6Bs309/14p – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Dr. Werus als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Friedrich und die Richterin Dr. Klammer als weitere Mitglieder des Senates in der Strafsache gegen Sam***** K***** wegen der Verbrechen der pornografischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 10.10.2014, GZ 23 Hv *****-7, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Der Beschwerde wird F o l g e gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Landesgericht Innsbruck die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.
RECHTSMITTELBELEHRUNG:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Text
Begründung:
Der Strafantrag der Staatsanwaltschaft Innsbruck legt dem am ***** geborenen Sam***** K***** zur Last, er habe zwischen 1.9. und 9.9.2013 in I***** mehrere pornografische Darstellungen von sich selbst, nämlich wirklichkeitsnahe Abbildungen geschlechtlicher Handlungen an sich selbst (zB Onanieren und Einführen eines Pfefferonis in den After),
Sam***** K***** habe hiedurch begangen
Mit dem angefochtenen Beschluss wies der Einzelrichter des Landesgerichtes Innsbruck gestützt auf § 485 Abs 1 Z 3 iVm § 212 Z 1 und 2 StPO den Strafantrag zurück und stellte das Verfahren ein.
Zur materiellen Rechtslage enthält der angefochtene Beschluss die folgenden, hier auszugsweise wörtlich wiedergegebenen Ausführungen:
§ 207a StGB bestimmt:
Wer eine pornografische Darstellung einer minderjährigen Person
ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen (Abs 1).
Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist zu bestrafen, wer eine pornografische Darstellung einer minderjährigen Person zum Zweck der Verbreitung herstellt, einführt, befördert oder ausführt oder eine Tat nach Abs 1 gewerbsmäßig begeht … (Abs 2).
Im vorliegenden Fall nicht weiter fraglich ist, dass die ... Bilder bzw Videodateien pornografische Darstellungen Minderjähriger (bzw eines Minderjährigen) im Sinne des Abs 4 leg cit sind … und … ließe sich auch erschließen, dass der Angeklagte die Aufnahmen auch zum Zweck der Verbreitung hergestellt habe. Insofern wären sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt.
Fraglich bleibt jedoch, ob Täter des § 207a Abs 1 oder 2 StGB auch der jugendliche Darsteller selbst sein kann oder ob Täter und Darsteller verschiedene Personen sein müssen. Aus dem Wortlaut des Gesetzes ist dies … nicht eindeutig zu erkennen. Wird im StGB zwar in einer Vielzahl von Tatbeständen ausdrücklich gefordert, dass sich die Tathandlung gegen einen anderen richtet (vgl §§ 75, 83 Abs 1, 105 Abs 1 StGB uva), ist dies in anderen Bestimmungen nicht ausdrücklich statuiert, aber logisch erkennbar und wohl auch nicht weiter strittig, dass dies auch dort gefordert ist (vgl § 104a StGB).
Grundsätzlich ließe sich die Auffassung vertreten, dass aber gerade bei den gegenständlichen Strafbestimmungen Täter und dargestellter Minderjähriger auch ein und dieselbe Person sein könnten (Hinterhofer in SbgK StGB § 207a Rz 25 und 55, jedoch ohne nähere Begründung oder Hinweise auf Judikatur).
Andererseits ist Schutzzweck der gegenständlichen Norm grundsätzlich die ungestörte sexuelle und allgemein psychische Entwicklung von Unmündigen. Rechtsgut ist somit die sexuelle Integrität von Unmündigen. Dieser Schutzzweck soll primär über den in § 207a intendierten Darstellerschutz erreicht werden. Die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern ist zu schützen. Primär dadurch - so die Meinung des Gesetzgebers -, dass man verhindert, dass sie als Darsteller pornografischen Materials missbraucht werden. Insofern gefährdet die Herstellung pornografischer Darstellungen idR unmittelbar, die Verbreitung, der Erwerb und Besitz dieses Materials aber nur mittelbar das Schutzgut. Erwerb und Besitz von sowie wissentlicher Internetzugriff auf Darstellungen von Kindesmissbrauch als reales Geschehen sind, wie auch das „einem anderen Verschaffen“ (gleichwertig mit „Verbreiten“) strafwürdig, weil bei authentischer Kinderpornografie der Konsumentenkreis relativ eng ist und von diesem keine Massenprodukte akzeptiert werden. Es handelt sich dabei, bezogen auf den Darstellerschutz, jedoch um „potenzielle Gefährdungen“ des Rechtsguts. Manche Tatbilder des § 207a gehen über den Darstellerschutz hinaus, weil sie Abbildungen erfassen, die ohne einen tatsächlichen Missbrauch zustande gekommen sind: zB Realpornografie von Erwachsenen mit kindlichem Erscheinungsbild; virtuelle Kinderpornografie (Philipp in WK² StGB § 207a Rz 1 und 5 f mwN; vgl auch RIS-Justiz RS0110454).
