JudikaturOLG Innsbruck

10R23/17h – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
17. Mai 2017

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zimmermann als Vorsitzenden sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Prantl und den Richter des Oberlandesgerichts Mag. Vötter als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei mj. J*****T***** , geb. am *****, *****, *****, vertreten durch die Mutter K***** T*****, ebendort, diese vertreten durch T***** Rechtsanwälte ***** in *****, wider die beklagte Partei mj. S***** E***** , geb. am *****, *****, *****, vertreten durch den Vater M***** E*****, ebendort, dieser vertreten durch M*****, Rechtsanwalt in *****, wegen restlich EUR 3.000,-- sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen die im Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 6.3.2017, 9 Cg 157/13t-72, enthaltene Kostenentscheidung (Rekursinteresse EUR 8.734,31) in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Kostenrekurs wird t e i l w e i s e Folge gegeben und die angefochtene Kostenentscheidung dahingehend a b g e ä n d e r t , dass diese insgesamt lautet wie folgt:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihrer Vertretung binnen 14 Tagen die mit EUR 2.471,43 (darin EUR 980,-- an Barauslagen und EUR 248,59 an USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit EUR 222,81 (darin EUR 37,13 an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls u n z u l ä s s i g .

Text

Entscheidungsgründe:

Am 14.3.2013 kam es zu einer Rauferei zwischen dem mj. Kläger und dem mj. Beklagten, bei der beide verletzt wurden. Gestützt auf § 1310 ABGB begehrte der Kläger vom Beklagten Schadenersatz sowie die Feststellung, dass ihm der Beklagte für sämtliche zukünftigen Nachteile und Schäden zu haften hatte. Der Beklagte machte seine eigenen Schäden in Form einer Gegenforderung geltend. Dem Grunde nach und mit seinem Feststellungsbegehren war der Kläger mit 2/3 erfolgreich, das Schmerzengeld wurde mit EUR 25.000,-- bestimmt und dem Kläger davon 2/3 (EUR 16.666,67) zugesprochen. Sein Begehren auf Ersatz von Behandlungskosten (EUR 188,--) und Verunstaltungsentschädigung (EUR 3.000,--) wurde abgewiesen. Der Beklagte war mit seiner Gegenforderung erfolglos.

Mit dem nur mehr im Kostenpunkt angefochtenen Urteil im zweiten Rechtsgang über restlich EUR 3.000,-- (betreffend Verunstaltungsentschädigung) bestimmte das Erstgericht die dem Kläger vom Beklagten zu ersetzenden Prozesskosten mit EUR 8.734,31. Seine Kostenentscheidung stützte es auf § 41 Abs 1 und § 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO. Dem Kläger gebühre für den ersten Rechtsgang voller Kostenersatz auf Basis des ersiegten Betrags (EUR 18.000,--), da nach § 1310 ABGB nach Billigkeit zu urteilen sei und das Ergebnis der Billigkeitsentscheidung für den Kläger im Voraus nur begrenzt abschätzbar sei. Dies gelte selbst dann, wenn hier auch Überlegungen zum Grund des Anspruchs anzustellen seien (Deliktsfähigkeit, Verschulden etc).

Gegen diese Kostenentscheidung richtet sich der rechtzeitige Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, seine Kostenersatzpflicht auf Null, in eventu auf EUR 2.893,17 zu verringern.

Der Kläger beantragt in seiner Kostenrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Der Kostenrekurs ist teilweise berechtigt.

1. Der Beklagte macht geltend, dass das Erstgericht dem Kläger den Vorteil des § 43 Abs 2 ZPO nicht gewähren hätte dürfen. Die Anwendung des Kostenprivilegs setze voraus, dass nicht – wie hier – der Grund des Anspruchs, sondern nur seine Höhe strittig sei. Der Klagszuspruch sei hier nicht von einem richterlichen Ermessen iSd § 43 Abs 2 ZPO, sondern von Billigkeitserwägungen abhängig gewesen. Darüber hinaus hätte das Erstgericht den Umstand berücksichtigen müssen, dass der Beklagte ein Schüler ohne Einkommen sei und der Kläger über eine Rechtsschutzversicherung verfüge. Auch dies hätte in Form von Billigkeitserwägungen in die Kostenentscheidung einfließen müssen. Das Erstgericht hätte dem Kläger daher keinen Prozesskostenersatz, allenfalls aber nur in Höhe von EUR 2.893,17 zuerkennen dürfen.

