2R113/21s – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Ulrich Heller als Vorsitzenden sowie die Richterin des Oberlandesgerichtes Dr. Birgit Berchtold und den Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Thomas Rath als weitere Mitglieder des Senates in der Rechtssache der klagenden Partei A* , ** B*, **straße **, vertreten durch Aigner Rechtsanwalts-GmbH in 1010 Wien, gegen die beklagte Partei Dr. C* D* , derzeit in U Haft p.A. der E* F*-G*, ** G*, **, Deutschland, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, wegen EUR 18.105,72 s.A. über den Rekurs der beklagten Partei (Rekursinteresse EUR 18.105,72 s.A.) gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 10.6.2021, 41 Cg 116/20g 19, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Dem Rekurs wird k e i n e Folge gegeben.
Text
BEGRÜNDUNG:
Die Klägerin erwarb in mehreren Tranchen um insgesamt EUR 18.105,72 Aktien der H* AG (ISIN: **). Über das Vermögen dieser Gesellschaft, die ihren Sitz in Deutschland hatte, wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Der Beklagte - ein österreichischer Staatsbürger - war bis 19.6.2020 Vorstandsvorsitzender der H* AG. Wegen der sogenannten H*-Affäre befindet er sich seit 22.7.2020 in Untersuchungshaft in der E* F*-G*.
Im Zentralen Melderegister ist der Beklagte mit Hauptwohnsitz unter der Anschrift **weg **, ** I*, gemeldet. Laut Grundbuchsauszug vom 21.4.2021 ist der Beklagte auf Grund eines Kaufvertrages vom 12.3.2013 grundbücherlicher Eigentümer dieser Liegenschaft. Im B Blatt ist als Adresse des Beklagten **gasse **, ** B*, eingetragen. Unter dieser Anschrift sind seine Gattin und die Tochter des Beklagten mit Hauptwohnsitz gemeldet und auch tatsächlich wohnhaft.
2016 oder 2017 erwarben der Beklagte und seine Gattin unter der Adresse **straße ** in ** N* eine Wohnung, die in seinem Miteigentum stand.
Die H* AG hat(te) in Österreich keine Zweigniederlassungen. In B* und J* existier(t)en zwei „Töchterunternehmen“.
Wegen der H*-Affäre wurde in Deutschland beim Landgericht München I ein Musterverfahrensantrag nach § 2 des dKapMuG gestellt. Das Verfahren wurde von der dortigen Klägerin mit Klageerweiterung vom 30.6.2020 (auch) gegen den Beklagten initiiert. In der Klage werden dem Beklagten rechtswidrige und schuldhafte Handlungen zur Last gelegt, die zum Teil auch dem gegenständlichen Verfahren zu Grunde liegen [(angeblich) unzutreffende Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der H* AG; (angebliche) Kenntnis des Beklagten von solchen Bilanzmanipulationen].
Im Zeitraum 1998 bis 2006 lebte der Beklagte nur in N*. Im Jahr 2006 kaufte er das Haus in der **gasse ** in ** B*. Dort waren sowohl er als auch seine Gattin O* D* mit Hauptwohnsitz gemeldet. Nach dem Erwerb der Liegenschaft in I* meldeten sich der Beklagte und seine Gattin mit Hauptwohnsitz in I* an.
Ab 2013 bis zu seiner Inhaftierung vom 22.6.2020 hielt sich der Beklagte grundsätzlich von Montag bis Donnerstag in N* auf, wo er zunächst in einer Mietwohnung (**straße) und - ab dem Erwerb - in der Eigentumswohnung (**straße) wohnte. Ob der Beklagte in den „N* Wohnungen“ polizeilich gemeldet war, steht nicht fest. Am Donnerstag wechselte er dann nach Österreich. Im Zeitraum Ende Dezember bis Ostern eines jeden Jahres (Ende der Schisaison) fuhr er grundsätzlich nach I*. In der übrigen Zeit des Jahres fuhr er entweder nach B* oder nach I*. Am Montag reiste er dann wieder nach N*.
