114Ds1/17x – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Hoffmann als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Purtscheller und die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Brandstätter als weitere Mitglieder des Senats in der Disziplinarsache gegen den Vizepräsidenten des Landesgerichts ***** Dr. ***** nach der in Anwesenheit der Schriftführerin Rp. Dr. Karin Seyfried, des Ersten Oberstaatsanwalts Mag. Freyschlag, des Disziplinarbeschuldigten Dr. ***** und seines Verteidigers Senatspräsident des Oberlandesgerichts ***** Dr. ***** durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung am 14.5.2018 zu Recht erkannt:
Spruch
Dr. ***** ist
s c h u l d i g ,
er hat sich außerhalb des Dienstes mehrfach so verhalten, dass das Vertrauen in die Rechtspflege sowie das Ansehen des Berufsstands gefährdet wird, sohin eine Verletzung der Standespflichten nach § 57 Abs 3 RStDG schuldhaft begangen, und zwar dadurch, dass er
1. am 16.2.2016 und nachfolgend mehrfach im Zusammenhang mit einer Lenkererhebung zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Verfahren VerkR***** von seinem dienstlichen E-Mail-Account bei der Bezirkshauptmannschaft ***** Eingaben mit Zeichnung seines Sohns ***** ohne Hinweis auf ein Vertretungsverhältnis und ohne dass dieser davon Kenntnis hatte, tätigte;
2. zwischen 15.7.2015 und 11.5.2016 in S*****, W*****, auf der A1 zwischen S***** und W***** sowie im G***** insgesamt zwölfmal bei Benützung des Dienstkraftwagens Verwaltungs-, insbesondere Geschwindigkeitsübertretungen begangen hat, dies auch teilweise noch nach Belehrung durch den Präsidenten des Landesgerichts ***** am 1.3. und 8.4.2016, wonach er die verwaltungsrechtlichen Bestimmungen einzuhalten habe;
3. eine weitere Verwaltungsübertretung begangen hat, indem er als Zulassungsbesitzer des Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen ***** bei der Bezirkshauptmannschaft ***** in einem Verwaltungsstrafverfahren nicht binnen zwei Wochen die Auskunft erteilt hat, wer das Fahrzeug am 27.3.2016 in O***** lenkte;
4. zumindest teilweise in den unter 2. und 3. angeführten Verwaltungsstrafverfahren durch verfahrensverzögernde, teils wahrheitswidrige Gestion das Interesse der Verwaltungsbehörde an einer raschen und lückenlosen Strafverfolgung unterlaufen hat.
Dr. ***** hat hiedurch eine Pflichtverletzung nach § 101 Abs 1 RStDG begangen.
Gemäß §§ 101 Abs 1, 104 Abs 1 lit b RStDG wird über ihn eine Geldstrafe in Höhe von EUR 8.000,-- v e r h ä n g t .
Gemäß § 137 Abs 2 RStDG hat Dr. ***** die mit EUR 400,-- bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Dr. ***** ist am ***** geboren, verheiratet und hat Sorgepflichten für seine Ehegattin, die Mindestpensionistin ist, sowie eine nicht selbsterhaltungsfähige Tochter. Sein Bruttomonatsbezug beträgt derzeit EUR 8.067,30; dazu kommen Journaldienstgebühren. Er wurde ***** zum Richter des Landesgerichts ***** ernannt, nunmehr bekleidet er seit rund sieben Jahren das Amt des Vizepräsidenten dieses Gerichtshofs. Er ist Vorsitzender eines Rechtsmittelsenats und war darüber hinaus mit verschiedenen Agenden in der Justizverwaltung befasst, von denen er derzeit entbunden ist.
Seine Dienstbeschreibungen seit Übernahme in den richterlichen Vorbereitungsdienst lauteten stets auf „ausgezeichnet“, in den Berichten über die Regelrevisionen wurde ihm stets höchste fachliche Qualifikation, insbesondere im Familienrecht, sowie rückstandsfreie Arbeitsweise bescheinigt.