Rechtliche Beurteilung

2. § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG und § 78 Abs 2 AußStrG kennen Kostenentscheidungen nach Billigkeit. Für das streitige Verfahren sehen die Kostenersatzbestimmungen der ZPO eine derartige Billigkeitsentscheidung nicht vor, darauf kann sich der Beklagte nicht stützen.

3. Dem Argument, dass § 1310 ABGB kein Anwendungsfall des Kostenprivilegs nach § 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO sei, ist jedoch beizutreten. § 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO betrifft Konstellationen, in denen der Betrag der vom Kläger erhobenen Forderung von der Feststellung durch richterliches Ermessen, von der Ausmittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Abrechnung abhängig war. Die Anwendung dieses den Kläger entlastenden Kostenprivilegs setzt voraus, dass nicht der Grund des Anspruchs, sondern nur seine Höhe strittig ist ( Fucik in Rechberger , ZPO 4 , § 43 Rz 11; M. Bydlinski in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze 3 § 43 ZPO, Rz 18). Klassische Fälle sind Ansprüche auf Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung. Auch die Mäßigung einer Konventionalstrafe für Vertragsbruch und die Mäßigung der Ersatzpflicht des Dienstnehmers nach § 2 Abs 2 DHG fallen darunter ( Obermaier , Kostenhandbuch 2 , Rz 143 mwN).

4. Bei der ausnahmsweisen Haftung eines unmündigen Schädigers nach § 1310 ABGB bleibt es in jedem der in dieser Bestimmung genannten Ausnahmefälle dem billigen Ermessen des Richters überlassen, das Maß des zu leistenden Schadenersatzes festzusetzen, das unter Umständen den ganzen Betrag des Schadens erreichen kann, aber nicht erreichen muss (RIS-Justiz RS0027590). Nach ständiger Rechtsprechung ist bereits im Verfahren über den Anspruchsgrund zu entscheiden, ob einem minderjährigen Beklagten trotz Bejahung seines Verschuldens mit Rücksicht auf die besonderen Umstände nach Billigkeit nicht doch nur ein Teil des Schadens zum Ersatz auferlegt werden darf (RIS-Justiz RS0027541). Damit scheidet nach Ansicht des Berufungsgerichts die Möglichkeit, § 43 Abs 2 ZPO zweiter Fall anzuwenden, aus (so auch OLG Wien vom 16.12.1999, 17 R 207/99g, WR 886 = Klauser/Kodek , ZPO 17 § 43 E 125; kritisch: M. Bydlinski in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze 3 , § 43 ZPO Rz 18, FN 81). Dies muss hier umso mehr gelten, als bei der Schadensteilung auch die Mitverursachung durch den Kläger (Provokation) eine Rolle spielte. Damit liegt eine Nähe zu § 1304 ABGB vor (Mitverschulden), der ebenfalls kein Anwendungsfall von § 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO ist.

5. Die Berechnungen des Beklagten, die belegen sollen, dass der ihm aufzuerlegende Kostenersatz (in eventu) EUR 2.893,17 betrage, sind nicht nachvollziehbar. Der Ersatz der Prozesskosten erster Instanz errechnet sich wie folgt:

5.1 Insgesamt sind drei Phasen zu bilden, das Berufungsverfahren im ersten Rechtsgang ist gesondert zu berücksichtigen. Der Streitwert in der ersten Prozessphase bis zur Tagsatzung am 18.2.2015 betrug EUR 20.188,-- (Schmerzengeld EUR 15.000,--, Behandlungskosten EUR 188,--, Verunstaltungsentschädigung EUR 3.000,--, Feststellung EUR 2.000,--). Mit dem Begehren auf Ersatz der Behandlungskosten und der Verunstaltungsentschädigung ist der Kläger unterlegen. Hinsichtlich des Schmerzengeldbegehrens und des Feststellungsbegehrens ist der Kläger (dem Grunde nach) nur mit zwei Drittel durchgedrungen. Ohne Klagsausdehnung hätte der Kläger im ersten Verfahrensabschnitt an Schmerzengeld nur zwei Drittel, also EUR 10.000,-- ersiegen können. In dieser Phase war er daher mit EUR 11.333,33 erfolgreich, dies entspricht 56 %. Der Kläger hat daher Anspruch auf Barauslagenersatz im Umfang von EUR 56 %, der Beklagte im Umfang von 44 %. Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz der Vertretungskosten in Höhe von 12 %. Das Erstgericht hat in seiner Kostenentscheidung die Einwendungen des Beklagten nach § 54 Abs 1a ZPO berücksichtigt. Dies blieb im Rekursverfahren unbeanstandet. Unter Zugrundelegung dieser Kürzungen errechnen sich die Vertretungskosten des Klägers in dieser Phase mit brutto EUR 3.876,84, 12 % hievon sind EUR   465,22.