Auch an den Tagen, an denen er sich in I* oder B* aufhielt, stand er laufend mit dem Büro der H* AG in N* in Verbindung und kümmerte sich um berufliche Angelegenheiten. Im Haus in I* hatte er kein eigenes Arbeitszimmer. Das Haus in B* verfügte über einen eigenen Arbeitsbereich.
Bis zur Geburt der Tochter pendelte seine Gattin häufig mit dem Beklagten zwischenI I*/B* und N*. Nach der Geburt der Tochter meldete sich die Gattin des Beklagten mit Hauptwohnsitz in B* an, weil sie mit dem Kind das Haus in der **gasse bevorzugte. Dass der Beklagte weiterhin mit Hauptwohnsitz in I* gemeldet blieb, war darauf zurückzuführen, dass er die Ummeldung vergaß. Tatsächlich hielt er sich im Haus in I* ab dem Jahr 2018 nur mehr sporadisch und dies primär zu Urlaubszeiten auf. Auch für die Zukunft beabsichtigte er, sich primär zu Erholungszwecken in I* aufzuhalten.
Mit der Absicht, sich den Sicherheitsbehörden zu stellen, fuhr der Beklagte von B* nach N*. Am 22.6.2020 suchte er zu diesem Zweck eine Polizeiinspektion auf, die ihn verhaftete. Nach Zahlung einer Kaution wurde er am 23.6.2020 wieder aus der Haft entlassen. Ihm wurde die Auflage erteilt, sich wöchentlich bei einer Polizeidienststelle zu melden. Ein Ausreiseverbot wurde nicht ausgesprochen. Ob er auch verpflichtet wurde, einen Wechsel seiner Anschrift bekannt zu geben, steht nicht fest. Der Staatsanwaltschaft München waren die Anschriften seiner Liegenschaften in N*, B* und I* bekannt. Der Beklagte hegte zu dieser Zeit keine Umzugspläne. Er wollte seinen Lebensrhythmus (grundsätzlich Montag bis Donnerstag in N*; Donnerstag bis Sonntag in B*) beibehalten. Tatsächlich pendelte er auch bis zu seiner neuerlichen Verhaftung am 22.7.2020 zwischen N* und B*. Dabei hielt er sich zumindest von Montag bis Mittwoch in N* auf. Er fuhr in dieser Zeit nach N*, um - wie bisher - beruflichen Aufgaben nachzukommen und seine Meldepflicht zu erfüllen.
Jedenfalls seit 2018 waren die Treffen, die der Beklagte (und seine Gattin) in B* und I* pflegten, ganz überwiegend privater Natur. In N* kannte der Beklagte viele Personen. Gelegentlich ging er auch dort privaten sozialen Kontakten nach. Hauptsächlich kümmerte er sich ab der Geburt seiner Tochter während seiner „N*-Tage“ aber um berufliche Themen. Er arbeitete häufig bis spät in die Nacht. Auf die „B*-Tage“ fielen zwischen 10 bis 20 % des vom Beklagten für die H* AG zu erledigenden Arbeitspensums.
Ob der Beklagte Räumlichkeiten der H* K* Europe GmbH, einer in B* sitzenden Tochtergesellschaft der H* AG, nützte, steht nicht fest. Mit der Geschäftsführung der H* K* Europe GmbH hatte er aber insofern Kontakt, als ihm von dort in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der H* AG regelmäßig Bericht erstattet wurde.
Neben seiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender war (und ist) der Beklagte Geschäftsführer der L* M* (HRB ** AG N*) mit Sitz in N*. Über diese Gesellschaft hält und verwaltete und verwaltet der Beklagte seine „H*-Aktien“.
Mit Ausnahme der L* M* und der H* AG war der Beklagte - jedenfalls ab 2018 - in keinem anderen Unternehmen operativ tätig. Seit 2017 war er ehrenamtliches Mitglied der vom Bundeskanzleramt Österreich eingerichteten „Stabstelle für Strategie, Analyse und Planung“ („P*“) unter der Leitung von Bundeskanzler Q*. Zudem arbeitete er als Berater für die R* mit Fokus auf das digitale Bankgeschäft.
