JudikaturOLG Innsbruck

4R106/15t – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
10. September 2015

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoffmann als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Huber und die Richterin Dr. Prantl als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei H***** AG , *****, vertreten durch DDr. Patrick Vergörer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei H***** K *****, vertreten durch Dr. Markus Knoll, Rechtsanwalt in Innsbruck, als bestellter Verfahrenshelfer, wegen EUR 85.562,74 s.A., über den Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 17.6.2015, 15 Cg 104/15v-5, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird k e i n e Folge gegeben.

Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 4 ZPO jedenfalls u n z u - l ä s s i g .

Begründung:

Text

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten die Zahlung von insgesamt EUR 85.562,74 s.A. aus einem Kredit- und einem Kontovertrag.

Innerhalb der vierwöchigen Klagebeantwortungsfrist beantragte der Beklagte die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit. a, d, f, 2 und 3 ZPO, wobei er gleichzeitig ein Vermögensbekenntnis samt diverser Urkunden vorlegte. Nach Durchführung einer vom Erstgericht aufgetragenen Verbesserung wurde dem Beklagten die Verfahrenshilfe im beantragten Umfang bewilligt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der fristgerechte Rekurs der Klägerin, der im Antrag mündet, in Stattgebung des Rekurses den angefochtenen Beschluss als nichtig aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Eine Rekursbeantwortung wurde vom Beklagten nicht erstattet.

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Klägerin rügt in ihrem Rechtsmittel, dass sie zum Verfahrenshilfeantrag des Beklagten nicht gehört worden sei, was die Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses aus den Gründen des § 477 Abs 1 Z 4 und 9 ZPO begründe. Dem Gegner der die Verfahrenshilfe beantragenden Partei stehe gemäß § 72 Abs 2a ZPO ein Rekursrecht bzw auch ein Rekursbeantwortungsrecht zu, womit nicht nur die Kontrollmöglichkeit verbessert, sondern gegebenenfalls auch wirksam gegen den Missbrauch der Verfahrenshilfe vorgegangen werden könne. Seither werde in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass dem Antragsgegner jedenfalls nach Zustellung des verfahrenseinleitenden Antrags das rechtliche Gehör auch vor Beschlussfassung zum Zweck der besseren Kontrolle der Einkommens- und Vermögensverhältnisse eingeräumt werden müsse. Diese Äußerungsmöglichkeit sei aber auch deshalb erforderlich, weil im Rekursverfahren das Neuerungsverbot gelte. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs des Antragsgegners stelle einen Verstoß gegen Art 6 Abs 1 EMRK dar, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen werde bzw einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrundegelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten.

Hinzu komme weiters, dass der angefochtene Beschluss auch deshalb nichtig sei, weil er keine Begründung enthalte; ein Anwendungsfall des § 428 Abs 1 ZPO liege nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat das Rekursgericht erwogen:

Die Bestimmungen betreffend die Verfahrenshilfe finden sich in §§ 63 bis 73 ZPO. Neben den Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe sowie der Zuständigkeit finden sich in diesen gesetzlichen Bestimmungen die Regelungen über das Verfahren zur Bewilligung/Entziehung/Erlöschen der Verfahrenshilfe. Zuständig hiefür ist gemäß § 65 Abs 1 ZPO das Prozessgericht erster Instanz, bei welchem der Antrag einzubringen ist. Gemäß § 66 Abs 2 ZPO ist über den Antrag auf Grundlage des Vermögensbekenntnisses zu entscheiden. Wenn das Gericht gegen dessen Richtigkeit oder Vollständigkeit Bedenken hat, so hat es das Vermögensbekenntnis zu überprüfen. Hiebei kann es auch die Partei unter Setzung einer angemessenen Frist zur Ergänzung des Vermögensbekenntnisses und soweit zumutbar, zur Beibringung weiterer Belege auffordern. In § 72 Abs 1 ZPO ist geregelt, dass alle nach diesem Titel ergehenden Beschlüsse, also auch der die Verfahrenshilfe bewilligende Beschluss, ohne mündliche Verhandlung zu fassen sind, sofern das Prozessgericht eine solche nicht zur Erörterung ihm erheblich scheinender Tatsachen für erforderlich hält. Eine Einbeziehung des Antragsgegners (oder des Revisors) vor Beschlussfassung ist im Gesetz nicht (ausdrücklich) vorgesehen; aus § 65 Abs 2 letzter Satz ZPO ergibt sich vielmehr, dass im Fall, dass die Verfahrenshilfe vor Erhebung einer Klage beantragt wird, der Gegner jedenfalls nicht in dieses Verfahren einzubeziehen ist und ihm auch der Beschluss über den Antrag vor Zustellung der Klage nicht zuzustellen ist.