Am 19.12.2016 erstattete der Vizepräsident des Oberlandesgerichts ***** in Vertretung der Präsidentin des Oberlandesgerichts ***** gegen ***** Disziplinaranzeige wegen Verdachts der wiederholten Verletzung von Standespflichten gemäß § 57 Abs 3 RStDG, weil er bei Fahrten mit dem Dienstwagen in den Jahren 2015 und 2016 in zahlreichen Fällen wegen Verstößen gegen die StVO, insbesondere zum Teil massiver Geschwindigkeitsüberschreitungen, verwaltungsstrafrechtlich verfolgt und verurteilt worden sei, darüber hinaus seine Ehegattin in einem Lenkerermittlungsverfahren angestiftet oder durch Rat dazu beigetragen habe, den gemeinsamen Sohn als Auskunftsperson bekanntzugeben, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt das auf die Tochter zugelassene Fahrzeug gelenkt habe, und in weiterer Folge von seinem E Mail-Account im Namen seines Sohns seinen Bruder als Lenker bekanntgegeben habe, obwohl sein Sohn keine Kenntnis über die Person des Lenkers, die von seinem Vater erstattete Meldung seines Onkels und das Verfahren nach § 103 Abs 2 KFG bei der Bezirkshauptmannschaft ***** gehabt habe; weiters, dass ***** durch verfahrensverzögernde, teils wahrheitswidrige Gestion im Verwaltungsstrafverfahren das Interesse der Verwaltungsbehörden an einer raschen und lückenlosen Strafverfolgung unterlaufen habe und in einem Verwaltungsverfahren nicht fristgerecht bekanntgegeben habe, wer das Fahrzeug zum fraglichen Zeitpunkt gelenkt habe.
Das gegen Dr. ***** wegen Verdachts der Fälschung eines Beweismittels in Form der Bestimmungstäterschaft wegen §§ 293/2, 12 zweiter Fall StGB von der Staatsanwaltschaft ***** zu ***** eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde am 21.4.2017 gemäß § 190 Z 1 und Z 2 StPO mit der Begründung eingestellt, der Sohn des Beschuldigten habe sich anlässlich seiner zeugenschaftlichen Einvernahme auf sein Aussagebefreiungsrecht nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO berufen, woraus ein Beweisverbot auch im Umfang sämtlicher früherer Aussagen dieses Zeugen resultiere. Damit habe die Darstellung dieses Zeugen gegenüber dem Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts *****, wonach ihm die vom E-Mail-Account seines Vaters abgesendeten Eingaben bzw Beschwerden nicht bekannt gewesen seien, bei der Verdachtsprüfung außer Betracht zu bleiben, was wiederum zur Konsequenz habe, dass die Aussage des Beschuldigten, er habe seinen Sohn möglicherweise ohnehin auf das Handeln in dessen Namen hingewiesen, im Zweifel nicht zu widerlegen sei. Damit könne auch nicht vom Vorliegen falscher Beweismittel im Sinne des § 293 StGB ausgegangen werden, weil weder die inhaltliche Unrichtigkeit der in Rede stehenden E-Mails noch deren formelle Unechtheit mit der für das Strafverfahren geforderten Sicherheit angenommen werden könne (Akt *****).
Von der Bezirkshauptmannschaft ***** erging im Verfahren ***** am 28.12.2015 an die Tochter des Disziplinarbeschuldigten, auf die der PKW mit dem amtlichen Kennzeichen ***** zugelassen ist, die Aufforderung, binnen zwei Wochen ab Zustellung mitzuteilen, wer dieses Fahrzeug am 17.10.2015 um 17.32 Uhr in der Gemeinde ***** in einem näher bezeichneten Straßenzug gelenkt hat, oder die Person zu benennen, welche die Auskunft darüber erteilen kann, nachdem die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h vom Lenker dieses PKWs am besagten Tag um 15 km/h überschritten worden sei. Nach Absprache mit dem Disziplinarbeschuldigten machte seine Ehegattin, die gesetzliche Vertreterin der Tochter ist, mit E-Mail vom 18.1.2016 gegenüber der Bezirkshauptmannschaft ***** *****, per Adresse des Disziplinarbeschuldigten als Auskunftsperson