Von diesem Sachverhalt ist im Rekursverfahren auszugehen.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten Zahlung von EUR 18.105,72 s.A. Zug um Zug gegen Übergabe von 100 Stück Aktien der H* AG sowie Übertragung der von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche aus dem Insolvenzverfahren am Amtsgericht München (1542 In 1308/20).
Die Klägerin habe nahezu einen Totalverlust der von ihr erworbenen Aktien erlitten, dies auf Grund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der H* AG. Der Erwerb der streitgegenständlichen Aktien sei jeweils zu einem weit überhöhten Preis erfolgt. Die Bilanzkennzahlen der H* AG seien seit mehreren Jahren unrichtig und zeichneten ein weitaus besseres Bild der Vermögensverhältnisse und des Geschäftsgangs der Gesellschaft als es den tatsächlichen Verhältnissen entsprochen habe. Auf Grund der falschen Information sei dem Unternehmen vom Markt ein viel zu hoher Preis zugeschrieben worden. Die nunmehrige Insolvenz sei unmittelbar auf die falschen Informationen zurückzuführen. Das Anlegerpublikum, darunter die Klägerin, sei mit falschen Zahlen über den wahren Wert des Unternehmens und damit der Aktien getäuscht worden. Die Klägerin habe einen Schaden erlitten, für den der Beklagte aus den in der Klage zu Punkt 4. (S 7 ff) näher darlegten Gründen (§ 500a ZPO) zu haften habe.
Zur Zuständigkeit brachte die Klägerin vor, dass der Beklagte seinen Wohnsitz im Sprengel des angerufenen Gerichts habe. Dass der Beklagte sich zur Zeit in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt F*-G* befinde, ändere nichts an seinem allgemeinen Gerichtsstand im Sprengel des angerufenen Gerichts. Der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten im Sinne des Art 4 EuGVVO bestimme sich bei natürlichen Personen ausschließlich nach deren Wohnsitz, auf den gewöhnlichen Aufenthalt komme es hingegen nicht an. Der Wohnsitz einer natürlichen Person werde in der EuGVVO nicht gemeinschaftltsrechtlich autonom definiert, gemäß Art 62 EuGVVO sei auf die nationalen Bestimmungen des Gerichtsstaates, hier die §§ 66 ff JN abzustellen. Für die Begründung eines Wohnsitzes komme es neben dem tatsächlichen Aufenthalt an einem bestimmten Ort auch auf den subjektiven Moment, nämlich die Absicht an, diesen Ort zum faktischen Mittelpunkt des Lebens zu machen. Im Falle mehrerer Wohnsitze stehe es dem Kläger gemäß § 66 Abs 3 JN frei, bei welchem der zuständigen Gerichte er die Klage erheben wolle. Im vorliegenden Fall habe der Beklagte einen Wohnsitz sowohl in I* als auch in B*. Der Beklagte sei mit Hauptwohnsitz in I* gemeldet, er habe dieses Haus in den letzten Jahren regelmäßig zu Urlaubszwecken benützt und plane dies auch nach Aufhebung der Untersuchungshaft so weiter zu führen. B* sei der Mittelpunkt der privaten Interessen des Beklagten, er nutze dieses Haus jedoch auch zu beruflichen Zwecken. (Zumindest) seit Juni 2018 liege der Lebensmittelpunkt des Beklagten auch in B*. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Beklagte seinen „beruflichen Wohnsitz“ in Deutschland gehabt hätte (was bestritten werde), ändere dies nichts, da das Bestehen von Mehrfachwohnsitzen (auch in verschiedenen Staaten) möglich sei und der Wohnsitz im Gerichtsstaat in solchen Fällen jedenfalls vorgehe. Der Aufenthalt in der E* sei kein Wohnsitz, hiefür sei Voraussetzung, dass dieser freiwillig begründet werde. Die internationale Zuständigkeit sei daher gemäß Art 4 Abs 1 EuGVVO gegeben.