An Barauslagen hatte der Kläger in dieser Phase insgesamt EUR 2.080,-- zu bestreiten, 56 % hievon sind EUR 1.164,80.

Der Beklagte hatte Barauslagen in Höhe von EUR 420,--, 44 % hievon sind EUR   184,80.

5.2 In der zweiten Prozessphase wurde das Schmerzengeldbegehren auf EUR 30.000,-- ausgedehnt, der Gesamtstreitwert betrug EUR 35.188,--. In dieser Phase hat eine Kombination des § 43 Abs 1 ZPO mit § 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO zu erfolgen. Mit dem Schmerzengeldbegehren ist der Kläger – ohne Billigkeitserwägungen – mit EUR 25.000,-- durchgedrungen. Dies stellt einen klassischen Anwendungsfall des § 43 Abs 2 ZPO dar und führt zur Berechnung des Prozesserfolgs und der Bemessungsgrundlage auf Basis des bereinigten Streitwerts. Dieser beträgt EUR 30.188,--. Hievon war der Kläger mit 60 % erfolgreich (Schmerzengeld EUR 16.666,67 + 2/3 des Feststellungsbegehrens EUR 1.333,33). Der Kläger hat daher Anspruch auf Ersatz seiner Vertretungskosten im Ausmaß von 20 %. Unter Zugrundelegung des bereinigten Streitwerts von EUR 30.188,-- errechnen sich die Vertretungskosten in dieser Phase mit brutto EUR 7.461,60, 20 % hievon sind EUR 1.492,32.

Barauslagen fielen in dieser Phase weder beim Kläger noch beim Beklagten an.

5.3 Wie bereits das Erstgericht unbeanstandet ausgeführt hat, konnten die Streitparteien mit ihren Berufungsbeantwortungen jeweils einen (letztlich) vollständigen Abwehrerfolg erzielen. Der Kläger hat daher Anspruch auf Ersatz der Kosten seiner Berufungsbeantwortung in Höhe von brutto EUR 1.738,20.

5.4 In der letzten Prozessphase (restlich EUR 3.000,--) ist der Kläger zur Gänze unterlegen. Der Beklagte hat daher Anspruch auf vollständigen Ersatz der auf diese Phase entfallenden Prozesskosten. Der Beklagte selbst geht in seinem Kostenrekurs davon aus, dass für die Berufungsbeantwortung im ersten Rechtsgang und die letzte Verhandlungsphase, wie bereits vom Erstgericht berechnet, brutto EUR 2.893,17 zustehen.

5.5 Unter wechselseitiger Saldierung der Ansprüche errechnet sich der vom Beklagten an den Kläger zu leistende Kostenersatz mit EUR 2.471,53 (darin EUR 980,-- an Barauslagen und EUR 248,59 an USt). In diesem Umfang war dem Kostenrekurs stattzugeben und die angefochtene Kostenentscheidung abzuändern.

6. Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten des Rekursverfahrens stützt sich auf §§ 50, 43 Abs 1 ZPO iVm § 11 Abs 1 RATG. Der Beklagte war mit ca. 70 % erfolgreich. Er hat Anspruch auf Ersatz von 40 % der Rekurskosten, dies sind EUR 222,81 (darin EUR 37,13 an USt).

7. Der absolute Rechtsmittelausschluss ergibt sich aus § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.

Oberlandesgericht Innsbruck, Abteilung 10

Innsbruck, am 17.5. 2017

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