namhaft. Sodann forderte die BH ***** mit Schreiben vom 19.1.2016 ***** auf, binnen zwei Wochen die gewünschte Auskunft darüber zu erteilen, wer am 17.10.2015 gegen 17.32 Uhr in ***** den auf die Tochter des Disziplinarbeschuldigten zugelassenen PKW lenkte. Am 16.2.2016, somit eine Woche nach Fristablauf, wurde vom dienstlichen E-Mail-Account des Disziplinarbeschuldigten per Mail mitgeteilt, der Bruder des Disziplinarbeschuldigten habe das Fahrzeug zum angefragten Zeitpunkt gelenkt. Diese E-Mail wurde mit „*****“ gezeichnet. Nachdem die BH ***** gegen ***** eine Strafverfügung wegen Verletzung der Auskunftserteilung nach § 103 Abs 2 KFG erlassen hatte, erfolgte am 29.6.2016 wiederum vom E-Mail-Account des Disziplinarbeschuldigten eine mit „*****“ gezeichnete Eingabe bei der BH *****, mit der beantragt wurde, die angeblich in der Zwischenzeit ergangene Entscheidung zuzustellen, worauf die (neuerliche) Zustellung (mittels RSb) verfügt wurde, weil kein Rückschein vorhanden war. Wiederum vom E-Mail-Account des Disziplinarbeschuldigten folgte am Samstag den 16.7.2016 eine neuerliche, mit „*****“ gezeichnete Eingabe bei der BH *****, wonach Einspruch gegen die zugegangene Mahnung erhoben werde. Am 20.7.2016 erfolgte wiederum vom E-Mail-Account des Disziplinarbeschuldigten eine weitere Eingabe in diesem Verwaltungsstrafverfahren des Inhalts, dass gegen die Strafverfügung vom 19.2.2016 Einspruch erhoben werde. Diese E-Mail ist wiederum mit „*****“ gezeichnet. Nachdem die BH ***** mit Bescheid vom 4.8.2016 den Einspruch gegen die Strafverfügung als verspätet zurückgewiesen hatte, wurde vom dienstlichen E-Mail-Account des Disziplinarbeschuldigten am 2.9.2016 gegen den Bescheid vom 4.8.2016 Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht für ***** erhoben, die mit „*****“ gefertigt wurde. Seitens der Bezirkshauptmannschaft ***** wurde der Schluss gezogen, dass ***** für seine Eingaben den dienstlichen E-Mail-Account seines Vaters verwendete und die Eingaben insoweit wirksam waren (Akt *****). Alle Eingaben vom dienstlichen E-Mail-Account des Disziplinarbeschuldigten wurden von diesem selbst gemacht, ohne dass er seinen Sohn von diesen Eingaben informierte (*****Punkt 1b-26 OLG ***** = Akt *****).
Zur Wahrnehmung verschiedener dienstlicher Verpflichtungen standen (und stehen) dem Disziplinarbeschuldigten die Dienstwägen des Landesgerichts ***** zur Verfügung, die er regelmäßig selbst lenkt. Im Zusammenhang mit der Benützung eines Dienstkraftwagens wurde der Disziplinarbeschuldigte vielfach wegen Verwaltungsübertretungen rechtskräftig verurteilt, und zwar insbesondere wegen Überschreitung der erlaubten/zulässigen Höchstgeschwindigkeit von
a) 100 km/h um 18 km/h am 4.3.2015 auf der A1 bei Straßenkilometer 170;
b) 20 km/h um 15 km/h am 15.7.2015 im Ortsgebiet von *****;
c) 130 km/h um 43 km/h am 15.10.2015 auf der A1 bei Straßenkilometer 134,38;
d) 80 km/h um 47 km/h am 19.11.2015 auf der A1 bei Straßenkilometer 296,9;
e) 80 km/h um 22 km/h am 6.1.2016 auf der A1 bei Straßenkilometer 296,9;
f) 130 km/h um 42 km/h am 7.1.2016 auf der A1 bei Straßenkilometer 134,38;
g) 100 km/h um 12 km/h am 7.1.2016 auf der A1 bei Straßenkilometer 159,805;
h) 130 km/h um 48 km/h am 24.2.2016 auf der A1 bei Straßenkilometer 179,55;
i) 30 km/h um 18 km/h am 8.3.2016 im Stadtgebiet von *****;
j) 50 km/h um 24 km/h am 9.3.2016 im Stadtgebiet von *****;
k) 130 km/h um 43 km/h am 9.3.2016 auf der A1 bei Straßenkilometer 134,38;
l) 80 km/h um 53 km/h am 11.5.2016 auf der B167 bei Straßenkilometer 10,005.
Zudem erfolgte eine rechtskräftige Verurteilung wegen eines am 14.10.2015 in ***** erfolgten Verstoßes gegen Parkvorschriften.