Der Beklagte wendete internationale und örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes ein. Er brachte dazu zusammengefasst vor, dass seine privaten Interessen seit Juni 2018, der Geburt seiner Tochter, überwiegend in B* und lediglich nachrangig in I* lägen. Seit Juni 2018 bis zu seiner Verhaftung Ende Juli 2020 habe sich der Beklagte außerhalb von Urlaubszeiten in der Regel an 3 bis 4 Tagen pro Woche in B* teils zu beruflichen, vor allem zu privaten Zwecken aufgehalten und plane dies auch nach Aufhebung der Untersuchungshaft so weiter zu führen.
Die beruflichen (als vormaliger Vorstandsvorsitzender der H* AG) und wirtschaftlichen Interessen des Beklagten seien hingegen bis 18.6.2020 in N* gelegen. Seine wirtschaftlichen Interessen seien bis Anfang Juli 2020 am Sitz der S* M* in ** bei N* gelegen. Die beruflichen und wirtschaftlichen Interessen würden seit Juni 2020 insbesondere auch die Aufarbeitung des Sachverhaltes im Zusammenhang mit den bei der H* AG hervorgekommenen Malversationen und die Abwehr vom gegen ihn in Deutschland gerichteten Forderungen sowie die Verteidigung gegen die erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe umfassen. Zum Zeitpunkt der Klagseinbringung sei der Beklagte bereits seit über 4 Monaten in Untersuchungshaft in Deutschland gewesen. Der Wohnsitz einer natürlichen Person werde in der EuGVVO nicht gemeinschaftsrechtlich autonom definiert, sondern Art 59 EuGVVO enthalte in Abs 1 eine Verweisungsnorm zur Bestimmung des Wohnsitzes im Gerichtsstaat und in Abs 2 für den Wohnsitz in einem anderen Mitgliedsstaat. Die Beurteilung, ob ein Wohnsitz des Beklagten in Österreich gelegen sei, richte sich daher nach §§ 66 ff JN. Die Verhängung der Untersuchungshaft in Deutschland bewirke ein den Wohnsitz in Deutschland begründendes Element. Dies entspreche auch dem Ziel des Rechtsschutzes der EuGVVO, wonach verlangt werde, dass ein normal informierter Beklagter vernünftigerweise voraussehen könne, vor welchem anderen Gericht als dem seines Wohnsitzstaates er verklagt werden könne. Im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit in Deutschland habe der Beklagte davon ausgehen können, dass er gegebenenfalls nur vor deutschen Gerichten in Anspruch genommen werde. Auf Grund des Umstandes, dass die österreichische Rechtsvertretung noch keine Möglichkeit gehabt habe, sich mit dem in Untersuchungshaft befindlichen Beklagten persönlich auszutauschen, sei auch auf Art 6 EMRK Bedacht zu nehmen. Seit Juli 2020 sei der Beklagte in Untersuchungshaft, es könne daher kein Wohnsitz in Österreich mehr bestehen; hinzukomme, dass die Untersuchungshaft nunmehr bereits fast 8 Monate andauere und daher nicht bloß vorübergehend sei.
