Innsbruck 10 R 39/14g, SV 2014/4, 221; vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny ZPO³ II/1 [2014] § 48 ZPO Rz 15). Zur Höhe der bestimmten Kosten ist das Rechtsmittel des Klägers inhaltsleer, sodass darauf nicht weiter eingegangen werden kann. Auch der Kostenrekurs erweist sich daher als unbegründet.
D) Verfahrensrechtliches:
1.: Wie bereits erwähnt stellt auch das Ablehnungsverfahren gegen einen Sachverständigen einen in das Hauptverfahren eingebetteten Zwischenstreit dar, über dessen Kosten gesondert zu entscheiden ist. Da der Kläger mit seinem Rekurs sowohl, was die Ablehnungsfrage als auch was den Kostenpunkt anlangt, erfolglos blieb, muss er diese Kosten selbst bestreiten (§§ 50, 40 ZPO). Die Rekursbeantwortung der Beklagten erschöpft sich in dem Hinweis auf die - wie oben zu A) näher dargestellt - nicht zutreffende Meinung, der Rekurs insgesamt sei gemäß § 366 Abs 1 ZPO unzulässig. Mit diesem einzigen Argument blieb die Rekursbeantwortung erfolglos, sodass auch für diese kein Kostenersatz in Betracht kommt (§§ 50, 40 ZPO). Die Streitteile haben daher ihre Kosten des Rekursverfahrens jeweils selbst zu tragen.
2.: Gegen eine bestätigende Entscheidung in Ablehnungssachen ist nach § 24 Abs 2 JN kein weiteres Rechtsmittel mehr zulässig (RIS Justiz RS0122963; RS0074402). Dies gilt auch im Ablehnungsverfahren gegen einen Sachverständigen (OLG Wien 2 R 139/19d SV 2021/1, 37).
3.: Der weitere Rechtszug gegen die Entscheidung über den Kostenrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO jedenfalls abgeschnitten.
4.: Darüber war gemäß den §§ 526 Abs 3, 500 Abs 2 Z 2 ZPO im Tenor der Rekursentscheidung gesondert abzusprechen.