Aus Anlass dieser Verwaltungsübertretungen ergingen zum Großteil Anonymverfügungen an den Zulassungsbesitzer des Dienstkraftwagens, nämlich das Landesgericht *****, wobei diese Anonymverfügungen nach interner Feststellung, dass zum fraglichen Zeitpunkt jeweils der Disziplinarbeschuldigte den Dienstkraftwagen zur Verfügung hatte, diese zur Erledigung an ihn weitergeleitet wurden, ohne dass allerdings in der Folge die verhängten Strafen bezahlt wurden. Es ergingen sodann regelmäßig, wie auch in den anderen Verfahren, in denen keine Anonymverfügungen ergingen, Lenkererhebungen wiederum an den Zulassungsbesitzer des Dienstkraftwagens, nämlich das Landesgericht *****, in denen in der Folge der Disziplinarbeschuldigte als Lenker des Dienstkraftwagens für den jeweils angefragten Zeitpunkt benannt wurde. Im Verfahren ***** der BH ***** teilte der Disziplinarbeschuldigte der anfragenden Behörde selbst mit, dass „Dr. ***** bekanntgeben könne, wer der Lenker“ sei, trotzdem die Abfrage ihn als Lenker betraf. Die unter j) und k) angeführten Geschwindigkeitsüberschreitungen erfolgten auf derselben Fahrt von ***** nach ***** in einem zeitlichen Abstand von 56 Minuten (nämlich um 21.36 Uhr in *****, Richtung A1 fahrend und um 22.32 Uhr auf der A1 bei Straßenkilometer 134,88 bei ***** in Fahrtrichtung ***** fahrend (*****).
Am 22.11.2016 wurde der Disziplinarbeschuldigte neuerlich auf der A1 bei Benützung des Dienstwagens wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 11 km/h (bei erlaubten 130 km/h) „erwischt“, wobei er die diesbezüglich mit Anonymverfügung der BH ***** verhängte Geldstrafe prompt bezahlte.
Im Verwaltungsstrafverfahren der BH *****, *****, nach § 103 Abs 2 KFG erteilte der Disziplinarbeschuldigte nach der am 18.6.2016 erfolgten Zustellung der schriftlichen Aufforderung nicht innerhalb der gesetzten Frist von zwei Wochen Auskunft, von wem das auf ihn persönlich zugelassene KFZ mit dem amtlichen Kennzeichen ***** am 27.3.2016 um 16.38 Uhr auf der A1 im Ortsgebiet von ***** bei Kilometer 252,9 Fahrtrichtung ***** gelenkt wurde, wobei dem Lenker eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 24 km/h zur Last gelegt werde; es wurde auch jene Person nicht benannt, die Auskunft hätte erteilen können. Im Zuge dieses Verwaltungsstrafverfahrens ergab sich auch, dass eine versuchte Zustellung der Aufforderung zur Lenkerermittlung am 21.5.2016 unter der Anschrift des Disziplinarbeschuldigten in *****, scheiterte und der RSb-Brief mit dem Vermerk „Ortsabwesenheitserklärung bis 15.6.2016“ zurückgestellt wurde, was zu einer Verfahrensverzögerung führte. Nach den Abwesenheitsdaten der Dienstbehörde wurde beim Beschuldigten im Mai und Juni 2016 weder Krankheit noch Urlaub vermerkt, erfasst sind lediglich Seminare vom 11. bis 13.5. sowie vom 8. bis 10.6.2016. Der Disziplinarbeschuldigte suchte in dem mehrere Wochen betreffenden Zeitraum seiner „Ortsabwesenheitserklärung“ seine Wohnung in *****, zumindest einmal in der Woche auf. Hauptsächlich hielt er sich in diesem Zeitraum an seiner Wohnanschrift in ***** auf, wobei er allerdings keine Nachsendeadresse bekanntgab. Er fuhr von ***** aus zur Arbeit (BV des Disziplinarbeschuldigten in der Disziplinarverhandlung vom 14.5.2018).
Die „Ortsabwesenheitserklärung“ erfolgte deshalb, weil der Disziplinarbeschuldigte aufgrund zahlreicher Verkehrsdelikte in den vorangegangenen Monaten, insbesondere im März 2016, mit der vermehrten Zustellung behördlicher Briefe rechnete und damit Zeit gewinnen wollte.