Während bei der ähnlich gelagerten und formulierten Bestimmung des § 215a StGB mit ähnlichem Schutzzweck auch eine Identität von Täter und Opfer zumindest theoretisch bei der Begehungsform des Anbietens denkbar wäre, wird hier - soweit erkennbar - nicht die Auffassung vertreten, dass dies tatsächlich der Fall wäre (List in SbgK StGB § 215a).
Insofern geht das Gericht aufgrund des Schutzzweckes davon aus, dass die hier gegenständlichen Strafbestimmungen nicht auf Herstellung (mit erweitertem Vorsatz) und Zugänglichmachen von eigenen geschlechtlichen Handlungen anzuwenden sind, dass also Täter und Darsteller verschiedene Personen sein müssen.
Schließlich ist aufgrund der nach dem Ermittlungsverfahren vorliegenden Beweisergebnisse auch nicht davon auszugehen, dass dem Angeklagten in Bezug auf das Alter der Empfängerinnen der gegenständlichen pornografischen Darstellungen Wissentlichkeit unterstellt werden könnte, sodass auch eine Strafbarkeit nach § 2 Abs 1 PornoG nicht in Frage kommt.
Die fristgerecht eingebrachte Beschwerde der Staatsanwaltschaft begehrt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und den Auftrag an das Erstgericht zur Fortsetzung des Verfahrens.
Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft aus:
… Der Rechtsansicht des Landesgerichtes Innsbruck ist nicht zu folgen, da auch die jugendlichen Darsteller selbst Täter des § 207a Abs 1 sein können. Dies gilt etwa dann, wenn sie die pornografischen Darstellungen Dritten zugänglich machen oder diese exportieren. So macht sich zB ein Jugendlicher nach § 207a Abs 1 Z 2 StGB strafbar, der eine „reißerisch verzerrte“ und „auf sich selbst reduzierte“ pornografische Darstellung seiner Genitalien via Webcam oder E-Mail anderen zugänglich macht (Hinterhofer SbgK § 207a Rz 26). Zu beachten ist allerdings, dass die Straflosigkeit gemäß Abs 5 leg cit - unter den darin genannten weiteren Voraussetzungen und außer im Fall des Besitzes gemäß Abs 3 - nur bei der Herstellung nach Abs 1 Z 1 in Betracht kommt, nicht aber bei einer - wie hier vorliegenden - Herstellung zum Zweck der Verbreitung (Abs 2 erster Fall). Der Terminus „Verbreitung“ in Abs 2 ist etwas irreführend. Es handelt sich keinesfalls um eine Massenverbreitung. Die Absicht auf Verbreitung ist bereits dann gegeben, wenn es dem Täter darauf ankommt, die pornografische Darstellung Minderjähriger einem anderen zugänglich zu machen (Hinterhofer in SbgK § 207a Rz 53; Philipp in WK² StGB § 207a Rz 19).
Im vorliegenden Fall hat der Beschuldigte Sam***** K***** die pornografischen Darstellungen von sich selbst gerade dazu hergestellt, um diese im Anschluss an die beiden unmündigen Mädchen Sir***** K***** und Sar***** K***** zu versenden. …
Die Oberstaatsanwaltschaft trat in ihrer Stellungnahme für den Erfolg der Beschwerde ein und führte dazu aus:
Täter des § 207a StGB kann jedermann sein und jeder, der in irgend einer Phase an der Herstellung einer pornografischen Darstellung im Sinne des § 207a StGB selbst mitgewirkt hat, ist unmittelbarer Täter des § 207a Abs 1 Z 1 bzw Abs 2 erster Fall StGB (vgl Philipp in WK² StGB § 207a Rz 7 und 27).