§ 72 Abs 2 und Abs 2a ZPO sehen eine Einbindung des Antragsgegners (und des Revisors) erst ab Beschlussfassung vor, in dem dort ausdrücklich normiert ist, dass gegen die in Verfahrenshilfeangelegenheiten ergehenden Beschlüsse auch dem Gegner sowie dem Revisor der Rekurs bzw die Rekursbeantwortung offensteht, wobei die diesbezügliche Parteistellung des Revisors erst mit ZVN 2004 eingeführt wurde. Unzweifelhaft ist daher, dass das rechtliche Gehör sowohl der Prozessparteien als auch des Revisors jedenfalls im Rekursverfahren gewahrt sein muss, worauf sich ausschließlich die von der nunmehrigen Rekurswerberin zitierte Entscheidung zu 1 Ob 218/11g bzw die Rechtssätze in RIS-Justiz RS0042158 und RS0005673, abgedruckt in Klauser/Kodek , ZPO 17 § 477 E 79a beziehen. Dieses ausdrücklich normierte rechtliche Gehör im Rekursverfahren kann allerdings nach Ansicht des Rekurssenats nicht zwingend auch auf das erstinstanzliche Verfahren ausgedehnt werden, weil es hiefür an einer entsprechenden gesetzlichen Normierung fehlt. Insbesondere bei einer Antragstellung und Entscheidung vor Klagseinbringung ist der Gegner zwingend nicht einzubeziehen und ist ihm der Beschluss über die Bewilligung der Verfahrenshilfe frühestens mit der Klage zuzustellen. Zweifelsohne steht ihm dann gegen diesen Beschluss ein Rekursrecht zu, eine Nichtigkeit könnte allerdings die Nichteinbeziehung vor Beschlussfassung niemals verwirklichen, weil dem die gesetzliche Regelung ausdrücklich entgegensteht.

Davon abgeleitet kann aber auch die Nichteinbeziehung des Gegners in Verfahrenshilfeangelegenheiten nach Streitanhängigkeit keine Nichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag begründen (so auch M. Bydlinski in Fasching/Konecny ³ § 72 ZPO Rz 3). Insoweit hält der erkennende Senat seine - von der Rekurswerberin zitierte - Entscheidung zu 4 R 226/12k nicht aufrecht, sondern geht hievon ausdrücklich ab.

Wie bereits von diversen Rekursgerichten vertreten, könnte die Nichteinbeziehung des Antragsgegners in das Verfahren zur Bewilligung der Verfahrenshilfe nur allenfalls einen Verfahrensmangel darstellen (OLG Wien 19.2.1993, WR574= WR610; MietSlg 47.610; EFSlg 101.885 ua; siehe auch M. Bydlinski aaO), wenn dies zur Unvollständigkeit der Entscheidungsgrundlagen geführt hat. Dies muss allerdings vom Rekurswerber, wie bei jeder Verfahrensrüge, im Rekurs aufgezeigt werden.

Auch das im Rekursverfahren bestehende Neuerungsverbot, welches auch in Verfahrenshilfeangelegenheiten gilt, vermag eine zwingende Einbeziehung des Antragsgegners in das erstinstanzliche Verfahren in Angelegenheiten der Verfahrenshilfe nicht zu rechtfertigen. Sofern der Antragsgegner neue Umstände geltend machen will, steht ihm, wie in § 72 Abs 2 ZPO ausdrücklich normiert, das Recht zur Stellung eines Antrags auf Entziehung und/oder Erlöschen der Verfahrenshilfe nach § 68 Abs 1 und 2 ZPO zu, in welchen Verfahren diese neuen Umstände jedenfalls zu prüfen sind. Dies stellt auch das Korrektiv dafür dar, dass der Antragsgegner im erstinstanzlichen Verfahren über die Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht zwingend einzubeziehen ist. Auf diese Antragstellung nach § 68 Abs 1 und 2 ZPO ist der Antragsgegner jedenfalls dann ausschließlich beschränkt, wenn die Verfahrenshilfe bereits vor Klagseinbringung bzw Streitanhängigkeit bewilligt wurde. Es stellt daher nach Ansicht des Rekurssenats auch keinen Verstoß gegen Art 6 MRK dar, wenn der Antragsgegner auch nach Streitanhängigkeit in das Verfahren über die Bewilligung der Verfahrenshilfe in erster Instanz nicht einbezogen wird, ihm insbesondere keine Möglichkeit zur Äußerung eingeräumt wird, weil er seine Rechte - wie etwa auch im Provisorialverfahren nach Erlassung einer einstweiligen Verfügung ohne Anhörung des Gegners mittels Widerspruchs - vollumfänglich entweder mittels Rekurses oder mittels Antragstellung nach § 68 Abs 1 und 2 ZPO geltend machen kann.

Die geltend gemachte Nichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung über die Bewilligung der Verfahrenshilfe infolge nicht eingeräumter Äußerungsmöglichkeit der Klägerin liegt sohin nicht vor. Einen Verfahrensmangel vermag die Klägerin nicht aufzuzeigen, weil sie nicht einmal ansatzweise geltend macht, welche Umstände sie bei Einräumung einer Äußerung geltend gemacht hätte, die zu einer abweichenden Entscheidung führen hätten können.

Aber auch der angefochtene Beschluss ist nicht deshalb nichtig, weil er unbegründet blieb. Wie bereits zitiert, ist über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auf Basis des Vermögensbekenntnisses des Antragstellers zu entscheiden, sodass - auch ohne nähere Begründung - klar ist, dass das Erstgericht aufgrund des vorgelegten Vermögensbekenntnisses samt Urkunden und aufgetragener Ergänzung die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe im begehrten Umfang als gegeben ansah. Hiezu bedarf es keiner weiteren Begründung, zumal auch keine widerstreitenden Anträge vorliegen und dem Antrag des Antragstellers auch vollumfänglich stattgegeben wurde. Die vom Erstgericht gewählte Vorgangsweise entspricht der Bestimmung des § 428 ZPO, welche eine Begründungspflicht nur für Beschlüsse über widerstreitende Anträge und Beschlüsse, durch welche ein Antrag abgewiesen wird, vorsieht ( Klauser/Kodek aaO § 72 E 2a; siehe auch M. Bydlinski aaO Rz 5 mwN).

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