Der Disziplinarbeschuldigte wurde zweimal, nämlich am 1.3.2016 und am 8.4.2016, vom Präsidenten des Landesgerichts ***** ermahnt und belehrt, dass er bei Benützung des Dienstkraftwagens die verwaltungsrechtlichen Bestimmungen einzuhalten habe (BV des Disziplinarbeschuldigten in der Disziplinarverhandlung vom 14.5.2018; Akt *****).
Im Verfahren der BH *****, Zl. *****, behauptete der Disziplinarbeschuldigte trotz der mit seinem Wissen und Willen an der Adresse des Landesgerichts ***** zugestellten Strafverfügung vom 25.3.2016 (Übernahme durch eine Bedienstete der Einlaufstelle am 6.4.2016) gegenüber der Verwaltungsbehörde am 14.7.2016 die Unkenntnis des Titels und erhob - unter Wiederholung dieses Vorbringens - Beschwerde gegen den von der Verwaltungsbehörde erlassenen Bescheid vom 19.7.2016, mit dem sein als Einspruch gegen die Strafverfügung gewertetes Vorbringen als verspätet zurückgewiesen wurde, an das Landesverwaltungsgericht *****, wobei er letztlich nach Ladung einer Bediensteten des Landesgerichts ***** zum Thema „Zustellvorgang“ die Beschwerde zurückzog (Akt *****).
Diese Feststellungen stützen sich auf die Disziplinaranzeige des Präsidenten des Oberlandesgerichts ***** (ON 1) samt Nachhangstücken (ON 2), der Mitteilung des Leitenden Oberstaatsanwalts der Oberstaatsanwaltschaft ***** vom 29.12.2016 samt Beilage (ON 5), den Kopien des Berichts des Präsidenten des Landesgerichts ***** vom 9.1.2017 samt Beilagen (ON 6), dem Bericht der Oberstaatsanwaltschaft ***** vom 19.4.2017 (ON 17), dem Urteil des Landesverwaltungsgerichts ***** vom 3.8.2017, Zl. *****, (ON 22) sowie dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 17.10.2017 zu ***** (ON 35), der Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft ***** vom 5.9.2017, Zl. *****, (ON 24), den Akt ***** des Landesgerichts ***** sowie den Akt ***** des Oberlandesgerichts *****, den elektronischen Personalakt betreffend den Disziplinarbeschuldigten sowie dessen Verantwortung in der Disziplinarverhandlung vom 14.5.2018 vor dem Disziplinargericht. Seine mehrfachen Eingaben von seinem dienstlichen E-Mail-Account mit der Fertigung „*****“ in einem Verwaltungsstrafverfahren, die zahlreichen Geschwindigkeitsübertretungen im Zeitraum 2015/16 bei Benützung eines Dienstkraftwagens des Landesgerichts ***** sowie sein Verhalten in diesen Verwaltungsstrafverfahren, weiters die Abgabe einer Ortsabwesenheitserklärung hinsichtlich seiner ***** Wohnanschrift bis 15.6.2016 ohne Nachsendeauftrag sowie seine Lenkerauskunftserklärung vom 11.1.2016 in einem Verwaltungsverfahren der BH ***** und die behauptete Unkenntnis einer gegen ihn ergangenen Strafverfügung im Zusammenhang mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung sind durch die entsprechenden Akten objektiviert, weiters bestreitet der Disziplinarbeschuldigte auch nicht, dass er vom Präsidenten des Landesgerichts ***** zweimal aufgefordert bzw ermahnt wurde, die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung bei Benützung des Dienstkraftwagens einzuhalten. Er gibt auch zu, dass es nicht in Ordnung war, dass er von seinem dienstlichen E-Mail-Account Eingaben in Verwaltungsstrafverfahren namens seines Sohns ohne Hinweis auf ein Vertretungsverhältnis machte. Im Übrigen bestreitet er, dass seine „Ortsabwesenheitserklärung“ ohne Erteilung eines Nachsendeauftrags aus Gründen der Verfahrensverzögerung erfolgte.