Das Erstgericht verwarf, gestützt auf den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt, die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit, stellte fest, dass das Landesgericht Innsbruck zur Entscheidung örtlich unzuständig sei und überwies die Rechtssache über Antrag der klagenden Partei gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
In der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht zusammengefasst aus, dass nach Art 4 EuGVVO (2012) Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedsstaats zu verklagen seien. Für die Beurteilung, ob der Beklagte (auch) in Österreich einen Wohnsitz habe, sei nach Art 62 EuGVVO das Recht des angerufenen Gerichtes, sohin österreichisches Recht anzuwenden. § 66 Abs 1 JN definiere den Wohnsitz einer Person an jenem Ort, an dem diese sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen habe, dort ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Der Beklagte habe nach den Feststellungen in N* und B*, nicht aber in I* einen Wohnsitz im Sinne des § 66 Abs 1 JN, da er das Haus in I* seit 2018 nur mehr selten nutze. Daran ändere auch die Verhängung der Untersuchungshaft über den Beklagten nichts, weil es an dem für die wirksame Begründung und Aufgabe eines Wohnsitzes erklärten Willen der betroffenen Person mangle. Der Beklagte müsse sich aktuell dauerhaft in F* aufhalten, damit habe er an diesem Ort aber keinen Wohnsitz im Sinne des Art 62 EuGVVO bzw. § 66 Abs 1 JN. Auch wenn § 66 Abs 1 JN neben der Freiwilligkeit auch die Erlaubtheit des Aufenthaltes voraussetze, sei der Beklagte zwar derzeit faktisch auf Grund seiner Inhaftierung an der Einreise nach Österreich gehindert, auf Grund seiner Staatsbürgerschaft würde er sich aber bei einer Einreise auch aktuell nicht unerlaubt in Österreich aufhalten. Es sei daher im Ergebnis die Einrede der fehlenden internationalen Zuständigkeit zu verwerfen, die örtliche Unzuständigkeit des Landesgerichtes Innsbruck auszusprechen und die Rechtssache gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu überweisen.
Ausschließlich gegen die Verwerfung der Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit richtet sich der Rekurs des Beklagten , verbunden mit einem Antrag auf Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof. Unter Ausführung einer Rechtsrüge beantragte der Beklagte die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, dass die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurückgewiesen werde, hilfsweise beantragte er die Aufhebung und Zurückverweisung an das Erstgericht.
Die Klägerin beantragte in ihrer fristgerecht erstatteten Rekursbeantwortung, dem Rekurs keine Folge zu geben und führte aus, dass dem Antrag auf Vorabentscheidung durch den EuGH keine Berechtigung zukomme und dieser nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt, der Antrag auf Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens an den Europäischen Gerichtshofs ist zurückzuweisen :
1. Nach Art 4 Abs 1 EuGVVO 2012 sind - vorbehaltlich abweichender Vorschriften in dieser Verordnung - Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedsstaats zu verklagen ( Klauser/Kodek JN-ZPO 18 EuGVVO [2012] Art 4 E 1, 2).
Dem Wohnsitz kommt in der EuGVVO große Bedeutung zu, bei physischen Personen bestimmt sich der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten danach, in welchem Mitglieds- bzw. Vertragsstaat der Beklagte seinen Wohnsitz hat ( Simotta in Fasching/Konecny 3 § 66 JN Rz 34, 35). In Art 62 EuGVVO 2012 wird geregelt, wie der Wohnsitz zu bestimmen ist. Die Bestimmung verweist hinsichtlich des Wohnsitzbegriffes auf das nationale Recht. Der Begriff des Wohnsitzes richtet sich immer nach dem Recht des Staates, in dem er gelegen sein soll. Geht es darum, ob der Beklagte - wie hier - einen Wohnsitz im Gerichtsstaat hat (zB in Österreich), dann bestimmt sich der Begriff des Wohnsitzes nach dem Recht des Gerichtsstaates (lex fori), d.h. im vorliegenden Fall nach österreichischem Recht (§ 66 Abs 1 JN). Hat der Beklagte jedoch keinen Wohnsitz im Gerichtsstaat und geht es darum, ob er nicht in einem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat (zB in Deutschland) seinen Wohnsitz hat, dann ist das Recht jenes Staates anzuwenden, in dem der Wohnsitz des Beklagten gelegen sein soll, das wäre im vorliegenden Fall deutsches Recht (vgl. Simotta in Fasching/Konecny 3 § 66 JN Rz 38).
