6Bs109/15b – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Dr. Werus als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Friedrich und die Richterin Dr. Klammer als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen Peter P***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 8.4.2015 zu 31 HR 12/15g (22 St 4/15d-13 der Staatsanwaltschaft Innsbruck) in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Der Beschwerde wird F o l g e gegeben, der angefochtene Beschluss a u f g e h o b e n und der Antrag des Beschuldigten auf Enthebung des Sachverständigen Prim. Prof. Dr. W***** G***** abgewiesen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Begründung:
Text
Bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck behängt ein Ermittlungsverfahren gegen den am *****1998 geborenen Sonderschüler Peter P***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB.
Am 5.3.2015 bestellte die Staatsanwaltschaft Prim. Prof. Dr. W***** G***** zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie. Der gleichzeitige Auftrag zur Erstattung von Befund und Gutachten betrifft die Fragen der Zurechnungsfähigkeit im Sinne des § 11 StGB und der Einweisungsvoraussetzungen nach § 21 Abs 1 oder Abs 2 StGB.
Mit den Schriftsätzen seiner Verteidigerin vom 17. und 19.3.2015 beantragte der Beschuldigte die Enthebung dieses Sachverständigen und führte zur Begründung zusammengefasst aus, die Zureise zum bestellten Sachverständigen nach Linz sei dem Beschuldigten und dessen Familie nicht zumutbar; im Sprengel des Landesgerichtes Innsbruck gebe es eine Reihe von Sachverständigen, welche fachlich ebenso wenn nicht besser für die Fragestellung geeignet seien. Fünf in Tirol ansässige Sachverständige, darunter Univ.-Doz. Dr. C***** M*****, wurden in diesen Schriftsätzen genannt. Insbesondere auch aus Gründen der Ökonomie sei es angezeigt, einen vor Ort ansässigen Sachverständigen zu bestellen, um die anlaufenden Verfahrenskosten in Grenzen zu halten.
Die Staatsanwaltschaft führt in ihrer Stellungnahme vom 19.3.2015 im Wesentlichen aus, bei der Fragestellung nach § 11 und § 21 Abs 1 und Abs 2 StGB erscheine die Bestellung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychologie ausgeschlossen. Bei der Bestellung des Sachverständigen sei auf fachliche Kompetenzen auch in Bezug auf das Alter des Beschuldigten geachtet worden. In Tirol gebe es keinen in die Sachverständigenliste eingetragenen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie, weshalb Prim. Prof. Dr. W***** G***** bestellt worden sei. Keiner der vom Beschuldigten angeführten Sachverständigen sei für das Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie zuständig, sodass von einer besseren fachlichen Kompetenz der vorgeschlagenen Sachverständigen nicht ausgegangen werden könne, weshalb seitens der Staatsanwaltschaft eine Umbestellung nicht erfolge.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss entsprach der Haft- und Rechtsschutzrichter des Landesgerichtes Innsbruck dem Enthebungsantrag, bestellte Univ.-Doz. Dr. C***** M***** statt des von der Staatsanwaltschaft ausgewählten Sachverständigen und formulierte aufgrund eines vom Beschuldigten gestellten Beweisantrages sogleich einen auch auf die Frage der verzögerten Reife ausgedehnten Auftrag zur Erstattung von Befund und Gutachten. Im Rahmen der Begründung führte der Erstrichter unter anderem aus:
Der Beschuldigte ..... stützt sich letztlich auf § 5 StPO, wonach unter mehreren zielführenden Ermittlungshandlungen jene zu ergreifen seien, welche die Rechte der Betroffenen am Geringsten beeinträchtigen und deren Rechte und schutzwürdige Interessen wahren. Der Beschuldigte konnte glaubwürdig darlegen, dass er selbst sowie sein Bruder intensiver Betreuung bedürfen und somit seine Familie durch eine Anreise nach Linz zur Befundaufnahme über Gebühr belastet wäre. Wenngleich bei den vom Beschuldigten vorgeschlagenen Sachverständigen niemand in die Liste der Kinder- und Jugendpsychiater eingetragen ist, so ist dem Landesgericht Innsbruck doch bekannt, dass der Sachverständige Dr. C***** M***** in vergleichbaren Fällen bereits hervorragende Gutachten, auch zur Frage der verzögerten Reife, erstattete. Es ist sohin naheliegend, einen Sachverständigen aus dem räumlichen Nahebereich des Beschuldigten auszuwählen und diesen mit der Gutachtenserstattung zu beauftragen.
Die rechtzeitige Beschwerde, zu welcher die Oberstaatsanwaltschaft keine Stellungnahme erstattete und der Beschuldigte durch seine Verteidigerin eine Gegenäußerung einbrachte, dringt durch.
Rechtliche Beurteilung
Das Gesetz strebt zwar eine möglichst schonende Beeinträchtigung von Rechtsgütern und sonstigen schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten an und nimmt auch auf die Verfahrensökonomie Bedacht (§§ 5, 126 Abs 2c StPO). Zulässige Gründe eines vom Beschuldigten zu stellenden Enthebungsantrages nach § 126 Abs 5 StPO sind nach dem Wortlaut dieser Bestimmung aber bloß
• Befangenheit,
• begründete Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen oder
• bessere Sachkunde eines vorgeschlagenen anderen Sachverständigen.
Die Unannehmlichkeiten der Zureise zu einem Sachverständigen und die Minimierung von Verfahrenskosten sind also keine gesetzlichen Kriterien eines vom Beschuldigten gestellten Enthebungsantrages.
Abgesehen davon hat der Sachverständige Prim. Prof. Dr. G***** der Staatsanwaltschaft Innsbruck zugesichert, zur Befundaufnahme zum Wohnort des Beschuldigten (6***** I*****) zuzureisen (AV vom 19.3.2015 in ON 1). Eine Reise des Beschuldigten und seiner Familie nach Linz ist also ohnehin nicht erforderlich.
Somit war der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Enthebungsantrag des Beschuldigten abzuweisen.
Eine Abänderung des Gutachtensauftrages stünde dem Gericht übrigens nach dem auch insoweit klaren Wortlaut des § 126 Abs 5 StPO selbst im Falle eines berechtigten Enthebungsantrages nur zu, wenn der Beschuldigte die Bestellung im Rahmen gerichtlicher Beweisaufnahme verlangt hätte. Ohne fristgerechten Antrag auf gerichtliche Beweisaufnahme bleibt die Auftragserteilung in der Kompetenz der Staatsanwaltschaft, die nach § 20 Abs 1 erster Satz StPO das Ermittlungsverfahren leitet (vgl Ratz Der neue Sachverständigenbeweis nach dem StPÄG 2014, ÖJZ 2015/5).
Oberlandesgericht Innsbruck, Abteilung 6
Innsbruck, am 22. Mai 2015
Dr. Ernst Werus, Senatspräsident