Die vom Disziplinarbeschuldigten angegebenen Gründe für die „Ortsabwesenheitsmitteilung“ sind nicht nachvollziehbar, insbesondere ist unverständlich, warum er keinen Nachsendeauftrag erteilte, wenn ihm - nach seiner Darstellung - daran gelegen war, dass ihm möglichst die ganze Frist für eine Reaktion auf eine behördliche Entscheidung/Aufforderung offensteht. Es ist nicht widerlegbar, dass der Disziplinarbeschuldigte im Zeitraum, für den er eine „Ortsabwesenheitsmitteilung“ an die Post machte, vermehrt oder hauptsächlich in ***** nächtigte, es wäre aber nicht nachvollziehbar, wenn er seine Wohnung am Dienstort während dieser Zeit nie aufsuchte, nachdem er durchgehend im Dienst war. Im Rahmen seiner Einvernahme in der Disziplinarverhandlung gab er insoweit zwar zu, dass er im Schnitt einmal die Woche diese Wohnung in diesem Zeitraum aufsuchte, naheliegend wäre allerdings, dass dies durchaus öfter erfolgte, sodass die Feststellung zu treffen war, dass er zumindest einmal wöchentlich während dieser Zeit auch seine Wohnung aufsuchte. Der Grund für die „Ortsabwesenheitsmitteilung“ über mehrere Wochen ohne Nachsendeauftrag kann nach Überzeugung des Disziplinarsenats wohl nur darin gelegen haben, dass er vermehrt Behördenbriefe erwartete, nachdem er in den Wochen zuvor mehrfach wegen zum Teil erheblicher Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vom Radar „geblitzt“ wurde, was ihm sicherlich nicht verborgen blieb, wobei gar nicht bekannt ist, wie oft dies auch mit seinem Privat-PKW erfolgte.
Auch seine Verantwortung betreffend die am 11.1.2016 erfolgte Mitteilung an die Behörde, wonach er darüber Auskunft geben könne, wer mit dem Dienstfahrzeug zum angefragten Zeitpunkt gefahren ist, obwohl er selbst gefahren ist, ist nicht glaubwürdig, wenn man bedenkt, dass vor der Lenkerermittlung bereits eine Anonymverfügung ergangen sein muss, die dem Disziplinarbeschuldigten - wie üblich - ausgefolgt wurde, wobei er diese - wie üblich - nicht bezahlte. Damit muss ihm auch ohne Fahrtenbuch klar gewesen sein, dass zum angefragten Zeitpunkt er mit dem Dienstwagen fuhr, zumindest hätte er dies anhand der ihm kurz vorher ausgefolgten Anonymverfügung unschwer prüfen können.
Was die Frage betrifft, ob er hinsichtlich der Lenkeranfrage der BH ***** im Verfahren VerkR ***** seine Ehegattin anstiftete, eine falsche Auskunftsperson, nämlich seinen Sohn, anzugeben und inwieweit sein Sohn überhaupt wusste, wer mit dem auf seine Schwester zugelassenen Fahrzeug am 17.10.2015 fuhr bzw ob tatsächlich der Bruder des Disziplinarbeschuldigten fuhr, ist auf das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und die erfolgte Einstellung samt Begründung zu verweisen, wonach eine Verwertung der Angaben des Sohns des Disziplinarbeschuldigten gegenüber dem Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ***** auch im Disziplinarverfahren unzulässig ist. Dass zumindest sein Sohn nicht wusste, dass der Disziplinarbeschuldigte in seinem Namen über seinen E-Mail-Account Eingaben machte, ergibt sich aus den Angaben des Disziplinarbeschuldigten gegenüber dem Behördenleiter, wobei nicht auszuschließen ist, dass er die Regelung der Sache einfach mit vermutetem grundsätzlichem (stillschweigenden) Einverständnis seines Sohns übernahm und diesen in die einzelnen von ihm gesetzten Schritte nicht einweihte. Dass er aber auf kein Vertretungsverhältnis hinwies, ergibt sich eindeutig aus den vorliegenden E-Mails von seinem dienstlichen E-Mail-Account.