Der Angeklagte erstattete durch seine Verteidigerin die Gegenäußerung vom 12.1.2015. Darin wird aufgrund der Abschnittsüberschrift „strafbare Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung“ und der rechtsdogmatischen Einordnung des § 207a StGB die Meinung vertreten, der minderjährige Darsteller von pornografischem Material könne unmöglich selbst Täter im Sinne des § 207a StGB sein. Folge man der Ansicht der Anklagebehörden, so habe dies die Konsequenz, dass ein minderjähriger Pornografiedarsteller bei der Herstellung durch Erwachsene als Beitragstäter im Sinne des § 12 StGB angesehen würde; dies sei geradezu kontraproduktiv. Die Gegenäußerung argumentiert auch mit § 207a Abs 5 StGB und merkt an, im vorliegenden Fall werde „offensichtlich versucht, einen Schuldigen zu finden, um Genugtuung für die beiden zum Tatzeitpunkt (gerade noch) unmündigen Empfängerinnen zu erlangen“, welche den Angeklagten zur Übermittlung aufgefordert hätten. Im Falle einer solchen Aufforderung von einem Erwachsenen an den jugendlichen Angeklagten wäre „niemals jemand auf die Idee gekommen“, den Angeklagten als Täter im Sinne des § 207a StGB anzusehen.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft erweist sich als berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Den Wortlaut des § 207a Abs 2 erster Strafsatz und des § 207a Abs 1 Z 2 StGB würden die im Strafantrag unterstellten Taten des Angeklagten erfüllen. Das zweifelt auch die Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht an.
Dass sich die Tat gegen eine bestimmte andere Person gerichtet haben muss, fordern zwar viele, aber nicht alle Straftatbestände. Es gibt nämlich auch Tatbestände, deren Schutzobjekt ein Gut der Allgemeinheit ist, zum Beispiel Umwelt- oder Korruptionsdelikte. Daraus lässt sich also für die Auslegung des § 207a StGB nichts ableiten.
Unmittelbarer Darstellerschutz ist nicht das einzige Ziel des § 207a StGB. Der Gesetzgeber geht nämlich - auch in Umsetzung internationaler Rechtsakte - davon aus, die Erzeugung und Verbreitung von kinderpornografischem Material stimuliere eine entsprechende Nachfrage (vgl 11 Os 136/00 und ErlRV 294 BlgNR XXII. GP 23 zum StRÄG 2004). Manche Tatbilder des § 207a StGB erfassen daher auch Abbildungen, die ohne tatsächlichen Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen zustande gekommen sind, zum Beispiel Realpornografie von Erwachsenen mit kindlichem Erscheinungsbild oder virtuelle Kinderpornografie ( Philipp in WK [2014] StGB § 207a Rz 6). Da es dem Gesetzgeber eben nicht nur um den unmittelbaren Darstellerschutz, sondern auch um den Schutz anderer Minderjähriger als potenzielle Opfer geht, kommen jugendliche Darsteller pornografischer Aufnahmen nicht in den Genuss der Straflosigkeit nach § 207a Abs 5 StGB, sondern werden selbst straffällig, wenn sie diese Aufnahmen Dritten zugänglich machen ( Hinterhofer in SbgK [2006] StGB § 207a Rz 86).
Jugendliche dürfen zwar realen Sexualverkehr haben. Betreiben sie miteinander „Cybersex“, können sie aber nach § 207a StGB straffällig werden, weil schon das Zugänglichmachen für eine einzige Person als „Verbreitung“ genügt ( Philipp aaO Rz 19) und weil die Straflosigkeit nach § 207a Abs 5 Z 1 StGB nur Darstellungen zum eigenen Gebrauch des Abgebildeten erfasst ( Philipp aaO Rz 31). Dies begründet allerdings nicht unbedingt einen Wertungswiderspruch, weil der reale Sexualverkehr allein anders als „Cybersex“ keine Gefahr der (unter Umständen unkontrollierbaren) Weiterverbreitung pornografischer Darstellungen Minderjähriger mit sich bringt.
Der für den Angeklagten erstatteten Gegenäußerung ist überdies zu erwidern: Nach eigenen Angaben wurde der Angeklagte von den Mädchen erst zur Übermittlung von Nacktbildern aufgefordert, nachdem er dies selbst angeboten hatte (S 13 oben in ON 4).
Für die Subsumtion nach § 207a StGB ist das unmündige Alter der Empfängerinnen nicht entscheidend. Wohl aber wäre das Alter der Opfer bei den Tatbeständen des § 208 StGB und des § 2 PornoG relevant, wobei der darauf gerichtete Vorsatz nicht ohne Durchführung einer Hauptverhandlung in vorwegnehmender Beweiswürdigung beurteilt werden dürfte (vgl Fabrizy StPO 12 § 485 Rz 4).
Zusammengefasst spricht also weder der Wortlaut noch der - nicht auf den unmittelbaren Darstellerschutz beschränkte - Schutzzweck des § 207a StGB gegen die Strafbarkeit des jugendlichen Darstellers und Versenders der inkriminierten Fotos und Videos. Deshalb war der Beschwerde Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.