4R83/23x – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Berchtold als Vorsitzende sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Prantl und den Richter des Oberlandesgerichts Mag. Eppacher als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* , Geburtsdatum und Beruf unbekannt, **, **, vertreten durch Mag. M*, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, wider die beklagte Partei B* AG , **, **, Deutschland, vertreten durch P* GmbH in 5020 Salzburg, wegen EUR 39.200,00 s.A., über den Rekurs (Rekursinteresse: EUR 39.200,00) und den Kostenrekurs (Interesse: EUR 712,94) der jeweils klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 6.4.2023, 69 Cg 36/21z-44, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Begründung:
Text
Die zunächst für den 13.2.2023 anberaumte und schließlich auf den 23.2.2023, 13:30 Uhr verlegte vorbereitende Tagsatzung wurde vom Klagsvertreter versäumt. Nachdem die Beklagtenvertreterin die Fällung eines Versäumungsurteils beantragt hatte, versuchte der Erstrichter (vergeblich), den Klagsvertreter telefonisch zu kontaktieren.
Das zunächst vorbehaltene und schließlich am 1.3.2023 ergangene klagsabweisende Versäumungsurteil (ON 38) wurde den Streitteilen mit Wirksamkeit vom 3.3.2023 zugestellt.
Noch am selben Tag beantragte die Klägerin die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Tagsatzung vom 23.2.2023 und die Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag (ON 42). Unter anderem brachte sie vor, der Klagsvertreter schreite in den sogenannten Abgasverfahren für zahlreiche Verbraucher ein. Deshalb sei es notwendig gewesen, seine Kanzlei auf eine hochprofessionelle Software umzustellen, die unter anderem den Vorteil biete, auf die einzelnen Akten auch rasch über eine am Mobiltelefon installierte App zugreifen zu können. Zudem werde automationsunterstützt jede über den Web-ERV eingehende Ladung unverzüglich in den Kalender des Mobiltelefons eingetragen. Werde eine Verhandlung vertagt, werde dies im Kalender ebenfalls angezeigt. Bis zum 23.2.2023 sei es trotz Verwendung der Software niemals zu irgendwelchen Versäumnissen gekommen. Nach Bekanntwerden, dass der EuGH im März 2023 über ein für Abgasverfahren relevantes Vorabentscheidungsersuchen entscheiden werde, seien im Februar 2022 zahlreiche Verhandlungen verlegt worden. In seinem Mobiltelefonkalender sei am 23.2.2023 der Eintrag „ Verlegung auf einen bestimmten Termin, A*/B* AG, **… “ angezeigt worden. Diese Meldung impliziere eine Verlegung auf einen in der Zukunft liegenden Termin. Im Gegensatz dazu würden Verhandlungen, welche zum ursprünglichen Termin stattfinden, mit „ Ladung zu einem bestimmten Termin, [...] “, angezeigt. Diese missverständliche und folgenschwere Unklarheit und Falschanzeige habe der Klagsvertreter nach Erkennen der Versäumung der Tagsatzung durch Vergleich der Anzeigen von unterschiedlichen und jeweils verlegten Tagsatzungen erkennen können. Bis zu diesem Zeitpunkt sei er einerseits aufgrund der Tatsache, dass beim Erstgericht in der letzten Zeit in Abgasverfahren einige Verhandlungen verlegt worden seien, und andererseits durch die Falschanzeige „ Verlegung “ in der irrigen Annahme gewesen, dass auch die Verhandlung vom 23.2.2023 verlegt worden sei. Aufgrund dieser für ihn unabwendbaren und vor allem unvorhersehbaren Ereignisse sei der Klagsvertreter an der Verhandlungsteilnahme gehindert gewesen. Erst als er seine Säumnis bemerkt habe, sei ihm klar geworden, dass die Vertagung einer Verhandlung dazu führe, dass im Kalender nicht „ Ladung “, sondern missverständlich „ Verlegung auf... “ angezeigt werde. Dieses Anzeige trete allerdings nicht bei allen Verlegungen auf.
Nachdem die Beklagte in dem ihr vom Erstgericht zur allfälligen Äußerung freigestellten Schriftsatz vom 17.3.2023 (ON 42) beantragt hatte, dem Wiedereinsetzungsantrag nicht stattzugeben, brachte die Klägerin am 25.3.2023 eine Replik (ON 43) ein. Darin führte sie aus, der Klagsvertreter habe zwischenzeitlich weitere Beobachtungen zur Kanzleisoftware gemacht. Konkret habe er festgestellt, dass eine für den 20.3.2023 anberaumte Verhandlung, die am 17.3.2023 abberaumt worden sei, am 24.3.2023 immer noch im Kalender mit dem Hinweis „ Ladung “ und nicht mit dem Hinweis „ Verlegung “ dargestellt worden sei. Eine weitere am selben Tag (20.3.2023) eingetragene Ladung, welche mit dem Hinweis „Verlegung“ versehen sei, habe hingegen stattgefunden. Das Programm habe offenbar Probleme mit häufigen Verlegungen. Unabhängig davon dürfte aber nicht missverständlich „ Verlegung “ angeführt sein, sondern müsste der richtige und eindeutige Terminus „ Ladung “ angeführt werden, weil die Verhandlung ja tatsächlich stattfinde. Wie nun klar geworden sei, würden für tatsächlich stattfindende Verhandlungen zwei verschiedene Begriffe verwendet, nämlich bei erstmaliger Anberaumung „ Ladung “ und bei Vertagungen „Verlegung“.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Replik vom 25.3.2023 zurück (Spruchpunkt 1) und den Wiedereinsetzungs- und Unterbrechungsantrag ab (Spruchpunkt 2). Schließlich erkannte es die Klägerin schuldig, der Beklagten Kosten von EUR 1.461,38 für die nach TP 3A verzeichnete Äußerung vom 17.3.2023 zu ersetzen (Spruchpunkt 3). In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht, das den Sachverhalt im Umfang der auf den Seiten 2 und 3 dieser Entscheidung in Fettdruck hervorgehobenen Behauptungen als bescheinigt ansah, aus, das in der Replik enthaltene Vorbringen habe gegen die Eventualmaxime verstoßen und sei daher zurückzuweisen. Der Termin vom 23.2.2023 sei im Kalendersystem eingetragen gewesen. Die Diktion „ Verlegung auf einen bestimmten Termin “ sei im ERV gebräuchlich. Würde der Termin abberaumt worden sein, wäre kein Grund ersichtlich, warum er am tatsächlichen Verhandlungstag nach wie vor im Kalender des Klagevertreters aufscheinen würde. Jedenfalls wäre dies aber ein Grund dafür gewesen, bei Gericht oder der Gegenseite nachzufragen, ob die Verhandlung nun stattfinde oder nicht. Zudem sei die Kanzlei des Klagsvertreters für den Erstrichter nicht erreichbar gewesen, obwohl die Verhandlung um 13:30 Uhr begonnen habe. Alles in allem könne aufgrund des Versäumnisses im Kanzleibetrieb nicht mehr von einem minderen Grad des Versehens ausgegangen werden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der auf die Rechtsmittelgründe der Mangelhaftigkeit, der Aktenwidrigkeit, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Rekurs der Klägerin mit dem Antrag auf ersatzlose Behebung des Spruchpunkts 1 und Abänderung des Spruchpunkts 2 im Sinne einer gänzlichen Antragsstattgebung. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Mit dem gleichzeitig eventualiter erhobenen Kostenrekurs wird eine Reduzierung der der Klägerin auferlegten Kostenersatzverpflichtung auf EUR 748,44 beantragt.
Die von der Beklagten eingebrachte (Kosten-)Rekursbeantwortung mündet im Antrag, den gegnerischen Rechtsmitteln den Erfolg zu versagen.
Nur der Kostenrekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Mangelhaftigkeit
1.1 Nach Ansicht der Klägerin hätte das Erstgericht die Replik vom 25.3.2023 nicht zurückweisen dürfen. Die Eventualmaxime sei im Wiedereinsetzungsverfahren mangels ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nämlich abzulehnen. Selbst wenn man deren grundsätzliche Anwendbarkeit bejahen sollte, wäre die Zurückweisung zu Unrecht erfolgt, weil die Replik keine neuen Behauptungen enthalte, sondern nur das bereits im Wiedereinsetzungsantrag erstattete Vorbringen präzisiert habe. Hätte das Erstgericht die Replik zugelassen, hätte es feststellen können und müssen, dass sich im Terminkalendereintrag bei abberaumten Verhandlungen immer noch der Hinweis „ Ladung “ und nicht „ Verlegung “ befinde. Außerdem sei das Verfahren mangelhaft geblieben, weil das Erstgericht den Klagsvertreter, dessen Einvernahme zur Bescheinigung der Antragsbehauptungen angeboten worden sei, nicht einvernommen habe.
1.2 Die Eventualmaxime ist nach der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre auch im Wiedereinsetzungsverfahren anzuwenden (1 Ob 157/14s ErwGr 6; Gitschthaler in Rechberger/Klicka 5 §§ 148-149 ZPO Rz 2; Deixler-Hübner in Exekutionsordnung (2022), § 35 EO Rz 176; Deixler-Hübner/Markowetz , Wiedereinsetzung in den vorigen Stand [Stand 25.11.2021, Lexis Briefings in lexis360.at]; aA noch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny ³ § 149 Rz 2). Dies bedeutet, dass der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund bereits im Wiedereinsetzungsantrag individualisiert worden sein muss. Nachträgliche Ergänzungen des Vorbringens sind (nur) zulässig, soweit sie die im Wiedereinsetzungsantrag vorgebrachten Tatsachen verdeutlichen oder präzisieren bzw. richtig stellen, ergänzen oder erläutern. Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzulegen (vgl RS0001307 [T4 und T5]; Jakusch in Angst , EO², § 35 Rz 86).
1.3 Die Untersuchung der Frage, ob der von der Rekurswerberin als relevant erachtete Teil des in der Replik enthaltenen Vorbringens, wonach in den automationsunterstützten Kalendereinträgen selbst dann noch der Hinweis „Ladung“ und nicht „Verlegung“ aufscheine, als Verstoß gegen die Eventualmaxime anzusehen ist, kann dahingestellt bleiben. Auch im Rekursverfahren muss die geltend gemachte Mangelhaftigkeit nämlich abstrakt geeignet sein, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen ( Pochmarski/Lichtenberg , Beschluss und Rekurs in der Zivilprozessordnung, Seite 90). Wie noch im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge darzustellen sein wird, ist dies aber nicht der Fall. Ausgehend von den Antragsbehauptungen konnte sich auch die unterbliebene Einvernahme des Klagsvertreters nicht abstrakt-negativ auf die Rechtsposition der Klägerin auswirken, worauf ebenfalls im Rahmen der rechtlichen Beurteilung einzugehen sein wird.
2. „unrichtige Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung“ und Aktenwidrigkeit
2.1 Während die Klägerin im Rahmen der Anfechtungserklärung darlegte, den Beschluss des Erstgerichts unter anderem aus dem Rekursgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung anzufechten, enthält das Rechtsmittel nur inhaltliche Ausführungen zu dem mit „unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung“ überschriebenen Rechtsmittelgrund. Abgesehen davon, dass das Rechtsmittel in diesem Zusammenhang nicht gegen eine Tatfrage gerichtet ist, kommt dem im Rekurs vertretenen Standpunkt auch inhaltlich keine Relevanz zu. Wie noch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung auszuführen sein wird, wäre der Klagsvertreter im Hinblick auf den am 23.2.2023 tatsächlich abrufbaren Kalendereintrag jedenfalls zu weiteren Maßnahmen verpflichtet gewesen, sodass es auf den Umstand, dass im Kalendereintrag vom 23.2.2023 nicht „ Ladung “ oder „ Verhandlungstermin “ zu lesen war, nicht ankommt.
2.2 Inwieweit in der aufgezeigten rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts eine von der Klägerin als gegeben erachtete Aktenwidrigkeit liegen soll, zeigt das Rechtsmittel nicht nachvollziehbar auf. Richtig ist, dass das Erstgericht auf Seite 3 der angefochtenen Entscheidung feststellte, dass am Kalender des Klagsvertreters am 23.2.2023 der Eintrag „ Verlegung auf einen bestimmten Termin,A*/B* AG, M* Landesg… “ ersichtlich war. Dass das Erstgericht auf Basis dieser Feststellung rechtlich zum Ergebnis gelangte, dass der Verhandlungstermin ohnedies im Kalender eingetragen war, ist keinesfalls aktenwidrig.
3. Rechtsrüge
3.1 In der Rechtsrüge im engeren Sinn hält die Klägerin an ihrer Argumentation fest, den Klagsvertreter treffe jedenfalls kein grobes Verschulden, weil er aufgrund des Eintrags „ Verlegung auf einem bestimmten Termin“ der Überzeugung gewesen sei, dass der ursprüngliche Termin an einem anderen Tag stattfinde. Abgesehen davon, dass das Erstgericht gar keine entsprechende Feststellung getroffen habe, sei es außerdem nicht richtig, dass ein abberaumter Termin im Kalender des Klagsvertreters automatisch gelöscht werde. Auch deshalb könne nicht auf ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des Klagsvertreters geschlossen werden. Schließlich vertritt die Klägerin unter Geltendmachung sekundärer Feststellungsmängel den Standpunkt, dass das Erstgericht folgende (ergänzende) Feststellungen treffen hätte müssen:
3.2 Bei den vermissten „Feststellungen“ 1) bis 4) handelt es sich in Wahrheit um rechtliche Beurteilungen, sodass das Erstgericht nicht verpflichtet war, entsprechende Feststellungen zu treffen. Die Behauptung, dass der ursprüngliche Kalendereintrag nicht automatisch gelöscht, sondern selbst bei einer Abberaumung oder Vertagung im Kalender des Klagevertreters als „ Ladung “ bestehen bleibe [2. Halbsatz der Feststellung 5) und Feststellung 6)] stellt eine Neuerung dar. Sie verstößt damit nicht nur gegen die Eventualmaxime, sondern auch gegen das im Rekursverfahren geltende Neuerungsverbot ( Zechner in Fasching/Konecny³, vor §§ 514 ff Rz 90). Auch auf eine Erfahrung des Klagsvertreters, wonach sämtliche Verhandlungen, ob sie nun erstmalig anberaumt sind oder auf einen gewissen Termin verlegt werden, mit „ Ladung “ im digitalen Kalender des Klagsvertreters angezeigt werden, berief sich die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren nicht. Damit handelt es sich auch bei den vermissten Feststellungen 7) und 8) um unzulässige Neuerungen.
3.3 Abgesehen davon kommt weder den vermissten Feststellungen rechtliche Bedeutung zu, noch wird der in der Rechtsrüge im engeren Sinn vertretene Standpunkt vom Rekurssenat geteilt.
3.3.1 Gemäß § 146 Abs 1 ZPO ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde, auf Antrag die Wiedereinsetzung zu bewilligen, sofern sie an der Versäumung kein oder nur ein geringfügiges Verschulden trifft. Die Prüfung dieser Voraussetzungen hat auf Basis der von der Partei behaupteten Umstände zu erfolgen (§ 149 Abs 1 ZPO). Die Unterlassung entsprechender Angaben kann nicht nachgetragen oder verbessert werden ( Klauser/Kodek , ZPO 18 , § 149 E 1).
3.3.2 Ein Ereignis ist nach der Lehre und der Rechtsprechung „unabwendbar“, wenn es auch mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht verhindert hätte werden können, auch wenn sein Eintritt vorhersehbar war. Bei der Prüfung der Unabwendbarkeit ist von einem objektiven Maßstab auszugehen. „Unvorhergesehen“ ist ein Ereignis, welches die Partei nicht einberechnet hat und dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte. Der Begriff ist daher im Sinn von subjektiv unverschuldet unvorhergesehen zu verstehen ( Gitschthaler in Rechberger/Klicka 5 § 146 Rz 2 und 3 mwN).
3.3.3 Nach den Antragsbehauptungen der Klägerin wurde im Kalender des vom Klagsvertreter verwendeten Mobiltelefons für den bzw. am 23.2.2023 der den gegenständlichen Rechtsstreit betreffende Eintrag „ Verlegung auf einen bestimmten Termin… “ angezeigt. Aufgrund dieses Kalendereintrags ging er davon aus, dass die Verhandlung vertagt wurde. Zu dieser Annahme gelangte der Klagsvertreter, weil der bezughabende Kalendereintrag das Wort „Verlegung“ beinhaltete und es in „Abgas-Parallelverfahren“ zu mehreren Verlegungen gekommen ist.
3.3.4 Ausgehend von diesen Behauptungen kann von einem unabwendbaren, also einem objektiv nicht verhinderbaren Ereignis keine Rede sein.
3.3.5 Selbst wenn man ein im Sinn der gesetzlichen Vorschriften maßgebliches (subjektiv) unvorhersehbares „Ereignis“ bejahen sollte, liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht vor. Obwohl die „neue“ Kanzleisoftware auch vom Mobiltelefon einen raschen Zugriff auf Akten und Ladungen ermöglicht, kann ausgehend von den Antragsbehauptungen nicht davon ausgegangen werden, dass der Klagsvertreter von dieser leichten Überprüfungsmöglichkeit Gebrauch machte. Hätte er dies getan, hätte er ohne Probleme erkennen können, dass die Ladung für die auf den 23.2.2023 verlegte Verhandlung unverändert aufrecht ist. Nach der Judikatur ist die Wiedereinsetzung aber zu verweigern, wenn die Versäumung durch ein der Partei zumutbares Verhalten hätte abgewendet werden können (RS0036778).
3.3.6 Zudem kommt, dass jeden Rechtsanwalt Überwachungs- und Kontrollpflichten treffen. Dazu zählt unter anderem die Schaffung eines Systems, um Termine, Fristen und den Abgang von fristgerechten Schriftsätzen organisieren und kontrollieren zu können ( Gitschthaler , aaO, § 146 Rz 21/3f). Im Wiedereinsetzungsantrag behauptete die Klägerin, dass die Mitarbeiterin des Klagsvertreters bereits seit Oktober (erkennbar) 2022 mit der Vervollständigung von Stammdaten sämtlicher Kanzleiakten beschäftigt war. Daraus ergibt sich, dass das „neue“ Programm in der Kanzlei des Klagsvertreters im Zeitpunkt der für 23.2.2023 anberaumten Verhandlung bereits seit mehreren Monaten verwendet wurde. Dem Klagsvertreter wäre daher genügend Zeit zur Verfügung gestanden, sich mit der in den Kalendereinträgen zum Ausdruck gebrachten Bezeichnungslogik der neuen Software zu beschäftigen. Nicht nur das gegenständliche Verfahren, sondern auch die Vielzahl der übrigen im Februar 2023 eingegangenen Verlegungen boten dem Klagsvertreter die Gelegenheit, sich mit der Terminologie der automatisch generierten Kalendereinträge auseinanderzusetzen. Dabei hätte der Klagsvertreter die nunmehr im Rekurs kritisierte missverständliche Bezeichnung ohne Probleme feststellten können. Zu dieser Kontrolle wäre er angesichts der ihm obliegenden Schaffung einer organisierten „Fristen- und Terminverwaltung“ auch verpflichtet gewesen. Davon, dass er diese Kontrolle selbst durchführte oder sie zumindest veranlasste, kann mangels erstinstanzlicher Behauptungen nicht ausgegangen werden. Dieser Umstand schließt die Entschuldbarkeit der Versäumung der Tagsatzung vom 23.2.2023 aus, weil diese ausgehend von den Antragsbehauptungen auf eine mangelhafte Organisation zurückzuführen ist, die grundsätzlich als grobe Schuldhaftigkeit zu beurteilen ist (6 Ob 66/17z; 3 Ob 175/03m).