Rechtliche Beurteilung
In rechtlicher Beurteilung des festgestellten Sachverhalts ist dem Disziplinarbeschuldigten eine Pflichtverletzung in Form der Verletzung der Standespflichten nach § 101 Abs 1 RStDG vorzuwerfen. Der dienstliche E-Mail-Account ist grundsätzlich für den dienstlichen E-Mail-Verkehr vorgesehen, auch wenn seitens des Dienstgebers privater E-Mail-Verkehr geduldet wird. Es schadet aber dem Ansehen des Richterstands, wenn ein Richter den dienstlichen E-Mail-Account dazu verwendet, den privaten Bereich betreffende Eingaben bei Behörden unter fremdem Namen ohne Hinweis auf ein Vertretungsverhältnis zu machen, sodass die Behörde davon ausgehen muss, dass der dienstliche E-Mail-Account von Angehörigen des Richters offenbar mitverwendet wird. Dazu kommt weiters, dass in diesem Fall auch noch die Eingaben verspätet erfolgten und offenbar zutreffende Entscheidungen der Verwaltungsbehörde immer wieder beeinsprucht bzw bekämpft wurden, möglicherweise um durch solche Eingaben allenfalls eine Verfolgungsverjährung zu erwirken. Dass solche Eingaben über den dienstlichen E-Mail-Account dem Ansehen des Richterstands schaden, kann nicht zweifelhaft sein. Gleiches gilt, wenn unrichtige Ortsabwesenheitsmitteilungen gemacht werden, obwohl man zumindest einmal pro Woche sich an der Abgabestelle aufhält, und zudem keinen Nachsendeauftrag erteilt, weil auch dies ganz offensichtlich nur einer Verfahrensverschleppung dienen soll. Gleiches gilt, wenn behördliche Anfragen nicht fristgerecht beantwortet werden, weil auch eine 14-tägige Frist jedenfalls ausreichend erscheint, um familienintern abzuklären, wer mit einem Fahrzeug gefahren ist, nachdem offensichtlich ja nur drei oder vier Personen in Frage kommen.
Abgesehen von der Rechtswidrigkeit derartiger verspäteter Anfragebeantwortungen, die ohnehin zu einer Verwaltungsstrafe führten, sind die mehrfachen verfahrensverzögernden Maßnahmen des Disziplinarbeschuldigten in diversen Verwaltungsstrafverfahren dem Ansehen und Ruf des Richterstands schädlich.
Ohne Zweifel ist auch die beharrliche Missachtung von Geschwindigkeitsbeschränkungen bei Fahrten mit dem Dienstwagen ein Verhalten, das dem Ansehen des Richterstands schadet. Der Disziplinarbeschuldigte hat im Zeitraum von etwa Mitte 2015 bis etwa Mitte 2016 nicht nur ein oder zweimal in eher geringfügigem Ausmaß bei Fahrten mit dem Dienstwagen die höchstzulässige Geschwindigkeit überschritten, was an und für sich durchaus jedem Kraftfahrer einmal passieren kann und was für sich allein genommen nicht disziplinär zu verfolgen wäre, sondern hat er allein mit dem Dienstkraftwagen zwölfmal nachweislich Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht eingehalten, wobei mehr als die Hälfte dieser Geschwindigkeitsüberschreitungen durchaus als erheblich und schwerwiegend zu qualifizieren sind. Denn bei der allgemein in Österreich geltenden Geschwindigkeitsbeschränkung von 130 km/h auf Autobahnen ist eine Überschreitung dieser Geschwindigkeit um 42, 43, 47, 48 km/h - jeweils nach Abzug der Messtoleranzen - als doch sehr erheblich anzusehen und nicht mehr auf irgendeine Unkonzentriertheit zurückzuführen, sondern entspricht eher einer notorischen Raserei, ebenso, wenn man auf einer Bundesstraße bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h mit 133 km/h fährt. Dass bei Einhaltung derart hoher Geschwindigkeiten ein doch erhebliches Gefahrenpotential gegeben ist, kann nicht zweifelhaft sein, mag auch im jeweils konkreten Fall keine unmittelbare Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer erfolgt sein. Allerdings verlängert sich der Bremsweg doch sehr erheblich, wenn man mit derart hohen Geschwindigkeiten unterwegs ist und kann auch auf ein mögliches Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers nicht mehr oder wesentlich schwieriger rechtzeitig unfallvermeidend reagiert werden. Dazu ist noch zu erwähnen, dass der Disziplinarbeschuldigte am Abend des 9.3.2016, als er mit dem Dienstwagen offenbar von ***** nach ***** unterwegs war, innerhalb von 56 Minuten nicht nur die ersten 134,38 Kilometer der A1 zurücklegte, sondern noch einen Teil der Strecke der Westausfahrt von *****, was zeigt, dass er nicht nur bei den Radaranlagen die Geschwindigkeit erheblich überschritt, sondern