2.1. Der Wohnsitz einer Person wird gemäß § 66 Abs 1 JN an dem Ort begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, dort ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Der Wohnsitz unterscheidet sich vom Aufenthaltsort im Sinne des § 66 Abs 2 JN dadurch, dass über den faktischen Aufenthalt hinaus auch die Absicht bestehen muss, den Ort auf Dauer zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt des Lebens und der geregelten Tätigkeit zu machen; durch dieses letztere Moment unterscheidet sich der Wohnsitz auch vom dauernden Aufenthalt, da dieser wohl den faktischen Aufenthalt und dessen Dauer, nicht aber die Absicht erfordert, diesen Zustand aufrecht zu erhalten. Daher kann ein dauernder Aufenthalt wohl durch den Aufenthalt in einem Spital, einer Kuranstalt oder einem Rehabilitationszentrum, in langer Haft oder in Gefangenheit entstehen, ohne dass hiedurch ein Wohnsitz begründet wird ( Simotta in Fasching/Konecny 3 § 66 JN Rz 4).
Von einem Wohnsitz kann nur dann die Rede sein, wenn neben dem körperlichen Moment des tatsächlichen Aufenthaltes an einem bestimmten Ort das Willensmoment der erweislichen Absicht, dort einen bleibenden Aufenthalt zu nehmen, nach außen hin erkennbar wird.
2.2. Auch ein Mehrfachwohnsitz ist möglich, wobei für die Frage der Begründung eines - zweiten - Wohnsitzes nicht allein die Dauer der Aufenthalte ausschlaggebend ist, sondern vor allem auch, ob Umstände vorliegen, die eine dauernde Beziehung zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen (5 Ob 235/03z; 8 Ob 225/01y; RS0046692, RS0046688, RS0046667). Reisen und längere geschäftliche oder dienstliche Aufenthalte an anderen Orten vermögen den einmal begründeten Wohnsitz nicht zu beenden, solange die - sich aus den Umständen des Einzelfalls allenfalls auch schlüssig ergebende - Absicht fortbesteht, am bisherigen Ort den bleibenden Aufenthalt weiterhin bestehen zu lassen (5 Ob 235/03z; 4 Ob 60/98x). Für die Begründung eines Wohnsitzes ist ein ununterbrochener Aufenthalt an diesem Ort nicht erforderlich. Selbst bei kurzer Dauer des Aufenthaltes kommt es darauf an, ob Umstände vorliegen, die eine dauernde Beziehung zwischen der Person und ihrem Aufenthalt anzeigen (5 Ob 235/03z; vgl. 10 ObS 58/92). Selbst die Begründung eines neuen Wohnsitzes hat nicht zwingend die Aufgabe des alten zur Folge, es können vielmehr auch zwei oder mehrere Wohnsitze (teils im Inland, teils im Ausland) nebeneinander bestehen (9 Ob 22/00a; 5 Ob 235/03z mwN). Ein Mehrfachwohnsitz ist möglich, wenn die Absicht besteht, mehrere Orte zum jeweiligen Mittelpunkt der Lebensführung zu machen (RS0046688).
Selbst ein jahrelanger Aufenthalt im Ausland lässt insbesondere dann nicht zwingend auf die Aufgabe des Wohnsitzes in Österreich schließen, wenn der Auslandsaufenthalt unmittelbar durch eine berufliche Tätigkeit bedingt war.
2.3. Wesentlich für das Bestehen eines Wohnsitzes gemäß § 66 Abs 1 JN ist daher, ob Umstände vorliegen, die eine dauernde Beziehung zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen; entscheidend ist, dass der Aufenthaltsort bewusst zum wirtschaftlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Mittelpunkt gemacht wird (RS0046688 [T3]).
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben: Der Beklagte hat seinen privaten Lebensmittelpunkt in B*, wo seine Ehegattin und Tochter leben, B* ist das Zentrum seines Privatlebens, hier lebt seine Familie und hier unterhält der Beklagte primär seine sozialen Kontakte (vgl. Beschluss ON 19, Rz 20.1). Darüber hinaus erledigt er aber auch 10 bis 20 % seines für die H* AG zu erledigenden Arbeitspensums während der Aufenthalte in B* (Beschluss ON 19 Rz 14). Auch für die Zukunft hat der Beklagte keine Umzugspläne, sondern beabsichtigt, seinen Lebensrhythmus (grundsätzlich Montag bis Donnerstag in N*; Donnerstag bis Sonntag in B*) beizubehalten.
