JudikaturOLG Innsbruck

3R17/23h – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
12. April 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Kohlegger als Vorsitzenden sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser und den Richter des Oberlandesgerichts MMag. Dr. Dobler als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden A* , geb am **, Rettungssanitäter, **, **, vertreten durch Summer Schertler Kaufmann Lerch Rechtsanwälte GmbH in Bregenz, gegen die beklagte Partei B* Limited, **, **, Zypern, vertreten durch Mag. Marcus Marakovics, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 15.290,-- sA, über den Zulassungsantrag der beklagten Partei gemäß § 508 Abs 1 ZPO vom 4.4.2023 in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Zulassungsantrag der beklagten Partei gemäß § 508 Abs 1 ZPO, ON 34, wird samt der ausgeführten ordentlichen Revision zurückgewiesen .

Die Zulassungswerberin hat die Kosten ihres Zulassungsantrags selbst zu tragen.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Begründung:

Text

1. Mit der dem vorliegenden Verfahren zugrundeliegenden Klage forderte der Kläger von der Beklagten jenen (saldierten) Gesamtverlustbetrag zurück, den er im Zeitraum von Februar bis April 2022 bei von ihr angebotenen Online-Glücksspielen erlitten hatte. Die Beklagte bot diese Spiele im genannten Zeitraum auch in Österreich an, ohne hiefür über eine Glücksspiellizenz nach dem österreichischen GSpG zu verfügen. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollumfänglich statt. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten gestützt auf die – umfangreiche – Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte, vor allem des Obersten Gerichtshofs, zu einer Vielzahl gleichgelagerter Sachverhalte keine Folge und erklärte aufgrund der einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu allen maßgeblichen Rechtsfragen die ordentliche Revision nicht für zulässig.

2. Gegen diesen Zulässigkeitsausspruch richtet sich nunmehr der rechtzeitige Zulassungsantrag der Beklagten gemäß § 508 Abs 1 ZPO mit dem Antrag, die ordentliche Revision doch für zulässig zu erklären. Dieser erweist sich jedoch aus nachstehenden Erwägungen als nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

3. Gemäß § 508 Abs 4 erster Satz zweiter Halbsatz ZPO genügt als Begründung für die Zurückweisung des Zulassungsantrags und der darin ausgeführten ordentlichen Revision der Hinweis auf die im Berufungsurteil nachzulesenden Erwägungen ( Lovrek in Fasching/Konecny ZPO³ § 508 Rz 12). Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Abänderung des Ausspruchs über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision jedoch auf seine Stichhaltigkeit hin, insbesondere auf die dort ausgeführte Frage, ob eine erhebliche Rechtsfrage in der von § 502 Abs 1 ZPO vorgegebenen Qualität vorliegt, zu prüfen (9 Ob 83/18y; 9 Ob 17/14m; 6 Ob 12/14d ErwGr 1.3.; RIS-Justiz RS0112166; RS0114180). Nach dem Wortlaut des Gesetzes (§ 502 Abs 1 ZPO) liegt eine solche aber nur dann vor, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit , Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist. Nur die tatsächliche Bejahung einer solcherart erheblichen Rechtsfrage soll (und darf) für eine Überwindung der in § 502 Abs 1 ZPO normierten Rechtsmittelbeschränkung ausreichen (RIS-Justiz RS0112166 [T5]). Daher hat sich die Begründung des Antrags auf nachträgliche Zulassung der ordentlichen Revision gemäß § 508 Abs 1 ZPO inhaltlich mit der Zulassungsbeschwerde gemäß § 506 Abs 1 Z 5 ZPO bei der ao Revision zu decken (RIS-Justiz RS0110049 [T1]). Die für die Revisionszulässigkeit maßgebende Erheblichkeit der Rechtsfragen bestimmt sich nach objektiven Umständen. Hat das Berufungsgericht im Sinn einer einheitlichen und von der Lehre anerkannten Rechtsprechung entschieden, dann kann die Zulässigkeit der Revision nur mit neuen bedeutsamen Argumenten begründet werden. Entscheidend ist, ob ein Rechtsproblem potentiell auch andere Personen und vergleichbare Fälle berühren könnte. Die Kasuistik des Einzelfalls schließt in der Regel eine beispielgebende Entscheidung aus (RIS-Justiz RS0042405). Auch die bloße Vertretbarkeit einer anderen Lösung begründet noch keine erhebliche Rechtsfrage; andernfalls müsste der Oberste Gerichtshof in jedem derartigen Fall die Sachentscheidung treffen, was dem Willen des Gesetzgebers widerspräche (4 Ob 84/13a; RIS-Justiz RS0114180 [T5]). Eröffnet eine bereits vorhandene Grundsatzjudikatur des Obersten Gerichtshofs einen Wertungsspielraum, so darf das Berufungsgericht einen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision nur dann nachträglich abändern, wenn es zur Überzeugung gelangt, dass ihm bei der Würdigung des Anlassfalls eine erhebliche Fehlbeurteilung unterlaufen ist (1 Ob 221/03m; RIS-Justiz RS0114180 [T4]). Ausgehend von dieser Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vermag der Zulassungsantrag keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, sodass er zurückzuweisen ist:

4.1. Die Beklagte argumentiert – wie bereits in ihrer Berufung – zunächst mit § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB und § 52 Abs 5 GSpG. Der Kläger habe durch seine Teilnahme an den von der Beklagten konzessionslos angebotenen Online-Glücksspielen selbst einen Verstoß gegen einen Verwaltungsstraftatbestand, nämlich § 52 Abs 5 GSpG, zu verantworten. Nach § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB könne er aber nicht zurückfordern, was er selbst wissentlich zur Bewirkung einer unerlaubten Handlung gegeben habe. Die gegenteilige Rechtsprechung sowohl des Obersten Gerichtshofs als auch des Berufungsgerichts sei verfehlt, weil sich seit der Entscheidung 5 Ob 506/96, auf der diese verfehlte Rechtsansicht beruhe, die Rechtslage insofern geändert habe, als nunmehr – anders als damals – nicht mehr nur das konzessionslose Veranstalten der elektronischen Lotterie, sondern auch die Teilnahme daran strafbar sei. Eine aktuelle Rechtsprechung zu einer Konstellation wie der vorliegenden gäbe es nicht.

4.2. Zu diesen bereits im Verfahren erster Instanz und in der Berufung (insbes RMS 13 bis 20) vorgetragenen Argumenten hat das Rechtsmittelgericht in seiner dem nunmehrigen Antrag zugrundeliegenden Entscheidung vom 22.2.2023 unter ErwGr 4.2.ff ausführlich Stellung genommen und dort auch auf die aktuellsten Entscheidungen des Höchstgerichts in Verfahren mit gleichgelagerten Sachverhalten zu genau den von der Beklagten nunmehr neuerlich relevierten Fragen verwiesen. Es wird daher zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen Ausführungen verwiesen. Noch einmal in aller Kürze: § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB steht der Rückforderung der Spielverluste des Klägers nicht entgegen, weil die Leistung nicht „zur Bewirkung“ einer unerlaubten Handlung, sondern als „Einsatz“ erbracht wurde (für viele zuletzt: 7 Ob 102/22h Rz 4; 9 Ob 84/22a Rz 3; 9 Ob 54/22i Rz 12, 8 Ob 23/22y Rz 7 je mwN). Nach der Rechtsprechung des Höchstgerichts kommt es auch nicht darauf an, ob der Spieler durch die Teilnahme am verbotenen Spiel selbst einen Verwaltungsstraftatbestand (konkret § 52 Abs 5 GSpG) erfüllt (6 Ob 200/22p Rz 4; 9 Ob 54/22i Rz 14; 2 Ob 171/22v Rz 2). Auch dass der Kläger (allein) nach den Prozessbehauptungen der Beklagten – entsprechende Tatsachenfeststellungen sind im erstgerichtlichen Urteil ohnehin nicht enthalten, sondern steht vielmehr fest, der Kläger sei nicht darüber informiert gewesen , dass die Beklagte in Österreich über keine Spielkonzession verfüge (die Beklagte weicht hier also in ihrer Argumentation von den bindenden Sachverhaltsfeststellungen ab) – „wissentlich“ Einsätze geleistet haben soll, um an den von der Beklagten in Österreich konzessionslos angebotenen Glücksspielen teilzunehmen, kann seinem Rückforderungsanspruch nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht entgegenstehen (6 Ob 200/22p Rz 3; 6 Ob 229/21a Rz 23 mwN). Wie diese Judikaturzitate belegen, konnte sich das Rechtsmittelgericht daher bei seiner Entscheidung nicht nur auf eine ständige, einheitliche und – entgegen der Ansicht der Zulassungswerberin – auch „einschlägige“, sondern vor allem auf „höchst“ aktuelle Judikatur des Obersten Gerichtshofs stützen; eine Rechtsfrage in der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität liegt daher nicht vor.

5.1. Weiter führt die Beklagte – wie ebenfalls bereits im Verfahren erster Instanz und in der Berufung – unter Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ins Treffen, die Gerichte hätten die Unionsrechtskonformität einer nationalen Regelung eigenständig zu prüfen und könnten sich nicht auf Entscheidungen höherer Gerichte berufen. Auch auf diese Argumentation ist das Berufungsgericht in der Entscheidung vom 22.2.2023 bereits ausführlich eingegangen, zumal die Zulassungswerberin in ihrer Berufung sowohl unter dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung als auch jenem der Mangelhaftigkeit des Verfahrens das Fehlen von Feststellungen zum Thema Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols bemängelt und den Verweis auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung als unzureichend moniert hatte. Es genügt daher ein Verweis auf die dortigen Ausführungen des Berufungsgerichts insbesondere unter den ErwGr 3.2.ff. Kurz zusammengefasst gilt: Die österreichischen Höchstgerichte und insbesondere der Oberste Gerichtshof beurteilten das österreichische Glücksspielmonopol in den letzten Jahren – auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten zitierten Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union – in unzähligen Entscheidung nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt als unionsrechtskonform (9 Ob 25/22z; 6 Ob 8/22b;  7 Ob 213/21f; 3 Ob 200/21i; 3 Ob 72/21s; 3 Ob 106/21s; 5 Ob 30/21d; 9 Ob 20/21p uva). In seiner Entscheidung vom 6.12.2022 zu 6 Ob 200/22p führte der Oberste Gerichtshof zuletzt – unter Verweis auf weitere aktuelle Entscheidungen anderer Senate des Obersten Gerichtshofs – aus wie folgt: „Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entspricht das im Glücksspielgesetz normierte Monopol- bzw Konzessionssystem bei Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen auf dem Glücksspielmarkt allen vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts“ (zuletzt auch 1 Ob 25/23t; 2 Ob 23/23f). Die Beklagte vermag nach wie vor keine neuen, nicht ohnehin bereits in ihrer Berufung vorgetragenen und vom Rechtsmittelgericht in der zitierten Entscheidung berücksichtigten Argumente aufzuzeigen, die geeignet wären, die auch in diesem Punkt „ höchst“ aktuelle Judikatur des Obersten Gerichtshofs, in der die Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielmonopols im verfahrensrelevanten Zeitraum ausdrücklich bejaht wird, zu entkräften.

6. Insgesamt gelingt es dem Zulassungsantrag daher nicht, erhebliche Rechtsfragen in der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität aufzuzeigen, weshalb sich der erkennende Senat nicht veranlasst sieht, den seinerzeitigen Zulassungsausspruch zu revidieren. Der Zulassungsantrag ist daher zusammen mit der ausgeführten ordentlichen Revision zurückzuweisen (§ 508 Abs 4 ZPO).

7. Ein Kostenersatzanspruch kommt der erfolglosen Zulassungswerberin nicht zu (§§ 50, 40, 41 Abs 1 ZPO).

8. Die absolute Unzulässigkeit eines weiteren Rechtszugs ergibt sich aus § 508 Abs 4 zweiter Satz ZPO.

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