offenbar die gesamte Strecke mit weit höherer als der zulässigen Höchstgeschwindigkeit fuhr. Wenn sich ein Richter über Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung, insbesondere die gesetzlichen bzw verordneten Höchstgeschwindigkeiten derart massiv und notorisch hinwegsetzt, so schadet dies schon insoweit dem Standesansehen der Richterschaft, als die Akzeptanz von richterlichen Entscheidungsträgern in der Bevölkerung massiv leidet, wenn sich diese, mag es auch nur im Straßenverkehr sein, als nicht gesetzestreu bzw nicht mit den rechtlichen Werten verbunden zeigen. Ob und welchem Personenkreis dies im vorliegenden Fall bekannt wurde, kann dahingestellt bleiben, weil allein die Möglichkeit, dass dies einem größeren Personenkreis bekannt und damit das Ansehen des Richterstands beeinträchtigt wird, ausreicht, um - über die verhängten Verwaltungsstrafen hinaus - auch disziplinäre Maßnahmen zu ergreifen (Ds 15/05; Ds 4/78). Im Übrigen ist dem Disziplinarbeschuldigten auch entgegen zu halten, dass es für ihn ein Leichtes gewesen wäre, auch mehrfache verwaltungsstrafrechtliche Verfolgungen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen „anonym“ zu halten, wenn er die mit den Anonymverfügungen verhängten Strafen bezahlt hätte und es nicht stets auf eine Lenkererhebung mit nachfolgenden Strafverfügungen und teilweise Rechtsmittelverfahren ankommen hätte lassen. Schon allein dadurch wurden seine häufigen, zumeist massiven Geschwindigkeitsüberschreitungen einem größerem Personenkreis bekannt.
Bedenkt man nun, dass der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 28.6.2017 zu Ra ***** eine Revision eines Sachverständigen zurückwies, dem wegen 33 Geschwindigkeitsübertretungen innerhalb von fünf Jahren, wegen welcher er rechtskräftig verurteilt wurde, die Sachverständigeneigenschaft mit der Begründung entzogen wurde, dass ihm wegen der Vielzahl der Delikte die notwendige Vertrauenswürdigkeit als Sachverständiger im Sinne des § 2 Abs 2 Z 1 lit e StG nicht mehr zukomme, zumal die Vertrauenswürdigkeit auch dadurch definiert werde, dass sich der Sachverständige als gesetzestreu erweisen müsse, so kann kein Zweifel sein, dass dies umso mehr für Richter gilt, insbesondere für solche, die sich in leitenden Positionen befinden.
Es bedarf daher jedenfalls einer Bestrafung des Disziplinarbeschuldigten, die auch spürbar ist, um ihn in Zukunft von derartigen, das Standesansehen der Richterschaft und die Vertrauenswürdigkeit in den Richterstand schädigenden Verhaltensweisen abzuhalten. Bei derartigen massiven Verstößen gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen scheidet ein Verweis im Sinne des § 104 Abs 1 lit a RStDG jedenfalls aus, weil dies den Überhang zu den verwaltungsrechtlichen Strafen im Hinblick auf die Vielzahl der standeswidrigen Verhaltensweisen des Disziplinarbeschuldigten nicht entsprechend abzudecken vermag.
Bei der Strafzumessung erschwerend war die Wiederholung der Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung trotz zweimaliger Ermahnung durch den Präsidenten sowie die Vielzahl von Fehlverhalten des Disziplinarbeschuldigten, mildernd war zu berücksichtigen seine (strafrechtliche und disziplinäre) Unbescholtenheit, sein ordentlicher Lebenswandel in dienstlicher Hinsicht sowie sein teilweises (Tatsachen-)Geständnis, was sich zwar auf die objektiven, durch die vorliegenden Unterlagen nicht zu widerlegenden Tatsachen bezieht, hinsichtlich der subjektiven Tatseite räumt der Disziplinarbeschuldigte allerdings nur teilweise ein Fehlverhalten ein bzw erklärt, dass ihm dies leid tue, sowie die bereits erlittenen Nachteile durch die verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilungen.
Nach den in § 104 Abs 1 RStDG angeführten Disziplinarstrafen kommt daher nur die Verhängung einer Geldstrafe in Frage, wobei dem Disziplinargericht in Anbetracht der Strafzumessungsgründe die Verhängung einer Geldstrafe in Höhe von etwa einem Bruttomonatsbezug des Disziplinarbeschuldigten schuldangemessen erscheint.
Die Entscheidung über die Kosten des Disziplinarverfahrens ist in § 137 Abs 2 RStDG begründet.
Oberlandesgericht Innsbruck
als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte
Innsbruck, am 14. Mai 2018
Dr. Georg Hoffmann, Senatspräsident