3.3.7 Da es bei der Beurteilung der Unvorhersehbarkeit des zur Versäumung der Tagsatzung vom 23.2.2023 liegenden „Ereignisses“ auf einen subjektiven Maßstab ankommt, sind allfällige vom Klagsvertreter erst nach dem 23.2.2023 gewonnene Erkenntnisse, die Auffälligkeiten in der Bezeichnung von Kalendereinträgen betreffen, rechtlich nicht relevant. Auch vor diesem Hintergrund liegen die darauf abzielenden sekundären Feststellungsmängel nicht vor, weil solche nur dann gegeben sind, wenn das Erstgericht keine Feststellungen getroffen hat, die bei richtiger rechtlicher Beurteilung erheblich sind (RS0053317). Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Klagsvertreter in dem Fall, dass Kalendereinträge nach Abberaumungen und/oder Verlegungen nicht automatisch gelöscht werden, sondern mit dem ursprünglichen Eintrag erhalten bleiben, im Hinblick auf den tatsächlich bestehenden Kalendereintrag vom 23.2.2023 umso mehr verpflichtet gewesen wäre, sich durch Einsicht in den Akt Gewissheit über die von ihm bloß vermutete Verlegung zu verschaffen. Geradezu unerlässlich wäre die Überprüfung schließlich für den Fall, wenn man mit den Rekursausführungen unterstellt, dass Abberaumungen und Verlegungen nicht immer zum gleichen Anzeigeergebnis führen.
3.3.8 Im Hinblick auf den weiters geltend gemachten sekundären Feststellungsmangel, das Erstgericht habe nicht festgestellt, ob sich die Klägerin im konkreten Fall das Verhalten des Klagsvertreters zurechnen lassen müsse oder nicht, reicht es aus, auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts zu verweisen (§§ 526, 500a ZPO). Die Partei hat, soweit es den Rechtsvertreter und dessen Verschulden betrifft, die Handlungen (und Versäumnisse) ihres Vertreters grundsätzlich gegen sich gelten zu lassen und dessen Verschulden zu vertreten (RS0036729; RS0111777). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung war das Erstgericht nicht verpflichtet, (ergänzende) Feststellungen zur Zurechenbarkeit des Verhaltens des Klagsvertreters zu treffen, weil sich dieser auf die von der Klägerin erteilte Vollmacht berief. Im Übrigen stellen diese Rekursausführungen abermals unbeachtliche Neuerungen dar. Behauptungen dazu, dass und aus welchen Erwägungen die Klägerin sich das Verhalten des Klagsvertreter nicht zurechnen lassen müsste, wurden im Wiedereinsetzungsantrag nicht erhoben.
3.3.9 Da dem Wiedereinsetzungsantrag bereits aus diesen Erwägungen keine Berechtigung zuerkannt werden kann, war es nicht erforderlich, sich mit dem zweiten Begründungsstrang des Erstgerichts (Verletzung der Organistationsstruktur wegen telefonischer Nichterreichbarkeit des Klagsvertreters) auseinanderzusetzen.
4. Kostenrekurs
4.1 Mit ihrem Kostenrekurs macht die Klägerin geltend, dass die der Beklagten freigestellte Äußerung nur nach TP 2 zu entlohnen sei. Diesen Ausführungen ist beizupflichten.
4.2 Nach TP 2.I.1.e RATG sind alle Schriftsätze, die nicht in TP 1 oder 3 genannt sind, nach TP 2 zu honorieren. Unter TP 3 RATG fallen - soweit hier relevant - vorbereitende Schriftsätze, die nach § 257 Abs 3 ZPO zulässig sind oder vom Gericht aufgetragen werden.
4.3 Die hier zu beurteilende Äußerung fällt nicht unter § 257 Abs 3 ZPO. Sie wurde auch nicht aufgetragen, weil der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin der Beklagten lediglich zur „allfälligen Äußerung“ und damit ohne gerichtlichen Äußerungsauftrag zugestellt wurde. Deshalb ist der Schriftsatz der Beklagten nach TP 2 RATG zu entlohnen ( Obermaier , Kostenhandbuch³ Rz 1.317; siehe bereits RW0000639 und RW0000878).
4.4 Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für ein Unternehmen mit Sitz im Ausland, unterliegen nicht der österreichischen, sondern der ausländischen Umsatzsteuerregelung (RS0114955). Es ist gerichtsbekannt, dass die Umsatzsteuer in Deutschland - somit am Sitz der Beklagten - 19 % beträgt (5 Ob 193/22a; RS0114955 [T12]). Da die Klägerin bei der Ermittlung des der Beklagten ihrer Ansicht nach zustehenden Ersatzanspruchs eine 20 %-ige Umsatzsteuer berücksichtigte und nur der EUR 748,44 übersteigende Betrag vom Kostenrekurs erfasst war, konnte dieser Umstand vom Rekursgericht nicht berücksichtigt werden.
5. Ergebnis
5.1 Selbst wenn man die Versäumung der Tagsatzung als unvorhergesehenes Ereignis qualifiziert, wäre es dem Klagsvertreter zumutbar gewesen, dessen Eintritt zu verhindern. Zudem hat der Klagsvertreter wegen Verletzung von Kontrollpflichten für einen Sorgfaltsverstoß einzustehen, der den minderen Grad des Versehens übersteigt. Das Handeln des Klagsvertreters ist der Klägerin zuzurechnen. Damit musste der Rekurs in der Hauptsache erfolglos bleiben.
5.2 Dem Kostenrekurs war hingegen Folge zu geben und die angefochtene Kostenentscheidung dahin abzuändern, dass der Beklagten im Wiedereinsetzungsverfahren ein (gekürzter) Ersatz von EUR 748,44 zuerkannt wird.
6. Verfahrensrechtliches
6.1 Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 50, 41, 154 ZPO. Für den erfolgreichen Kostenrekurs gebühren der Klägerin nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats keine Kosten; die Kostenfrage hat im Sinne des § 54 Abs 2 JN in Verbindung mit § 4 RATG keinen Einfluss auf die Bemessungsgrundlage für den Rekurs und die Rekursbeantwortung (so auch RS0119892; RS0087844 [T4]). Auf die Rekursbeantwortung ist bereits die Zuschlags-Verordnung zum RATG (BGBl II Nr. 131/2023) anzuwenden. Damit hat die Beklagte Anspruch auf Ersatz der von ihr tarifmäßig verzeichneten Rechtsmittelgegenschrift (= EUR 2.186,86; darin 19 % USt).
6.2. In Bezug auf Spruchpunkt I folgt die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses aus § 528 Abs 2 Z 2 ZPO. Die Verweigerung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach ständiger Rechtsprechung nicht mit einer Zurückweisung der Klage gleichzuhalten (RS0044536 [T1, T4]).
6.3 In der Kostenfrage (Spruchpunkt II) ist der weitere Rechtszug an das Höchstgericht nach § 528 Abs 2 Z 3 ZPO unzulässig.