Da nach der Rechtsprechung ein Wohnsitz auch bei jahrelangem Aufenthalt im Ausland weiterhin aufrecht erhalten bleiben kann, wenn die Absicht besteht, die bisherige Wohnung als Wohngelegenheit zu nutzen (RS0046667), kann auch im vorliegenden Fall kein Zweifel bestehen, dass der Wohnsitz in B* - trotz der derzeitigen Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt in Deutschland - weiterhin aufrecht besteht und vom Beklagten nicht aufgegeben wurde.
3. Ob (auch) der derzeitige Aufenthalt des Beklagten einen „Wohnsitz“ zu begründen vermag, braucht nicht erörtert zu werden, weil bei einem Wohnsitz sowohl im Gerichtsstaat als auch in einem anderen Vertragsstaat der Wohnsitz im Gerichtsstaat vorgeht (RS0113225; Klauser/Kodek , JN-ZPO 18 EuGVVO 2012 Art 4 E 6; Art 62 E 3).
4. Inwieweit der Beklagte durch Bejahung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte in Österreich in seinem Recht auf ein faires Verfahren gemäß § Art 6 EMRK verletzt sein sollte, erschließt sich dem Rekursgericht nicht:
Nach Art 6 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache vor einem Gericht in billiger Weise gehört wird. Damit ein Verfahren fair ist, müssen die Parteien insbesondere über das Recht auf Gehör und damit über die Möglichkeit verfügen, ihren Rechtsstandpunkt zu vertreten, eigene Tatsachenbehauptungen und Beweise vorzubringen sowie auf die Vorbringen des Verfahrensgegners zu reagieren. Ein unumschränktes Recht auf persönliche Anhörung garantiert Art 6 EMRK hingegen für Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche, in denen die Interessenwahrnehmung im Anwaltsprozess durch Parteienvertreter und im schriftlichen Verfahren durch die Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme erfolgt, nicht. (vgl Klaushofer in Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayr, Handbuch der Grundrechte² VII/1 S 707).
Der Beklagte ist anwaltlich vertreten, auch ist seine Vernehmung im Wege der Videokonferenz möglich, wie dies das Erstgericht ohnedies vorgenommen hat. Dass eine Kontaktaufnahme einer in Haft befindlichen Partei mit ihrem Anwalt grundsätzlich einen größeren Aufwand erfordert, liegt in der Natur der Sache. Folgte man aber der Argumentation des Beklagten, so könnte ein Zivilprozess gegen einen inhaftierten Beklagten grundsätzlich nicht geführt werden, dies unabhängig davon, wo sich der Beklagte in Haft befindet. Es zeigt im Übrigen der bisherige Verlauf des Verfahrens, dass es dem Beklagten nicht nur möglich war, einen Anwalt zu beauftragen, sondern auch, seine (österreichische) Rechtsvertretung zu wechseln und ganz offensichtlich auch, mit dieser zur Informationsaufnahme in Kontakt zu treten, wie aus dem Inhalt der Schriftsätze zu ersehen ist.
5. Eine Entscheidungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs besteht nicht, da im vorliegenden Fall die Beurteilung, ob der Beklagte über einen Wohnsitz in Österreich verfügt, ausschließlich nach der Bestimmung des § 66 JN zu erfolgen hat. Damit fehlt die Grundlage für ein Vorabentscheidungsverfahren.
Da einer Partei kein Antragsrecht betreffend die Einholung einer Vorabentscheidung zusteht, kann sie der Verfahrenseinleitung nur anregen (RS0058452). Der Antrag auf Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens war daher zurückzuweisen (7 Ob 64/14h; 8 ObA 28/15y; 3 Ob 129/15i; 5 Ob 126/15p uva).
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens basiert auf §§ 50, 41 ZPO.
Der Revisionsrekurs ist nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig.